▪
Barock (1600-1720)
▪
Lyrik des Barock
▪
Überblick
▪
Formtypologische Elemente der
Barocklyrik
▪
Vanitas-Lyrik
▪
Barocke Liebeslyrik
▪
Überblick
▪
Petrarkismus und barocke Liebesauffassung
▪
Textauswahl
Liebeslyrik
▪
Figurengedichte
▪
Gelegenheitsgedichte (casualcarmina)
▪ Textauswahl
▪
Bausteine
Neben der ▪ "Kunstdichtung"
des ▪ Barock (1600-1720), die nahezu
ausschließlich im höfischen und gelehrten Umfeld rezipiert wurde, gab es in
dieser Zeit auch eine umfangreiche Lautenmusik und Volkslieder, die zu
verschiedenen Anlässen, meistens von ihren Verfassern selbst, gesungen
wurden.
Diese umfangreiche ▪ Lieddichtung
kursierte als Einblattdrucke oder wurde in ▪
Liederbüchern zusammengestellt und
werden im Allgemeinen zur ▪
deutschsprachigen Popularliteratur der Zeit gezählt.
Ganz allgemein hat
man im Zeitalter des Barock unter dem Begriff ▪
Lied einen Text verstanden, der
gesungen werden konnte: "Lied ist dieser Zeit alles, was gesungen
werden kann, und sie singt ungefähr alles, was sie zentral oder
peripher beschäftigt, Gedankliches und Gefühlhaftes, Geschehnis und
Zustand, ernste Lehre und lachende Sinnlosigkeit, Zeitereignis und
Herzensbewegung, religiöse Ergriffenheit und Hühnergegacker,
Bericht, Monolog und Dialog." (Müller
1925, S.10)
Zudem sprach man gerne wie z. B. »Georg
Rodolf Weckherlin (1584-1653) in einer der ersten Liedsammlungen
des 17. Jahrhunderts von Oden und Gesängen. Ebenso benutzte
man das Wort Arie, wenn ein Lied einen Strophenaufbau besaß.
Es ist wohl auf ▪ Martin Opitz
(1597-1639) zurückzuführen, dass im Barock sich "das Lied
zu einer literarischen Gattung mit Eigengewicht zu entwickeln beginnt". (ebd.,
S.424)
Dass Opitz "dem Konzept »Lied« auch in der
deutschen Dichtung eine spezifische textliche Qualität" (Meier
2007, S.423) abgewinnen konnte, förderte die weitere Entwicklung zu
einem deutschsprachigen Kunstlied analog zur sonstigen ▪ "Kunstdichtung" im ▪ Barock
(1600-1720). Dieses "Kunstlied machte von seinen technischen Herausforderungen
her einen professionellen Komponisten" (Wels 2018,
S.312) erforderlich und verlangte diesem ab, "die natürliche Betonung der Wörter mit den
Anforderungen der Musik [zu] vermitteln". (ebd.,
S.310) Neben den neuen Kunstliedern gab es aber auch viele Volkslieder, die
seit dem Mittelalter vor allem mündlich tradiert worden sind.
Dass Opitz dabei nicht von Lied, sondern von Lyrica oder Oden
spricht, soll wohl die Abwendung von der älteren volkssprachlichen
Lieddichtung verdeutlichen und die Lyrica als
Kunstlieder dem gelehrten
Kunstanspruch der neuen volkssprachlichen ▪ "Kunstdichtung" unterwerfen.
Als Folge der in seinem »Buch
von der Deutschen Poeterey" (1624) noch nicht von der
Ode abgehobenen Vorstellung von
Gelegenheitsdichtung (carmina) verlangen »die Lyrica oder getichte
die man zur Musik sonderlich gebrauchen kan« (Opitz
1979/2002, S.33) vor allem »ein freyes lustiges gemuete« (ebd.).
