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Aspekte der Analyse und Interpretation

Ein freizügiges Lied in repressivem Umfeld

Martin Opitz (1597-1639): Das Fieberliedlin

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren Martin Opitz (1597-1639) Kurzbiografie: Stationen eines Gelehrtendichters in unsicheren Zeiten Lyrische Texte
Sonnet. Aus dem Italienischen Petrarchae. (Canzoniere 132) (1624) Ach Liebste, lass uns eilen (1624) Einer Jungfrauen Klage über nahendes Alter (1624)Ode (Carpe diem) (1624)Ode (Carpe diem) (1624) (Modernisierte sprachliche Fassung)An den Hochwolgebornen Hern Carl Annibal Burggraffen zu DohnaSonettt über den Thurn zu Straßburg (1619) Zlatna oder Getichte Von Ruhe deß Gemüthes (1623) (Auszug) Das Fieberliedlin (1624)Text [ Aspekte der Analyse und Interpretation Ein freizügiges Lied in repressivem Umfeld Die Beschreibung eines Orgasmus ] Bausteine Trostgedicht in Widerwertigkeit des Kriegs (1633) (Auszüge) Neujahrsgedichte Links ins Internet  ...  Barocklyrik Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
 

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Das Fieberliedlin von ▪ Martin Opitz (1597-1639) gehört zu den sangbaren ▪ Liedern, die der Autor in seinen jungen Jahren gedichtet hat. Es zählt zur ▪ deutschsprachigen Popularliteratur des ▪ Barock (1600-1720) und hat in der damaligen Jugendkultur sicher seinen Platz gehabt, auch wenn oder vielleicht auch gerade weil "Buhlereyen" dieser Art, die kaum ein Blatt vor den Mund nahmen, sicher auch auf harsche Kritik, vor allem aus religiösen, aber auch sonst auf Sittenstrenge achtenden bürgerlichen Kreisen getroffen sind.

Einen großen Anteil an der Verbreitung und Popularisierung der Kunstlieder hatten gesellige Lieder-Kreise und lyrische Zentren (z. B. in Königsberg um »Simon Dach (1605-1659), in Hamburg um »Johann Rist (1607-1667)), die « Liederbüchermit Noten herausbrachten. So wurden immer mehr Gedichte, darunter auch zahlreiche von Paul Fleming (1609-1640) und ▪ Martin Opitz (1597-1639), im Nachhinein vertont. Aber nicht nur die ▪ Nachvertonung ist gängige Praxis. Im 17. Jahrhundert ist es durchaus noch üblich, dass sich ein  Dichter einer bekannten Melodie bediente, um die Verbreitung seines Gedichtes zu fördern.

Opitz nimmt das Fieberliedlin in seine selbst zusammengestellte Sammlung nicht auf

»Julius Wilhelm Zincgref (1591-1635), der wohl wichtigste Vertreter des sogenannten zweiten »Heidelberger Dichterkreises hat das Lied in die erste von ihm besorgte und 1624 herausgegebene Werksammlung des zwanzigjährigen Martin Opitz, die »Teutschen Poemeta, aufgenommen. In der ein Jahr später von Martin Opitz selbst vorgenommenen und herausgegebenen Sammlung (»Weltliche Poemata«, 1625) fehlt es hingegen. Was ihn dazu bewogen hat, darauf zu verzichten, wissen wir nicht. Vielleicht waren es Überlegungen hinsichtlich der Qualität des Gedichts (fehlende Alternation und Apokopen (vgl. Wels 2018, S.326), was für den sich selbst mit seinen Werken präsentierenden Dichter durchaus ausschlaggebend gewesen sein könnte. Allerdings hätte er es ja, wie es bei den barocken Dichtern gang und gäbe war, dafür auch leicht überarbeiten können.

Vielleicht noch näher liegt die Vermutung, dass Opitz, um seiner Reputation willen, sich nicht heftiger Kritik aussetzen wollte (vgl. ebd.), als er auf das Gedicht, das ja trotz aller sexueller Direktheit aus heutiger Sicht weder obszön noch vulgär erscheint, in seiner eigenen Sammlung verzichtete, die sich an die gelehrte Öffentlichkeit richtete.

