»Julius
Wilhelm Zincgref (1591-1635), der wohl wichtigste Vertreter des
sogenannten zweiten »Heidelberger
Dichterkreises hat das Lied in die erste von ihm besorgte und 1624 herausgegebene
Werksammlung des zwanzigjährigen Martin Opitz, die »Teutschen
Poemeta, aufgenommen. In der ein Jahr später von Martin Opitz selbst
vorgenommenen und herausgegebenen Sammlung (»Weltliche Poemata«, 1625) fehlt
es hingegen. Was ihn dazu bewogen hat, darauf zu verzichten, wissen wir
nicht. Vielleicht waren es Überlegungen hinsichtlich der Qualität des
Gedichts (fehlende Alternation und
Apokopen (vgl.
Wels 2018,
S.326), was für den sich selbst mit seinen Werken präsentierenden Dichter
durchaus ausschlaggebend gewesen sein könnte. Allerdings hätte er es ja, wie
es bei den barocken Dichtern gang und gäbe war, dafür auch leicht
überarbeiten können.
Vielleicht noch näher liegt
die Vermutung, dass Opitz, um seiner Reputation willen, sich nicht
heftiger Kritik aussetzen wollte (vgl.
ebd.), als er
auf das Gedicht, das ja trotz aller sexueller Direktheit aus heutiger Sicht
weder obszön noch vulgär erscheint, in seiner eigenen Sammlung verzichtete,
die sich an die gelehrte Öffentlichkeit richtete.
Hinzukommt vielleicht,
dass für Opitz, für den "der Dichterruhm sein Lebensziel war" (Aurnhammer/Detering
2019, S.145), dieses Gedicht gewiss auch nicht unbedingt eine Empfehlung für die
anstehende
»Krönung
zum ▪ Poeta
Laureatus durch
Kaiser
»Ferdinand
II. (1578-1637) und das Bemühen von Martin Opitz Mitglied der
renommierten
»Fruchtbringenden
Gesellschaft,
der wohl bedeutendsten
Sprachgesellschaft der Zeit zu werden, die sich u. a. der Pflege der deutschen
Sprache widmeten.
Die "offensive Weltlichkeit dieser erotischen Dichtung" (Wels
2018.,
S.327), die mehr oder weniger explizite und konkrete Beschreibung des
Beischlafs (vgl.
Blecken 22009, S.34) und "die Erregung der Seelen und Leiber,
von welcher die zugesprochene Liebesvereinigung zeugt" (Brode
1988, S.14) passte jedenfalls nicht in das Selbstkonzept des Dichters,
mit dem er sich mit seiner Sammlung öffentlich präsentieren wollte. Zudem
entsprach dies auch dem Stellenwert des Liedes im Schaffen des Autors nicht,
in dem es mit seiner erotischen Ausdrücklichkeit und der "Beschreibung eines
Orgasmus" (Wels
2018, S.325) eine Ausnahmestellung unter den zahlreichen »Buhlereyen«
einnimmt, die auch in den »Teutschen
Poemeta zahlreich vorhanden sind.
Aus dem Verkehr gezogen war es natürlich damit sicher nicht und
wahrscheinlich ging es Opitz auch nicht darum. Denn gerade solche weltlichen
Lieder, die meistens sogar anonym veröffentlicht wurden, kursierten auf den
in dieser Zeit erschwinglichen und deshalb auch weit verbreiteten ▪
Einblattdrucken. Auch
diese trugen dazu bei, sich als Teil "einer modischen, populären Avantgarde"
(ebd.) zu
präsentieren, von der Opitz in einem
Brief aus dem Jahr 1928 spricht.
Wie populär das Fieberliedlin gewesen ist, lässt sich indessen nur
allgemein abschätzen. Soviel lässt sich sagen: Die massiven Angriffe von
Theologen auf die populäre, weltliche Liedkultur "illustrier(en) ex negativo
die Bedeutung, die die populäre Liedkultur gehabt haben muss." (Wels
2018, S.327)
Den christlichen Theologen mit ihrem "tiefe(n)
Misstrauen gegen alle sinnlichen Freudenn" (Flandrin 1992,
S.147f.) war die populäre, weltliche Liedkultur jedenfalls ein Dorn im Auge,
weil sie dazu beitrug, "den Geist zum Gefangenen des Körpers machten und ihn
daran hinderten, sich zu Gott zu erheben" (ebd.)