Sie sollen mit »schoenen spruechen vnnd lehren haeufig gezihret sein« und
den folgenden Themen vorbehalten sein »buhlerey / taentze / banckete /
schoene Menscher / Gaerte / Weinberge / lob der maessigkeit / nichtigkeit
des todes / etc. Sonderlich aber vermahnung zue der froeligkeit.« (ebd.)
Für Opitz ist damit die "Sangbarkeit, also Liedhaftigkeit" (Burdorf
32015, S.2) das maßgebliche Kriterium für das lyrische
Gedicht, das er eben auch mit dem aus dem Griechischen kommenden Ausdruck »Ode«
(Gesang) bezeichnet. Während er für die anderen Dichtarten ein strenges
Formbewusstsein fordert, billigt Opitz den lyrischen Gedichten eine
aufgelockerte Darstellungsweise zu." (Burdorf
32015, S.2)
Einen großen Anteil an der Verbreitung und Popularisierung der Kunstlieder hatten
gesellige Lieder-Kreise und lyrische Zentren (z. B. in Königsberg um »Simon
Dach (1605-1659), in Hamburg um »Johann
Rist (1607-1667)), die «
Liederbüchermit Noten herausbrachten. So wurden
immer mehr Gedichte, darunter auch zahlreiche von
Paul
Fleming (1609-1640) und ▪
Martin Opitz (1597-1639), im Nachhinein vertont.
Aber nicht nur die ▪ Nachvertonung ist gängige Praxis. Im 17. Jahrhundert ist
es durchaus noch üblich, dass sich ein Dichter einer bekannten Melodie
bediente, um die Verbreitung seines Gedichtes zu fördern.
Dass auch ▪ Martin Opitz
(1597-1639), der mit seinen in den »Teutschen
Poemeta« von 1624 veröffentlichten Liedern sehr erfolgreich gewesen ist,
mit seinen Gedichten alte bekannte Melodien neu betextete, ohne diese
Melodien zu nennen, kann man als Versuch sehen, dass er damit Neuvertonungen
anregen wollte. (vgl.
ebd., S.319)
Aber natürlich gibt es auch andere Erklärungen. Es kann Opitz auch darum
gegangen sein, damit seine Urheberschaft am Text zu unterstreichen, zumal
die Texte der Lieder in dieser Zeit wohl weit wichtiger waren als die
Melodien, die kaum von größeren Wert waren als der sonstige Buchschmuck.
Denkbar ist auch, dass er angesichts der modischen Kurzlebigkeit von
Melodien, seine Texte davor bewahren wollte, wie jene einfach unmodern zu
werden. Und zuguterletzt ist nicht von der Hand zu wesen, dass Opitz später,
ähnlich wie auch Paul Fleming "seine Lieder als Buchlyrik verstanden wissen
wollte" (van
Ingen 1979, S.6) Womöglich hängt Letzteres auch mit einer aus der
lateinischen Humanistendichtung stammenden Tradition zusammen,, Gedichte und
Lieder ausschließlich für die lesende Rezeption vorzusehen und Opitz aus
diesem Grund auch wenig Interesse am Musikalischen hatte. So könnte es also
durchaus plausibel sein, "daß Opitz in seinem Bestreben, die deutsche Lyrik
an die damalige Weltliteratur anzuschließen, sich auch in dieser Hinsicht
von der heimischen Tradition des Liederbuchs distanzieren wollte, wie er
überhaupt die deutsche volkstümliche Dichtung ignorierte." (ebd.n
1979, S.6f.)
Singen und die Ausbildung einer Jugendkultur
Welche Bedeutung die
die neuen auf dem Prinzip der Alternation beruhenden Kunstlieder
und die älteren deutschen Volkslieder, die "besonders anfänglich für
dialektale Einsprengsel, für Tonbeugungen und überhaupt eine regellose
Sprache" (Aurnhammer/Detering
2019, S.159) standen, im Alltagsleben haben konnten, dürfte unterschiedlich gewesen sein.
