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Kurzbiografie
»Martin
Opitz (1597-1639)
zählt zu
einer Gruppe von humanistischen Gelehrtendichtern des Späthumanismus und des
▪
Barock, die im Zusammenhang mit der
allmählichen Ausbildung des frühmodernen Staates neben ihrer philologischen
Tätigkeit beim Übersetzen und Erschließen antiker Zeugnisse und Quellen vor
allem als Schicht gelehrter Beamte an den großen und kleinen Höfen der
Adeligen und in etlichen Stadtrepubliken Europas als "Räte" Dienst tat.
Diese, auf der Höhe der Wissenschaften der Zeit, umfassend gebildeten
Fachleute mussten daher auch keine adelige Herkunft mehr aufweisen, um im
unmittelbaren Kontakt ihren Herren als Ratgeber in allen Lebensfragen, vor
allem aber in politischen, ökonomischen und rechtlichen Geschäften zur Seite
zu stehen. (vgl.
Willems Bd. I 2012, S.62)
Wer zu dieser Gruppe gehörte, sah sich als Angehöriger einer geistigen
Elite. Sie war nach unserem heutigen Verständnis eine "Bildungs- und
Funktionselite, die von einem Studium her, das nicht selten durch
mehrere Länder und an die verschiedensten Universitäten geführt hatte, sowie
durch manch andere Formen des Austauschs bereits bestens vernetzt war, und
dies kreuz und quer durch Europa"
(ebd.,
S.62).
Mit solchen und anderen "Schlüsselqualifikationen" entsprach ihr Profil
passgenau den Erfordernissen der Zeit. Humanistische Gelehrte wie Martin
Opitz brachten ein vielseitig und flexibel nutzbares
»soziales
Kapital mit, das man für die vielen neuen, juristisch und administrativ
anspruchsvollen bürokratischen Aufgaben benötigte. Zugleich gewährte es
ihnen Optionen, einen wenigstens vom Lebensstil her privilegierteren Platz
in der Ständegesellschaft einnehmen zu können, auch wenn dieser
existenzieller Abhängigkeit von den adeligen Gönnern bezahlt werden musste.
Die
humanistischen Gelehrtendichter verfügten über eine solide philologische Vorbildung, Kenntnisse in Rhetorik und Poetik
und beherrschten neben der Volkssprache auch die dominierende Literatursprache
Latein aus dem "Effeff". Ihr kulturpolitisches Hauptziel war es, mit einer
Art Neubegründung der deutschen Literatur den
▪
Anschluss an die Entwicklung der Literatur anderer europäischer Länder
zu erreichen.
Mitunter hat man Opitz wegen der
Übernahme von Ämtern bei mal protestantischen, mal katholischen Mächtigen im
▪
Dreißigjährigen Krieg (1618-1648)
als
einen "gewissenlosen Höfling und unbegabten Poeten" (Jaumann
2002, S.193)
abgetan.
Gewiss hat er auch mit seiner
Panegyrik und seiner höfischen wie
auch geistlichen
Gelegenheitsdichtung (Kasualpoesie)
(▪ Gelegenheitsgedichten
(casualcarmina)Gelegenheitsgedichte
wie z. B. das ▪ für den
Grafen
Karl
Hannibal von Dohna
kräftig am Rad des Fürstenlobs mitgedreht und die dazu passende
Untertanengesinnung vermittelt, und doch ist Opitz "kein
Hofdichter" i.
e. S.
(vgl. Jaumann
2002, S.203).
Dies macht er auch durchaus selbstbewusst im Rahmen seines
▪
Lobgedichts für den Grafen
Dohna deutlich: "
"[...]
Ich bin kein Hofemann / ich kan nicht Rauch verkauffen
Nicht
küssen frembde Knie / nicht underthänig lauffen
Nach Gunst die gläsern ist;
mein Wesen / Gut und Ziehr
ist Lust zur Wissenschaft / ist Feder und Papier.
Diß sey dir ganz geschenckt / an stat der vielen Gnaden
Mit welchen du mich hast bisßher so sehr beladen
[...]"
Im Grunde war Opitz auch "kein Lehrer oder Professor – und
damit kein »Schulfuchs« und »gelehrter Pedant« –, sondern Diplomat in
höfischen Diensten." (Wels
2018, S.181)
Eben so wenig geht er als "verkannter Dichter" (ebd.)
durch, "der sich mit einem Brotberuf durchgeschlagen hätte, eigentlich aber
immer nur dichten wollte, wie man das aus dem späten 18. und 19. Jahrhundert
kennt, sondern Opitz war es gelungen, in die höchsten Ränge der Gesellschaft
vorzudringen, soweit man als Nicht-Adliger überhaupt in solche Ränge
vordringen konnte." (ebd.)
