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Themabereich: Lesen
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Stilles Lesen
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Lesekompetenz
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Arbeitstechnik lesen
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Einzelne
Lesetechniken und Lesestrategien (Auswahl)
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Grundlegende Lesetechniken für Schule und
Unterricht
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Feedback
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Quickie: Was Feedback-Geber und
Feedbacknehmer beachten sollten - Die zehn wichtigsten Regeln
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Feedback geben»
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Was ein Feedback-Geber
beachten sollte
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Feedback nehmen»
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Was ein Feedback-Nehmer
beachten sollte
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Praxis der
Lernberatung (Scaffolding)
Das
gestaltende Lesen (lautes Lesen,
Auswendigsprechen und Nacherzählen) zählt zu den ▪ Methoden des Literaturunterrichts
(Spinner
2010, S.197), die auf eine lange Tradition verweisen können. Als
sprechgestaltendes Lesen bzw. sprechgestaltende Interpretation ist sie vor
allem im Umgang mit lyrischen und dramatischen Texten ein weit verbreitetes
Verfahren.
Lautes Lesen ist in der
kulturellen Praxis Literatur heutzutage im Vergleich zum dominierenden
stummen bzw.
stillen oder leisen
Leisen meistens ▪nur auf
besondere Kommunikationssituationen beschränkt, bei denen ein Text beim
Lesen vor einem Publikum sprechgestaltend unter gezieltem Einsatz
verschiedener
suprasegmentaler Elemente der Sprache
(z. B. Ton, Intonation,
Akzent und Akzentstruktur,
zeitliche Dauer lautsprachlicher Äußerungen, Pausen, Sprechtempo,
Sprechausdruck) (Prosodie,
paraverbale Merkmale)
und unter Einsatz mimischer und gestischer Elemente inszeniert und
vorgetragen wird (z. B. Familienfeste oder andere Feiern,
Autorenlesungen, Buchvorstellungen, Vorleseveranstaltungen jeder möglich Art
oder Events des
Poetry
Slams etc.)
Lautes Lesen von der Antike bis zum 18. Jahrhundert
In der Antike und im Mittelalter pflegten die wenigen Personen, die als
Gelehrte oder Gebildete überhaupt lesen konnten, stets laut zu lesen. Wurde
gelesen, so geschah dies "innerhalb der sozialen Gruppe und kontrolliert
durch sie" (Bollmann
62007, S. 26). Das Lesen war "vor allem ein Akt, der sich
nicht getrennt von der Außenwelt, sondern mitten in ihr, abspielte"
und Denken und Sprechen gleichermaßen war.(ebd.)
Ehe sich das stille Lesen
gesellschaftlich durchsetzen konnte, dauerte es ▪
bis ins 18. Jahrhundert, in dem immer mehr Menschen das Lesen lernten,
neue Lesestoffe aufkamen und vertrieben wurden und damit wesentliche
Voraussetzungen für das Entstehen einer privaten Lesepraxis schufen, die das
Lesen zu einem intimen Akt machte und der sozialen Kontrolle durch andere,
die sonst beim Vorlesen ja immer dabei waren, (andere Gelehrte,
Familienangehörige etc.) entzogen.
Trotzdem blieb das laute
Lesen in besonderen sozialen Kontexten und Situationen immer noch Teil der
kulturellen Praxis Literatur der Zeit. In Form des "gesellige gemeinsame
Lesen" (Schön
2001, S.31) wurde es auch im ganzen 18. und 19. Jahrhundert in allen
sozialen Milieus der Gesellschaft oft und gerne praktiziert und inszeniert
(vgl. ebd, S.37), um
das individuelle Lesererlebnis bei der kollektiven Rezeption zu
intensivieren.
Allerdings geschah dies auch
immer noch oft in Rahmen
autoritativer Lesesituationen, die stark von der Autorität des Vorlesers
(z. B. Hausvater, Schulmeister oder Pfarrer) geprägt waren. Sie entschieden
dabei auch darüber, ob sich solche Vorlesesituationen beim geselligen
gemeinsamen Lesen mit der Auswahl "moderner" Lesestoffe und einer am
Leseerlebnis selbst orientierten Lesehaltung weiter entwickelten oder in
alten Mustern des moralisierenden "exemplarischen
Lesens" (ebd.,
S.24) stecken blieben. (vgl.
ebd., S.31).
Eine besondere Bedeutung
hatte das laute Lesen natürlich überall dort, wo das laute Vorlesen von
Texten aller Art für Analphabet*innen oder Leseschwache die einzige
Möglichkeit der Teilhabe im ▪ Handlungsfeld
Literatur war. Allerdings bekamen sie, vor allem auf dem Land,
noch lange von Autoritätspersonen wie Pfarrern oder Schulmeistern die
gleichen, meist religiösen Lesestoffe immer wieder vorgelesen. Solche
autoritativ gestalteten Lesesituationen sorgten dann auch dafür, dass die
leseunkundigen Unterschichten und die Landbevölkerung lange nicht ihn
Berührung mit den von den Autoritäten immer wieder diskriminierten neuen
Lesestoffen (z. B. Romanen) kam. (vgl. u. a.
Schön 2001, S.37)
Gestaltendes Lesen im Unterricht
Im Gegensatz zum ▪
Vorlesen durch die Lehrperson
ist das gestaltende Lesen im Unterricht eine Schüleraktivität im Umgang mit
Literatur.