Die
Leipziger Dichter scheinen jedenfalls sehr oft "in gemischt-geschlechtlichen
Gesellschaften"
singend und alkoholisiert vor den Toren der Stadt
herumgezogen zu sein und dabei das andere Geschlecht umworben zu haben.
Gerade für die Annäherung der Geschlechter in der Öffentlichkeit und in den
Ritualen der Eheanbahnung spielte das Singen und Tanzen eine äußerst
wichtige Rolle. (vgl.
ebd., S.322)
Singen war Teil der
damaligen Jugendkultur. Insbesondere die
Liebeslieder oder wie man in dieser Zeit auch sagte, die "Buhlereyen", von
denen es auch in den »Teutschen
Poemeta von ▪ Martin Opitz
(1597-1639) zahlreiche gibt, kursierten als Einblattdrucke unter jungen
Leuten, die lesen konnten. Daneben gab es auch Liederbücher und
volkssprachliche Liedanthologien wie z.B. »Theobald
Hocks (1573-1624) »Schönes
Blumenfeldt
aus dem Jahr 1601, die sich in Deutschland vorwiegend an italienischen
Vorbildern orientierten, aber wohl keine sonderlich große Verbreitung
fanden. (vgl. Meid
2009, S.105)
In den Niederlanden hatte sich die Gesangskultur im Zuge der von der
Reformation inspirierten Psalmproduktion (vgl.
Roberts 2012
S. 194) besonders stark entwickelt. Über Produktion von geistlichen Liedern
hinaus, wurden für alle möglichen gesellschaftlichen Anlässe eigens Lieder
verfasst und gesungen. Das Sprechen in Reimen und das eigenständige Reimen
war ebenso gängiger Unterrichtsgegenstand wie das Kontrafazieren, d. h.
schon bekannte Melodien mit neuen Reimen zu versehen.
Es kursierten geistliche Liederbücher ebenso wie rein weltliche und eine
ganze Reihe von Liederbüchern, die sich zwar den Anstrich gaben,
hauptsächlich der Unterhaltung zu dienen, aber doch hauptsächlich
didaktische Funktion besaßen und religiöse und moralische Inhalte
verbreiten sollten. Dementsprechend wurden vor allem die Titelkupfer so
anmutend, oft mit »Cupido-Motiven gestaltet, damit sie gerade auch die jungen
Leute ansprachen. Vor allem »Jacob
Cats (1577-1660) hatte damit viel Erfolg, weshalb auch andere seinem
Beispiel folgten und mit aufwändigen Titelkupfern und Illustrationen, die zu
Assoziationen einluden, ihre Werke ausgestattet haben. (vgl.
ebd. S. 195)
Der Inhalt der Liederbücher von Cats zeichnete sich dabei stets durch ihre
"praktische, auf die Verhältnisse der bürgerlichen Mittelschicht
zugeschnittene Lehrhaftigkeit" (Van Gemert, zit. n. Jungmayr 2009, S.140,
Dröse S.229) aus.
Auch wenn solche Titelgestaltungen junge Leute beiderlei Geschlechts
ansprechen sollten, zielten sie doch vor allem auf junge Frauen. Manche der
Titel gaben dazu Aufschluss über den Familienstand junger Frauen, wenn sie
sich direkt an Mädchen und Jungfrauen richteten. In jedem Fall waren es vor
allem junge Frauen, die die Liederbücher rezipierten. Sie mochten das Singen
offenbar einfach und offenbar galt das Singen, das lässt sich auch in
zahlreichen Gemälden und Emblemen der Zeit feststellen, eher als eine
weibliche als eine männliche Charaktereigenschaft. (vgl.
ebd. S.196)
Ein Liederbuch an eine Dame zu verschenken, war dagegen ein für die
werbenden Männer wohl immer ein geeignetes und gern gesehenes Geschenk.
