Wenn
man sich mit der Interpretation von
Kafkas "Kleiner Fabel"
befasst, versucht man bis heute, wie
Nayhauss
(2006, S.60) betont, einen "artistischen Drahtseilakt", weil sich der
Text eben eindeutigen Interpretationen sperrt.
Die Äußerung der Katze "Du musst
nur die Laufrichtung ändern" (Z
5) spielt für das Verständnis der »
Kleinen Fabel« von
▪
Franz
Kafka eine außerordentlich wichtige Rolle. Sie ist es, die diesen
Text" im ganzen rückwirkend färbt und nochmals in ein
anderes Licht rückt." (Allemann
1975/1998, S.138) Zugleich ist sie ein Signal dafür, dass der Text über
das dargestellte Geschehen hinausweist und als Parabel aufgefasst werden
muss.
Dass die Katze in diesem Zusammenhang so von einer
"Laufrichtung" spricht, wie man das im alltäglichen Sprachgebrauch auch tut,
und dies entsprechend wörtlich zu nehmen scheint, "während die Rede der Maus
das Wortkonzept vom »Lebenslauf« stillschweigend voraussetzt" (ebd.,
S.141), ist nach Ansicht Allemanns ein "Sprachwitz" (ebd.),
den sich die Katze deshalb leisten kann, weil sie sich der Maus völlig
überlegen fühlt.
Dabei fügt sich ihr Ratschlag, der letzten Endes auf einem
Missverständnis (vgl.
ebd., S.140)
beruht, fast nahtlos ein, in das Ensemble problematischer,
weil
verfänglicher Ratschläge ein, die andere vermeintliche Helferfiguren den
jeweiligen Hauptfiguren in anderen Erzählungen Kafkas, man denke hier nur an
den Schutzmann in "Gibs
auf", erteilen. (vgl.
ebd.)
Offen
lässt die "Kleine Fabel", den nach Richard
Thieberger
(1979, S.376) "kritischen Punkt der Geschichte und ihrer
Interpretation", der, wenn man die Fabelhandlung ernst nimmt, in der Frage
münde: "Hat sich die Maus nun umgedreht oder nicht?" (ebd., zit. n.
Schlingmann
1995a, S.133)
Auch wenn man mit Thieberger davon ausgeht, dass die Maus
sich tatsächlich umwendet, die Laufrichtung ändert und damit erst in die
Fänge der Katze läuft, wie es auch die Skizze einer Schülerin
zu ihrem Vorverständnis des Textes
dokumentiert, bleiben Fragen offen.
Denn wie
Schlingmann
(1995a, S.134) einwendet, widerspricht ja genau die Tatsache, dass die
Maus der Katze Vertrauen schenkt, "der Natur und den Regeln der Fabel und
ist auch in Kafkas
Fragment »Eine Katze hatte
eine Maus gefangen ...« nicht angelegt."
Vielleicht führt die These Peter-Andrè
Alts (2005/22008,
S.572) aus dem Dilemma, der betont, dass die Erzählung "ihren Lesern den
Täuschungscharakter aller Auslegungen vor Augen stellt" und eine
hermeneutische Annäherung an den Text nur in einer "Klage über
den dunklen Sinn des Lebens" münden könne, zu einer Position, welche die Maus,
"die sich ausweglos zwischen verschiedenen Varianten ihres Todes eingesperrt
findet", ja selbst schon einnehme. Statt hermeneutischer Annäherung fordert
er dazu auf, dem Text in einem "Akt der mystischen Versenkung" zu begegnen.
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Bausteine
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
15.11.2023