Jemandem, der traditionelle ▪
Fabeln
kennt, sind das Motiv des
Aufeinandertreffens von Katze und Maus und die Ausgangssituation
der
»
Kleinen Fabel« von
▪
Franz
Kafka vertraut. Katze und Maus treffen aufeinander.
Kafkas "Schreibstrategie" folgt dem Gattungs-Schema, insbesondere
Gotthold Ephraim Lessings
(1719-1781) fabeltheoretischem Konzept so genau, dass man "zunächst kaum
eine Abweichung von der dort entwickelten Norm entdecken" kann (Allemann 1975/1998,
S.130)
Die beiden Tierfiguren werden kommentarlos und ohne
weitere Beschreibung eingeführt. Ihr Verhalten, so führt Allemann
(1975/1998) weiter fort, entspräche den üblichen Charakterrollen
und die Situation, in der ein Schwächerer mit einem Stärkeren
konfrontiert werde, ist einem literarisch sozialisierten Leser
vertraut. So bringt ihn das alles natürlich dahin, seine Erwartungen
am traditionellen Textmusterwissen Fabel auszurichten.
Was
sich zwischen den beiden abspielt, scheint bis auf die Tatsache, dass die
Katze am Ende die Maus frisst, wie ein Dialog ungleicher Kontrahenten, ganz
so, wie es ein mit Fabeln vertrauter Leser erwartet.
Sieht man indessen
etwas genauer hin, so zeigt sich schon von Beginn an, dass die Äußerung, die
die Maus macht, an keinen bestimmten Adressaten gerichtet ist.
-
Die Klage,
die sie anhebt, ist "letztlich monologisch" (Nayhauss
1974, S.242f.), stellt eine Art "selbstgespräch mit dem fixierten sich
permanent fixierenden eigenen bewusstsein [sic!]"(ebd.)
dar.
-
Auch
das, was die Katze sagt, ist
"für sich aus persönlichem nutzen, egoistisch, ohne bezugnahme auf etwas
intersubjektiv verbindliches [sic!]" gesprochen und "allein den absichten
und zwecken des persönlichen bewusstseins verhaftet [sic!]".
In zwei Sätzen, darunter einem längeren Satzgefüge, trägt die Maus in diesem
"Schein-Dialog"
(Allemann
1975/1998, S.141) zu Beginn ihre Klage, die also "an eine unbestimmte
Instanz gerichtet (ist)" (Schlingmann
1968/1976, S.132) mit einem für tiefes Bedauern stehenden "Ach" vor.
Sie
äußert sich darin zunächst einmal ganz allgemein über den Zustand der Welt,
die sie als mit jedem Tag enger werdend beschreibt.
Im Rückblick erinnert
sie sich im zweiten Satz, "der ein Musterbeispiel poetischer Abbreviatur
darstellt" (Allemann
1975/1998, S.131), daran, dass dies früher anders gewesen ist, als sie
noch "so breit" " war" (Z
1). Dabei weiß sie sich daran zu erinnern, dass ihr diese Weite der Welt
seinerzeit "Angst" (Z
2) bereitet hat.
Ohne den Ausgangspunkt oder den Zeitpunkt zu nennen, zu
dem sie mit dem Laufen angefangen hat, erklärt sie: "ich lief weiter" (Z
3), wobei sie offen lässt, wohin sie letzten Endes gelaufen ist.
Nur die
Tatsache, dass sie "endlich" (Z
2) und "in der Ferne" (Z
3) "Mauern sah" (Z
4), die ihren Ängsten offensichtlich ein Ende setzten und sie
"glücklich" (Z
2) machten, lässt vermuten, dass sie ihren Ängsten, gekoppelt an eine
diffuse und keinen wirklichen Platz in der Welt zuordnende räumliche
Erfahrung, entkommen will.
Dabei tut sie dies, ohne eine Vorstellung darüber
zu äußern, was sie sucht und was sie andernorts erwartet. Indem sie sich in
einem zeitlichen Kontinuum, über dessen Anfang, Ende und Dauer keine Angaben
gemacht werden, bewegt, "immer weiter lief" (Z
1), wie sie selbst sagt, verändert sich die Wahrnehmung des surreal
wirkenden Raumes, in
dem dieses Laufen stattfindet.
Nach der im übrigen konturlosen, aber gerade
deshalb angstbesetzten Weite, empfindet sie beim Auftauchen von Mauern,
rechts und links in der Ferne, Erleichterung.
In dem Moment freilich, indem
ihr die Erleichterung, die sie beim erstmaligen Auftauchen der Mauern in der
Ferne verspürt hat, bewusst wird, sieht sie die "langen Mauern" (Z
2) aber schon "so schnell aufeinander zu(eilen)" (Z
3), dass sie sich "schon im letzten Zimmer" (Z
3) befindet.
Die adverbiale Bestimmung "so schnell", die
als einzige Metapher der
Kleinen Fabel eingefügt ist, betont dabei noch einmal
die subjektive Wahrnehmung von Zeit und Raum durch die Maus. Raum und Zeit
schnurren, wie
Schlingmann
1995a, S.133) formuliert, förmlich zusammen.
Am
Ende ihres Laufs ist die Maus in dem "letzten Zimmer" (Z
4) angelangt, wo "in einem Winkel" "die Falle steht" (Z
4), in die die Maus unweigerlich laufen (wird). Die Maus kann dieser
Falle aus ihrer Sicht der Dinge nicht entgehen, und das ist im Bild ihres (Lebens-)Laufs
gesehen auch nicht zu ändern.
Dies wird durch die Aussage der Katze, die,
wie eingangs schon erwähnt, nur
scheinbar eine Antwort auf die Äußerung der Maus gibt, in zynischer Weise
ironisch kommentiert, "indem sie die Klage der Maus zweifach Lügen zu
strafen scheint - erst verbal und dann auch noch faktisch, durch das
pointierte Auffressen der Maus" (Allemann
1975/1998, S.137).
docx-Download -
pdf-Download
▪
Bausteine
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
15.11.2023