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Gesamttext (Kapiteleinteilung nach Max Brod)
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Gesamttext (Kapiteleinteilung nach Malcom Pasley 1990)
Franz Kafkas Roman "Der
Prozess" bietet eine ganze Fülle von Ansatzpunkten zur
Interpretation. Der Einbruch in seine Privatsphäre, sein fortschreitender
Kontrollverlust und sein hilfloses Ausgeliefertsein an eine Entwicklung,
die ihm mehr und mehr zu einem Objekt von Willkür zu machen scheint, sind
Aspekte, die sich mit der Situation des Einzelnen in sozialen Netzwerken wie
Facebook durchaus vergleichen lässt. Manfred Dworschak greift in seinem
Spiegel-Artikel "Im Netz der Späher" (Ausgabe 2/2011) solche Fragen auf.
Dabei stützt er sich auf die Ausführungen von »Daniel
J. Solove im Kapitel "Kafka and Orwell: Reconceptualizing Information
Privacy" in dessen Buch "The Digital
Person" (2004).
Darin vergleicht der Jura-Professor an der »George
Washington University Law School Franz Kafkas "Prozess"-Metapher mit der
"»Big
Brother"-Metapher, die
George Orwell in
seinem Roman "1984"
entwickelt hat. Solove kommt zum Schluss, dass sich die Beschreibung dessen,
was die großen Datensammler im Internet betreiben, nicht mit der "Big
Brother"-Metapher vom totalen Überwachungsstaat fassen lässt. Auch wenn es
im Einzelnen Ähnlichkeiten gebe, verkenne das den öffentlichen Diskurs lange
Zeit dominierende Big-Brother-Konzept, dass es den großen Datensammlern im
Netz (etwa Google, Facebook oder Amazon) nicht darum gehe, das Individuum zu
unterdrücken, um letzten Endes totale Kontrolle über es zu erlangen.
Vielmehr zielten sie darauf ab, das Individuum möglichst genau zu studieren,
zu analysieren, um es letztlich für kommerzielle Zwecke ausbeuten zu können.
(vgl. Solove 2004,
S.37) Was freilich nicht bedeutet, dass die Auswirkungen, die mit den
modernen Informationstechnologien und ihren Datenbanken für die weitere
Entwicklung der modernen Gesellschaft einhergehen, harmlos sind, denn, was
sie in Gang setzen, so Dowrschak im Anschluss an Solove, "könnte ein
Gemeinwesen nachhaltiger entkräften, als es die grobschlächtige
Gedankenpolizei aus George Orwells '1984' vermocht hätte."
Angesichts der Tatsache, dass sich viele
Zeitgenossen kaum Gedanken darüber machten, dass die von ihnen im Netz
hinterlassenen Datenspuren ohne weiteres zu dem jeweiligen
Internetnutzer zurückführen könnten, seien Warnungen vor einer Hysterie in
der öffentlichen Debatte um die Privatsphäre kaum verständlich. Insbesondere
das dabei immer wieder hervorgebrachte Hauptargument "Was erfahren die denn
schon? Warum soll nicht jeder wissen, dass ich morgen nach München fliege
und gestern nach einem Leberknödelrezept gesucht habe? Mit einem Satz: Ich
habe nichts zu verbergen." reizt ihn mit Solove zum Widerspruch. Solove betone, wer so
argumentiere, verkenne schlicht, was dabei auf dem Spiel stehe. "Es sei ein
fundamentales Missverständnis, dass eine Privatsphäre nur brauche, wer etwas
ausgefressen hat." Solove sieht auch im Sammeln von Daten, dem
alltäglichen Ausspähen und in der Überwachung sämtlicher Aktivitäten der
User nicht das größte Problem. Für ihn ist etwas anderes viel Wichtiger, was
er zugleich für die eigentliche Bedrohung hält: Das Zusammenführen von
