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Aspekte der Erzähltextanalyse
Eine Schülerin der 12. Klasse hat die nachfolgende
Textinterpretation zu der
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Kurzgeschichte
▪ »Der
Antrag« von
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Gabriele Wohmann
verfasst. Sie weist allerdings noch einige Mängel auf, die hier
herausgearbeitet werden sollen. Sie ist auf der Grundlage der folgenden
mehrteiligen Arbeitsanweisung
verfasst worden:
-
Geben Sie den Inhalt des
Textes unter Berücksichtigung von
Haupt- und Nebenhandlung
wieder.
-
Arbeiten Sie die
Beziehung der beiden Hauptpersonen
heraus, indem Sie den Verlauf des
Gesprächs Inhalt, Art und Weise, Wendepunkte ihrer Kommunikation und die
Motive der Hauptpersonen näher untersuchen.
-
Beantworten Sie in diesem
Zusammenhang unter Bezugnahme auf den Text die Frage, weshalb die Frau
am Ende auf den Antrag eingeht.
-
Zeigen Sie, welche
erzähltechnischen Mittel (Darbietungsformen,
Erzählhaltung bzw. Erzählperspektive)
die Verfasserin einsetzt und
erläutern Sie deren Funktion für das
Textganze. (FAQ
7)
Geben Sie dabei auch u. a. Aufschluss über folgende Fragen:
-
Welche Funktion besitzt
die Komposition der Handlungsführung in Haupt- und Nebenhandlung?
-
Wie verstehen Sie die
Textstelle "Tut mir leid, bedaure sehr, nein ... bis: "... Gute
Freunde bleiben"?
-
Versuchen Sie
abschließend eine Gesamtdeutung der Geschichte.
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Schülerbeispiel eines Interpretationsaufsatzes
»In der Kurzgeschichte "Der Antrag" von Gabriele
Wohmann, erschienen in "Sieg über die Dämmerung, München 1960, S.
142-146, wird einer Frau, die Lehrerin ist, von dem Inhaber einer
Privatschule an einem Badestrand ein Heiratsantrag gemacht. Während der
Mann immer wieder ökonomische und rationale Gründe anführt, die eine
Heirat mit ihm sinnvoll erscheinen lassen, schaut die Frau einem
Liebespaar zu, welches sich am Strand balgt und küsst. Obwohl die Frau den
Mann nicht liebt und seinen Antrag in Gedanken immer wieder ablehnt, gibt
sie am Ende nach und nimmt den Heiratsantrag an. Inhumanes in den zwischenmenschlichen Beziehungen und dabei auch die
"inhumane" Einengung des einzelnen in seinem Streben nach
Selbstverwirklichung und Glück sind immer wieder Themen im Werk Gabriele
Wohmanns. In "Der Antrag" wird dies durch eine bedrückende und einengende
Stimmung deutlich gemacht, die der Text beim Lesen erzeugt. Auf der einen
Seite der Mann, der eigentlich am Wesentlichen einer Beziehung, nämlich
der emotionalen Bindung an den Partner, vorbeiredet [1] und der versucht
eine eheliche Beziehung auf sachliche Werte und Prestige zu reduzieren.
Auf der anderen Seite die Frau, die dem Mann jede Anziehung und
Attraktivität abspricht [2], aber letzten Endes doch ihr
vernunftdiktiertes Ja zum Heiratsantrag gibt. Die Geschichte dieser beiden
Hauptfiguren stellt auch die Haupthandlung der Geschichte dar. Die Geschichte des "turtelnden" Liebespärchens am Strand ist eine
Nebenhandlung. Ihre Liebe ist ein Sinnbild für die unvernünftige,
zügellose Liebe, die zugleich auch immer unsicher ist, und vielleicht auch
selten Bestand hat. Das Liebespaar wird von der Frau beobachtet. Diesen
Beobachtungen wird die "Vernunftbeziehung" gegenübergestellt, die der Mann
mit seinem Heiratsantrag anstrebt. Der blaue Kugelschreiber, mit dem er
während des Gesprächs herumhantiert und sein spitzer Zeigefinger, die der
Frau immer wieder auffallen, stehen für den nüchternen Lebensstil des
Mannes, symbolisieren seine besserwisserische, nüchtern-trockene Art, sein
Leben planend im Griff zu halten. Die Farbe Blau weisen zwei Objekte auf, die im Rahmen der Kurzgeschichte
eine Rolle spielen. Als Blau des Meeres steht es für Unstetigkeit, aber
auch in seiner Bewegtheit für Dynamik, die Dynamik des Lebens und der
Gefühle, während dem Blau des Kugelschreibers, selbst wenn dieser vom Mann
andauernd in den Händen gedreht wird, jede Dynamik abgeht und nur
das buchhalterisch wirkende Denken des Mannes unterstreicht. Es ist bezeichnend, dass sich die Frau von dem Liebespaar, dem Sinnbild
ihrer Sehnsüchte, entfernt und erst dann dem Begehren des Mannes nachgibt,
als es ihrem Blick weit entrückt ist (Z 95). Erst jetzt verschließt sie
sich den rationalen Argumenten des Mannes für eine Eheschließung nicht
mehr. Das Nebeneinander von Haupt- und Nebenhandlung ist bewusst so gestaltet.
Die Nebenhandlung soll die Lebensprinzipien und -wünsche der Frau mit der
"harten Realität" des Antrags konfrontieren. Im Übrigen setzt Gabriele Wohmann zur Gestaltung ihrer Geschichte auch die
Übertreibung als Stilmittel ein. In einem inneren Monolog skizziert die
Frau die Tragödie, wobei sie den Mann in der Rolle des Shakespearschen
Othello sieht. Dieser bringt sie nach einer möglichen Ablehnung des
Antrags dadurch um, dass er eine Zahl in ihren Busen bohrt. Aber dieses
grausame Bild zeigt auch Züge des Spotts gegenüber dem Vernunftdenken des
Mannes, der sie nicht mit einem Stich, sondern nur damit töten kann, dass
er eine Zahl in ihr Fleisch spitzt.«
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Aspekte der Erzähltextanalyse
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Bausteine
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
04.10.2020
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