Home
Nach oben
Zurück
Weiter
 

 

Schlink, Der Vorleser - 1. Teil

Was ist bei diesen Anweisungen verlangt?

Interpretation des 10. Kapitels

 
 
 

Zur Interpretation des 10. Kapitels von Bernhard Schlinks Roman »Der Vorleser« könnte die folgende mehrteilige Arbeitsanweisung gestellt werden:


Arbeitsauftrag:

Interpretieren Sie das Geschehen im 10. Kapitel (Teil 1) des Romans.

  1. Ordnen Sie dazu das Kapitel in das Geschehen des 1. Teils des Romans ein.

  2. Fassen Sie den Inhalt des Kapitels in Form einer kurzen Inhaltsangabe zusammen.

  3. Untersuchen Sie das Verhalten von Hanna und Michael in diesem Kapitel.
    Arbeiten Sie dabei heraus, welche Ursachen der entstehende Konflikt hat und wie die beiden Personen damit umgehen.

  4. Zeigen Sie auch über die Kapitelgrenze hinweg auf, welche Bedeutung dem Geschehen für die weitere Entwicklung der Beziehung von Hanna und Michael zukommt.

 →Operatorenkatalog des Landes Baden-Württemberg)

Was ist bei diesen Arbeitsanweisungen verlangt?

Ganz allgemein gilt: Eine mehrteilige Arbeitsanweisung ist stets nur ein Hinweis auf die Gesichtspunkte, die bei der Interpretation in jedem Fall behandelt werden müssen. Zugleich stellt sie meistens eine Art "Fahrplan" dar, nach der eine Interpretation aufgebaut sein sollte. Die meistens durchnummerierte Form der Arbeitsanweisung darf aber nicht so aufgefasst werden, als handle es sich dabei um einzelne Aufgaben, die wie in einer Klassenarbeit, z. B. in Biologie, nacheinander "abgehakt" werden können. Alle Teile zusammen geben das Ganze des Interpretationsaufsatzes, der ein zusammenhängendes Textganzes darstellt.
Die Nummern der einzelnen Arbeitsanweisungen haben daher in der schriftlichen Ausarbeitung des Interpretationsaufsatzes nichts zu suchen!
Wer dem "Fahrplan" der mehrteiligen Arbeitsanweisung folgt, sollte dabei zwischen den einzelnen Teilen des Aufsatzes Absätze einfügen. Wer kann, fügt eine Überleitung hinzu, ansonsten kann der Übergang aber auch ohne sie erfolgen.
Grundsätzlich kann sich der Aufbau des Interpretationsaufsatzes auch am allgemeinen Gliederungsschema orientieren, wobei freilich die jeweiligen Vorgaben in der mehrteiligen Arbeitsanweisung zu berücksichtigen sind. (vgl. Wie baut man einen Interpretationsaufsatz auf?)

ad 1)
Ordnen Sie das Kapitel in das Geschehen des 1. Teils des Romans ein.

Grundsätzlich geht es bei dieser Aufgabe darum, die zu analysierende und zu interpretierende Textstelle in ihren inhaltlichen und strukturellen Bezügen zum Gesamttext zu betrachten. (vgl. FAQ: Wie ordnet man eine Textstelle ein?)

Im vorliegenden Fall des 10. Kapitels des "Vorlesers" bedeutet dies:

  • Das Wesentliche der Handlung vor und nach dem Geschehen im 10. Kapitel wiederzugeben.

  • Handlungselemente zu erfassen und wiederzugeben, die für das Geschehen im 10. Kapitel bzw. dessen Verständnis besonders wichtig sind.

  • Wesentliche und auf das Geschehen im 10. Kapitel fokussierte Handlungselemente nach diesem Kapitel zu erfassen und wiederzugeben.

Wie geht man vor?

Zunächst einmal muss man natürlich erfassen, worum es im 10. Kapitel des Romans geht. Dies lässt sich u. a. durch die Beantwortung der folgenden Fragen klären:

  • Was ereignet sich am ersten Tag der Osterferien während der Straßenbahnfahrt nach Schwetzingen?