Die Ämter die er anstrebte, dienten ihm weniger dazu, "sich ungestört in die
Gelehrsamkeit einer akademischen Dichtung zurückziehen zu können, wie es die
neulateinischen Dichterphilologen an den Universitäten getan hatten, sondern
er wollte sich, als Inhaber eines »Amtes«, den »größeren vnd mehr wichtigen
Sachen“ (Opitz
(1979/2002) Poeterey (1624), S. 8), nämlich dem »geliebten Vaterlandt«
(Opitz ebd.)
widmen und damit demonstrieren, dass er – als Dichter – für diese Ämter
geeignet war. Damit wollte er das Vorurteil widerlegen, »man wisse einen Poeten
in offentlichen ämptern wenig oder nichts zue gebrauchen«“ (Opitz
ebd., S. 16)
Ihm und anderen schwebte dabei die ideale Existenz eines
Hofmannes (nicht pejorativ im Sinne von Höfling) vor, der
wichtige Ämter am Hof bekleiden, zugleich auch einen gepflegten sprachlichen
Ausdruck besaß und sogar Gedichte verfassen konnte.
Dieses Hofmanndideal richtete sich dabei gegen die
in Habitus und Gestus davon weit entfernte zeitgenössische Adelskultur.
Zugleich wandte es sich aber auch "gegen das Bild eines Dichters, der als
Altphilologe (poeta philologus) seinen neulateinischen Manierismen
nachhängt, in der großen Welt der Höfe aber fehl am Platze ist." (Wels
2018, S.181)
Im Lebensentwurf von Martin Opitz gehen Dichtung und das
Streben nach einem davon gestützten sozialen Aufstieg in der
▪
Ständegesellschaft Hand in Hand, seine "»Poeterey« ist Ausdruck desselben
Stilwillens, der den Lebensentwurf von Opitz als Diplomat in höfischen
Diensten bestimmte." (Wels
2018, S.181)
Das aber ist nichts Außergewöhnliches in dieser Zeit, in der "das
literarische Leben von Akteuren geprägt wurde, die existentiell an
Universitäten, Fürstenhöfe und Städte gebunden waren."
(Willems Bd. I
2012, S.63)
So war auch
Opitz war kein gesellschaftlicher oder kulturkritischer
»Utopist
wie z. B.
Thomas
Morus (1478-1535) (Utopia,
1561),
Tommaso Campanella (1568-1639) (Der
Sonnenstaat,
1602),
Johann Valentin Andreae (1586-1654) (Christianopolis
1619) oder
»Francis
Bacon (1561-1626) (Nova
Atlantis,
1627), die sich mit Vorstellungen eines idealen Staates beschäftigten.
Mit diesem "Lieblingsprojekt der Humanisten" (ebd.,
S.87) seit der Renaissance und den kritischen Tönen, die ihre verschiedenen
»utopischen
Romane mit ihren mehr oder weniger ausgefeilten Modellen einer
Idealgesellschaft anschlugen, hat er in seiner Situation wohl wenig
anzufangen gewusst, wenngleich er die Werke, die zunächst in Latein, der
internationalen Sprache der Gelehrten veröffentlicht worden waren,
wahrscheinlich "im Original" gelesen hat. Zum "kulturellen Gedächtnis"
seiner Zeit gehörte aber sicher das Schicksal von Thomas Morus. Dieser war
nach einem seinem phänomenalen Aufstieg zum Lordkanzler von England am
Ende wegen seiner Treue zur katholischen Papstkirche (er hatte sich mit
seinen Todesurteilen gegen Protestanten in England einen Namen gemacht) und
mangelnden Unterstützung des englischen Königs
Heinrich VIII. (1491-1527) nach dessen Abwendung von Rom und der
Gründung der eigenständigen
»anglikanischen
Kirche,
sowie seiner Weigerung, mit einem Eid auf das Gesetz, die vom König
durchgesetzte Nachfolgeregelungen (»Act
of Succession, 1534) zugunsten der Kinder mit
»Anne
Boleyn (1501-1536) (ihre Tochter war
»Elisabeth I.
(1533-1603)) zu akzeptieren, erst im »Tower
von London eingekerkert, dann enthauptet. Seinen Kopf, das sei der
Vollständigkeit halber hier noch erwähnt, stellte man zur Abschreckung
anderer "Hochverräter" seiner Art dann noch einen Monat lang auf der »London
Bridge zur Schau.
Alles schon
lange her für Martin Opitz gewiss aber ein historisches Zeugnis dafür, dass
die soziale und physische Existenz von Aufsteigern stets von des
»Fürsten Gnade« abhing und "über einem unliebsamen Projekt, einer
ungeschickten Aktion oder einer Meinungsverschiedenheit schnell in Ungnade
umschlagen"
(Willems Bd. I
2012, S.173) konnte. Fälle dieser Art gab es offenbar etliche.
