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Mainzer Republik 1792/1793
"Besonders jakobinische Autoren schätzen die
Wirkungsmöglichkeiten von Literatur skeptisch ein. [...] So war für Forster
"des Schreibens zu viel und des Handelns zu wenig in der Welt", und Rebmann
wollte "Gedichte thun, nicht dichten". [...] Eine solche skeptische
Einstellung der Dichtung und der eigenen literarischen Produktion gegenüber
hat verschiedene Gründe. Sie ist einmal Ausdruck der Auffassung, dass die
Verhältnisse
nicht durch Literatur verändert, sondern nur durch
revolutionäre Handlungen überwunden werden können. Zum anderen ist sie
Reflex des von den Verhältnissen erzwungenen Verzichts auf konkrete
revolutionäre Praxis und der frustrierenden, die Auffassung von der
relativen Wirkungslosigkeit der Literatur bestätigenden Erfahrungen, die die
Jakobiner in ihrer eigenen literarischen Praxis sammelten. [...]
Sie steht in scharfem Gegensatz zu der Hochschätzung der Literatur bei den
Klassikern und Romantikern. Für
Schiller war die Dichtung allein in der Lage, die durch die moderne
Zivilisation hervorgerufene Vereinzelung, Verkrüppelung und Entfremdung des
Menschen zu überwinden und den Menschen als sittliches Individuum
wiederherzustellen. Die 'ästhetische Erziehung' war dabei als Vorstufe zur
politischen Veränderung gedacht. Eine "Verbesserung im Politischen" erschien
Schiller möglich nur über eine "Veredlung des Charakters", wobei die "schöne
Kunst" das Werkzeug sein sollte. Eine solche Argumentationsweise, die das
politische Konzept des Reformismus im Literaturbereich einzulösen versuchte,
wiesen die Jakobiner als idealistisch zurück und vertraten demgegenüber den
materialistischen Standpunkt, dass die politischen und sozialen
Veränderungen der moralischen Verbesserung voranzugehen hätten [...]
Nicht 'ästhetische Erziehung' im klassischen Sinne, sondern politische
Erziehung, d. h. Aufklärung der Bevölkerung über ihre Rechte und Pflichten
im Medium der Literatur, ist die Antwort des jakobinischen Schriftstellers
auf die vorgefundene gesellschaftliche Situation. Eine solche politische
Erziehung zielt nicht wie das klassische Konzept auf eine Vermeidung der
Revolution, sondern versucht vielmehr bei der Bevölkerung Einsichten für die
Notwendigkeit einer solchen Revolution zu wecken. [...]"
(aus:
Inge Stephan 1982, S.167f., gekürzt)