  • Warum unternimmt Michael die Fahrt?

  • Wie erlebt Michael die Tatsache, dass er von Hanna während der Fahrt ignoriert wird?

  • Wie verläuft die Begegnung von Michael und Hanna am Mittag des gleichen Tages?

  • Was beabsichtigt Michael in diesem Gespräch mit Hanna?

  • Wie geht Hanna mit Michael in diesem Gespräch um?

  • Wie endet das Gespräch bzw. die Auseinandersetzung?

  • Welchen Stellenwert hat diese "Geschichte" im Verlauf der Beziehung zwischen Hanna und Michael bis zu diesem Zeitpunkt?

  • Welche Bedeutung hat sie für die weitere Entwicklung der Beziehung zwischen den beiden?

  • Welche Bedeutung hat Michaels Verhalten für seine spätere Entwicklung?

Als kurz gefasste Antwort auf diese Fragen lässt sich festhalten:

Die Auseinandersetzung, die zwischen Hanna und Michael wegen der Geschehnisse während der frühmorgendlichen Straßenbahnfahrt nach Schwetzingen zu Beginn der Osterferien stattfindet, stellt den ersten ernsthaften Streit der beiden dar, wenn man von der Auseinandersetzung um das Schulschwänzen Michaels (Teil I, 8. Kap., S.36) absieht. Michael sieht sich in seinen Motiven missverstanden und von Hanna zu Unrecht verletzt und gedemütigt. Er ist auf dem Heimweg von seinen Gefühlen so überwältigt, dass er länger weint. Als er Hanna gegen Mittag zu Hause zur Rede stellen will, dreht Hanna den Spieß um. Sie macht Michael nun ihrerseits die heftigsten Vorwürfe. Zugleich droht sie ihm mit Liebesentzug und fordert ihn mit klaren Gesten auf zu gehen. Sie tut dies, obgleich Michael völlig verunsichert beginnt, den Fehler allein bei sich zu suchen, und sich entschuldigt. Eigentlich entschlossen, für immer zu gehen, verlässt Michael Hanna, kehrt aber nach einer halben Stunde wieder zurück und nimmt alle Schuld auf sich. Mit dem Ritual ihres sexuellen Zusammenseins gewährt ihm Hanna, ohne dass offenbar weitere Worte nötig sind, ihre Verzeihung. Sie beantwortet Michaels verunsicherte Frage danach, ob sie ihn liebe, sogar mit einem gestischen Ja. Dem erzählenden Ich des reifen Michael Berg erscheint freilich das, was sich an diesem Tag ereignet hat, besonders wichtig. Es erkennt, dass es sich an diesem Tag um eine strategische Niederlage in einem von Hanna unter Umständen bewusst inszenierten Machtspiel gehandelt hat: Von diesem Tag an, so urteilt Michael Berg im Nachhinein, habe er Hanna gegenüber stets bedingungslos kapituliert. Sein Versuch, mit Hanna schriftlich in Form zweier Briefe darüber ins Gespräch zu kommen, scheitert: Hanna ist schließlich Analphabetin.
Die zentralen Themen des Kapitels sind unter diesem Blickwinkel die Entwicklung der Beziehung von Hanna und Michael und die Entstehung und Bedeutung von Schuldgefühlen Michaels.

Hat man so erfasst, worum es in der Textstelle geht, muss man sich an die Einordnung des Geschehens in den Gesamtverlauf der Handlung machen. Das bedeutet zunächst einmal, den Inhalt des Romans zu überblicken und zusammenzufassen. Dabei soll aber der Inhalt des Romans keineswegs seitenlang ausgebreitet und jede Einzelheit erwähnt werden. Die Gesamthandlung muss in ihren wesentlichen Zügen skizziert und jene Gesichtspunkte daraus besonders hervorgehoben werden, die für das Verständnis des Kapitels besonders wichtig sind. Die Leistung, die hier erbracht werden soll, ist also nicht der Nachweis darüber, dass man den Text bis zum Ende gründlich gelesen hat, sondern dass man unter einer bestimmten Problemstellung - wie hier dem Geschehen im 10. Kapitel - das Wesentliche aus dem Text "herauslesen" kann.
Dabei können z. B. die folgenden Fragen helfen:

  • Was ist vor dem 10. Kapitel geschehen?

