Der Tourist und der Fischer (Schülerbeispiel)
In der
Kurzgeschichte „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll
geht es um einen Fischer und einen Touristen, die unterschiedliche Meinungen
zur Arbeitsmoral haben und darüber ins Gespräch kommen. Der Tourist will den Fischer davon überzeugen, dass man arbeitet, um später
einmal nicht mehr arbeiten zu müssen. Der Fischer jedoch hält nicht viel von
diesem Gedanken, denn er genießt jetzt schon sein Leben und ist mit allem
zufrieden. Im folgenden Text werden die beiden Hauptprotagonisten, der
Fischer und der Tourist, zuerst einzeln charakterisiert und danach
miteinander verglichen. Zunächst wird die äußere Erscheinung des Fischers beschrieben, denn diese
unterscheidet sich deutlich von der des Touristen. Der Fischer ist ein
„ärmlich gekleideter Mann“. Er ist athletisch gebaut und trägt „eine rote
Fischermütze“. Auf den Touristen wirkt er Mitleid erregend. Der Fischer
liegt dösend in der Sonne, als er von dem Touristen angesprochen wird. Die
Ausdrucksweise des Fischers ist einfach und die Gestik, die er öfter
benutzt, ist variationsarm, denn sie besteht generell nur aus Kopfnicken und
Kopfschütteln. Später drückt er sich auch in knappen Sätzen aus.
Während des Gesprächs bemerkt der Fischer, dass der Tourist sich um ihn
sorgt, um ihn zu beruhigen klopft er ihm auf die Schulter. Der Grund der
Besorgnis des Touristen ist auf die soziale Lage des Fischers
zurückzuführen. Man bemerkt schon an der äußeren Erscheinung, dass er nicht
viel besitzt. Er ist nur ein einfacher Fischer, was man daran erkennt, dass
er „ärmlich gekleidet“ ist. Wahrscheinlich ist er ungebildet, zumindest
nicht eloquent. Dies ist seinen kurzen Sätzen wie zum Beispiel „Was dann?“
und seiner variationsarmen Gestik zu entnehmen. Doch obwohl er nicht viel
besitzt, hat er ein Fischerboot und genug zum Leben. Nach und nach findet der Tourist heraus, dass das ärmliche Bild nicht ganz
stimmt. Dahinter verbirgt sich eine gelassene Art und eine zufriedene
Erscheinung. Der Fischer arbeitet morgens, um anschließend beruhigt am Hafen
zu sitzen. Deshalb fühlt er sich „großartig“ und hat sich noch „nie besser
gefühlt“. Ihm reicht das, was er besitzt, denn er hat „sogar für morgen und
übermorgen genug“. Damit ist er so glücklich, dass er nicht mehr will.
Dieses Glück und die Denkweise, dass er genug hat und damit zufrieden ist,
ist für den kapitalistisch denkenden Tourist schwer nachvollziehbar. Die
Einstellung des Fischers zur Arbeit und zum Leben ist mit der des Touristen
nicht zu vereinbaren. Überhaupt hat Böll mit dem Touristen einen vollkommen gegenteiligen
Charakter komponiert. Es ist ein Mann, der sich offensichtlich Luxusgüter
wie eine Kamera und einen Urlaub am Meer leisten kann. Er wird als „schick
angezogener“ Mensch, dem man sein Wohlhaben ansieht, dargestellt. Allerdings
fällt er als einfacher bzw. normaler Tourist nicht weiter auf, denn der
Fischer beachtet ihn gar nicht und döst weiter. Erst als der Fischer von dem
Touristen fotografiert wird, fällt ihm „dessen besorgter Gesichtsausdruck“
auf. Der Tourist hat eine „eilfertige Höflichkeit“. Er ist gut gebildet, denn er
beherrscht die Landessprache und kann sich gut ausdrücken. Er ist zwar
freundlich, aber auch sehr aufdringlich. Von dem Fischer in seinem Boot
begeistert, versucht der Tourist den Einheimischen von seiner Meinung zu
überzeugen. Dabei muss er sogar seine Kamera beiseite legen, „denn er
braucht jetzt beide Hände, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen“.
Alles in allem ist der Tourist sehr von sich selbst überzeugt. Doch während
des Gesprächs wird „der Gesichtsausdruck immer ... unglücklicher“, weil er
den Fischer nicht von seinen Vorstellungen, mehrmals am Tag fischen zu
gehen, um mehr Geld zu verdienen, um letztendlich „eines Tages einmal nicht
mehr arbeiten zu müssen“, überzeugen kann. Er versteht den Fischer und seine
Denkweise nicht. Anfangs hatte er Mitleid mit dem Fischer, doch am Ende „blieb keine Spur von
Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück, nur ein wenig
Neid“. Denn er hat erkannt, dass der Fischer viel glücklicher und
zufriedener und freier ist, als er selbst. Vor allem scheint er etwas schon
jetzt erreicht zu haben, was der Tourist erst als Ergebnis einer langen
Anstrengung für erreichbar hielt. Vergleicht man die beiden Hauptprotagonisten miteinander, so bemerkt man,
dass sie einen völlig verschiedenen Charakter haben. Der Fischers ist
beneidenswert, er spiegelt diese Ruhe und Gelassenheit wider, nach der viele
Menschen suchen. Er ist frei und hat jeden Tag genug zum Leben. Der Fischer
kann seine Zeit genießen, er hat keine dauernden Termine und muss nicht
ständig von einem Punkt zum anderen hetzen. Der Tourist hingegen spiegelt das typische Bild eines Menschen aus der
westlichen Welt wieder. Er hat zwar viel Geld, steht dafür aber auch unter
Stress und wünscht sich eigentlich nur irgendwann mal das zu erreichen, was
der Fischer längst hat. Offensichtlich stehen die beiden Figuren nicht nur
für sich, sondern für Personengruppen bzw. ganze Gesellschaften.
Dem Autoren Heinrich Böll ist es durch die bildhaft-lebendige Darstellung
der äußeren Erscheinung von Fischer und Tourist, durch deren Redebeiträge
und durch das Verhalten der Hauptprotagonisten hervorragend gelungen, die
verschiedenen Charaktereigenschaften und die Einstellungen zum Leben und zur
Arbeitsmoral der beiden so unterschiedlichen Männer auszudrücken.(veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von © Sarah
Gerhardt, Birthe Franz, Johanna Cloos, Johann-Textor-Schule, Haiger, Klasse
10G2 entstanden im Fach Deutsch, Fachlehrer: Gerrit Ulmke) Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
19.04.2024
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