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Im schriftlichen
Deutschabitur ist die
literarische
Erörterung heute einer der gängigen Aufgabenarten, die von den
Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung Deutsch (EPA)
2002. (→Abiturstandard) Verlangt ist "die Auseinandersetzung mit in literarischen Texten
gestalteten Sachverhalten, Problemen und Fragen auf der Grundlage der
Ergebnisse einer untersuchenden Erschließung."
Man muss dann, je nach Themenstellung
-
eine Aussage,
z.B. ein Zitat oder einen kurzen Textauszug oder eine bestimmte
Problemstellung, in ihren wesentlichen Elementen und Strukturen erfassen
-
geeignete
Interpretations- bzw. Analysehypothesen formulieren
-
einen Lösungsweg
skizzieren und dabei eine Auswahl von Untersuchungsaspekten vornehmen
und begründen
-
die eigenen
Aussagen unter verschiedenen Aspekten gliedern und dabei
berücksichtigen, welche sprachlichen und inhaltlichen Strukturen den
Untersuchungsgegenstand prägen (z.B. Genre, Textsorte, Stilistik,
syntaktische, semantische , rhetorische Strukturen)
-
die Funktion
dieser Strukturen für das Ganze beschreiben und beurteilen
-
den
Untersuchungsgegenstand in den Kontext seiner literaturgeschichtlichen,
gattungsgeschichtlichen, geistesgeschichtlichen, biografischen, und/oder
politisch-sozialen Bezügen stellen
-
den Zusammenhang
von Struktur, Intention und Wirkung des Untersuchungsgegenstands sowohl
im zeitlichen Rahmen seiner Entstehung bzw. Veröffentlichung als auch
unter dem Blickwinkel seiner möglichen aktuellen Bedeutung erkennen und
beurteilen
-
die
Wertvorstellungen erörtern, die im Zusammenhang mit dem
Untersuchungsgegenstand bedeutsam sind
-
eine begründetes
Sachurteil als literarische Wertung vornehmen
-
je nach
Aufgabenstellung geeignete Argumentationsverfahren (z.B. Pro-Contra
(dialektisch) oder Sowohl-als-auch-Argumente entfalten

Unter systematischem Gesichtspunkt kann man daher den (textungebundenen)
Problemerörterungstyp (vgl.
Problemerörterung) vom
(textgebundenen)
Texterörterungstyp (vgl.
Texterörterung) bei der literarischen Erörterung unterscheiden.
Beim Problemerörterungstyp werden
u. a. folgende
Themen erörtert:
-
Motivvergleiche
-
literaturgeschichtliche Zusammenhänge
-
Fragen zum Theater in unserer Zeit
-
Fragen zu Leben und Werk eines Autors
-
Bedeutung von Literatur und Kunst in der heutigen Gesellschaft
Beispiele:
-
"Jeder Schriftsteller sollte die Nessel
Wirklichkeit fest anfassen und uns alles zeigen." (Arno Schmidt,
1914-1979) - Setzen Sie sich mit dieser Aussage des Schriftstellers
auseinander.
-
Literaturunterricht ist, wenn Lesen keinen Spaß
macht. - Nehmen Sie zu dieser Aussage einer Schülerin auch auf Grund
eigener Erfahrungen mit schulischer Lektüre Stellung.
Beim Texterörterungstyp wird stets ein
unmittelbarer Textbezug auf einen bestimmten literarischen Text
hergestellt, der zunächst - meist unter einer eingeschränkten
Fragestellung - analysiert werden muss. Es handelt sich also dabei
um eine textgebundene Fragestellung. Im Zusammenhang damit oder
im Anschluss daran müssen dann - in der Regel inhaltliche - Probleme
des literarischen Textes erörtert werden. Dabei kann man diese Art
der literarischen Erörterung noch nach dem Umfang des zugrunde
gelegten Textkorpus differenzieren.
Beispiele:
-
"Lieben ist eine
produktive Tätigkeit, es impliziert, für jemanden (oder etwas) zu
sorgen, ihn zu kennen, auf ihn einzugehen, ihn zu bestätigen, sich an
ihm erfreuen - sei es ein Mensch, ein Baum, ein Bild, eine Idee. Es
bedeutet, ihn (sie, es) zum Leben zu erwecken, seine (ihre) Lebendigkeit
zu steigern."
Aus: Erich Fromm, Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen
Gesellschaft. Übersetzt von Brigitte Stein. Stuttgart: Deutsche
Verlagsanstalt 1979 (Erstausgabe 1976), S. 52
Setzen Sie sich anhand von
Schillers Kabale und Liebe und
Fontanes
Effi Briest mit dieser Auffassung von Liebe auseinander.
(Schriftl. Abitur Deutsch, Baden-Württemberg, Berufliches Gymnasium
2006)
-
Der Derwisch
Al-Hafi, der
Klosterbruder,
Nathan - drei
Versuche in
Lessings
Drama "Nathan
der Weise", sich in der Welt Freiheit zu erringen.
-
"Literatur ist in meinem
Verständnis eine Simulationstechnik. Der Begriff ist in letzter Zeit
populär geworden durch die Raumfahrt, deren vollkommen neuartige
Situationen, der praktischen Erfahrung vorauslaufend, zunächst künstlich
erzeugt und durchgespielt werden. [...] Das ist, wie mir scheint, eine
einleuchtende Analogie zur Literatur. Auch sie ist ein der Lebenspraxis
beigeordneter Simulationsraum, Spielfeld für ein fiktives Handeln, in
dem man als Autor und Leser die Grenzen seiner praktischen Erfahrungen
und Routinen überschreitet, ohne ein wirkliches Risiko einzugehen. [...]
Die Simulationstechnik der Literatur erlaubt es ihm [dem Leser], fremde
Verhaltens- und Denkweisen in seinen Erfahrungsspielraum mit
einzubeziehen, also weniger borniert zu sein, und in bezug auf den
gesellschaftlichen Zusammenhang weniger normenkonform."
Aus: Dieter Wellershoff, Literatur und Veränderung. München: Deutscher
Taschenbuch Verlag 1971, S. 18f.
Erörtern Sie anhand Ihrer Leseerfahrung, inwieweit Sie Wellerhoffs
Verständnis von Literatur teilen.
(Schriftl. Abitur Deutsch, Baden-Württemberg, Berufliches und
Allgemeinbildendes Gymnasium 2007)
-
Wie spiegeln sich die Vorstellungen der
Aufklärung
und das Weltbild
Lessings in seinem
Drama "Nathan
der Weise"?
Die ausgewählten Beispiele geben in Aufgabenstellung und dem Bezug auf
Referenztexte einen Einblick in das Spektrum der Aufgaben bei der
textgebundenen literarischen Erörterung. Neben Zitaten, die zur
Themenstellung selbst gehören, sind entweder der jeweilige oder die
jeweiligen Texte, auf die Bezug genommen werden muss (Referenztexte)
explizit angegeben (Beispiel1, 2 und 4) oder mit dem Hinweis auf eigene
Leseerfahrungen wird, etwas offener gehalten, der Einbezug schulischer
Leseerfahrungen (z.B. Pflichtlektüren) gefordert.
»Themenliste
zur literarischen Erörterung
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.01.2017
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