Ratschläge für einen schlechten Redner
Kurt Tucholsky (1890-1935)
Fang nie mit dem Anfang an, sondern immer drei Meilen vor
dem Anfang! Etwa so: "Meine Damen und Herren! Bevor ich zum Thema des
heutigen Abends komme, lassen Sie mich Ihnen kurz..." Hier hast du schon so
ziemlich alles, was einen schönen Anfang ausmacht: eine steife Anrede; der
Anfang vor dem Anfang: Die Ankündigung, dass und was du zu sprechen
beabsichtigst, und das Wörtchen kurz. So gewinnst du im Nu die Herzen und
die Ohren der Zuhörer.
Denn das hat der Zuhörer gern: dass er deine Rede wie ein schweres
Schulpensum aufbekommt; dass du mit dem drohst, was du sagen wirst, sagst
und schon gesagt hast. Immer schön umständlich. Sprich nicht frei - das
macht einen so unruhigen Eindruck. Am besten ist es: du liest deine Rede ab.
Das ist sicher, zuverlässig, auch freut es jedermann, wenn der lesende
Redner nach jedem viertel Satz hochblickt, ob auch noch alle da sind.
Wenn du gar nicht hören kannst, was man dir so freundlich rät, und du willst
durchaus und durchum frei sprechen ... du Laie! Du lächerlicher Cicero! Nimm
dir doch ein Beispiel an unsern professionellen Rednern, an den
Reichstagsabgeordneten - hast du die schon mal frei sprechen hören? Die
schreiben sich sicherlich zu Hause auf, wann sie "Hört! hört!" rufen ... ja,
also wenn du denn frei sprechen musst: Sprich, wie du schreibst. Und ich
weiß, wie du schreibst.
Sprich mit langen, langen Sätzen - solchen, bei denen du, der du dich zu
Hause, wo du ja die Ruhe, deren du so sehr benötigst, deiner Kinder
ungeachtet, hast, vorbereitest, genau weißt, wie das Ende ist, die
Nebensätze schön ineinander geschachtelt, so dass der Hörer, ungeduldig auf
seinem Sitz hin und her träumend, sich in einem Kolleg wähnend, in dem er
früher so gern geschlummert hat, auf das Ende solcher Periode wartet ...
nun, ich habe dir eben ein Beispiel gegeben. So musst du sprechen.
Fang immer bei den alten Römern an und gib stets, wovon du auch sprichst,
die geschichtlichen Hintergründe der Sache. Das ist nicht nur deutsch - das
tun alle Brillenmenschen. Ich habe einmal in der Sorbonne einen chinesischen
Studenten sprechen hören, der sprach glatt und gut französisch, aber er
begann zu allgemeiner Freude so: "Lassen Sie mich Ihnen in aller Kürze die
Entwicklungsgeschichte meiner chinesischen Heimat seit dem Jahre 2000 vor
Christi Geburt ..." Er blickte ganz erstaunt auf, weil die Leute so lachten.
So musst du das auch machen. du hast ganz recht: man versteht es ja sonst
nicht, wer kann denn das alles verstehen, ohne die geschichtlichen
Hintergründe ... sehr richtig! Die Leute sind doch nicht in Deinen Vortrag
gekommen, um lebendiges Leben zu hören, sondern das, was sie auch in den
Büchern nachschlagen können ... sehr richtig! Immer gib ihm Historie, immer
gib ihm.
Kümmere Dich nicht darum, ob die Wellen, die von Dir ins Publikum laufen,
auch zurückkommen - das sind Kinkerlitzchen. Sprich unbekümmert um die
Wirkung, um die Leute, um die Luft im Saale; immer sprich, mein Guter. Gott
wird es Dir lohnen. Du musst alles in die Nebensätze legen. Sag nie: "Die
Steuern sind zu hoch." Das ist zu einfach. Sag: "Ich möchte zu dem, was ich
soeben gesagt habe, noch kurz bemerken, dass mir die Steuern bei weiten ..."
So heißt das!
Trink den Leuten ab und zu ein Glas Wasser vor - man sieht das gern. Wenn du
einen Witz machst, lach vorher, damit man weiß, wo die Pointe ist. Eine Rede
ist, wie könnte es anders sein, ein Monolog. Weil doch nur einer spricht. du
brauchst auch nach vierzehn Tagen öffentlicher Rednerei noch nicht zu
wissen, dass eine Rede nicht nur ein Dialog, sondern ein Orchesterstück ist:
eine stumme Masse spricht nämlich ununterbrochen mit. Und das musst du
hören. Nein, das brauchst du nicht zu hören. Sprich nur, lies nur, donnere
nur, geschichtele nur. Zu dem, was ich soeben über die Technik der Rede
gesagt habe, möchte ich noch kurz bemerken, dass viel Statistik eine Rede
immer sehr hebt. Das beruhigt ungemein, und da jeder imstande ist, zehn
verschiedene Zahlen mühelos zu behalten, so macht das viel Spaß.
Kündige den Schluss deiner Rede lange vorher an, damit die Hörer vor Freude
nicht einen Schlaganfall bekommen. (Paul Lindau hat einmal einen dieser
gefürchteten Hochzeitstoaste so angefangen: "Ich komme zum Schluss.")
Kündige den Schluss an, und dann beginne deine Rede von vorne und rede noch
eine halbe Stunde. Dies kann man mehrere Male wiederholen.
Du musst dir nicht nur eine Disposition machen, du musst sie den Leuten auch
vortragen, das würzt die Rede. Sprich nie unter anderthalb Stunden, sonst
lohnt es gar nicht erst anzufangen. Wenn einer spricht, müssen die andern
zuhören - das ist Deine Gelegenheit. Missbrauche sie.
(Tucholsky, Kurt: Gesammelte Werke Bd. III, Reinbek bei Hamburg (Rowohlt)
1960, S. 600)