überall verstreuten User-Daten durch unzugängliche Instanzen, die niemandem
auf der Welt Rechenschaft über ihr Treiben geben müssen. Und genau hier
bringt Solove auch Josef K. in Kafkas Prozess ins Spiel. Kafkas Prozess,
davon ist er überzeugt, "erfasst den Umfang, die Art und die
Auswirkungen der Art von Machtverhältnissen, die durch Datenbanken
geschaffen werden. Mein Punkt ist nicht, dass 'Der Prozess' eine
realistischere Beschreibung des Datenbankproblems bietet als 'Big
Brother'. Wie 1984 präsentiert 'Der Prozess' ein fiktives Porträt einer
erschütternden Welt, in dem bestimmte Elemente der Gesellschaft oft auf
eine Weise übertrieben werden, die sie humorvoll und absurd erscheinen
lässt." (Solove 2004, S.37,
übersetzt mit Google translate)
Die Hauptfigur des
Roman, Josef K., wird nämlich eines Morgens einfach verhaftet, ohne je zu erfahren,
was gegen sie vorliegt. Allmählich wird aber klar, dass eine namenlose
Behörde offenbar gegen ihn ermittelt hat und dazu alle möglichen
Informationen über ihn zusammengetragen hat. Da nicht wirklich Anklage gegen
Josef K. erhoben hat, kann er sich natürlich auch nicht gegen mögliche
Vorwürfe verteidigen. "Dem Netzbürger", so führt Dworschak wohl in Anlehnung
an Solove weiter aus, " ergeht es, vom Ausgang abgesehen, nicht ganz
unähnlich. Winzige Details, die für sich nichts bedeuten mögen, werden
verknüpft und verglichen, Schlüsse werden gezogen, Voraussagen hochgerechnet
und Entscheidungen gefällt. Falsch oder richtig - der Bürger, Objekt
unbekannter Analyseapparate, hat bei der fremdgesteuerten Biopsie seines
Verhaltens nicht das Geringste mitzureden.
Dieser Entzug der Verfügungsgewalt über die eigene Person verändert die
Machtbalance zwischen Menschen und Unternehmen." So ist auch für Solove
klar, dass im Zusammengang mit elektronischen Datenbanken Kafkas
"Prozess"-Metapher besser greift als Orwells "Big Brother": "Kafka
stellt eine gleichgültige Bürokratie dar, in der Einzelpersonen
Schachfiguren sind, die nicht wissen, was geschieht, die weder
Mitsprache noch die Möglichkeit haben, den Prozess sinnvoll zu
kontrollieren. Dieser Mangel an Kontrolle führt dazu, dass der Prozess
das Leben von Joseph K. vollständig in Anspruch nimmt. Der Prozess fängt
das Gefühl der Hilflosigkeit, Frustration und Verletzlichkeit ein, das
man empfindet, wenn eine große bürokratische Organisation die Kontrolle
über ein riesiges Dossier mit Details über das eigene Leben hat. Joseph
K. könnte jederzeit etwas zustoßen; Entscheidungen werden auf der
Grundlage seiner Daten getroffen, und Joseph K. hat kein
Mitspracherecht, kein Wissen und keine Möglichkeit, sich zu wehren. Er
ist dem bürokratischen Prozess völlig ausgeliefert.
Im Lichte der Kafka-Metapher ergibt sich das Hauptproblem bei
Datenbanken aus der Art und Weise, wie der bürokratische Prozess mit
Einzelpersonen und ihren Informationen umgeht."(Solove 2004,
S.38, übersetzt mit Google translate)
Solove, Daniel J, (2004): The
Digital Person.Technology and Privacy in the Information Age, New
York/London: New York University Press 2004, im Internet verfügbar unter:
http://docs.law.gwu.edu/facweb/dsolove/Digital-Person/text/Digital-Person-CH3.pdf,
5.10.2011
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Gert Egle 5.11.2011, zuletzt bearbeitet am:
12.12.2023