docx-Download -
pdf-Download
▪
Bertram, Jochen: Ein würdiges Gedenken, 1988
▪ Dönhoff, Marion Gräfin: Ein verfehltes Kolleg, 1988
▪
Erlebte Rede - eine "gefährliche Form" - Die Analyse des
Literaturwissenschaftlers Jochen Vogt - 1990
Die
▪
Rede
Philipp Jenningers 1988 und sein anschließender Rückritt vom Amt
des Bundestagspräsidenten veranlasste »Marion Gräfin Dönhoff
(1909-2002) zu folgendem
Kommentar:
»Als Resümee aus dem Debakel, das seine Rede zum 9. November
verursacht hat, zog Philipp Jenninger die Erkenntnis. "dass man in
Deutschland nicht alles beim Namen nennen kann". Diese Feststellung
ist nun wieder genauso irreführend wie die Rede selbst. Denn
logischerweise konnte er dabei doch wohl nur die Aussagen im Sinn haben,
die so anstößig waren, dass 50 Abgeordnete zornig den Saal verließen.
Es ging dabei um jene Absätze, in denen Jenninger ohne Vorbehalt die
Erfolge Hitlers in bewunderndem Ton aufzählte:
"Die Jahre von 1933 bis 1938 sind selbst aus der
distanzierten Rückschau und in Kenntnis des Folgenden noch heute ein
Faszinosum insofern, als es in der Geschichte kaum eine Parallele zu dem
politischen Triumphzug Hitlers während jener ersten Jahre
gibt."
Man weiß nicht, wessen Ansichten das sind: Jenningers - oder die eines
Beobachters, der die Meinungen der dreißiger Jahre referiert?
Und weiter:
"Was die Juden anging, hatten sie sich nicht in der
Vergangenheit doch eine Rolle angemaßt, die ihnen nicht zukam? Mussten
sie nicht endlich einmal Einschränkungen in Kauf nehmen? Hatten sie es
nicht vielleicht sogar verdient. in ihre Schranken gewiesen zu
werden?"
Noch einmal: Wer dachte so, wer sagte das?
Da hält der Präsident des Bundestages als Repräsentant des Parlamentes,
das seinerseits das ganze Volk repräsentiert, am Tag, da der
"Reichskristallnacht" und damit auch des Holocaust gedacht wird,
eine Rede. Aber weder spricht er von dem Leid, das die Überlebenden und
Hinterbliebenen empfinden, noch von der nie zu tilgenden Schande, die die
Deutschen mit dem planmäßigen Mord an sechs Millionen Juden auf sich
geladen haben. Der Redner hielt vielmehr ein deplaciertes
pseudohistorisches Kolleg, in dem vor allem von den Deutschen vor und nach
1945 die Rede ist. [...]
Gar nicht zu fassen. wie ein Politiker so total danebengreifen kann. [...]
Jenninger wirkte als Redner gänzlich unbeteiligt und ohne jede Wärme. Er
vermittelte keinerlei Empfindung. Da nützt es denn auch nichts, dass die
Rede im Nachlesen weniger Emotionen auslöst. Es bleibt die Frage: Wie
kann ein Politiker, der doch weiß, wie heikel dieses Thema ist, so bar
jeden menschlichen Gefühls reden? [...]«
(aus: Die Zeit, 18.11.1988, Auszüge)
docx-Download -
pdf-Download
▪
Bertram, Jochen: Ein würdiges Gedenken, 1988
▪ Dönhoff, Marion Gräfin: Ein verfehltes Kolleg, 1988
▪
Erlebte Rede - eine "gefährliche Form" - Die Analyse des
Literaturwissenschaftlers Jochen Vogt - 1990
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.01.2023