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Franz Kafkas Roman "Der
Prozess" bietet eine ganze Fülle von Ansatzpunkten für die
szenische Interpretation.
Ingo
Scheller (22008, S.205) will mit Hilfe der szenischen
Interpretation "den 'Prozess' der Selbstentfremdung" im Roman verdeutlichen.
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Ausgangspunkt
sind für ihn Textstellen, die bei der ersten Lektüre auf die
Schülerinnen und Schüler befremdlich und irritierend gewirkt haben.
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Im Anschluss daran konzentriert sich die Arbeit zunächst auf Eingangssituationen des Romans, die in arbeitsteiliger
Kleingruppenarbeit
mit
Standbildern dargestellt werden sollen, die die unterschiedlichen
Perspektiven der Beteiligten verdeutlichen. Dabei sollen
Habitusübungen und Improvisationen dazu dienen, die
verschiedenen beruflichen und sozialen Milieus, die im Roman von
Bedeutung sind (z.B. Angestellte, Juristen) zu erkunden. Ebenso soll
dabei die Rolle der Frauenfiguren im Roman thematisiert werden.
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Als nächsten Schritt sollen die Schülerinnen und Schüler eine der
Figuren des Romans übernehmen, also Josef. K., die Wächter, den
Untersuchungsrichter, den Gerichtsdiener, den Prügler, den Onkel, den
Advokaten, Titorelli, den Gefängniskaplan, Frau Grubach, Fräulein
Bürstner, Leni, den Staatsanwalt etc. Für jede dieser Figuren werden
unter Auswertung geeigneter Textstellen und Rollentexten dann
Selbstdarstellungen verfasst. Sobald auch äußere Erscheinung (Kleidung
etc.), sowie Körperhaltungen und Sprechgestus erarbeitet
sind, werden die Figuren präsentiert. Dabei sprechen die Schülerinnen
und Schüler in den von ihnen eingenommenen Rollen über die
Lebenssituation der entsprechenden Figur und stellen eine typische
Arbeitsszene bzw. Szene dar, die, um es mit Brecht zu sagen, den
"sozialen Gestus" der Figur zum Ausdruck bringt. Mit Hilfe von
Rolleninterviews kann dabei die
Einfühlung der Schülerinnen und
Schüler in die dargestellte Figur noch intensiviert werden.
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Im Anschluss daran werden verschiedene Situationen des Romans
szenisch inszeniert und dabei aus unterschiedlichen Perspektiven
interpretiert. Dabei kommen die Verhaftung, das erste Verhör, die
Begegnungen von K. mit Frau Grubach und Fräulein Bürstner in Frage.
Dabei werden Raumbeschreibungen,
Einfühlungsgespräche,
szenisches Lesen bzw. Spiel mit
Gedanken-Stopps und
Erlebnisgespräche eingesetzt als Hilfsmittel eingesetzt. Mit
Stimmenskulpturen lässt sich dazu, das Schwanken von Josef K.
zwischen gedanklichem Aufbegehren und faktischer Anpassung und
Unterordnung verdeutlichen.
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Im weiteren Verlauf werden für andere Stellen des Romans (z.B.
K.s Treffen mit seinem Onkel, seine Begegnung mit dem Advokaten und
Leni, mit dem Maler und dem Kaufmann Block, sowie dem Gefängniskaplan)
in der gleichen Art und Weise szenische Interpretationen erarbeitet und
vor der Klasse bzw. dem Kursplenum präsentiert.
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Schließlich wird mit einer Reihe von
Standbildern, die
wichtige Szenen der Handlung aufgreifen. "die gemeinsam entwickelte
Deutung des Romans noch einmal dargestellt und eventuell mit anderen
Interpretationen ( z. B. von Literaturwissenschaftlern, Psychologen,
möglicherweise von Figuren des Roman, etwa der Frauen) konfrontiert." (ebd.
S.206) Dabei sollen auch wieder
Standbilder eingesetzt werden.
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Den Abschluss des mehrteiligen szenischen Interpretationsprozesses
bilden schließlich Statuen, mit denen diskutiert werden kann, "um
welche einen 'Prozess' es im Roman eigentlich geht." (ebd.)
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