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Leni - ein "kleines schmutziges Ding"
Versatzstücke aus wissenschaftlichen Interpretationen
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Das
Kapitel "Der
Onkel/Leni"
in
Franz Kafkas Roman "Der
Prozess" wird in der literaturwissenschaftlichen Analyse vor allem
in Bezug auf die
Darstellung von Frauen und von Sexualität und deren
Funktion betrachtet.In Bezug auf die Figur Lenis wird in der
wissenschaftlichen Sekundärliteratur unter anderem betont:
-
Leni bündele die von
Männerphantasie geprägten Rollenmuster dadurch auf besondere Weise, dass
sie, z.B. von K.s Onkel als «Hexe» und «kleines schmutziges Ding»
bezeichnet werde und puppenartig auf K. selbst wirke. (vgl.
Alt 22008, S.399)
-
Heinz Politzer (1978, S.304f.)
urteilt über Leni: "Sie ist eine Zwangsschwätzerin, die ihre Gedanken sozusagen im
Naturzustand, das heißt in voller grausamer Nacktheit wiedergibt, wobei
der Wirklichkeitsgehalt dieser Gedanken für sie keine Rolle spielt." In
dem vom Advokaten Huld als "Zudringlichkeit" bezeichneten Verhalten
Lenis sieht Politzer den "insektenhafte(n) Wunsch, sich
festzusetzen und einzusaugen, dem eine unstillbare Aggressivität
zugrunde liegt." Aber indem sie diese Affären berichtete, verrate sie das
einzige Gefühl, dessen sie fähig zu sein scheint, ihren Männerhunger."
-
Sexualität und sexueller Akt
nähmen sich wie ein Absturz in eine diffuse Unterwelt aus, in der eigene
Gesetze gälten. (vgl.
Alt 22008, S.400)
-
In dieser Unterwelt des
Triebes herrsche Leni und eben nur in dieser, und könne deshalb K. auch
erst dann sexuell besitzen, als er tatsächlich fällt. (vgl.
Alt 22008, S.400)
-
Für
Leich
(2003, S.54) zeigt Leni "jene Aspekte der Sexualität, die mit dem
kulturell Verdrängten und den unbewussten Wünschen in Verbindung
stehen."
-
Was Kafka an Leni verdeutlicht, lasse sich,
so
Leich
(2003, S.54), wie ein Blick in die Geschichte
der menschlichen Gattung lesen, da Leni "in der gleichmachenden Promiskuität
und in ihrer Unberührtheit vom Leistungsdenken zurück auf eine der
individuellen Erinnerung entzogene Vorvergangenheit" verweise." Mit dem
Mittel dieser "regressiven Rückbindung" könne Kafka " die Zurichtung der
Sexualität durch das Leistungs- und Konkurrenzprinzip erkennbar und
transparent [...] machen".
-
Leni passe weder zu monogamen Moralvorstellungen, noch verhalte
sie sich "nach dem bürgerlichen Tauschprinzip". Vielmehr unterlaufe "ihre
sexuelle Wahllosigkeit [...] die Beschneidung der Sexualität als
einerseits zwar gefühlsbetonte, aber entsexualisierte Romantik und
andererseits als deren Herabsetzung zu einer Fortpflanzungsfunktion in
der bürgerlichen Ehe."
(Leich
(2003, S.54)
-
Der Vorgang, bei der K. Leni
gegen seine Geliebte Elsa "eintausche", folge dabei einer ökonomischen
Zeichenlogik. (vgl.
Alt 22008, S.400)
-
Leni, so
Leich
(2003, S.54), passe weder zu monogamen Moralvorstellungen, noch verhalte
sie sich "nach dem bürgerlichen Tauschprinzip". Vielmehr unterlaufe "ihre
sexuelle Wahllosigkeit [...] die Beschneidung der Sexualität als
einerseits zwar gefühlsbetonte, aber entsexualisierte Romantik und
andererseits als deren Herabsetzung zu einer Fortpflanzungsfunktion in
der bürgerlichen Ehe."
-
Leni gehöre zu den
»Sirenenfiguren, "verführerischen Lockvögeln der Antike" , die in Kafkas
späteren Texten immer wieder auftauchten. Dies werde an ihren
äußerlichen körperlichen "Fehlern" sichtbar gemacht. "Diese mythische
Dimension verweist zurück auf die archaische Bedeutungsstufe, die der
Geschlechtsakt im Roman markiert. Wie in »Kleists
»Penthesilea gehören zur
Welt der Sexualität die Riten der Aggression und Gewalt " (vgl.
Alt 22008, S.400)
-
Walter Sokel (1976, S. 213)
betont, dass Lenis "Sirenenziel" die
"Versklavung" des Angeklagten sei, die "Hunde aus den Klienten ihres
großväterlichen Geliebten" mache. Er fährt fort: "Sades Orgien, Sacher-Masoch und Stekels Krankheitsgeschichten des Sado-Masochismus
fallen einem ein, wenn man vom Haushalt des Advokaten [...] liest. Diese
Gefängnisse in bürgerlichen Wohnungen, in denen erwachsene Männer zu
dauernd gezüchtigten Kindern und getretenen Tieren erniedrigt werden,
erinnern ebenso an private Konzentrationslager wie an die Wohnungen
eleganter Pariser Faubourgs in dem Roman des Marquis de Sade, wo
Menschen zur alltäglichen Belustigung der Eigentümer gefoltert und
geschlachtet werden."
