[Die entfremdete Arbeit]
Der Arbeiter wird um so
ärmer, je mehr Reichtum er produziert, je mehr seine Produktion an Macht
und Umfang zunimmt. Der Arbeiter wird eine um so wohlfeilere Ware, je
mehr Waren er schafft. Mit der Verwertung der Sachenwelt nimmt
die Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu. Die
Arbeit produziert nicht nur Waren; sie produziert sich selbst und den
Arbeiter als eine Ware, und zwar in dem Verhältnis, in welchem
sie überhaupt Waren produziert.
Dies
Faktum drückt weiter nichts aus als: Der Gegenstand, den die Arbeit
produziert, ihr Produkt, tritt ihm als ein fremdes Wesen, als
eine von dem Produzenten unabhängige Macht gegenüber. [...]
In der Bestimmung, dass
der Arbeiter zum Produkt seiner Arbeit als einem fremden
Gegenstand sich verhält, liegen alle diese Konsequenzen. Denn es ist
nach dieser Voraussetzung klar: Je mehr der Arbeiter sich ausarbeitet,
um so mächtiger wird die fremde, gegenständliche Welt, die er sich
gegenüber schafft, um so ärmer wird er selbst, seine innre Welt, um so
weniger gehört ihm zu eigen. Es ist ebenso in der Religion. Je mehr der
Mensch in Gott setzt, je weniger behält er in sich selbst. Der Arbeiter
legt sein Leben in den Gegenstand; aber nun gehört es nicht mehr ihm,
sondern dem Gegenstand. Je größer also diese Tätigkeit, um so
gegenstandsloser ist der Arbeiter. Was das Produkt seiner Arbeit ist,
ist er nicht. Je größer also dieses Produkt, je weniger ist er selbst.
Die Entäußerung des Arbeiters in seinem Produkt hat die
Bedeutung, nicht nur, dass seine Arbeit zu einem Gegenstand, zu einer
äußern Existenz wird, sondern dass sie außer ihm,
unabhängig, fremd von ihm existiert und eine selbständige Macht ihm
gegenüber wird, dass das Leben, was er dem Gegenstand verliehn hat, ihm
feindlich und fremd gegenübertritt. [...]
Wir haben bisher die
Entfremdung, die Entäußerung des Arbeiters nur nach der einen Seite bin
betrachtet, nämlich sein Verhältnis zu den Produkten seiner Arbeit.
Aber die Entfremdung zeigt sich nicht nur im Resultat, sondern im
Akt der Produktion, innerhalb der produzierenden Tätigkeit
selbst. Wie würde der Arbeiter dem Produkt seiner Tätigkeit fremd
gegenübertreten können, wenn er im Akt der Produktion selbst sich nicht
sich selbst entfremdete? [...]
Worin besteht nun die
Entäußerung der Arbeit?
Erstens, dass die
Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d. h. nicht zu seinem Wesen
gehört, dass er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern
verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische
und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und
seinen Geist ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der
Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er
nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit
ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit.
Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist
nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen. Ihre
Fremdheit tritt darin rein hervor, dass, sobald kein physischer oder
sonstiger Zwang existiert, die Arbeit als eine Pest geflohen wird. Die
äußerliche Arbeit, die Arbeit, in welcher der Mensch sich entäußert, ist
eine Arbeit der Selbstaufopferung, der Kasteiung. [...]
Wir haben den Akt der
Entfremdung der praktischen menschlichen Tätigkeit, die Arbeit, nach
zwei Seiten bin betrachtet. 1. Das Verhältnis des Arbeiters zum
Produkt der Arbeit als fremden und über ihn mächtigen Gegenstand.
Dies Verhältnis ist zugleich das Verhältnis zur sinnlichen Außenwelt, zu
den Naturgegenständen als einer fremden, ihm feindlich
gegenüberstehenden Welt. 2. Das Verhältnis der Arbeit zum Akt der
Produktion innerhalb der Arbeit. Dies Verhältnis ist das
Verhältnis des Arbeiters zu seiner eignen Tätigkeit als einer fremden,
ihm nicht angehörigen, die Tätigkeit als Leiden, die Kraft als Ohnmacht,
die Zeugung als Entmannung, die eigne physische und geistige
Energie des Arbeiters, sein persönliches Leben – denn was ist Leben
[anderes] als Tätigkeit – als eine wider ihn selbst gewendete, von ihm
unabhängige, ihm nicht gehörige Tätigkeit. Die Selbstentfremdung,
wie oben die Entfremdung der Sache.
Wir haben nun noch eine
dritte Bestimmung der entfremdeten Arbeit aus den beiden
bisherigen zu ziehn.
Der Mensch ist ein
Gattungswesen, nicht nur indem er praktisch und theoretisch die Gattung,
sowohl seine eigne als die der übrigen Dinge, zu seinem Gegenstand
macht, sondern – und dies ist nur ein andrer Ausdruck für dieselbe Sache
–, sondern auch indem er sich zu sich selbst als der gegenwärtigen,
lebendigen Gattung verhält, indem er sich zu sich als einem
universellen, darum freien Wesen verhält. [...]
Das Bewusstsein,
welches der Mensch von seiner Gattung hat, verwandelt sich durch die
Entfremdung also dahin, dass das Gattungs[leben] ihm zum Mittel wird.
Die entfremdete Arbeit
macht also:
3. das
Gattungswesen des Menschen, sowohl die Natur als sein geistiges
Gattungsvermögen, zu einem ihm fremden Wesen, zum Mittel
seiner individuellen Existenz. Sie entfremdet dem Menschen
seinen eignen Leib, wie die Natur außer ihm, wie sein geistiges Wesen,
sein menschliches Wesen.
4. Eine
unmittelbare Konsequenz davon, dass der Mensch dem Produkt seiner
Arbeit, seiner Lebenstätigkeit, seinem Gattungswesen entfremdet ist, ist
die Entfremdung des Menschen von dem Menschen. Wenn
der Mensch sich <518>selbst gegenübersteht, so steht ihm der andre
Mensch gegenüber. Was von dem Verhältnis des Menschen zu seiner Arbeit,
zum Produkt seiner Arbeit und zu sich selbst, das gilt von dem
Verhältnis des Menschen zum andren Menschen, wie zu der Arbeit und dem
Gegenstand der Arbeit des andren Menschen. [...]
(Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte (1844) S.510-518,
Auszüge - gemeinfrei)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.10.2020