Wer Anfang des 17. Jahrhunderts als junge Frau eine schöne Stimme hatte, war
unter herrschenden Werberitualen, die die Annäherung der Geschlechter
regelten, durchaus im Vorteil. Allerdings ist auch davon auszugehen, dass
die Liederbücher, was das anging, nicht unbedingt dem Alltag der jungen
Leute abbildeten, sondern eher Klischees frühneuzeitlicher Werberituale.
(vgl. ebd.
S.206)

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Dies wird auch in den Abbildungen, in Gemälden und Kupferstichen, die
singende und musizierende Paare zeigen, immer wieder deutlich. In solchen
Darstellungen spielt der junge Mann meistens die Laute und begleitet damit
das Singen der bei ihm weilenden jungen Dame. Was solche Darstellungen
symbolisierten, entsprach auch dem Idealbild der Geschlechterbeziehung in
der Ehe, nämlich die Harmonie der Eheleute (nicht zu verwechseln mit
Gleichberechtigung). (vgl.
ebd. S.207)
Natürlich darf man sich die Begegnung unverheirateter junger Leute beiderlei
Geschlechts aus dem wohlhabenden Bürgertum nicht so vorstellen, als sei
Singen und Musizieren, die einzige Möglichkeit gewesen, wie sie sich
näherkommen und in geradezu unschuldiger Weise miteinander Kontakt aufnehmen
konnten. Es war nur die am weitesten verbreitet. Wenn sie sich im Rahmen der
konventionellen Werberituale bewegten, war Flirten, gegenseitiges Berühren
und Küssen durchaus üblich. (vgl.
ebd. S.207)

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Unter allen diesen Vorzeichen waren die Liederbücher außerordentlich beliebt
unter den jungen Leuten, die die in den wohlhabenden städtischen Zentren
aufwuchsen. (vgl.
Roberts 2012 S. 188). Insbesondere die populären Liederbücher Anfang des
17. Jahrhunderts hatten einen großen Anteil daran, dass sich den
Niederlanden in den 1610er und 1620er Jahren eine mehr oder weniger
zusammenhängende städtische Jugendkultur entwickelt hat.
Die Bestseller auf dem Liederbuchmarkt
Eines
dieser Bücher, das sich großer Beliebtheit auch in Deutschland erfreute und
vor allem ein bevorzugtes Geschenk an junge bürgerliche oder adlige Damen
war, war die Anfang des 17. Jahrhunderts erschienene niederländische
Liedsammlung »Den
Bloem-Hof Van de Nederlantsche Jeucht« (1603).
Die Sammlung geht wohl
auf den Amsterdamer Kreis der »Rederijker« zurück und verbindet die ältere
Sangart mit der neuen Renaissance-Kunst. Auch Opitz hat häufig auf sie
zurückgegriffen. (vgl.
Garber 2018,
S.441)
In der Liedsammlung sind zahlreiche Sonette, Elegien und Lieder zu
verschiedenen Gelegenheiten wie z. B. Hochzeit, Geburt oder Tod, aber auch
etliche Liebeslieder enthalten. Eine solche Liedsammlung stellte allerdings
"keine esoterische 'Kunst'" dar, sondern war "ein Kultbuch der Jugend,
das man als modebewusster junger Mensch der Zeit kennen musste und in dem "man heimlich
las und das man unter den Gebetbüchlein versteckte, wenn die Eltern das
Zimmer betraten." (Wels 2018,
S.322f.)
Neben dem Bloem-Hof
waren aber auch andere, der meist aufwändig gestalteten und illustrierten
Liederbücher aus den städtischen Zentren der Niederlande in Deutschland
bekannt und haben etliche Barockdichter beeinflusst. (vgl.
Bornemann 1976)
Sie dürften wohl auch Martin Opitz bekannt gewesen sein.
Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die Liederbücher von »Gerbrand
Adriaenszoon Bredero (1585-1618) und »Jan Janszoon Starter
(1593-1626), die wohl auch Martin Opitz
bekannt gewesen sein dürften. Ihre Themen wie das gemeinsame Bootfahren,
Ausfahrten in einem Freizeitwagen, Feiern am Strand und das Singen und
Spielen auf Gartenpartys war genau das, was die jungen Leute interessierte.