- Leni erfüllt, so
Leich
(2003, S.54) weiter, mit ihrer "Aufdeckung" und "Offenlegung"
gesellschaftlich verbotener und verpönter Wünsche eine aufklärerische
Funktion, was ihr als Figur einen "humanen und befreienden Charakter" gebe.
Dabei stünden allerdings diesen Anteilen Lenis "ihre sirenenhaften
und besitzergreifenden Züge" gegenüber, die mit ihren Besitzansprüchen und
ihrer Promiskuität männliche Ängste widerspiegele.
-
Leni
finde, wie Huld einmal betont, «die meisten Angeklagten schön», «hängt
sich an alle, liebt alle.». Diese »promiskuöse, den Sexualpartner ständig
wechselnde, Liebesverhalten Lenis beruhe auf einer magischen
Anziehungskraft, die von den Angeklagten ausgehe. In diesem
Motiv habe
Kafka "mit leiser Ironie" eigene sexuelle Erfahrungen verarbeitet. (vgl.
Alt 22008, S.400)
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Die Schwimmhäute Lenis
verweisen auch auf mythische Wasser- und Sumpfwesen, ein an Geliebte
nach dem Muster der antiken »Hetäre, einer im allgemeinen hochgebildeten,
einflussreichen Freundin bedeutender Männer. Dieses hetärische Nacht-
und Mondgeschöpf, bezwinge, wie im Falle Lenis, den Mann durch die
Herrschaft des Triebes. Zugleich verweise es damit auch auf die
Strukturen einer matriarchalischen Ordnung. (vgl.
Alt 22008, S.400f.)
-
Körperliche Missgestaltung
könne man mehrfach bei den Frauenfiguren sehen. Sie sei mit
Vorstellungen von "dem erotisch Aufreizenden (Leni) oder Abstoßenden
(Fräulein Montag)" verknüpft. (Beicken
1995/21999, S,156)
-
Kafka besitze eine Vorliebe für den Frauentypus
»Schwester-Dienstmädchen-Hure«, "Frauenfiguren, mit denen eine
intime, gleichberechtigte und sexuelle Beziehung nicht möglich ist." (Deleuze/Guattari 1975, nach
Liska 2008, S.63)
-
Dementsprechend finde, so Begley
(2008, S.287f.), eben auch Josef K. "Animalisches,
Deformiertes, Abseitiges anziehend", wozu auch die Schwimmhäute an Lenis
Fingern gehörten, die sie mit der Tierwelt verbänden.
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Leni verkörpere, in ihrer
unterschiedlichen Wahrnehmung durch die Figuren des Romans deutlich,
"den Doppelaspekt der Frau als Dienerin und Beherrscherin, Sklavin und
Dominatrix." Sie dominiere gegenüber K., handle ihm ein Tauschgeschäft
gegen Elsa ab und erinnere an die mythischen Sirenen, "deren
Verlockungen todbringend" gewesen sein. Sie mache sich K. "ohne
Hemmungen untertan" und verkünde mit dem Ausruf: 'Jetzt gehörst du mir.'
ihren Besitzanspruch auf ihn. (Beicken
1995/21999, S,149)
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Die weibliche Körperlichkeit,
die Kafka in seinem Roman "Der Prozess" vorführe, verbleibt - auch im
Falle Lenis - bei der Darstellung eines weiblichen Körpers ohne eigene
psychologische Dimension. Er weise keine Zeichen auf, die "jenseits
seines erotischen Codes" lägen. Damit sei er auch rein funktional
gesehen, "auf den reinen Sexus" beschränkt, ohne jede weitere
tiefenpsychologische Motivierung. (Alt
22008, S.398) "Was in den Frauenfiguren des Romans zur
Präsenz kommt," so
Alt (22008, S.398f.), ist ein archaischer Triebgrund, der
sinnlich anschaubare Oberfläche geworden ist.
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Die mythischen Bezüge, in
denen Kafkas Frauenfiguren stehen zeigen - so Alt aber auch - dass sie
"in einem Raum jenseits der psychologischen Differenzierung angesiedelt
sind. In ihrer Triebhaftigkeit wirken sie wie unpersönliche Fabelwesen,
die mit archaischer Magie die Welt des Irrationalen verkörpern. " (Alt
22008, S.401)
-
Sexualität sei mit K.s
Prozess stets in bemerkenswerter Weise verbunden. Sie gehöre
"zum Komplex des Unbewussten", "dessen Landschaft der Roman"
ausbreite. (Alt
22008, S.401) Und im "Medium des Gerichts" stoße K. auch
auf "Manifestationen seines Unbewussten", nämlich "auch die dunklen
Mächte des eigenen Triebs, die Leni als Agentin des Eros hervorzulocken
sucht." (Alt
22008, S.401)
-
"Aus K.s Perspektive", so
betont
Beicken
(1995/21999, S,151), "ist Eros im Process etwas
Verführerisches und Verwerfliches."
(→teachSamOER-Dokument)
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Arbeitsanregungen:
- Arbeiten Sie die wesentlichen Interpretationsaussagen aus den
Interpretationen heraus.
- Versuchen Sie diese mit den bei der obigen Texterfassung
zusammengestellten Elementen zu belegen.
- Erläutern Sie Beickens These/Schlussfolgerung: "Leni verkörpere, in
ihrer unterschiedlichen Wahrnehmung durch die Figuren des Romans
deutlich, "den Doppelaspekt der Frau als Dienerin und
Beherrscherin, Sklavin und Dominatrix."
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[ Bausteine ]
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