Das Lied, das die Lage und Klage über die Situation darstellt, in der sich
ein Mann in "bestem Alter und besten Verhältnissen" befindet, der in der
frühen Neuzeit keine geeignete Ehefrau finden kann, steht in einem
kontrastiven Gegensatz zu dem Lied
▪
ACh ich armes Mägdlein klage (Nr.64), das das gleiche
Thematik aus der Sicht eines Mannes entfaltet.
Schon allein der Titel und die Eingangsstrophen beider Lieder signalisierten
eine ganz andere Lage des männlichen und des weiblichen Rollen-Ichs in den
ihren jeweiligen Liedern.
Während der Mann sich
damit auseinandersetzen will, ob an dem Gerede davon, dass ein Mann selbst
daran schuld sein könnte, wenn er keine geeignete Ehefrau finden kann und am
Ende zum Schluss kommt, dass es jedenfalls nicht an ihm, an seinem Aussehen,
Alter oder sozialen Stellung liegen könne, da er alle gesellschaftlichen
Erwartungen an einen Ehemann erfülle, ist die Frau schon der er ersten
Zeile, die mit einem unglücklichen "Ach" eingeleitet wird, damit
beschäftigt, dass sie rein altersgemäß kaum noch Chancen auf dem
Heiratsmarkt habe, und ihr womöglich das Leben als eine "alte Jungfer"
bevorstehe.
Krasser könnte die
Ausgangslage der Klage der beiden nicht ausfallen. Während das Alter bei dem
Mann keine Rolle spielt, im Gegenteil sogar, durch Lebenserfahrung und die
sukzessive Zunahme seiner Möglichkeiten, sich und einer Frau bzw. einer
Familie eine sichere Existenz zu bieten, implizit positiv bewertet ist, ist
junges Alter (mit Ende 20 galt eine Frau in dieser Zeit schon alt!) eine der
zentralen Qualitäten, die eine Ehefrau mitbringen muss.
Das Sänger-Ich zeigt sich
zu Beginn verwundert darüber, dass ein Mann
keine Frau finden könne. Weshalb genau ihm dieses Schicksal widerfährt,
was eigentlich seiner Auffassung dagegen spricht, entfaltet er in 30
Strophen. Dabei geht er alles durch, was zu seiner Zeit wohl einen Mann
ausmacht, der eine gute Partie für eine junge Frau sein könnte. Er hat eine
erstklassige Bildung, ist weitgereist und welterfahren, sieht passabel aus
und achtet auf sein Aussehen, indem er sich modisch kleidet, und weiß sich,
auch in Gegenwart von Damen, höflich zu benehmen. Eigentlich hat er alles,
was ein Mann braucht, nur eines eben nicht, eine Ehefrau. Egal, was er dafür
unternehmen, wieviel Geld er dafür auch ausgebe, nie gelingt es ihm, das
Herz einer Angebeteten dauerhaft zu erobern. Das erscheint ihm umso
unverständlicher, wenn er darlegt, welche Sicherheit und welchen
komfortablen Lebensstil er einer Ehefrau zu bieten hätte. Doch trotz alledem
machen die Frauen, auf die er immer wieder zugeht, sich teils über ihn
lustig, teils nutzen sie ihn einfach nur aus, legen ihn herein und
verspotten ihn. Am Ende seiner Klage über seine Situation richtet sich sein
Urteil aber nicht gegen sich selbst, er ist und hat schließlich alles, was
eine Frau glücklich machen könnte. Was ihm aber offenkundig einfach nicht
gelingt, und was trotz seiner misslichen Lage eine Schimmer Hoffnung lässt,
ist, dass er daran glaubt, die Frauen wüssten einfach nicht, was ihnen
entgehe.»Aber aller Praß bleibt liegen, weil ich keine Fraw kan kriegen,
Summa ich bin uebel drann, wann das alles manche wuste, Rasend toll sie wol
seyn mueste, die mich nehme nicht zum Mann« (Strophe
30). Wäre nur eben nicht das eingangs des Liedes dargestellte Gerede,
das dem Mann eigentlich die Schuld gibt, wenn er keine Ehefrau bekomme. (Strophe
1)
Die Strophen im Detail
Strophe 1
und 2: Das Ich ruft sich in Erinnerung, dass es immer
wieder gehört hat, dass nur ein schlimmer Kerl keine Frau bekommen könne.
