"Die Sprechweise des Barock ist logozentrisch. Eine völlig
unträumerische Wachheit – aber nicht nüchtern, vielmehr begeisterungs- und
spielfreudig – ist sich ständig über die sittlichen und körperlichen
Schwächen des Ichs, über alle Hinfälligkeit und den Tod klar. Die Schrecken
des Vergehens und Verwesens können sogar in Liebes- und Scherzsonette
einfließen. So selbstverständlich sind sie [...]. Alle Phänomene, die die
Dichtung aufruft, sind feste Größen, etwa auch das carpe diem, das keine
leichte oder rauschhafte Entpflichtung bedeutet, vielmehr Erfüllung einer
bestimmten Lebensstunde oder Lebenslage. Alles hat seinen Platz im theatrum
mundi, dessen Grundlinien zwar Gott gezogen, deren Ausfüllung er aber, mit
großem freien Spiel-Raum, dem Menschen überlassen hat. Die gegebenen Formen
sollte man neu und geistreich ausfüllen, ohne sie zu verletzen. So im Leben
wie in der Kunst. Kunst wächst aus Handwerk. Das Individuelle, zumal das
individuelle Gefühl, hat in der Kunst kaum Platz und Ausspracherecht. So
fest die Formen sind, es fehlt jeder Rigorismus. Der Schmerz über das
Vergehen: er ist eine "natürliche Regung" und lebt sich ebenso elementar aus,
wie an seinem Ort der Zorn oder die Schäfer-Abgeschiedenheit oder die
Wollust oder die Ermattung. Sie sollen alle in ihren Wesensfarben glühen
(welche doch zusammen harmonieren). Aber nicht soll aus der Rolle fallen."
(aus: Stöcklein, Paul (1956): Hofmannswaldau und Goethe: "Vergänglichkeit"
im Liebesgedicht, in:
Hirschenauer/Weber (Hg.)1956, S.77-98, h: S.96)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.12.2023