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Aspekte der Analyse und Interpretation

Ein Schlager des Barock

Martin Opitz, Ach Liebste, lass uns eilen (1642)

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren Martin Opitz (1597-1639) Kurzbiografie: Stationen eines Gelehrtendichters in unsicheren Zeiten   Lyrische Texte
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Martin Opitz (1597-1639) hat viele seiner in den »Teutschen Poemeta enthaltenen Gedichte  auf beliebte Melodien gedichtet oder Lieder aus anderen europäischen Nationalsprachen umgedichtet. Das war zu seiner Zeit ein übliches Verfahren ebenso wie die ▪ Nachvertonung von Gedichten.

Für Opitz zeichnen sich die sogenannten lyrischen Gedichte (lyrica), die er noch nicht von der Ode unterscheidet, als Gelegenheitsdichtung (carmina) vor allem durch ihren engen Bezug zur Musik und ihrer Sangbarkeit aus. Damit legt er den Grundstein dafür, dass sich das Lied im Barock "zu einer literarischen Gattung mit Eigengewicht zu entwickeln beginnt". (Meier 2007, S.424),

In seinem »Buch von der Deutschen Poeterey" (1624) verlangen »die Lyrica oder getichte die man zur Musik sonderlich gebrauchen kan« (Opitz 1979/2002, S.33) vor allem »ein freyes lustiges gemuete« (ebd.). Sie sollen mit »schoenen spruechen vnnd lehren haeufig gezihret sein« und den folgenden Themen vorbehalten sein »buhlerey / taentze / banckete / schoene Menscher / Gaerte / Weinberge / lob der maessigkeit / nichtigkeit des todes / etc. Sonderlich aber vermahnung zue der froeligkeit.« (ebd.)

Für Opitz ist damit die "Sangbarkeit, also Liedhaftigkeit" (Burdorf 32015, S.2) das maßgebliche Kriterium für das lyrische Gedicht, das er auch mit dem aus dem Griechischen kommenden Ausdruck »Ode« (Gesang) bezeichnet. Während er für die anderen Dichtarten ein strenges Formbewusstsein fordert, billigt Opitz den lyrischen Gedichten eine aufgelockerte Darstellungsweise zu." (Burdorf 32015, S.2)

Aber nicht nur die ▪ Nachvertonung ist gängige Praxis. Im 17. Jahrhundert ist es durchaus noch üblich, dass sich ein  Dichter einer bekannten Melodie bediente, um die Verbreitung seines Gedichtes zu fördern. Man betextete, ähnlich wie wie heutigen Cover-Versionen in der populären Musik, altbekannte Melodien neu und nutzte damit die Melodie als Container für seinen eigenen neuen Text.

Diese Praxis war keineswegs anrüchig, sondern entfaltete ihren eigenen Reiz. (vgl. Wels 2018, S.318f.) Dass auch ▪ Martin Opitz (1597-1639), der mit seinen in den »Teutschen Poemeta« von 1624 veröffentlichten Liedern sehr erfolgreich gewesen ist, mit seinen Gedichten alte bekannte Melodien neu betextete, ohne diese Melodien zu nennen, kann man als Versuch sehen, dass er damit Neuvertonungen anregen wollte. (vgl. ebd., S.319)

Wurde eine populäre Melodie neu betextet, konnte diese "Cover-Version" zu einem Schlager werden, einem leicht eingänglichen, oft auch ebenso leicht instrumental zu begleitenden Lied werden, das ein unter den damaligen Kommunikationsverhältnissen so etwas wie ein Hit wurde oder wie man seinerzeit sagte, ein Gassenhauer, der bei allen möglichen, passenden und unpassenden Gelegenheiten gesungen wurde.

Handelte es sich um Liebeslieder, dann wurden sie wohl, ähnlich wie heute, am ehesten von jungen Menschen gesungen. Sie brachten im Idealfalle, wenn auch noch so idealisiert und Triebbedürfnisse subliminierend, zum Ausdruck, wie bestimmte ▪ Entwicklungsaufgaben der ▪ Adoleszenz zeit- und mehr oder weniger konventionsgemäß zu bewältigen waren und dienten in rituellen Formen der Annäherung der Geschlechter. Zugleich schufen sie so etwas wie ein jugendliches Wir-Gefühl.

Ob bestimmte Lieder Schlager wurden, hing von etlichen Faktoren ab. Angesichts der Tatsache, dass es noch keine Medien gab, die über Orte und Regionen hinweg, so etwas wie eine mehr oder weniger einheitliche Jugendkultur, wenigstens in den Städten, schaffen konnten, war die Tatsache, ob ein Lied wirklich zum Hit werden konnte, regional sicher sehr unterschiedlich.

Während sich ▪ in den Niederlanden im frühen 17. Jahrhundert Niederlande eine über verschiedene städtische Regionen reichende Jugendkultur entwickelte, die ihr Entstehen u. a. der weitreichenden Verbreitung von äußerst populären ▪ Liederbüchern verdankte, die sich mit den Themen beschäftigen, die junge Leute umtrieben und jungen Männern und Frauen bestimmte Freizeitaktivitäten anboten, um sich kennenzulernen, kamen solche Liedtexte in Deutschland vor allem als Einblattdrucke auf den Markt.

