Szenische
Interpretation und szenisches Interpretieren
Man sollte zumindest versuchen
auseinanderzuhalten: Das von Ingo
Scheller (1987, 1989,
22008) Mitte der siebziger und Anfang der
achtziger Jahre entwickelte Konzept der
▪ szenischen
Interpretation und die Praxis szenischen Interpretierens im
Zusammenhang mit ▪
dramendidaktischen ▪
produktions- und
▪ theater- bzw. spielorientierten Ansätzen.
So spricht zwar einiges dafür, beides, zumindest systematisch
voneinander zu trennen, allerdings bleibt dies im Grunde ebenfalls
unbefriedigend, auch wenn die Gesamtheit der von Schellers
szenischer Interpretation intendierten personalen und intrapersonalen
Wirkungsabsichten zumindest nicht im Vordergrund steht, wenn die von
ihm entwickelten Techniken im Kontext ▪ produktiver Textarbeit
gewiss nicht angestrebt werden können und sollten. Nur weil die
personalen und intrapersonalen Aspekte nicht thematisiert werden,
bedeutet dies ja nicht, dass sie auch im Kontext von ▪ produktiver Textarbeit
und ▪ literarischen Rollenspiel
keinerlei Rolle spielten.
Im Kern soll das Konzept der szenischen Interpretation Möglichkeiten
eröffnen, in der Auseinandersetzung mit einem
Text eigene Vorstellungen, Projektionen und Bedeutungen zu
vergegenständlichen und damit bewusst zu machen, so dass "auch vergessene oder abgewehrte,
asoziale Erlebnisse, Phantasien und Wünsche (wieder)entdeckt und überdacht werden"
können. (Scheller
1999, S.320)
Dabei zielt die szenische Interpretation nicht auf die Aufführung oder
gar eine gelungene Inszenierung, sondern will "durch die
Handlungen und Haltungen der TeilnehmerInnen, die sich dabei eigene Haltungen bewusst
machen können" zur Interpretation beitragen. Denn, so fährt Scheller fort,
im "szenischen Spiel können die TeilnehmerInnen
bei der Gestaltung der vom Text vorgegebenen Rollen und Szenen eigene Haltungen entdecken,
ausagieren, untersuchen und auch ein Stück weit verändern, ohne dass sie dafür direkt
verantwortlich gemacht werden können. In diesem text- und handlungsorientierten Blick auf
die szenische Darstellung unterscheidet sich die Interpretationsweise von anderen
literaturdidaktischen Ansätzen." (
Scheller
1999, S.324)
Zu den wichtigsten Techniken der szenischen Interpretation
zählen:
Szenisches Interpretieren
Der Begriff szenisches Interpretieren, wie wir ihn verwenden,
versteht sich hingegen als Ordnungskategorie für textproduktive,
kreative Verfahren, die sich zur Analyse und Interpretation
literarischer Texte auch Verfahren und Techniken bedient, die aus
dem Konzept der szenischen Interpretation stammen.
Dabei können sich die verwendeten Verfahren aber auch insofern
auf die Rezeption auswirken, dass die literarischen Texte eben auch
als eine Art "Metakommentare" für bestimmte lebensweltliche Themen
der Schülerinnen und Schüler gelesen werden können. Auf diese Weise
können
zielt dabei zumindest auch darauf ab, wie es Scheller schon
formuliert hat, "Jugendlichen die Erfahrungspotenziale
literarischer Texte zugänglich" (Scheller
22008, S.48) gemacht werden, ohne
psychotherapeutische Wirkungsabsichten zu verfolgen. Dies geschieht,
weil das Verfahren und seine Techniken über den Kreis der dramatischen Texte hinaus
bemüht sind, "literarische Texte als sprachliche Entwürfe von Szenen bzw.
sozialen Dramen und [...] als mehr oder weniger repräsentative
Metakommentare zu Ereignissen und Themen: die Suche nach
Geschlechteridentitäten, die Rolle von Frauen und Männern in der
patriarchalischen Gesellschaft, die Liebe und ihr Scheitern, das Alter oder
die Pubertät, Gewalt und Menschlichkeit, Herrschaft, Widerstand und
Revolution, Ausgrenzung, Macht und Ohnmacht, Täter und Opfer, die Rolle der
Wissenschaften usw." (ebd.,
S.48) zu verstehen.
Die Behandlung dieser Themen soll in der szenischen Interpretation "über
szenische Handlungen im Hier und Jetzt des Unterrichts belebt und in
Beziehung gesetzt [werden] zu Erfahrungen und Situationen, die den
Schülerinnen und Schülern vertraut sind oder die sie beschäftigen." (ebd.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.12.2023
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