Vor allem die Protestanten haben deshalb auch immer wieder den Versuch unternommen, "das
weltliche Lied durch Kontrafazierung – also Beibehaltung der Melodie bei
Ersetzung der weltlichen durch geistliche Texte – für die Propaganda
christlicher Ideale einzusetzen." (Wels
2018, S.325f.)
Die Ablehnung des weltlichen Liedes steigerte sich noch,
wenn sie das Geschlechterverhältnis, Liebe und Erotik, betrafen. Zwar stand
die Kirche mit ihren wirklichkeitsfremden Moralvorstellungen hier lange auf
verlorenem Posten, konnte aber im Zuge der fortschreitenden ▪
Sozialdisziplinierung des Untertanenverbandes im Zuge der Entwicklung
zum frühmodernen Staat zusehends an Boden gewinnen. Ihre dogmatischen
Vorstellungen gipfelten in der Vorstellung, wonach "Sexualität (...) zum alleinigen Zweck die
Fortpflanzung (hat)" (Flandrin 1992,
S.147f.). Der- bzw. diejenige, der/die sie mit anderen Interessen
verknüpfte, etwa dem Genuss, trieb demzufolge Missbrauch mit ihr (vgl.
ebd.).
Allerdings gingen die normativen religiösen Vorgaben und
die sozio-sexuelle Praxis der Menschen wohl noch lange weit
auseinander und die Schere zwischen ihnen konnte auch durch die zunehmende ▪
Regulierung und
Sanktionierung des Sexuellen und seine offene Kriminalisierung
nicht wirklich geschlossen werden. Wie auch immer: Diese Haltung war auch ▪
Ausdruck einer
Doppelmoral, die mit der Wirklichkeit nur schlecht zur Deckung zu
bringen ist.
Wenn in Liedern aus der Sicht junger Männer die "freie" Liebe ohne feste
Bindung besungen wird, darf dies indessen nicht als das zeitgenössische
Leitbild ihrer Träume und Vorstellungen verstanden werden, sondern ist auch
Ausdruck einer gerade bei jungen Männern aus bürgerlichen Verhältnissen
immer wieder beklagten "Sexualnot", die wenn sie nicht mit Dienstmädchen
oder Prostituierten befriedigt werden konnte, "nur" in der institutionellen
Form der bürgerlichen Ehe zu überwinden war.
"Doch bin ich allzeit frey vnd nicht zu binden:
Wo Schöne Damen sind laß ich
mich finden."
(Gottfried Finckelthaus:
Deutsche Gesänge. Hamburg 1640, f. B7r, zit. n.
Wels 2018,
S.323)
Und auch
▪
Christian Brehme (1613-1667)
schlägt in seinem Lied ▪
An die
verenderte Magdalis. ähnliche Töne an:
Wer will dich so thörlich lieben
Daß er sich mit einem Wort
Gar und gänzlich wolt vergeben:
Ist die Welt doch auch ein Ort
Da man vielfach Liebe findet /
Die so gelgen* vns nicht bindet.
* im Sinne von: gegen
unsere emotionale Verfassung
Was also populäre "Schlagertexte der Zeit" wie die von
»Gottfried
Finckelthaus (1614-1648), einem Freund von
»Paul Fleming (1609-1640), oder auch von »Christian
Brehme (1613-1667) ( zum Ausdruck brachten, war wohl gern besungener Tenor
in der von jungen Männern gepflegten Sanges- und Jugendkultur. Selbst Martin
Opitz selbst in einem Brief aus dem Jahr 1628 berichtet mit Erstaunen und
stolz davon, wie populär seine Lieder gewesen sind:
"Ich trage hier jetzt auch den Lohn aus den Tändeleien davon, die ich fast
noch als Jugendlicher in Heidelberg und anderswo mir ausgedacht habe. Denn
aus jedem Haus, jeder Straße lärmt es von meinen Liedchen, die auf den
Kreuzungen für den einen oder anderen kleinen Betrag verkauft werden. Ich
wohne, wenn es den Göttern gefällt, meinem Ruhm bereits als Lebender bei,
und ich ergötze mich an den Herzen der Mädchen und an den Mägden wie der
launige Liebhaber eines Schauspiels. Jetzt, wo ich von diesen durch die
Jahre verwischten Liedern Abstand gewonnen habe, hilft es doch, sich an die
Vergangenheit zu erinnern."
(aus: Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit
Übersetzung. Hg. v.
Klaus Conermann unter Mitarbeit v. Harald Bollbuck. Berlin, New York 2009,
S. 602 (lat. Original
S. 600f.). Brief vom 29.2. 1628., zit. n. zit. n.
Wels 2018,
S.318)