Wenn es nicht als "unvorbereitetes
Reihum-Lesen" (Spinner
2010, S.197) praktiziert wird, sondern als ein Lesevorgang inszeniert wird,
der das laute Lesen vor Publikum als eine Inszenierungsaufgabe versteht,
macht es auch heute noch Sinn, zumal das gestaltende Lesen auch an die
Muster kultureller Praxis im Literaturumgang anschließt und damit auch auf
das Ziel hinarbeitet, an solchen Praktiken über die Schule hinaus
teilzuhaben.
In der Regel sollte das
gestaltende Lesen zunächst einmal als eine
Lernaufgabe konzipiert
sein, die seine Ausführung an bestimmte Vorbereitungen bindet. So empfiehlt
es sich, Aufgaben dazu als vorbereitende Leseaufgaben zu stellen, die z. B.
als Hausaufgabe für die
nächste Unterrichtsstunde gestellt werden können. Natürlich können sie als
solche auch im Unterricht selbst organisiert werden. Am besten ist es, wenn
das gestaltende Lesen im Rahmen einer kommunikativen Situation und mit
bestimmten Kommunikationszielen verbunden wird, wie dies z. B. bei einer
Buchvorstellung der Fall ist oder wenn Schülerinnen und Schüler aufgefordert
sind, ihre "Lieblingsstellen" aus einer Lektüre zu präsentieren.
In der Vorbereitung können
auch elektronische Mittel der Aufzeichnung zum Einsatz kommen, die in
häuslicher Vor- oder unterrichtlicher Erarbeitung erstellt werden. Diese
können auf diese Weise auch Teil eines multimedialen digitalen ▪
Lesetagebuchs oder eines ▪
Portfolios werden.
Aber auch zur akustischen
Verdeutlichung eines bestimmten Interpretationsansatzes kann das gestaltende
Lesen ein besonders effektives Mittel sein, um die Anschlusskommunikation
über einen literarischen Text und seine Deutung in Gang zu bringen (z. B.
bei dem Vortrag eines Gedichtes oder der dramatischen Rede einer bestimmten
Figur, die dadurch charakterisiert werden kann).
Dabei kann, wenn
unterschiedliche Gestaltungsweisen ausprobiert und miteinander verglichen
werden, eine Vielfalt von Lesarten sinnfällig werden.
Ansonsten ist zur Praxis
des gestaltenden Lesens im Literaturunterricht festzuhalten:
-
Vor allem beim
gestaltenden Lesen von Gedichten wird oft auf ein Sprechen Wert gelegt
wird, das dem Sinn und der ästhetischen Gestaltung des Textes gerecht
werden soll.
-
Das
Auswendiglernen von Gedichten
ist als Voraussetzung für den sprechgestaltenden Vortrag oft
angstbesetzt. Allerdings kann dieser Angst, sich einem Publikum
auszusetzen und/oder beim Vortrag steckenzubleiben, entgegengewirkt
werden, indem man z. B. jedem Vortragenden einen Souffleur oder eine
Souflleuse zur Seite stellt oder dem Vortragenden mit bestimmten
Requisiten erlaubt, in die Rolle eines Rezitators zu schlüpfen. Zudem
kann die Beteiligung der Schülerinnen und Schüler bei der Auswahl der
Gedichte, die sie vortragen wollen, helfen, solche Ängste abzubauen.
Auch Probevorträge in der Kleingruppe, bevor das Gedicht im Plenum
präsentiert wird, können mit entsprechendem
Peer-Feedback zu
einer psychischen Entlastung beitragen.
-
Das
Nacherzählen von Prosatexten
kann, bei aller Kritik an dem reproduktiven Verfahren, an
entsprechende kulturelle Praktiken außerhalb der Schule anknüpfen und
durchaus sinnvolles Verfahren zur Texterschließung und Inhaltssicherung
sein. Dabei besteht, je nach Vorgaben natürlich die Gefahr, dass diese
Reinszenierung der literarischen Textvorlage mit eigenen Worten die
Schülerinnen und Schüler zu sehr an die Textvorgaben bindet und wenig
Raum für eigene Textkonkretisierungen lässt. Wenn normativ vorgegeben
ist, wie dies oft beim ▪
schriftlichen Nacherzählen der Fall ist, dass nichts hinzugedichtet
werden darf, was in dem Ausgangstext nicht enthalten ist oder seiner
Logik widerspricht, dazu noch bestimmte, für die schulische Schreibform
gültige normative Regeln zur Gestaltung des Textmusters (z. B.
Präteritum als Erzähltempus, wörtliche Rede oder ein Spannungsbogen im
Sinne von Einleitung - Hauptteil - Schluss) einzuhalten sind, dann sind
der Fantasie und der tatsächlich individuellen Lesart eines Textes
natürlich enge Grenzen gesetzt.
Die Spagat zwischen
Reproduktion und subjektiver Aneignung eines literarischen Textes im
Prozess des Nacherzählens herzustellen, ist jedenfalls keine einfache
Aufgabe. Das Nacherzählen von Prosatexten für Texterschließung und
Inhaltssicherung ist ein Verfahren, das für diese Zwecke vor allem in
den unteren Klassen praktiziert wird, in denen sich Schülerinnen und
Schüler mit der Einnahme einer distanzierten Haltung zu einem Text noch
schwertun. Später wird dies durch das mündliche Zusammenfassen von
Texten ersetzt, die statt gestaltendem Sprechen auf sachliche
Information über einen Text ausgerichtet ist.
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Lesetechniken und Lesestrategien (Auswahl)
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Grundlegende Lesetechniken für Schule und
Unterricht
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
18.07.2024
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