docx-Download - pdf-Download Unter einer Revolution des Volks ließe sich nichts anders
denken, als dass sich das Volk durch Gewalt in die Rechte der Mündigkeit
einzusetzen und das rechtliche Verhältnis zwischen sich und den Vornehmen
aufzuheben suchte. Der Begriff, den wir von einer Revolution oben
überhaupt gaben, war, dass sie eine Umwälzung der Grundverfassung eines
Staats sei; wird nun durch den Beisatz des Urhebers einer Revolution
dieselbe näher bestimmt, so muss die Änderung der Verfassung zugunsten
der Revoltierenden unternommen werden, und eine Revolution des Volks kann
also keinen andern Zweck haben, als die Grundverfassung zugunsten des
Volks umzuändern. Man muss hier eine Revolution des Volks von einer
Revolution, die nur vermittelst des Volks durchgesetzt wird,
unterscheiden. Im letztem Falle kann das Volk aus Unwissenheit oder durch
Täuschung sogar zu seinem Nachteil revoltieren, aber man kann dann auch
nicht sagen: das Volk fing eine Revolution an, sondern nur: das Volk ließ
sich zu einer Revolution gebrauchen. Noch weniger darf eine Revolution des
Volks, die als solche auf die Umänderung der konstitutionellen Rechte des
Volks geht, mit einer Rebellion, wo nur den Gebietenden der Gehorsam
verweigert wird, ohne deswegen eine Änderung der Regierung selbst zu
bezwecken, oder mit einer Insurrektion, die nur die Abschaffung einzelner
drückenden Rechte, Herkommen oder Anmaßungen der Regierung zum Zweck
hat, verwechselt werden. Da bei einer Revolution überhaupt nicht nach dem
äußern Recht entschieden werden kann, welches wider jede Revolution ist,
aber die Moral als die höchste Instanz, vor der es sich selbst zu
verantworten hat, anerkennen muss, so kann auch bei einer Revolution des
Volks die Sache nicht rechtlich entschieden werden. Eine Revolution
überhaupt wird aber dadurch moralisch gebilligt, wenn nur durch sie die
Menschenrechte können geltend gemacht werden, und also auch eine
Revolution des Volks. Das Menschenrecht aber, das dem Volke kollektive
zukommt, ist kein anderes als das Recht zur Aufklärung; denn die andern
sind persönlich und hängen ihrem Einfluss auf eine Revolution nach alle
von der Aufklärung des Volks ab. Die Unmündigkeit eines Volks ist aber
selbstverschuldet, und insoferne tut es nie recht, deswegen zu
revoltieren, um sich dafür, dass es als unmündig behandelt worden, zu
rächen; aber da es diese Verschuldung dadurch gutmachen soll, dass es
seine Nachlässigkeit durch eigene Anstrengung wieder ersetzt, so kann es
die Mittel fordern, die es bedarf, um sich mündig zu machen. Will man
also das Volk hindern, sich aufzuklären, so tut es recht, sich zu
erheben, und wenn diese Hindernisse aus der Konstitution entspringen, die
Konstitution aufzuheben. Alle äußern Vorzüge der Vornehmen in
Glücksgütern, die nicht durch das bloße Vornehmsein erworben sind,
berechtigen nicht zu einer Revolution, denn sie entziehen als solche den
Menschenrechten nichts, sondern nur diejenigen Vorzüge, die mit den
Äußerungen der Menschenrechte im Widerspruch stehen. Wenn die Arbeiten
des Volks so drückend sind, dass ihm gar keine Zeit gelassen wird, etwas
Menschliches zu unternehmen, sondern alles vielmehr angelegt wird, es in
der Stupidität eines Lasttiers zu erhalten, so hat es das Recht zu einer
Revolution. Es wird sich aber dieses Rechts nicht leicht zu bedienen
wissen, und die Vornehmen wären sicher, wenn der Mensch nur Gefühl für
Recht und nicht auch für Religion hätte. Ein solches Volk lässt Gott
auf dem Wege der Religion aus der Dienstbarkeit führen. -
Bei dem Volk ist eine Revolution allezeit politisch möglich, und alle
Betrachtungen, inwieferne die politische Möglichkeit selbst zur
Rechtmäßigkeit einer planmäßigen Revolution erfordert wird, fallen bei
dem Volke weg. Das Volk kann allezeit eine Revolution durchsetzen, ohne
deswegen allezeit recht zu haben. Es kann aber nicht leicht geschehen,
dass das Volk revoltiere, ohne recht zu haben, denn es kann nicht als Volk
revoltieren, ohne einstimmig zu sein, und diese Einstimmigkeit ist nur
durch klare Einsicht in die Notwendigkeit der Revolution möglich, die nie
ohne das Gefühl seiner Rechte bei dem Volke möglich ist. Sich über
Grundsätze zu verständigen, ist eine Sache, die bisher den Philosophen
nicht gelungen ist, und sich also gar nicht vom Volk erwarten lässt. Da
aber doch zur Einstimmung erfordert wird, dass man von allgemeingeltenden
Prinzipien ausgehet, so kann das Volk, wenn es einstimmig handelt, nur von
der moralischen Natur des Menschen oder vom Gefühl für Recht ausgehen.