Dass indessen die Freizeitaktivitäten der wohlhabenden jungen Leute in deutschen Städten, bei allen Unterschieden, und die der niederländischen große Schnittmengen aufwiesen, darf vorausgesetzt werden. Auch in deutschen Landen war Singen Teil der Jugendkultur(en). Hie wie dort ging es dabei doch, wenn es sich nicht gerade um Trinklieder handelte, um Probleme und Modalitäten der Anbahnung von Geschlechterbeziehungen im Bürgertum.

Die Lieder, die sie bei ihren Begegnungen anstimmten, waren entweder mündlich tradiert oder kursierten auf auf erschwinglichen Einblattdrucken. "Songbooks" mit "Songs" von »Gottfried Finckelthaus (1614-1648), ein Freund von »Paul Fleming (1609-1640), ▪ Christian Brehme (1613-1667) (z. B. ▪ An die verenderte Magdalis.) und anderen, die überregional Bedeutung besaßen, gab es wohl nicht.

Und doch waren Schlagertexte, wie der von »Gottfried Finckelthaus (1614-1648) in aller Munde.

"Doch bin ich allzeit frey vnd nicht zu binden: Wo Schöne Damen sind laß ich mich finden. (Gottfried Finckelthaus: Deutsche Gesänge. Hamburg 1640, f. B7r („Eben der“))."

Auch das Lied ▪ Ach Liebste, lass uns eilen (1624)  von ▪ Martin Opitz (1597-1639) das auf einer anonymen französischen Liedvorlage beruht, wurde ein Schlager.

Das "amouröse Persuasionsgedicht" (Aurnhammer/Detering 2019, S.160) hat dabei alles, was einen Hit ausmacht. Es hat ein anmutendes Thema, greift auf bekannte Motive zurück, die seine Aussage zwischen dem zeittypischen Carpe diem und Memento mori oszillieren lässt, um am Ende doch mit der Aufforderung zum Liebesgenuss in einer "kunstvoll verrätselte(n) und zusammenfassende(n) Schlusspointe" (Segebrecht 1982, S.145)  zu enden.

Das Versmaß mit dem von Opitz seinem Kunstlied zugrundegelegten Prinzip der Alternation, dem regelmäßigen Wechsel der Versmaße schafft einen einheitlichen Aufbau. Im vorliegenden Fall besteht es aus dem kreuzgereimten Wechsel von Versen mit einem dreihebigen Jambus mit unbetonter Endsilbe (weiblicher Kadenz) und Versen mit einem zweihebigen Jambus mit männlicher Kadenz.

Die vierzeilige Strophenform und der jambische, kreuzgereimte Dreiheber mit alternierenden Kadenzen sind typische Merkmale der Volksliedstrophe. die aber auch andere Strophenformen kennt. So gibt es auch Volkslieder mit sechszeiligen Strophen mit dem Reimschema aa bccb (= Schweifreimstrophe), mit siebenzeilige Strophen und unterschiedlichen Reimschemata, mit achtzeiligen Strophen und zwei Kreuzreimquartetten (abab cdcd) oder mit neunzeiligen Strophen, bei denen zum zweiten Quartett eine Waise hinzukommt ( z. B. abab w cddc oder abab ccdd w etc,)

Opitz nutzt außerdem für sein Gedicht ein anonyme französische Liedvorlage mit dem Titel "Ma belle je vous prie" aus einer zeitgenössischen Sammlung, die im 17. Jahrhundert schon bekannt und  vertont worden war. Das Lied ist jedenfalls schon im 17. Jahrhundert außergewöhnlich populär gewesen und aus diesem Grund auch vertont worden, lange bevor es »Johann Gottfried Herder (1744-1803) unter dem Titel »"Eile zum Lieben" in seine 1779 veröffentlichte »Volksliedsammlung aufgenommen hat. (vgl. ebd.)

Vielleicht hat Opitz auch auf dieses Lied Bezug genommen, als er in einem Brief aus dem Jahr 1628 sein Erstaunen zum Ausdruck gebracht hat, wie populär einige seiner Lieder geworden waren:

"Ich trage hier jetzt auch den Lohn aus den Tändeleien davon, die ich fast noch als Jugendlicher in Heidelberg und anderswo mir ausgedacht habe. Denn aus jedem Haus, jeder Straße lärmt es von meinen Liedchen, die auf den Kreuzungen für den einen oder anderen kleinen Betrag verkauft werden. Ich wohne, wenn es den Göttern gefällt, meinem Ruhm bereits als Lebender bei, und ich ergötze mich an den Herzen der Mädchen und an den Mägden wie der launige Liebhaber eines Schauspiels. Jetzt, wo ich von diesen durch die Jahre verwischten Liedern Abstand gewonnen habe, hilft es doch, sich an die Vergangenheit zu erinnern."

(aus: Martin Opitz: Briefwechsel und Lebenszeugnisse. Kritische Edition mit Übersetzung. Hg. v.
Klaus Conermann unter Mitarbeit v. Harald Bollbuck. Berlin, New York 2009, S. 602 (lat. Original
S. 600f.). Brief vom 29.2. 1628., zit. n. zit. n. Wels 2018, S.318)

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 23.12.2023

 
 

 
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