Hinzukommt vielleicht, dass für Opitz, für den "der Dichterruhm sein Lebensziel war" (Aurnhammer/Detering 2019, S.145), dieses Gedicht gewiss auch nicht unbedingt eine Empfehlung für die anstehende »Krönung zum ▪ Poeta Laureatus durch Kaiser »Ferdinand II. (1578-1637) und das Bemühen von Martin Opitz Mitglied der renommierten »Fruchtbringenden Gesellschaft, der wohl bedeutendsten Sprachgesellschaft der Zeit zu werden, die sich u. a. der Pflege der deutschen Sprache widmeten.

Die "offensive Weltlichkeit dieser erotischen Dichtung" (Wels 2018., S.327), die mehr oder weniger explizite und konkrete Beschreibung des Beischlafs (vgl. Blecken 22009, S.34) und "die Erregung der Seelen und Leiber, von welcher die zugesprochene Liebesvereinigung zeugt" (Brode 1988, S.14) passte jedenfalls nicht in das Selbstkonzept des Dichters, mit dem er sich mit seiner Sammlung öffentlich präsentieren wollte. Zudem entsprach dies auch dem Stellenwert des Liedes im Schaffen des Autors nicht, in dem es mit seiner erotischen Ausdrücklichkeit und der "Beschreibung eines Orgasmus" (Wels 2018, S.325) eine Ausnahmestellung unter den zahlreichen »Buhlereyen« einnimmt, die auch in den »Teutschen Poemeta zahlreich vorhanden sind.

Aus dem Verkehr gezogen war es natürlich damit sicher nicht und wahrscheinlich ging es Opitz auch nicht darum. Denn gerade solche weltlichen Lieder, die meistens sogar anonym veröffentlicht wurden, kursierten auf den in dieser Zeit erschwinglichen und deshalb auch weit verbreiteten ▪ Einblattdrucken. Auch diese trugen dazu bei, sich als Teil "einer modischen, populären Avantgarde" (ebd.) zu präsentieren, von der Opitz in einem Brief aus dem Jahr 1928 spricht.

Wie populär das Fieberliedlin gewesen ist, lässt sich indessen nur allgemein abschätzen. Soviel lässt sich sagen: Die massiven Angriffe von Theologen auf die populäre, weltliche Liedkultur "illustrier(en) ex negativo die Bedeutung, die die populäre Liedkultur gehabt haben muss." (Wels 2018, S.327)

Den christlichen Theologen mit ihrem "tiefe(n) Misstrauen gegen alle sinnlichen Freudenn" (Flandrin 1992, S.147f.) war die populäre, weltliche Liedkultur jedenfalls ein Dorn im Auge, weil sie dazu beitrug, "den Geist zum Gefangenen des Körpers machten und ihn daran hinderten, sich zu Gott zu erheben" (ebd.)

Vor allem die Protestanten haben deshalb auch immer wieder den Versuch unternommen, "das weltliche Lied durch Kontrafazierung – also Beibehaltung der Melodie bei Ersetzung der weltlichen durch geistliche Texte – für die Propaganda christlicher Ideale einzusetzen." (Wels 2018, S.325f.)

Die Ablehnung des weltlichen Liedes steigerte sich noch, wenn sie das Geschlechterverhältnis, Liebe und Erotik, betrafen. Zwar stand die Kirche mit ihren wirklichkeitsfremden Moralvorstellungen hier lange auf verlorenem Posten, konnte aber im Zuge der fortschreitenden ▪ Sozialdisziplinierung des Untertanenverbandes im Zuge der Entwicklung zum frühmodernen Staat zusehends an Boden gewinnen. Ihre dogmatischen Vorstellungen gipfelten in der Vorstellung, wonach "Sexualität (...) zum alleinigen Zweck die Fortpflanzung (hat)" (Flandrin 1992, S.147f.). Der- bzw. diejenige, der/die sie mit anderen Interessen verknüpfte, etwa dem Genuss, trieb demzufolge Missbrauch mit ihr (vgl. ebd.). Allerdings gingen die normativen religiösen Vorgaben und die sozio-sexuelle Praxis der Menschen wohl noch lange weit auseinander und die Schere zwischen ihnen konnte auch durch die zunehmende ▪ Regulierung und Sanktionierung des Sexuellen und seine offene Kriminalisierung nicht wirklich geschlossen werden. Wie auch immer: Diese Haltung war auch ▪ Ausdruck einer Doppelmoral, die mit der Wirklichkeit nur schlecht zur Deckung zu bringen ist.