(vgl.
Roberts 2012 S. 211) Die Freizeitaktivitäten und -handlungen, die in
ihnen beschrieben und besungen wurden, schufen damit ein gemeinsames Lebens-
und Wir-Gefühl von (wohlhabenden) Jugendlichen in unterschiedlichen Städten,
das in den Niederlanden besonders ausgeprägt gewesen ist. Die jungen
Songwriter wie Bredero und Starter waren, durchaus ähnlich wie heute in der
populären jugendlichen Musikszene Popstars. Wenn sie auf den Straßen von
Amsterdam oder sonstwo auftraten, kamen die jungen Leute zusammen, tanzten
und sangen mit ihren Idolen ihre Songs und Schlager gemeinsam, nicht anders
wie es heute oftmals auf einem großen Popkonzert passiert. Wenn es
Brautpaaren gelang, einen wie Starter für ihre private Hochzeitsfeier zu
engagieren oder als Ehrengast begrüßen zu können, wurde die Feier zu einem
zeitgenössischen "Pop-Event", auch wenn dem Sänger der Ruf eines Bohemian
vorausging und ein durch und durch chaotischer Lebensstil nachgesagt wurde.
(vgl.
ebd. S. 209ff.)

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Der Liederbuch-Boom in den Niederlanden war jedoch um 1640 zu Ende und die
Zahl der neu veröffentlichten Liederbücher brach nach und nach ein. Junge
Männer interessierten sich mehr und mehr für Jahrmarktsthemen und
Trinkgelage und wandten von solchen "unschuldigen" Darstellungen der
Geschlechterannäherung ab und versorgten sich auf dem illegalen Markt mit
pornographischen Romanen, die ihre Fantasie beflügelten.
Neben dem Bloem-Hof
stand der »"Friesche
Lusthof" (auch: »Google
Books) von »Jan Jansz. Starter
(1593-1626) in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts bei den
Jugendlichen besonders hoch im Kurs und avancierte zu dem beliebtesten
Liederbuch der 1620er Jahre und des 17. Jahrhunderts. Es enthielt Embleme,
Verse unterschiedlicher Art, Hochzeitsgedichte und Trinklieder und drehte
sich thematisch um Fragen und Probleme bei der Geschlechterannäherung und
Partnerwahl. Es richtete sich an junge Leute, die gerne sangen, tanzten und
musizierten. Die ersten Ausgaben, die von diesem Liederbuch veröffentlicht
wurden, waren so luxuriös und aufwändig gestaltet, dass es sich wohl nur
Wohlhabende leisten konnten. vgl.
ebd. S. 210)
Dass diese Lektüre nicht von allen erwachsenden Moralaposteln gern gesehen
wurde, versteht sich. So hat sich Mitte des 17. Jahrhunderts ein
Rotterdamer
Prediger darüber aufgeregt, das er bei seinen Besuchen im Hause junger Damen
neben Puderdöschen, dem Rouge, dem Lippenstift auch eine Reihe weltlicher
Liederbücher mit ihren verwerflichen Liebesliedern vorgefunden habe, aber
von einer Bibel und oder einem geistlichen Gesangbuch im ganzen Zimmer
nichts zu sehen sei. (vgl. Wels 2018,
S.323)
Unter Umständen hat der
Prediger dabei aber auch schon auf den Trend der Lieder und Liederbücher des
mittleren 17. Jahrhunderts reagiert, die sich durch eine Stilmischung
auszeichneten, "bei der gelehrte Topoi, unter anderem aus dem Motivarsenal
des Petrarkismus und der antiken Mythologie, mit grobianischer 'Deftigkeit',
also den Ausdrucksmitteln der älteren autochthonen Tradionen, kombiniert
werden." (Dröse S.229) Diese Stilmischung kennzeichneten z. B. die
Liederbücher von Gabriel Voigtländer (Oden), Jacob Schwieger (Liebes=Grillen
1654-56 und Flüchtige Feld=Rosen 1655), Kaspar Stielers Geharnschte Venus
(1660) oder die Sammĺungen Gottfried Finckelthaus Deutsche Oden oder Gesänge
(1638ff.)