  • Was sind die wichtigsten Geschehnisse?

  • Welche Geschehnisse usw. sind unter dem Blickwinkel dessen, was im 10. Kapitel passiert, besonders wichtig?

  • Was geschieht unmittelbar nach dem Geschehen des 10. Kapitels, was im weiteren Verlauf des 1. Teils des Romans?

  • Welche der nachfolgenden Geschehnisse sind in einem besonders engen Zusammenhang mit dem zu sehen, was sich im 10. Kapitel ereignet hat?

ad 2)
Fassen Sie den Inhalt des Kapitels in Form einer kurzen Inhaltsangabe zusammen.

Ohne Aussagekern wird dabei ein kurz gehaltene Inhaltsangabe des zu analysierenden Kapitels verlangt. Dabei sollten Inhalt und Aufbau der äußeren und inneren Handlung des Kapitels berücksichtigt werden. Äußere Handlung bedeutet dabei das, was sich als Getanes oder Geschehenes von außen betrachten lässt, innere Handlung das, was die Personen, hier natürlich nur der Ich-Erzähler selbst, denken. Wenn sowohl der Inhalt, als auch der Aufbau der inneren und äußeren Handlung dargestellt werden soll, muss man die Handlung in Sinnabschnitte einteilen. Am besten stellt man diese Beschreibung des Aufbaus an den Beginn, ehe man sich dann, noch einmal darauf zurückgreifend, dem Inhalt des jeweiligen Sinnabschnittes wieder zuwendet.

ad 3)
Untersuchen Sie das Verhalten von Hanna und Michael in diesem Kapitel.
Arbeiten Sie dabei heraus, welche Ursachen der entstehende Konflikt hat und wie die beiden Personen damit umgehen.

Bei diesem Arbeitsauftrag geht es zunächst darum, das Kapitel unter einem systematischen Blickwinkel zu beschreiben und zu analysieren. Dies erfolgt systematisch, getrennt für Hanna und Michael, und unter klarem Textbezug, der durch sinngemäßes und wörtliches Zitieren hergestellt wird. (vgl. FAQ: Wie funktioniert das eigentlich mit einem korrekten Textbeleg?)
Bei der Analyse des Textes muss dabei besonderes Augenmerk auf die Entstehung des Konflikts und den Umgang von Hanna und Michael damit eingegangen werden.

ad 4)
Zeigen Sie auch über die Kapitelgrenze hinweg auf, welche Bedeutung dem Geschehen für die weitere Entwicklung der Beziehung von Hanna und Michael zukommt.

Dieser Arbeitsauftrag der Arbeitsanweisung lenkt den Blickwinkel auf den Stellenwert des im 10. Kapitel stattfindenden Geschehens für die weitere Handlung. Auch an dieser Stelle wird ein systematischer Ansatz verlangt, der bestimmte Gesichtspunkte der weiteren Handlung herausgreift, die am Text belegt, den Blick auf die Gesamtinterpretation des Textes richten.

 
       
      
    Arbeitsanregung:

Analysieren und interpretieren Sie das 10. Kapitel des 1. Teils aus dem Roman »Der Vorleser« mit der obigen mehrteiligen Arbeitsanweisung.

Achten Sie dabei darauf, dass die einzelnen Arbeitsaufträge Teile in einem insgesamt geschlossenen Text darstellen und nicht als einzelne Arbeitsaufgaben "abgehakt" werden.

 
     
  Überblick ] I, Kap.1 ] I, Kap.2 ] I, Kap.3 ] I, Kap.4 ] Bausteine ]  
 

          CC-Lizenz
 

 

Creative Commons Lizenzvertrag Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International License (CC-BY-SA) Dies gilt für alle Inhalte, sofern sie nicht von externen Quellen eingebunden werden oder anderweitig gekennzeichnet sind. Autor: Gert Egle/www.teachsam.de