Franz
Kafka wurde 1883 in Prag geboren und verstarb 1924 im Alter von 41
Jahren an Tuberkulose, an der er schon lange Zeit litt. Schon im
Kindesalter hatte er vor allem mit seinem Vater Probleme und konnte
sich, wie er selbst sagte, "nie richtig entfalten". Eine Mischung aus
Angst und Unterwürfigkeit, sowie die Übermacht des Vaters führten zu
einem Konflikt zwischen beiden, den Franz Kafka bis zu seinem Tode nicht
verarbeiten, geschweige denn lösen konnte. Auch das Verhältnis zur
Mutter war vom Vater geprägt. Zwischen ihm selbst und seiner Mutter
stand der Vater als unüberwindbares Hindernis, der seine Frau als
"Dienstmädchen für alles" beanspruchte. So kannte Franz Kafka auch zu
seiner Mutter kein richtiges Verhältnis aufbauen, zumal sie sich nur
dann um ihn kümmerte, wenn sie spürte, dass es ihm sehr schlecht ging.
Ein Großteil seiner Werke spiegeln deshalb auch den Vater-Sohn-Konflikt
wider und/oder werden von einen einsamen oder ausgestoßenen Ich-Erzähler
erzählt. Die literarische Form der Parabel gibt Kafka zudem die
Möglichkeit, das Gemeinte indirekt im Geschriebenen auszudrücken. Erst
im Zuge der Deutung seiner Texte erkennt man Parallelen zu seinem eigenen
Leben. So gesehen bilden seine Werke stets biographische Einblicke in
sein wahres Leben.
Die Parabel "Der Schlag ans Hoftor" von Franz Kafka beschreibt, wie zwei
Geschwister durch ein Dorf gehen und die Schwester gegen ein Hoftor
schlägt. Daraufhin werden sie von allen Dorfbewohnern erschrocken und
abweisend beobachtet und man sagt ihnen, dass die Hofbesitzer sie
anzeigen werden. Aber nicht nur die Schwester, sondern auch der
Ich-Erzähler (der Bruder) wird angeklagt. Als sie Reiter kommen sehen,
schickt der Bruder seine Schwester nach Hause, da er den Vorfall allein
klären will. Ungeachtet der Tatsache, dass eigentlich seine Schwester
die Tat begangen hat, wird er allein mitgenommen und in einer
Bauernstube dem Richter vorgeführt. Schon der Raum wirkt für den
Erzähler eher wie eine Gefängniszelle als eine Bauernstube. Der Richter
sagt zwar, dass er ihm leid tue, aber der Bruder merkt, dass nicht seine
jetzige Situation gemeint ist, sondern die, die ihn erwartet, denn die
Hoffnung auf eine Entlassung hegt er nicht.
Bei dem Text handelt es sich um eine Parabel, denn an vielen Stellen
lässt sich der Bildebene eine Sachebene zuordnen. So lässt sich
die Geschichte als Ganzes mit Franz Kafkas "Pawlatsche"-Erlebnis in
Verbindung bringen. Damals winselte er als kleiner Junge nachts um
Wasser und, nachdem die verbalen Drohungen des sich gestört fühlenden
Vaters nichts fruchteten, wurde er kurzerhand auf den Balkon
ausgesperrt, obwohl er für seine Begriffe nichts Böses getan hatte. Auch
im Text hat der Junge, der Bruder, nichts angestellt. Was geschehen ist,
stellt für ihn keine Straftat dar, sondern passiert wohl einfach aus
Spaß und Langeweile. Zudem hat ja gar nicht er, sondern seine Schwester
die Tat begangen, und trotzdem wird er so hart bestraft, obwohl er sich
selbst für unschuldig hält. Hier wird das Verhältnis zur Schwester
deutlich. Der große Bruder will seine Schwester beschützen und sich dem
Konflikt alleine stellen, wird dann aber selbst für die Strafe
herangezogen, weil die Schwester nicht mehr das ist. Auch hier kann man
wieder für die Schwester Kafkas jüngere Schwester Ottla einsetzen, die
es als einzige schaffte, sich dem Vater zu widersetzen und seinen Bann des
Übermächtigen und Bewunderten zu brechen. Obwohl Franz der ältere Bruder
war, musste er das einstecken, was sein Vater offenbar bei Ottla nicht
erreichte. So bekam er das ab, was seine Schwester gegen den Vater
austeilte, wie im Text, wo der Bruder sich allein stellt und seine
Schwester nach Hause schickt, schließlich aber doch die ganze Strafe
aufgebrummt bekommt. Jetzt wird auch klar, welche Rolle der Vater in dem
Text einnimmt: Ein Richter, dessen Wort oberstes Gebot ist, dem man sich
nicht widersetzen kann und der nach seinem Willen uneingeschränkt
richten und verurteilen kann. In seiner Kindheit widersetzte sich Franz
Kafka nie den Strafen des Vaters und so versucht der Junge im Text auch
nicht, die eigene Unschuld zu beteuern. An der Stelle im Text, an der
die beiden Geschwister mit den Dorfbewohnern geredet haben, heißt es:
"Alle blickten wir zum Hofe zurück, wie man eine ferne Rauchwolke
beobachtet und auf die Flamme wartet. Und wirklich, bald sahen wir