Obwohl er es oft versucht hat, hat es bei ihm auch nicht geklappt. Er
scheint einfach einfach jemand zu sein, den eine Frau nicht haben will (Schabab
eben).
Strophe 3
und 4: Um zu ergründen, ob es tatsächlich an ihm
liegt, dass er keine Frau, schildert das männliche Ich seine gute Erziehung
(es kann schreiben und lesen, hat eine höhere Schulbildung genossen),
wodurch es ein ziemlich gutes Urteilsvermögen erlangt hat. Zudem ist es viel
herumgekommen, hat fremde Länder gesehen und war geschäftlich auf der Messe
in Parma, wo er sich als Händler so geschickt verhalten hat, dass er stets
den von ihm gewünschten Preis für die von ihm angebotenen oder erworbenen
Waren erhalten hat.
Strophe 5:
Äußerlich ist er nach französischer Art sehr modisch gekleidet, hat eine
ordentliche Frisur und trägt seinen Bart modisch fein gestutzt.
Strophe 6:
Was seinen Umgang mit Frauen angeht, hat er sich nichts vorzuwerfen. Er
begegnet ihnen offen (recht zu
grüssen), geht auf sie zu, versteht in höfisch-vornehmer Weise ihre Hand
zu küssen, spricht mit ihnen achtsam und zurückhaltend, wohl ohne jede
derben Ausdrücke, bedient sie beim Essen, das er ihnen höflich vorlegt, kurz
und gut, eigentlich tut er alles, was ihnen im Prinzip gefällt und weiß, was
sie von einem Mann in dieser Hinsicht erwarten.
Strophe 7:
Seine körperliche Erscheinung (Gesicht, Körperbau, Stimme, etc.) ist auf
jeden Fall ansprechend und kann weist eigentlich keine Mängel auf.
Strophe 8:
Auch sein Verhalten geht in Ordnung. Mehr noch: Er kann sehr lustig sein
(und auch über sich selbst lachen). Er ist ausgesprochen gesellig, kann
tanzen, singen und spielt gerne. Und trinkfest ist er auch, allerdings nur
selten (einen guten Rausch zur Noth).
Zugleich weiß er seinen Mann zu stehen, wenn es drauf ankommt: Wenn es mal
handgreiflich wird, weiß er sich zu wehren. Was ihm gegen den Strich geht,
ist, wenn man ihn beschimpft und über ihn spottet.
Strophe 9:
Kommt es drauf an, nimmt er es auch mit hundert Kerlen gleichzeitig auf.
Strophe
10: In jedem Fall hat er eine gute Entwicklung vor sich. Er wird es
weiter zu etwas bringen und ein nützliches Mitglied der Gesellschaft werden
(zu höheren Aufgaben berufen sein), und mit zunehmendem Alter immer stärker
der Vernunft folgen können.
Strophe 11 und
12: Besonders zu schaffen
macht ihm, dass alle Leute ihn darauf ansprechen, dass er keine Frau hat,
und er sich ständig rechtfertigen muss mit dem Hinweis, dass er sich ja
wirklich bemühe. Außerdem habe er ja eine bestimmte Frau im Auge, aber
ausgerechnet diese lässt ihn abblitzen. Allerdings ist es aber ach so, dass
sich für eine Frau, die ihm tatsächlich Avancen macht, schämt. Kein Wunder
also, dass er durcheinander ist.
