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Aufruhr, Aufstand und Revolution sind Äußerungen
menschlicher Kräfte, die nur in der bürgerlichen Gesellschaft stattfinden.
Aufruhr ist ein Widerstand einiger Bürger (nicht der Mehrheit derselben)
gegen Verfügungen der gesetzgebenden und gegen Ausübungen der vollziehenden
und richterlichen Gewalt. Das Prinzip, vermöge welches dieser Ungehorsam als
Aufruhr gebrandmarkt ist, ist das äußere Recht, das nur die Mehrheit der
Bürger geltend macht und die jeden Angriff darauf mit Gewalt zurückschlagen
darf. Spricht auch das Gewissen die Aufrührer von aller Schuld und Strafe
frei, so haben sie doch keine Lossprechung von einem äußeren Gebote, das sie
zur Beobachtung durch ihren Eintritt in den Staat übernahmen und das nur
durch die Mehrheit, die in einem bestehenden Staate den allgemeinen Willen
angibt, kann aufgehoben werden, zu erwarten. [...] Können Aufrührer eine
bürgerliche Einrichtung vor ihrem Gewissen nicht verantworten, so gebietet
ihnen die Pflicht auszuwandern. Ein Staatsgesetz mag daher auch unmoralisch
vor einem reinen Gewissen und vor einer Vernunft, die richtig und
ausgebildet ist, sein, so ist dasselbe doch nicht widerrechtlich, solange es
noch die Mehrheit der Staatsbürger billigt. Sieht diese das Unrecht ein, sie
hat sie diese Unrechtmäßigkeit vor Gott und ihrem Gewissen zu verantworten.
Ist sie aber noch nicht so weit in der moralischen Aufklärung vorgerückt,
dass sie das Unmoralische des Gesetzes kennt, so macht sie sich überall
keines Verbrechens schuldig, ob es gleich der Weisere für ungerecht erklärt.
Ihre stetige Pflicht ist, ihr moralisches Gefühl aufzuklären, zu berichtigen
und lebendig zu machen.
Lehnt sich eine Mehrheit freiwillig gegen ein Gesetz, gegen eine Einrichtung
oder gegen einen Gebrauch, sie mögen nun an sich gerecht oder ungerecht
sein, so ist es ein Aufstand. Dieses Übergewicht der Zahl erteilt ihrem
Beginnen die äußere Rechtlichkeit und Befugnis, alles zu unternehmen, was
sich als allgemeines Gesetz denken lässt. Durch einen Aufstand können alle
Gewalt habenden Personen abgesetzt und zur Rechenschaft gezogen werden: denn
die Grundverfassung bleibt dadurch unangetastet.
Da nun eine Verfassung durch einen Aufstand nicht aufgehoben wird, sondern
nur eine Veränderung mit den Beamten vorgeht, so muss selbst die Art und
Weise dieses Widerstandes in der Konstitution bestimmt und der Fall
angegeben werden, wann Aufstand gegen Unterdrückung, die nun wahr oder bloß
eingebildet sein mag, stattfinden dar. Diese äußere Rechtmäßigkeit lässt
sich vor dem Aufstande genau beurteilen, weil die Verfassung nicht geändert
wird und weil er freiwillig und mit dem Bewusstsein des Rechts unternommen
wird.
Bei einer Revolution stehen die Menschen teils im Dienste der
Naturnotwendigkeit, teils wirken sie durch Freiheit in die Sinnenwelt ein.
Allein, obgleich jede Nation, bei der eine politische Revolution vorfällt,
eine moralische Empfänglichkeit, d. h. Einsicht des Unrechts und eine
Geschicklichkeit, darüber zu urteilen, besitzen muss, so sind doch Druck,
Misshandlung, Leiden und Spott der Menschenrechte die bewirkenden Ursachen
derselben. Was ist nun eine Revolution? Sie ist eine völlige Umänderung der
Grundsätze der Verfassung, die zwar durch die Menschen geschieht, aber durch
äußere Umstände herbeigeführt wird. Nicht das äußere Recht, sondern das
Gewissen muss eine solche Umwälzung beurteilen. Das innere Recht ist der
einzige gültige Richter, und das Bewusstsein einer Nation, dass ihre
Revolution rechtmäßig sein, muss von jedem fremden Beurteiler heilig
gehalten werden. Sie kann sich in den Mitteln, die sie zur Ausführung
derselben gebrauchte, geirrt haben, aber ihr Unternehmen ist nicht
unmoralisch. Da nun jede politische Revolution die bisher bestehende
Verfassung abschafft, so ist es Pflicht der Nation, eine neue Konstitution
einzuführen und sich wieder in einen äußeren rechtlichen und das Recht
handhabenden Zustand zu setzen. Auch haben alle Völker durch ihre Revolution
nicht die Absicht, die bürgerliche Gesellschaft zu vernichten, sondern sie
durch Recht und Stärke neu zu organisieren und die Bande zwischen den
Bürgern enger zusammenzuziehen.
Das Ähnliche bei diesen drei politischen Handlungen der Menschen besteht im
Widerstande gegen die bisherige Verfassung und ihre Ausübung, der
Unterschied aber bei dem Aufruhr in der Minderheit, bei dem Aufstande in der
Mehrheit und bei der Revolution zugleich in der Mehrheit der Bürger und in
der gänzlichen Umänderung der Prinzipien der Verfassung.
(in:
Garber, Jörn (Hg.) 1974
S.5ff.)