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Erzähltexte gestaltend interpretieren

Einen Erzähltext neu erzählen

Aspekte der Schreibaufgabe - Formen der gestaltenden Interpretation

 
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Surfbrett Kreatives Schreiben

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Didaktische und methodische Aspekte
Einen literarischen Text gestaltend erschließen

Wenn eine literarische Erzähltextvorlage beim ▪ gestaltenden Interpretieren neu erzählt werden soll, soll die Vorlage (Primärtext) von Anfang bis Ende transformiert werden.

Natürlich kann gerade diese Schreibaufgabe nicht einfach "ins Blaue hinein" mit einem Arbeitsauftrag wie "Erzählen Sie die Geschichte neu." gestellt werden, sondern muss Angaben dazu machen, in welche Richtung die Neuerzählung führen soll.

Neuerzählen ist dabei auch stets ein ▪ Umerzählen der vorhandenen Textvorlage, nur dass dabei nicht nur einzelne Elemente des Primärtexts erzählerisch neu gestaltet werden sollen, sondern der gesamte Text. So sind also z. B. nicht bestimmte Leerstellen der Textvorlage ▪ Ansatzpunkte für das Neuschschreiben der Geschichte. Es sollen also nicht nur solche Textlöcher (z. B. ▪ Aussparungen in der Handlungsdarstellung der Vorlage) auserzählt werden, sondern der gesamte Text unter dem Blickwinkel bestimmter Vorgaben neu gestaltet und neu erzählt werden. Aus diesem Grund kann man in Neuerzählungsaufgaben auch gobale Umerzählungsaufgaben sehen.

Dass die Grenzen zwischen dem Umerzählen und dem Neuerzählen nicht scharf gezogen werden können, wird natürlich an Schreibaufträgen deutlich, bei denen der ▪ Erzähltext als ganzer aus der Perspektive einer anderen Figur erzählt werden soll, die gewöhnlich zu den Umerzählungsaufgaben gezählt wird.

Wie alle Aufgaben zur ▪ gestaltenden Interpretation können auch Neuschreibaufgaben in ▪ prozess- und ▪ produktorientierten Schreibprozessen modellieren.

Das Erarbeiten eines vollständigen Verständnisses der literarischen Vorlage als Grundlage

Auch sie setzen voraus, dass man sich, ehe man an das Formulieren seiner Neuerzählung macht, den literarischen Ausgangstext gut analysiert und sich auf dieser Grundlage ein vollständiges Textverständnis erarbeitet hat.

Einfach drauflos zu schreiben, ist auch beim Neuerzählen nicht immer anzuraten, selbst wenn sich einem schon nach der ersten Lektüre der Vorlage bestimmte Gestaltungsideen aufdrängen. Am besten hält man diese irgendwie schriftlich fest, damit sie nicht verlorengehen. Doch dann ist Textarbeit an der literarischen Vorlage gefragt. Am Anfang auch dieser produktiv-kreativen Schreibaufgabe steht also das ▪ Erschließen des Textes.

Ganz allgemein bedeutet dies, dass man den Erzähltext genau, am besten mehrfach intensiv liest, den Inhalt des Textes erfasst ( z. B. mit ▪ Annotieren, ▪ W-Fragen-Methode, Sinnabschnitte oder komplexere Konzepten wie die SQ3R-Technik) und seine Strukturen unter dem Blickwinkel, den die Schreibaufgabe vorgibt, untersucht.

Natürlich kann man bei seiner Analyse schon sein Augenmerk auf jene Elemente der Vorlage richten, die für das Neuerzählen besonders wichtig sind,

Hat man den Text erfasst und verstanden, kann man sich wieder seinen u. U. schon vorher notierten Gestaltungsideen zuwenden. Dabei kann man auf dem Hintergrund des eigenen Textverständnisses auch besser einschätzen, ob sie zum Neuerzählen der in Frage kommenden Elemente (Figuren, Handlungsabläufe, Motive usw.) ▪ der Vorlage passen. Was mit der Vorlage nicht kompatibel ist oder wenig zum Neuschreiben taugt, kann also auf der Grundlage einer begründeten Entscheidung verworfen und durch neue Ideen ersetzt werden.

Trotzdem: Einen für jede/Schreiberin* passenden Königweg, mit welcher Schreibstrategie man zum besten Ergebnis kommt, gibt es aber auch beim Neuschreiben einer literarischen Vorlage nicht. Wie man also im Einzelnen vorgeht, hängt nämlich auch von den Schreiberfahrungen und der Schreibentwicklung jede/r einzelnen Schreiberin* ab und davon, ob man sich, was das anbelangt, auch angemessen selbst einschätzen kann.

Neuerzählen als globales Umerzählen

Wie schon erwähnt, kann man die Transformation der literarischen Vorlage beim Neuerzählen auch als globales Umerzählen bezeichnen, weil es sich im Idealfall auf viele verschiedene Elemente und Strukturen des Ausgangstextes bezieht.

Schreibaufgaben zum Neuerzählen verbinden sich oft mit dem konkreten Schreibauftrag, das Geschehen und seine Darbietung durch den Erzähler in eine andere Zeit zu versetzen.

