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Eilenburger Neueste
Nachrichten", 27.10.1934: Im
Rahmen der NS-Kulturgemeinde führte die »Deutsche Bühne« in der Stadthalle
zu Eilenburg Schillers »Maria Stuart« auf.
Das deutsche Volk muss, nachdem es den kühnen Schritt in den
Nationalsozialismus getan [...], diesen ganz neuen Perspektiven
entsprechend auch die Klassiker unter verändertem Blickwinkel sehen.
Keinesfalls kann alles, was Klassiker ist, heute noch unbesehen
hingenommen werden.
Der natürliche und (um religiös zu sprechen) göttliche Zweck der
Geschlechtsliebe ist die Entfaltung der Art, die Nachkommenschaft. Was in
der Erotik den heiligen Zweck außer Acht lässt, was in ihr nur eine
Freude, einen Begriff des Sichauslebens oder auch eine nebensächliche
tierische Angelegenheit sieht, ist im tiefsten Grunde unsittlich und muss
in der nationalsozialistischen Kunst als unsittlich behandelt werden.
Unsere Klassiker nehmen in solchem Hinblick eine nicht mehr zeitgemäße
Stellung ein. In ihren Werken ist nicht der Zweck, die Arterhaltung, das
Wesentliche, sondern das Mittel zum Zweck, die Liebe, und über diesem
Mittel vergessen sie den Zweck. Und auch »Maria Stuart« bewegt sich auf
dem Boden der kritiklosen Anerkennung der »Liebe an sich«, ohne sich um
ihre Heiligung durch das Kind zu kümmern. Wenngleich gewisse schwüle
Szenen in dem Stück durch ein taktvolles Spiel abgeschwächt waren, so
hätten wir wenigstens gern vermieden gesehen, dass - wie es leider
geschehen ist - die Jugend zu dem Besuch der Vorstellung aufgefordert
wurde.
Auch aus einem anderen Grunde ist Maria Stuart nichts für die Jugend. Sie
wird hier als Edelweib besonderer Güte dargestellt, während sie in
Wirklichkeit doch eine schlimme Intrigantin und mannstolle Frau war. [...]
Wenn wir meinen, dass solche Stücke in der Jetztzeit unangebracht sind, so
ist das keine Prüderie. Die neue Ethik fordert keine Aufgabe der Erotik,
sondern ihre Veredelung durch die Elternschaft, deren Aureole mahnend und
warnend unaufhörlich hinter aller geschlechtlichen Sinnlichkeit leuchtet
und leuchten muss, weil der göttliche Sinn der Erotik das als ewigen
Willen in sich fasst. Wohl wissen wir, dass bei übernormaler Stärke des
Triebes sein höheres Ziel vergessen werden kann und dass bei Erbkranken
das höhere Ziel verhängt werden muss, aber die Kunst hat nicht dem
Anormalen und Kranken zu dienen, sondern dem Gesunden und hat dem Gesunden
Darsteller und Künder zu sein.
Darum sähen wir gern, wenn diejenigen, die jetzt den Klassikern wieder den
Weg ins Volk bahnen wollen, ihnen recht kritisch gegenüberträten und eine
»Maria Stuart« ist als Bild einer Zeit, in der Völker nichts, die
Fürstenhäuser aber alles waren, zweifellos von einer großartigen Kraft.
Man sieht in diesem Stück, von genialer Hand entworfen, unter welchen
bedenklichen Voraussetzungen in den hinter uns liegenden Jahrhunderten die
Politik gemacht wurde. [...]
Wer solche Erwägungen angesichts der »Maria Stuart« ablehnen oder die
Meinung verfechten wollte, dass der kritische Beobachter lediglich ihren
»reinen Kunstwert« beurteilen dürfe, der stellt sich auf den Boden eines
in die nationalsozialistische Weltanschauung nicht hineingehörenden
Ästhetizismus.
Eilenburger Neueste Nachrichten", Januar 1935:
"Wir stehen am Abschluss den Zeitalters der Liebe. [...] Wir
erlebten in der liberalistischen Endphase dieses Zeitalters, wie sie, in
welcher Teilform auch immer sie auftrat, die Ursache und der Vorwand
bedenklichster Entartungserscheinungen wurde. Aus »Nächstenliebe« wurde in
der sozialen Staatsgebarung das Kranke und das Schwache gehätschelt. Das
Gesunde aber ließ man ohne die nötige Pflege und wartete ab, bis es
gleichfalls verkommen war, um dann die Liebe auch an ihm zu beweisen. Man
war auch schnell bei der hand mit der Entschuldigung des Verbrechers, dem
doch die Liebe nicht versagt werden dürfe. Die Gefängnisse und
Erziehungshäuser wurden zu mit Liebe ausgestatteten Erholungsheimen, und
der aus helfender Liebe gegebene Krankenschein wurde zu einem
Versicherungsschein für viele, die nicht mehr arbeiten wollten. Die Liebe
in der Geselligkeit wurde völlig hemmungslos. Ehebruch, Päderastie,
Lesbismus, Sodomiterei, Abtreibung, alles wurde geübt oder geduldet, und
auch die Duldung geschah nur aus Liebe. Dass da Pflichten auf Erfüllung
harrten, Pflichten politischer, sozialer, rassischer Art, daran wurde
nicht gedacht. Und die Bühne wurde zum Spiegelbild dieses fürchterlichen
Niederganges des Volkes.
Wir völkisch eingestellten Menschen liefen Sturm gegen das »Zeitalter der
Liebe« und haben es überwunden. Und mit ihm haben wir »Maria Stuart«
überwunden. »Maria Stuart« ist mitten aus dem »Zeitalter der Liebe«
geboren, deckt den Mantel der Liebe über ein Kapitalverbrechen und
verklärt mit einer genialen dichterischen Gestaltungskraft eine Sünderin
zur Heiligen. Durch die hohe Kunst Schillers wird das Stück zu einer
gefährlichen Waffe des überwundenen Zeitalters. [...]
Dem »Zeitalter der Liebe« wird das »Zeitalter der Pflicht« folgen.
Das heißt nicht, dass die Liebe nunmehr abgesetzt sei. Die Liebe ist
die Grundstimmung, aus der die Pflicht herauswächst. Die Menschheit
hat zwei und einhalb Jahrtausende gebraucht, um über diese Grundstimmung
mit sich ins Klare zu kommen. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass die
Nichts-als-Liebe-Lehre zur Entartung führt, und dass die Pflicht als stete
Begleiterin neben der Liebe zu treten hat, wenn der Weg nach oben weiter
innegehalten werden soll,. Im Vollgefühl seiner Liebe (ganz gleich, ob zum
anderen Geschlecht, ob zum Vaterland und in welcher Form auch immer) hat
der Mensche sich zu fragen: Wozu verpflichtet deine Liebe dich? [...]
(aus: Eilenburger Nachrichten / Schwäbischer Merkur 23. Januar 1935, zit
n.
Grawe (Hrsg.) 1978, S.158-164)
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