Die nachfolgenden
Beispiele dienen dazu, die Erzählperspektive(n) in •
Franz Kafkas Roman •"Der Prozess"
zu analysieren und ihre Wirkung zu beurteilen. Dabei gehen wir hier von
dem Begriff der Erzählperspektive der
älteren
Erzähltheorie (»Franz
K. Stanzels Konzept der ▪
Erzählsituationen) aus, auf die sich die ▪
schulische Analyse und Interpretation erzählender Texte ▪
vorwiegend
stützt.
[→HL
5] Jemand musste Josef K.
verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines
Morgens verhaftet. Die Köchin der Frau Grubach, seiner Zimmervermieterin,
die ihm jeden Tag gegen acht Uhr früh das Frühstück brachte, kam diesmal
nicht. Das war noch niemals geschehen. K. wartete noch ein Weilchen, sah von
seinem Kopfkissen aus die alte Frau, die ihm gegenüber wohnte und die ihn
mit einer an ihr ganz ungewöhnlichen Neugierde beobachtete, dann aber,
gleichzeitig befremdet und hungrig, läutete er. Sofort klopfte es und ein
Mann, den er in dieser Wohnung noch niemals gesehen hatte, trat ein. Er war
schlank und doch fest gebaut, er trug ein anliegendes schwarzes Kleid, das,
ähnlich den Reiseanzügen, mit verschiedenen Falten, Taschen, Schnallen,
Knöpfen und einem Gürtel versehen war und infolgedessen, ohne dass man sich
darüber klar wurde, wozu es dienen sollte, besonders praktisch erschien.
»Wer sind Sie?« fragte K. und saß gleich halb aufrecht im Bett. Der Mann
aber ging über die Frage hinweg, als müsse man seine Erscheinung hinnehmen,
und sagte bloß seinerseits: »Sie haben geläutet?« »Anna soll mir das
Frühstück bringen«, sagte K. und versuchte, zunächst stillschweigend, durch
Aufmerksamkeit und Überlegung festzustellen, wer der Mann eigentlich war.
Aber dieser setzte sich nicht allzu lange seinen Blicken aus, sondern wandte
sich zur Tür, die er ein wenig öffnete, um jemandem, der
offenbar knapp
hinter der Tür stand, zu sagen: »Er will, dass Anna ihm das Frühstück
bringt.« Ein kleines Gelächter im Nebenzimmer folgte, es war nach dem Klang
nicht sicher, ob nicht mehrere Personen daran beteiligt waren. Obwohl der
fremde Mann dadurch nichts erfahren haben konnte, was er nicht schon früher
gewusst hätte, sagte er nun doch zu K. im Tone einer Meldung: »Es ist
unmöglich.« »Das wäre neu«, sagte K., sprang aus dem Bett und zog rasch
seine Hosen an. »Ich will doch sehen, was für Leute im Nebenzimmer sind und
wie Frau Grubach diese Störung mir gegenüber verantworten wird.« Es fiel ihm
zwar gleich ein, dass er das nicht hätte laut sagen müssen und dass er
dadurch gewissermaßen ein Beaufsichtigungsrecht des Fremden anerkannte, aber
es schien ihm jetzt nicht wichtig.
Als K., der als Prokurist bei einer Bank beschäftigt war, am Morgen
seines dreißigsten Geburtstag so gegen acht Uhr in seinem Zimmer
aufwachte, konnte er nicht im Geringsten ahnen, dass sein Leben sich
fortan grundlegend verändern würde. K. war nicht verheiratet, hatte
keine Kinder und lebte allein, besuchte aber hin und wieder seine
Geliebte Elsa, bei der er dann auch öfters über Nacht blieb. Im Haus von
Frau Grubach, die auch Zimmer an andere Personen vermietete, hatte K.
aber abgesehen von Fräulein Bürstner, einer ledigen jungen Frau, die
nebenan wohnte und die ihn irgendwie anzog, zu den anderen Mietern
keinen Kontakt. An diesem Morgen fiel ihm, kaum dass er die Augen
aufgeschlagen hatte, auf dass ihm die Köchin seiner Zimmervermieterin,
die immer pünktlich mit dem Frühstück ankam, an diesem Tag offenbar
keine Anstalten gemacht hatte oder machte, ihm das Frühstück zu
servieren. Irgendwie war dies kein gutes Omen für den angebrochenen Tag,
aber K. war zwar etwas befremdet darüber, machte sich aber zunächst
keine weiteren Gedanken. Sein Magen knurrte jedenfalls, denn er hatte
schon seit dem Mittagessen des vergangenen Tages nichts mehr gegessen.
bei der er seit längerer Zeit wohnte, das Frühstück nicht gebracht
hatte.