Wenn in Liedern aus der Sicht junger Männer die "freie" Liebe ohne feste Bindung besungen wird, darf dies indessen nicht als das zeitgenössische Leitbild ihrer Träume und Vorstellungen verstanden werden, sondern ist auch Ausdruck einer gerade bei jungen Männern aus bürgerlichen Verhältnissen immer wieder beklagten "Sexualnot", die wenn sie nicht mit Dienstmädchen oder Prostituierten befriedigt werden konnte, "nur" in der institutionellen Form der bürgerlichen Ehe zu überwinden war.

"Doch bin ich allzeit frey vnd nicht zu binden:
Wo Schöne Damen sind laß ich mich finden."

(Gottfried Finckelthaus: Deutsche Gesänge. Hamburg 1640, f. B7r, zit. n. Wels 2018, S.323)

Und auch Christian Brehme (1613-1667) schlägt in seinem Lied ▪ An die verenderte Magdalis. ähnliche Töne an:

Wer will dich so thörlich lieben
Daß er sich mit einem Wort
Gar und gänzlich wolt vergeben:
Ist die Welt doch auch ein Ort
Da man vielfach Liebe findet /
Die so gelgen* vns nicht bindet.

* im Sinne von: gegen unsere emotionale Verfassung

Was also populäre "Schlagertexte der Zeit" wie die von »Gottfried Finckelthaus (1614-1648), einem  Freund von »Paul Fleming (1609-1640), oder auch von »Christian Brehme (1613-1667) ( zum Ausdruck brachten, war wohl gern besungener Tenor in der von jungen Männern gepflegten Sanges- und Jugendkultur. Selbst Martin Opitz selbst in einem Brief aus dem Jahr 1628 berichtet mit Erstaunen und stolz davon, wie populär seine Lieder gewesen sind:

"Ich trage hier jetzt auch den Lohn aus den Tändeleien davon, die ich fast noch als Jugendlicher in Heidelberg und anderswo mir ausgedacht habe. Denn aus jedem Haus, jeder Straße lärmt es von meinen Liedchen, die auf den Kreuzungen für den einen oder anderen kleinen Betrag verkauft werden. Ich wohne, wenn es den Göttern gefällt, meinem Ruhm bereits als Lebender bei, und ich ergötze mich an den Herzen der Mädchen und an den Mägden wie der launige Liebhaber eines Schauspiels. Jetzt, wo ich von diesen durch die Jahre verwischten Liedern Abstand gewonnen habe, hilft es doch, sich an die Vergangenheit zu erinnern."

(aus: Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. Hg. v.
Klaus Conermann unter Mitarbeit v. Harald Bollbuck. Berlin, New York 2009, S. 602 (lat. Original
S. 600f.). Brief vom 29.2. 1628., zit. n. zit. n. Wels 2018, S.318)

Die Vorlage: Ein niederländisches "Liedlein"

Das Fieberliedlin des zwanzigjährigen  Martin Opitz (1597-1639) geht auf ein niederländisches Original von »Gerbrand Adriaenszoon Bredero (1585-1618) und war wohl von Anfang an als Lied zum Singen gedacht. Ob und zu welcher Gelegenheit es gesunden wurde, lässt sich nur erahnen. Vielleicht ist es eines der Lieder gewesen, das wie ein heutiger Schlager gesungen wurde, so wie er es in seinem Brief beschreibt. In jedem Fall lässt es sich in der städtischen jugendlichen Alltagkultur der Zeit verorten, wenn es darum ging zum anderen Geschlecht Kontakt aufzunehmen und dabei das Lied   zur Laute gesungen oder nicht als "Kommunikationsmittel für emotionale Botschaften" (Nils Gosch) zu nutzen. Und auch als preiswerter Einblattdruck konnte man, wenn man ihn an für seine Botschaft zugängliche Adressaten verschenkte, bestimmt "punkten". (vgl. Wels 2018, S.322)

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 23.12.2023

 
 

 
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