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Surfbrett Weitererzählung
Der Begriff des
Weitererzählens, wie wir ihn in diesem Arbeitsbereich verwenden, hat
wenig mit seiner im Alltag häufig verwendeten Bedeutung zu tun, Wenn wir
etwas weitererzählen, geschieht dies dann nämlich meistens mündlich und
beinhaltet, dass man bestimmte Informationen, ob von ihrem/r Urheberin*
gewünscht oder nicht an andere weitergeben. Zugleich haftet diesem
mündlichen Weitererzählen aber auch an, dass beim Wiedererzählen zu
diesen Informationen unter Umständen etwas hinzugefügt oder verändert
wird sowie auch verloren geht. Im Spiel der so genannten »"stillen
Post", bei dem eine ursprünglich komplexe Information in einer Runde
von Spielteilnehmerinnen* nacheinander von Ohr zu Ohr geflüstert wird
und am Ende eine in vielem anders gelagerte Information übrig bleibt,
macht dies besonders deutlich.
In diesem
Arbeitsbereich zur Weitererzählung geht es aber stets um
schriftliches Erzählen. Das
Weiterschreiben, um das es hier geht, ist eigentlich ein Fortschreiben im engeren Sinne. Im Allgemeinen wird dabei eine
Textvorlage nach ihrem dargebotenen Ende fortgeführt, also in gewisser
Weise fortgesetzt. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass das, was in
der Textvorlage steht, zu einem abgerundeten und abgeschlossenen Ende
geführt werden muss.
Weitererzählen im Sinne
von Fortschreiben einer Textvorlage kommt im Deutschunterricht in der
Schule in unterschiedlichen Klassen- bzw. Jahrgangsstufen vor.
Dementsprechend unterscheiden sich auch die Anforderungen, die in diesem
Zusammenhang mit den Schreibaufgaben gestellt sind. Alle diese
Schreibformen lassen sich, wenn es sich um das ▪
Transformieren einer Textvorlage durch Fortschreiben handelt,
dem gestaltenden Schreiben zuordnen.
Die Textvorlage, die
als Grundlage des Weitererzählens dient, kann ein
Sachtext oder ein
literarischer
Text sein, also eine "erfundene" (fiktionale) Geschichte, die mit
dichterischen (poetischen) Mitteln gestaltet worden ist. Was die beiden
Textsorten in Bezug auf das Weiterschreiben verbindet, ist, dass von
ihnen der Impuls für das Weitererzählen ausgeht und dass das am Ende
eine selbst mit erzählerischen Mitteln gestaltete Erzählung des
möglichen weiteren Fortgangs des darin dargebotenen Geschehens
herauskommen muss.
Zur
Bewältigung von Schreibaufgaben zum ▪
Weitererzählen
sind grundlegendn ▪
Schreibkompetenzen erforderlich, die man in vier
Kompetenzbereichen sehen kann. Es lohnt sich auch einmal, sich mit
den Fragen im Vorfeld der eigenen Textarbeit zu beschäftigen, die mit
den erforderlichen Kompetenzen zusammenhängen.
Beim Weitererzählen eine Textvorlage transformieren
Das ▪ Weitererzählen (Fortschreiben)
einer Textvorlage stellt eine ▪
produktive
Textarbeit dar, die dem ▪
kreativen Schreiben
in der Schule zugeordnet werden kann. Dabei wird der
Vorlagentext dadurch ▪
transformiert, dass der Schreiber / die Schreiberin ihn
eigenständig fortführt.
Auch wenn die Fortsetzung im Anschluss an eine erzählte
Geschichte die häufigste Variante des Weitererzählens darstellt,
lässt sich ein literarischer Text natürlich auch dadurch
fortschreiben, dass man an anderen Stellen des Textes ansetzt.
So kann man z. B.
-
eine bestimmte
Passage des Textes "ausbauen", die sich plausibel in den
Gesamttext einfügt (z. B. durch Einfügen einer weiteren Figur
oder eines neuen Handlungselements)
-
eine mehr oder
weniger ausführliche Vorgeschichte verfassen
Der Text, von dem das produktiv-kreative Schreiben ausgehen soll,
kann prinzipiell unterschiedliche Textqualitäten besitzen. Es kann
sich um eine auf das Wesentliche einer Handlung beschränkte
Darstellung eines Geschehens sein, das keine besonderen Ansprüche an
die jeweilige Gestalt stellt. Es kann sich aber auch um einen mit
ästhetischen und sonstigen Mitteln gestalteter
literarischer Text sein. Dabei kann es sich um einen
Erzähltext,
ein Drama oder ein
Gedicht handeln.