Reiter [...]". Jeder normale junge Mann würde zumindest versuchen
wegzulaufen und nicht noch auf die Strafe zu warten. Allerdings spiegelt
sich hier wieder das Verhalten des jungen Franz Kafkas wider, der eine
solche Furcht vor der Übermacht des Vaters hatte, dass er noch nicht
einmal weglief, weil er genau wusste, dass er gegen seinen Vater keine
Chance hatte und es sich deshalb gar nicht lohnte wegzulaufen. Im Text
erkennt man, dass die Dorfbewohner zwar eine Hilfe für den Jungen
darstellen wollen und vorsichtig sagen, seine Schwester sei im
Augenblick nicht da, werde aber wohl gleich kommen. Von dem Augenblick
an, wo die Reiter ankommen, ziehen sie sich wieder zurück und der Junge
steht ihnen letztlich allein gegenüber. In den Figuren der Dorfbewohner
lässt sich sehr gut die Rolle der Mutter in Kafkas Elternhaus sehen. Sie
versuchte zwar hin und wieder, ihren Sohn zu unterstützen und ihm eine
Hilfe zu sein. Wirkliche Hilfe und wirkliche Unterstützung konnte er von
ihr jedoch nicht erwarten, denn, wie er selbst, beugte sich seine Mutter
ohne jegliche Gegenwehr der Übermacht des Vaters. Im Text verschwinden
die Dorfbewohner in dem Augenblick, in dem die Reiter (ein Sinnbild für
den Vater) ankommen. Im Elternhaus Kafkas zieht sich genauso die Mutter
zurück und flieht quasi vor dem Vater, während Franz Kafka den Konflikt
allein bewältigen muss. Diese Zurückhaltung der Mutter und das ständige
Ausgeliefertsein dem Vater gegenüber bestimmen auch wesentlich die
Vorstellungen von seinem Elternhaus. Im Text sieht die Bauernstube für
den Jungen "einer Gefängniszelle ähnlicher als einer Bauernstube", bei
Franz Kafka ist es das eigene Elternhaus, das er als Gefängnis ansieht,
eingesperrt und kontrolliert von seinem Vater, ohne Hoffnung auf Hilfe,
Unterstützung oder Schutz von außen. Das Verhältnis des Erzählers
gegenüber den meisten Personen der Parabel lässt sich leicht
zusammenfassen. So tritt er den Dorfbewohnern zunächst optimistisch
entgegen und versucht sogar, ihnen den Sachverhalt zu erklären. Dies
zeigt sich dem Leser auch dadurch, dass die ganze Atmosphäre eher warm
und freundlich erscheint. Genauso verhält es sich bei den Reitern. Durch
die Lanze und die Pferde strahlen sie zwar zunächst ein Gefühl der Härte
und Unbarmherzigkeit aus, trotzdem verspricht sich der Leser - und auch
der Junge - Unterstützung von ihnen. Auch als der Richter sagt, es täte
ihm leid, lässt sich zunächst Hoffnung erkennen. Im Laufe der Geschichte
ändert sich jedoch eine Beziehung nach der anderen ins Negative; der
Junge verliert eine Beziehung nach der anderen. Erst schickt er die
Schwester nach Hause und ist mit den Dorfbewohnern alleine. Als die
Reiter kommen, ziehen sich die Dorfbewohner zurück und die erwartete
Hilfe bleibt aus. Die Reiter bringen ihn zur Bauernstube, auch von ihnen
erhält er keine Unterstützung. Und letztendlich tut er dem Richter doch
nicht mehr leid, er wird verurteilt und steht nun allein in der kalten
"Gefängniszelle". Die seelische Einsamkeit wird vor allem durch die
Raumelemente ausgedrückt: große, kalte Steinfliesen; dunkler Raum;
kalte, kahle Wände, an denen nichts zum Festhalten ist, außer einem
schwarzen eisernen Ring, der in die Wand eingemauert ist.
Die Parabel als Ganzes steht meiner Meinung nach vor allem für zwei
wichtige Erlebnisse Kafkas. Zum einen der ständige Konflikt mit seinem
Vater, insbesondere das Pawlatsche-Erlebnis, zu dem die ganze Parabel
parallel verläuft und das den Konflikt zwischen Vater und Sohn nur noch
weiter verschlimmerte. Zum anderen verarbeitete Kafka hier wohl die
Erfahrungen, die durch das Verhalten der jüngsten Schwester Ottla
entstanden sind und wohl auch nicht gerade zu einem guten
Vater-Sohn-Verhältnis beigetragen haben. Seine Weltansicht beruht im
Wesentlichen auf Erfahrungen, die er in der Kindheit gemacht hat. Daraus
bildete sich vor allem ein "Leben in ständiger Auseinandersetzung mit
der Umwelt" heraus. Auch seine Orientierungslosigkeit spielt eine große
Rolle in vielen seiner Werke. In diesem Text sind die Geschwister auf dem
Weg nach Hause, aber nur die Schwester kommt an. Er selbst wird mitten
im Weg aufgehalten. Solche Stellen finden sich in fast allen seiner
Parabeln wieder. ebenso wie die Bewunderung eines Stärkeren.
Patrick, Klasse 12
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