Emblembücher
Neben Kriegs- und
Abenteuerromanen und den Liederbüchern waren »in
den Niederlanden Emblembücher besonders beliebt.
Die mit ihren illustrierenden Kupferstichen besaßen Emblembücher stets einen
besonderen Wert. Besonderer Beliebtheit unter jungen Leuten erfreuten sich
dabei die später nach dem Titel eines von »Daniel
Heinsius (1580-1655) veröffentlichten Buches allgemein
»Emblemata
amatoria genannten Veröffentlichungen. Emblembücher dieser Art
brachten zum Ausdruck, was junge Menschen aus wohlhabenden Milieus in den
Niederlanden beschäftigte.
Die von »Jacob
Cats (1577-1660) (Sinn’-en-Minne-beelden =
"Sinn- und Liebesbilder“) und Spiegel
van den Ouden ein Nieuwen Tijdt (=
Spiegel der alten und der neuen Zeit“) veröffentlichten Emblembücher
vermittelten zwar in literarisch anspruchslosen Versen mehr oder weniger
einfache, allgemeingültige Wahrheiten, doch tat dies ihrer Beliebtheit
offenbar keinen Abbruch. Vielleicht lag dies auch daran, dass sein "Sinn’-en-Minne-beelden" nicht
nur spröde und langweilig moralisierten, um die calvinistischen Prinzipien
der Lebensführung zu verbreiten, sondern bei jedem Emblem zwei alternative
Lösungen angeboten hat: Die geistlich richtete sich an den Verstand (sinne),
die weltlich dagegen auf die Liebe (minne). Cats verwendete die gleichen
Sinnbilder mehrfach in Büchern mit unterschiedlichen Titeln, das gilt auch
für Monita Amoris Virginei, Amsterdam 1620 (eine deutsche Übersetzung
dieser Schrift erschien 1723 in Augsburg unter dem Titel »Neueröffnete
Schule Vor das noch ledige Frauenzimmer Welche darinnen Durch 45 erfundene
Sinn-Bildern von dem hochgelehrten Herrn Doctor Jacob Cats aufs beste
unterrichtet wird). Die darin enthaltenen Sinnbilder drehen sich z. B.
um die folgenden Fragen:
"Ob es rathsam seye
sich zu verheuraten ...
Keine Heurath leichtfertig und ohne Vorwissen der Eltern anzufangen ...
Ob es einer Jungfrauen wohl anständig, aus eigner Bewegung ihre Eltern
zu reitzen, daß sie möchte verehelicht werden ...
Eine gute Gelegenheit zu einer glücklichen Heurath soll man nicht
leichtgertig lassen aus den Händen gehen ...
Ob, und wie ´fern eine Jungfrau ihre Verheurathung möge befördern und
forttreiben
Bedencken. ob es einem Vater wohl anstehet, seine Tochter, ohne daß sie
angesprochen wird, abzubiethen? und durch was Mittel ohne Verletzung der
Tochter solches geschehen könnte? ...
Ohnegefehr vorkommende Anmerckungen über die Art der Kleidung von
Jungfrauen ...
Grosse Freyheit im Heurathen ist schädlich ...
Schöne Worte, und grosses Verspreche eines zur Unkeuschheit verführenden
Liebhabers muß man verdächtig halten ...
Ob es einer Jungfrau geziemet, jemand zum Zeit-Vertreib zu unterhalten,
und bißweilen mit Junggesellen Scherz zu treiben ...