Wie bei allen Schreibaufgaben, die
mit dem ▪ Transformieren von Textvorlagen
zusammenhängen, ist das Schreiben einer Fortsetzung zu einem Text davon
abhängig, wie eng der Bezug erwartet wird, der zwischen dem vorgegebenen und
dem fortgesetzten Text bestehen soll.
Gewöhnlich ist dabei verlangt, dass
man die raumzeitlichen und die inhaltlichen Vorgaben der Textvorlage
berücksichtigt, indem man an diesen anknüpft. Es geht also dann auf diesem
Kompetenzniveau darum, einen vorgegeben Text meistens in einer Art "Anschlusserzählung"
fortzusetzen. An welche Inhalte und Strukturen der Vorlage die
Weitererzählung anknüpfen muss, hängt auch von den Anforderungen ab,
die mit der jeweiligen Schreibaufgabe verbunden sind.
Auf einem höheren Kompetenzniveau gelten aber im Zusammenhang z. B.
mit Aufgaben zur ▪
gestaltenden Interpretation von Erzähltexten beim ▪
strukturorientierten
oder ein ▪
strukturvariierenden Fortschreiben bzw. Weitererzählen
einer literarischen Vorlage weitere Anforderungen. So wird dann
etwa erwartet, dass die eigene Gestaltung unter Beibehaltung maßgeblicher Erzählstrukturen wie z. B.
Ich-Erzählung oder
Er-Erzählung plausibel an
die raumzeitlichen Daten, die
Charakteristik der Figuren und das Geschehen
im Ausgangstext anknüpft und das Ganze oder bestimmte Teilaspekte fortführt
und mit geeigneten erzählerischen Mitteln gestaltet.
Welche ▪ Textsorte vorgegeben und beim Weiterschreiben erwartet wird, wird durch die
konkrete ▪ Schreibaufgabe und Art und Inhalt der Textvorlage bestimmt.
Diese muss man genau analysieren, ehe man den eigentlichen
Schreibprozess aufnimmt.

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Die Textvorlage
analysieren
In
der Regel handelt es sich beim Weiterzählen literarischer Texte um
kürzere Texte, oft um
Kurzgeschichten, die durch ihre besonderen
▪
Textsortenmerkmale auf diese oder andere Weise zur Ergänzung
beim Weitererzählen auffordern. Es können aber auch mehr oder weniger
▪
literarisch gestaltete Übungstexte als Lernmedien sein, die zum
Ausgangspunkt des Weitererzählens werden.
-
Oft handelt es
sich dabei auch um literarische Textvorlagen, die für die
Schreibaufgabe am Ende gekürzt oder in die irgendwelche
"Leerstellen" eingefügt worden sind, die beim Schreiben
"gefüllt" werden sollen.
-
Ebenso ist mit
den Schreibaufgaben oft verbunden, der gesamten Geschichte
(Vorlage und Weitererzählung) einen eigenen Titel zu geben.
Auf diese können sich bei einem nachfolgenden Vergleich der Fassungen
interessante Aspekte ergeben, ohne dass das "Original" indessen zur
"richtigen" Variante erklärt werden darf. Wichtig ist dabei dann vor
allem die Verständigung über die Textvorlage und die
produkt-kreativen Textgestaltungen im Gespräch mit anderen.
Die ▪ Schreibaufgabe zum Fortschreiben des Textes kann mit weiteren
Anweisungen versehen sein.
Manchmal lautet der Arbeitsauftrag: "Schreiben Sie die
Geschichte zu Ende". Das ist allerdings keine gute Idee.
-
Sie unterstellt
nämlich, dass eine "gute" bzw. gut erzählte Geschichte, ein Ende
haben muss oder eben irgendwie "abgerundet" endet, ob mit
Happy-End oder einer finalen Tragödie.
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Die Festlegung
auf ein solches
Textmuster
entspricht auch in keiner Weise der Vielfalt von Erzählungen
literarischer Vorbilder, die mit "abruptem Anfang, offenem
Schluss, fehlendem Höhepunkt, assoziativer Ausrichtung,
innerem Monolog oder etwa der
erlebten Rede" (ISB
2010, Band II, S.86) daherkommen.
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Surfbrett Weitererzählung
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
02.07.2024
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