Nach Auffassung von
Peter-André
Alt
(2000, Bd., 2, S. 508f.) sind es vor allem auch religiöse
Überzeugungen, die die Weltsicht
Maria Stuarts prägen und beherrschen. Dabei sieht er auch, dass die
Frömmigkeit, mit der Maria am Ende des Dramas in Erscheinung tritt, sie
zugleich auch als „schöne Seele“ daherkommen lässt. Aber zugleich
repräsentiere diese Frömmigkeit aber auch ihr politisches
Rollenverständnis, das in dieser Zeit des Konfessionalismus immer auch
zu religiösen Orientierungen dazugehöre. Dementsprechend erhebe Maria
Stuart erhebt ihren Anspruch auf den englischen Thron eben auch als eine
strenggläubige Katholikin und diese Verbindung verdeutliche eben, wie
eng Politik und Glaubensbekenntnis in dieser Zeit aufeinander bezogen
seien. Daher könne man Marias religiöse Haltung im Schlussakt auch nicht
für „das Indiz einer völligen Glaubenskorrektur zu betrachten. Selbst
wenn sie sich dem Gesetz des Glaubens unterwirft, bleibt die Heldin doch
stets von dem Bewusstsein einer politischen Sendung, damit auch von
einem spezifisch sozialen Selbstverständnis beherrscht“.
Diese
Ambivalenz zeige sich auch besonders in der religiösen Dimension der
Abendmahlsszene. "Sie zeigt", so Alt (ebd.), "Maria als schöne Seele im
Gestus einer moralischen Überlegenheit, die nicht um den Preis ihrer
sinnlichen Präsenz erkauft ist, sondern diese gemäß den Bestimmungen von
Anmut und Würde einschließt. Dass der eucharistische Akt mit den
Requisiten einer pathetisch grundierten ästhetischen Inszenierung
versehen ist, tritt deutlich zutage."
Zudem strahle Maria
Stuarts Auftreten in der Szene ▪
V,6, in der Maria ihren ehemaligen Bediensteten Trost zu und bittet ▪
Melvil um die Erfüllung letzter Dienste bittet, "einen erotischen Reiz
aus, der die Märtyrerattitüde einschränkt, welche die Königin durch ihre
Rhetorik des Verzichts im Schlussakt unterstreicht. Weiß gekleidet, mit
einem Agnus Dei, Rosenkranz und Kruzifix geschmückt, den schwarzen
Schleier zurückgeschlagen, so dass man das Diadem erkennen kann, das die
Haare ziert, tritt Maria effektsicher in den Kreis ihrer Vertrauten."
Auch die Art und Weise,
wie in ▪
V,7 Marias Beichte in Szene gesetzt wird, gehorche "einem
kunstvollen Ritus mit markanter Schauwirkung.“ Rein äußerlich betrachtet
folge die Beichte den dafür gültigen Regeln: "Melvil ergreift den Kelch,
der den Wein enthält, entblößt das Haupt, zeigt Maria die Hostie in der
goldenen Schale, lässt sie niederknien, hört ihre Beichte, segnet sie
und reicht ihr das Gefäß und Brot.“ Was dem rituellen Akt zudem aber
eine „eigene Spannkraft“ gebe, liege an dem pathetischen Ton des Dialogs
zwischen Maria und Melvil, der in einer Art melancholischem
"Lebensrückblick" und "moralischer Bilanz" an vielen Stellen "die
emotional bewegende Selbstdarrstellung Marias unterstützt".
Insofern gewinne die
Beichte "Züge einer symbolischen Verherrlichung der schönen Seele, die
vor dem Hintergrund der Insignien weltlicher Macht (NA 9, 135) zur
geschichtlichen Apotheose Marias gerät. Dass die ästhetische
Schauwirkung der Szene die Botschaft ihrer religiösen Sinnbilder
übergreift," habe der Dichter und Philosophen
»Johann Gottfried Herder (1774-1803), der neben »Christoph
Martin Wieland
(1733-1813), »Johann
Wolfgang Goethe
(1749-1832) und »Friedrich
Schiller
(1759-1805)
zu den einflussreichsten Schriftstellern und Denkern in Deutschland
während der Aufklärung gehörten (=klassisches »Viergestirn
von Weimar) zum
Anlass genommen, "beim Herzog gegen die Darstellung des »eucharistischen
Ritus auf der Bühne zu protestieren. Schiller hat gerade die hier
manifeste sinnliche Prägnanz des Glaubensrituals für ein Merkmal
religiöser Praxis gehalten. [...] Die für zeitgenössische Kritiker
problematischen Züge der Abendmahlsszene liegen dort, wo die religiöse
Ebene einzig als Medium einer sinnlich gestützten Demonstration von
Marias Anmut erscheint. Deren erotische Komponente ist im Moment der
Beichte nicht unterdrückt, sondern vollends offenkundig. Das machte das
Skandalon des üppigen
Tableaus aus, das bei Aufführungen zu Lebzeiten Schillers meist der
Zensur geopfert wurde."
(Alt
2000, Bd., 2, S. 508
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023