Ob es erlaubt sey, daß Jungfrauen an Junggesellen etwas schenken, oder
von ihnen nehmen sollen ..
Bedencken über die Wahl eines Mannes? ....
Ob es wohl übereinkommt, ein gr0sser Liebhaber der Bücher, und zugleich
einer Frauen zu seyn? ...
Daß man den Grund des Ehstandes nicht legen muß auf närrische
Kälber-Liebe, und was vor Beschwerlichkeit, wann es geschiehet, darum
entstehet ...
Mehr auf das Gemüth als äusserliche Ansehen eines Menschen zu sehen ...
Anmerckungen, ob es rathen sey, eine Jungfrau an einen alten Mann oder
Witwer mit Kindern zu verheurathen? ..."
1601 veröffentlichte der humanistische Gelehrte »Daniel
Heinsius (1580-1655) unter einem Pseudonym (Theocritus a Ganda – Daniel
von Gent) erstmals sein Emblembuch »Quaeris
quid sit amor (= Du willst wissen, was Liebe ist?) zu Kupferstichen
von »Jakob
de Gheyn II. (1565-1629) Als erstes seiner Art widmete es sich
ausschließlich dem Thema der weltlichen Liebe. Später erhielt es den Titel
»Emblemata
amatoria und die darin enthaltenen Gedichte wurden 1616 in
die Sammlung »Nederduytsche
Poemata (= Niederländische Dichtungen) von Heinsius unverändert
übernommen.
Populäre Schlagertexte
in Deutschland
Deutschland kennt
in dieser Zeit wohl keine ähnlich ausgeprägte Jugendkultur, auch
wenn sich dies sicherlich sehr unterschiedlich gestaltet hat. Die
Liederbuchkultur und ihr Boom in den Niederlanden hat Deutschland
nicht wirklich erreicht, wenngleich der
Bloem-Hof
stand der Friessche Lusthof
auch hier bekannt waren. Eine vollständige Übersetzung in die
deutsche Volkssprache gab es jedoch davon nicht.
Dass sich indessen
die Freizeitaktivitäten der jungen Leute in deutschen Städten, bei
allen Unterschieden, und die der jungen Leute in Amsterdam,
Antwerpen oder Leiden ähnelten, darf vorausgesetzt werden, da es ja
immer um Probleme und Modalitäten der Anbahnung von
Geschlechterbeziehungen im Bürgertum ging. Dass das Singen auch Teil
der Jugendkultur(en) in deutschen Landen gewesen ist, steht also
nicht in Zweifel.
Die Schlager, die
sie bei ihren Begegnungen anstimmten, waren entweder mündlich
tradiert oder kursierten auf auf erschwinglichen Einblattdrucken. "Songbooks"
mit "Songs" von
»Gottfried
Finckelthaus (1614-1648), ein Freund von
»Paul Fleming (1609-1640), ▪
Christian Brehme
(1613-1667) (z. B. ▪
An die
verenderte Magdalis.) und anderen, die überregional
Bedeutung besaßen, gab es wohl nicht.
Und doch waren
Schlagertexte, wie der von
»Gottfried
Finckelthaus (1614-1648) in aller Munde.
"Doch bin ich allzeit frey vnd nicht zu binden: Wo Schöne Damen sind laß ich
mich finden. (Gottfried Finckelthaus: Deutsche Gesänge. Hamburg 1640, f. B7r
(„Eben der“))."
Aber natürlich
wurden auch viele andere Gedichte, darunter auch viele der in den »Teutschen
Poemeta von ▪ Martin Opitz
(1597-1639) enthaltenen und immer wieder vertonten Gedichte, Schlager,
wovon er ja selbst in einem ▪
Brief aus dem Jahr 1928
spricht. Dass er viele seiner Gedichte
auf beliebte Melodien gedichtet hat oder Lieder aus anderen
europäischen Nationalsprachen umgedichtet hat, betont die
Sangbarkeit und damit auch das "Schlagerprotenzial" solcher Lieder.