Bei solchen Aufgaben muss man seine Kenntnisse über den historisch-sozialen Kontext des Primärtextes einbringen und auch wissen, welche erzählerischen, sprachlich-stilistischen Merkmale des Textes auf einen bestimmten Zeitbezug verweisen. Ebenso kann es von Bedeutung sein, welche Gattungsnormen und Textmuster bei der Gestaltung der Vorlage eine Rolle gespielt haben.

Wird also eine Vorlage beim Neuschreiben, sagen wir aus dem 19. Jahrhundert in unsere Gegenwart "übertragen" - in Frage kommen dabei z. B. Anekdoten, Kalendergeschichten oder andere kürzere Erzähltexte (z. B. »Johann Peter Hebels (1760-1826) ▪ "Unverhofftes Wiedersehen" oder »Heinrich von Kleists (1777-1811) »"Das Bettelweib von Locarno") muss also genau überlegen, welche Elemente der Vorlage beim Neuscheiben sensibel "modernisiert" werden können. Das schließt ausdrücklich auch den Einsatz anderer Textmuster, anderer ▪ erzähltechnischer Mittel mit ein, z. B. im Zusammenhang mit der Neugestaltung der Erzählperspektive(n) und anderen geeigneten ▪ Darbietungsformen des Erzählens.

Auch im Zusammenhang mit modernen ▪ Kurzgeschichten kann das Neuerzählen eine reizvolle produktiv-kreative Schreibaufgabe darstellen, wenn das Neuerzählen neue Sichtweisen auf das Thema des Primärtexts ermöglicht und damit den Raum von Lesarten der Vorlage erweitert und die Kommunikation in der Lerngruppe fördert.

Wichtig ist aber auch zu verstehen, dass die Neuerzählung zumindest durchscheinen lassen muss, in welchen Korrespondenzbezügen sie zur literarischen Vorlagre steht und die eigene Gestaltung so plausibel und textkompatibel ausfallen muss,  dass sie auch von eine/m Leserin*, der die literarische Vorlage kennt, nachvollzogen werden können. Nicht zuletzt daran misst sich auch die Textqualität einer Neuerzählung, über deren ▪ Gütekriterien sich auch die Schülerinnen und Schüler im Rahmen ▪ prozessorientierter Schreibaufgaben beim teilweise bzw. schrittweise kooperativen Schreiben verständigen können, wenn sie in unterschiedlich organisierten Selbstbeurteilungs- und Feedbackprozessen (▪ Feedback-Geben und ▪ Feedback-Nehmen) über ihre Arbeit reflektieren.

Dieses teilweise bzw. schrittweise kooperative Schreiben stellt an die Teammitglieder Anforderungen, die nicht von heute auf morgen erfüllt werden können. Aber nur, wenn jedes Teammitglied aktiv, zunehmend kompetent in seinem/ihren Urteil und erfahren  wird (vgl. auch: ▪ Quickie: Was Feedback-Geber und Feedbacknehmer beachten sollten - Die zehn wichtigsten Regeln), kann das zu einem Erfolgsmodell werden, von dem alle etwas haben.

Aus diesem Grund darf es auch sein, dass man im Rahmen von solchen  immer wieder das Augenmerk darauf richtet, wie das eigene Team funktioniert und wie man seinen eigenen Beitrag und den der anderen einschätzt. Dabei ist natürlich auch eine angemessene Selbsteinschätzung für den Lernerfolg ungemein wichtig.

Alle diese Gesichtspunkte können dabei im Rahmen einer ▪ Portfolioarbeit zum gestaltenden Interpretieren über einen längeren Zeitraum hinweg berücksichtigt werden.

Typische Schreibaufgabe

Ein Beispiel für eine typische Schreibaufgabe ist die folgende zu der Kurzgeschichte ▪ "An diesem Dienstag" von ▪ Wolfgang Borchert. Dabei ist der Schreibauftrag "Erzählen Sie die Geschichte neu" als übergeordneter Operator nicht verwendet.

  • Gestalten Sie einen Text, der das Kompositionsprinzip von Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte  "An diesem Dienstag" übernimmt und mit einem anderen Inhalt gestaltet.

Als mögliche Varianten sind z. B. folgende Gegensätze denkbar

  • An diesem Dienstag: in einem Flüchtlingslager in einem Krisengebiet - in einer Stadt in Deutschland

  • An diesem Dienstag: in einem von Dürre heimgesuchten Gebiet in Afrika - in einer Stadt in Deutschland

  • An diesem Dienstag: in einem wegen des Klimawandels allmählich überschwemmten Gebietes irgendwo in der Welt - in einer küstenfernen Stadt in Deutschland

Das Schreibaufgabenbeispiel zeigt, dass auch das Neuschreiben in einem klaren Bezug zur literarischen Vorlage stehen muss. Hier ist es das ▪ besondere Kompositionsprinzip dieser Geschichte. Zugleich werden sogar, um auch leistungsschwächeren Schülerinnen auf einem niedereren Kompetenzniveau geeignete Schreibaufträge geben zu können, bestimme Gestaltungsvarianten angeboten.

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 01.07.2024

 
 

 
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