Strophen 13 bis
18: Eigentlich kommt er
jedes Mal, wenn er sich von einer Frau ab- und einer anderen Frau zuwendet,
vom Regen in die Traufe, muss hinnehmen, dass man ihn verlacht und ihm noch
hinterhersagt, er sein ein alter verliebt tuender Narr. (13)
Selbst wenn er sich zum Bittsteller macht und sich der Angebeteten geradezu
andient, bringt er es bestenfalls dazu, ihr einmal die Hand zu küssen und
selbst das fühlt sich nicht einmal gut an. (14)
Wenn er ihr draußen folgt, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, kommt es oft
zu Handgreiflichkeiten mit denen, die auf sich achtgeben. Auch hilft es
nicht, wenn er ihr vor ihrem Haus oder Fenster ein Ständchen bringen lässt.
(15) Auch mit teuren
Geschenken lässt er sich nicht lumpen, Gold, Perlen und Edelsteine, setzt er
ein, damit die Auserwählte ihn in bester Erinnerung behält, und wenn sie ihm
dafür ein Band, das sie am Haar trägt, gibt, fühlt er sich fast schon wie im
siebten Himmel. (16)
Oft aber erntet er nur Spott und muss einfach damit umgehen, dass er er
eigentlich immer vorgeführt wird. Wird er einmal vorgelassen, um der Dame
seine Herzens die Aufwartung zu machen, geht gleich das Geschrei los, der
Narr komme ins Haus. (17)
Oft genug hat er schon umsonst an ihrer Türe geklopft und hat sich
unverrichteter Dinge wieder fortbegeben. Manchmal hat ihn aber auch eine
Magd des Hauses darauf aufmerksam gemacht, sie dürfe die Vordertür (zur
Herrschaft) nicht öffnen, er könne aber an der Hintertüre (am Dienstboten-
bzw. Gesindeeingang) gerne noch einmal klopfen. (18)
Strophen 19 und
20: Diese Erfahrungen
haben ihn so frustriert, dass er sich Frauen zuwandte, die leicht zu haben
waren und in deren Hände er sich ergeben hat. Auch heute noch geht das so
fort mit wechselnden Frauen. Entwickelt er dabei auch mal Gefühle, ist er
hinterher aber stets betrogen.
Strophen 21 bis
23: Die Frauen, mit denen
er es zu tun hat, treiben absichtlich ihr Spiel mit ihm, kokettieren und
scherzen mit ihm, kein Wunder also, dass er sich auch küssen will. (21)
Die Frauen lassen sich zwar den Hof machen, aber keine von ihnen will ihn
haben, auch wenn sie ihre Wertschätzung noch so sehr ausdrücken. Am Ende
lassen sie ihn fallen, machen sich über ihn lustig und ziehen eben andere
Freier vor. (22)
Beklagt er sich dann darüber, spötteln sie über ihn, er solle sich nicht so
ereifern und versichern ihm, dass sie nur auf ihn ein Auge hätten. Das aber
weiß er: Genau auf diesem Auge sind sie blind (für ihn). (23)
Strophen 24 bis
27: Aller dieser
Erfahrungen und widriger Umstände zum Trotz könnte er eine Dame ohne
weiteres ernähren, steht finanziell gut da, hat keine Schulden und einen
einwandfreien Ruf. (24)
In einer Geldkiste hat er das Geld, das ihm sein Pate einstmals geschenkt
hat. (25) Bekäme eine
Frau seinen Besitz zu Gesicht, würde sie wahrscheinlich bester Laune sein
und könne sich ausreichen, dass sie alles bekommen würde, was sie benötigt.
(26) Alles ist da, was
ein Mann in die Ehe mitbringen kann, Waffen, Pferde, Wagen, Ochs und Kuh
etc. (27)
Strophen 28 und
29: Wenn es eine wirklich
ernst meinen sollte, wird er aber auch darauf achten, dass sie eine seinen
Verhältnissen entsprechende Mitgift mitbringt. So würde dem Paar am Ende
nichts fehlen und sie könnten ihren Wohlstand noch gemeinsam erhöhen.
Strophe 30: So aber steht
der ganze Luxus nur herum, weil er keine Frau bekommen kann, und darum ist
und bleibt er, unterm Strich betrachtet, übel dran, auch wenn er weiß, dass
jede Frau, die über seine Verhältnisse Bescheid wüsste, eigentlich verrückt
sein müsste, ihn nicht zum Mann zu nehmen.
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