Die Geschichte, soweit ich sie kenne, dürfte aber schwerlich noch ein
Beispiel einer Revolution des Volks als selbsttätig, nicht als nur dazu
gebraucht, aufzuweisen haben.
Insoferne jedes Volk unaufhaltsam seiner Mündigkeit entgegengeht,
insoferne bereiten sich alle Völker zu einer Revolution vor. Es ist aber
möglich, dass sich die Verfassungen den verschiedenen Graden von
Mündigkeit anpassen und dadurch eine eigentliche Revolution verhüten, so
dass alles nach und nach geschieht und unvermerkt die Verfassung ihre
richtige moralische Form erhält. So, wie man von dem Volke sagen kann,
dass es seine Unmündigkeit verschuldet habe, so kann man auch von der
Regierung sagen, dass sie jede Revolution verschuldet habe., weil sie sich
nicht der Mündigkeit anpasste oder die Menschenrechte in dem Grade
respektierte, als sie das Volk kennen lernte. Es lässt sich auch der Fall
denken, dass die Aufklärung bei den Vornehmen sinkt und bei dem Volke
steigt. Dies muss dann notwendig das Volk gegen die rechtlichen
Verhältnisse, die nun gar keinen Grund mehr haben, empören und den Sturz
der Verfassung nach sich ziehen, ohne dass das Volk zur bürgerlichen
Freiheit reif ist. [...] Bliebe das Verhältnis der Aufklärung zwischen
den Vornehmen und dem Volke immer gleich, so könnte nie eine Revolution
des Volkes entstehen, höchstens eine durch das Volk, das von den
Vornehmen dazu gebraucht würde.
Solange also die Vornehmen das Volk an der Aufklärung nicht hindern und
doch durch das Übergewicht ihrer Aufklärung ihre Überlegenheit
behaupten, solange gibt es keine Revolution des Volks. Dies ist aber nicht
für immer möglich, weil die Aufklärung eine Stufe hat, über welche
zwar die Fortschritte in Weisheit und Wissenschaft ins Unendliche möglich
sind, wo aber die Aufklärung als vollendet anzusehen ist und das Reich
der Dummheit seine letzten Grenzen hat; und diese Stufe ist: gänzliche
Kenntnis der Menschenrechte. [...]
Die Aufklärung hat nicht den Zweck, ein Volk glücklich, sondern es
gerecht zu machen. Die Staatsverfassung soll nicht Glückseligkeit,
sondern Gerechtigkeit hervorbringen. Durch keine Revolution kann
Glückseligkeit, sondern nur Gerechtigkeit bewirkt werden. Ein Volk,
welches wünscht, dass es ihm so gut gehe als den Vornehmen unter ihm, ist
nur neidisch, aber nicht aufgeklärt. Ein aufgeklärtes Volk verlangt, nur
der Würde der Menschheit gemäß behandelt zu sein. Ein Volk, das die
Vornehmen zu stürzen sucht, ist nur rachgierig, aber nicht aufgeklärt.
Ein aufgeklärtes Volk erhebt sich zur höchsten Würde, zur Würde seines
moralischen Wesens, und von dieser Stufe kann es nicht mehr herabgestürzt
werden, und es freut sich, je mehrere diese Stufe mit ihm ersteigen. [...]
(aus: Johann Benjamin Erhard: Über das Recht des Volks
zu einer Revolution und andere Schriften, Jena u. Leipzig 1795. Zit. nach:
Was ist Aufklärung? Thesen und Definitionen, hg. v. Ehrhard Bahr, Reclam
jun. Stuttgart 1974, S.44-51)
* Johann Benjamin Erhard (1766-1827); Arzt in Nürnberg; deutscher
Anhänger der Französischen Revolution; unterstützt als Vertreter des
deutschen Jakobinismus die jakobinische Diktatur des Wohlfahrtsausschusses
1793/94 und plant mit anderen deutschen Jakobinern die Gründung einer
Republik in Süddeutschland. Erhards Buch ist 1795 erschienen, wurde aber
schon im selben Jahr in Leipzig, München und Wien verboten. Nach dem
Scheitern seiner politischen Ziele zunächst Pläne nach Amerika
auswandern, stirbt 1827 als Arzt in Berlin. Erhard gehört wie der
Leipziger Staatsrechtler Johann Adam Bergk zur Richtung eines
"philosophischen Jakobinismus", die das Recht des Volkes zu einer
Revolution mit dem Naturrecht begründet haben, jede Verfassungsänderung
von oben ablehnten und verlangten, dass die freien Staatsbürger die
Menschenrechte eigenständig politisch umsetzen. (vgl.
Grab 1984, S.36)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.12.2023
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