Sein "amouröses
Pesuasionsgedicht" (Aurnhammer/Detering
2019, S.160) ▪
Ach Liebste, lass uns eilen (1624), das auf einer anonymen
französischen Liedvorlage beruht, wurde ein Schlager. Es entfaltet
sein Schlagerprotential wohl auch dadurch, dass Opitz die Vorlage
konzentriert und "den sentenziösen Schluss (verstärkt)." (ebd.)
Die literarische Vorlage ist jedenfalls schon im 17. Jahrhundert
außergewöhnlich populär gewesen und aus diesem Grund auch vertont
worden. Und das gleiche geschah wohl auch mit dem Lied von Opitz,
wenn es nicht noch mit der bekannten französischen Melodie gesungen
wurde. Jedenfalls kam es dazu, lange bevor es »Johann
Gottfried Herder (1744-1803) unter dem Titel »"Eile
zum Lieben" in seine 1779 veröffentlichte »Volksliedsammlung
aufgenommen hat. (vgl.
ebd.)

Auch die „Deutschen Poemata“ des zwanzigjährigen Martin Opitz, wie sie
Zincgref 1624 herausgegeben hatte, waren voll von Liebesliedern und „Buhle-
reyen“. " (Wels 2018,
S.322f.)
Das niederländische Original stammt von Gerbrand Adriaenszoon Bredero.45
Auch das ist ein „Liedlein“ und also für den Gesang geschrieben. Es ist
offensicht-lich, dass es nur bestimmte Situationen waren, in denen es
gesungen werden konnte und dass diese Situationen nichts mit einer
Konzertsaal-Aufführung im Sinne des 19. Jahrhunderts zu tun hatten. Auch
hier wird man wieder an die Rezeptionsformen populärer Musik denken
müssen. Ein solches Lied, gesungen zur Laute oder als Einblattdruck
verschenkt, bestätigt den Befund des Musikwissenschaftlers Nils Grosch,
dass in der Frühen Neuzeit Lieder als „Kommunikationsmittel für emotionale
Botschaften“ verwendet wurden. Ähnlich wie Bildquellen aus der Zeit
zeigen, dass »das Singen zur Laute einen auffälligen Bezug zum
Geschlechterverhalten junger Menschen« aufweist, ist das Liebeslied Aus-
druck einer städtisch geprägten Jugendkultur. Die kunstvolle Aufmachung des
»Bloem-Hof« genauso wie die der »Deutschen Poemata« dokumentiert nicht
nur den intellektuellen Anspruch ihrer Verfasser, sondern auch den Anspruch,
Teil einer modischen, populären Avantgarde zu sein. In seiner erotischen Deutlichkeit ist das »Fieberliedlein« bei Opitz eine
Aus-nahme. Hier dürften es deshalb auch nicht die fehlende Alternation und
die Apo-kopen gewesen sein, die Opitz dazu veranlassten, dieses Gedicht in
die Samm lung von 1625 nicht mehr mit aufzunehmen (beides wäre leicht zu
korrigieren gewesen), sondern die offensive Weltlichkeit dieser erotischen
Dichtung. Gerade die populäre, weltliche Liedkultur war den schärfsten
Angriffen von Seiten der Theologen ausgesetzt. Seit Luther hatte es
insbesondere auf protestantischer Seite nicht abreißende Versuche gegeben,
das weltliche Lied durch Kontrafazierung – also Beibehaltung der Melodie bei
Ersetzung der weltlichen durch geistliche Texte – für die Propaganda
christlicher Ideale einzusetzen. Auch das illustriert ex negativo die
Bedeutung, die die populäre Liedkultur gehabt haben muss. (Wels
2018, S.325f.)
▪
Barock (1600-1720)
▪
Lyrik des Barock
▪
Überblick
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Formtypologische Elemente der
Barocklyrik ▪
Vanitas-Lyrik
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Barocke Liebeslyrik
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.12.2023
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