Opitz war
"kein
Idealist, sondern ein umsichtiger Pragmatiker"
(Jaumann
2002,
S.197)
und "kluger Kalkulator" (Klaus Garber). In gewisser Hinsicht kann
man in ihm und anderen humanistischen Gelehrten "Vorläufer der modernen
Intellektuellen"
(Willems Bd. I
2012, S.64)
sehen, die als eine Art "Berufsintellektuelle"
(ebd.)
in der Moderne so wichtig geworden sind und/oder sich eben wichtig nehmen.
Wenn
Opitz kritische Töne anschlug, dann hatte dies in der Regel nichts mit einer
Gesellschaftskritik im modernen Sinne zu tun. Seine umsichtig, aber durchaus
auch selbstbewusst vorgetragene "Hofklage", die ebenso zur Literatur der
frühen Neuzeit gehört wie das allerdings weitaus mehr verbreitete
"Fürstenlob", stellt die Ständegesellschaft nie in Frage (man kann sich in
dieser Zeit eh keine andere Form des Zusammenlebens vorstellen als in dieser
vorgeblich gottgewollten Ordnung). Opitz' Hofklage legte den Finger
lediglich auf bestimmte Umgangs- und Kommunikationsformen,
"Vetternwirtschaft" und Opportunismus u. ä. In seinem Lehrgedicht
▪"Zlatna
oder Getichte Von Ruhe deß Gemüthes (1623) wird dies besonders deutlich.
Die Höfe, das
war die Grundlage der "Allianz zwischen humanistischer Gelehrtenrepublik
und frühmodernem Fürstenstaat"
(ebd., S.159)
"setzten die Männer von
»Kunst und Wissenschaft« in Lohn und Brot, versorgten sie mit den Mitteln
für ihre Studien und Projekte, verschafften ihnen Aufträge und boten ihnen
die große Bühne, von der aus sie wirken konnten. Und umgekehrt erschlossen
diese den Höfen das Wissen und die »Künste« der zeit und ermöglichten ihnen
damit sowohl eine intelligentere, theoretisch besser fundierte Politik und
Verwaltungsarbeit [...] als auch ein an interessanten und glanzvollen
Ereignissen reicheres kulturelles Leben. Denn sie hatten hier im Allgemeinen
eine doppelte Funktion; zum einen unterstützten sie den Fürsten bei
der Regierungsarbeit, um zum anderen bereicherten sie das
gesellige Leben bei Hofe mit ihrer »Wissenschaft und Kunst«."
(ebd.,
S.159f.)
Jedenfalls war
Opitz, was das
Voranbringen seiner Sprach- und Literaturreform anging, "ein
theoretischer
Stratege, der offensichtlich genau abschätzen konnte, in welcher Situation
welche Anstöße und Empfehlungen in welcher Dosierung an der Zeit waren, und
vor allem: welche Adressaten man in welcher Sprache ansprechen musste."
((Jaumann
2002,
S.197)
Die
für Angehörige seiner Schicht durchaus üblichen sozialen Ambitionen, mit
Hilfe der Kombination von Dichtung und Ämterübernahme einen gegenüber denen "unten"
klar privilegierten Platz in der Ständehierarchie zu erringen, stempelt
Opitz indessen noch
nicht zu einem
"gewissenlosen Höfling".
Ihn an der Elle solcher von außen herangetragenen Urteile zu messen, wird den gesellschaftlichen Gründen für das vorsichtige
Lavieren der bürgerlichen Gelehrtenschicht gegenüber Fürsten und Adeligen
einerseits und den besonderen Bedingungen wechselnden "Kriegsglücks"
zwischen beiden konfessionellen Lagern und ihren wechselnden
politisch-militärischen Konstellationen, unter denen sich dies vollzieht, andererseits nicht gerecht. Diese
Umstände erzwangen bis zu einem gewissen Grade, die Gunst von Gönnern mal
auf der einen, mal der anderen Seite zu erlangen, um die eigene physische
und soziale Existenz zu sichern.
Loyalitätskonflikte sollten in diesem
psychologischen Setting des gesellschaftlichen Handelns jedenfalls offenbar
auch Opitz nicht davon abbringen, sein kulturpolitisches Programm
voranzubringen. Dabei scheut er sich nicht in typischen
▪
Gelegenheitsgedichten der Zeit, wie dem
schon erwähnten
▪
an den Grafen Dohna darauf zu verweisen,
dass es ihm
"auf eine Verknüpfung des Literaturbetriebs mit dem Adel und der höfischen
Kultur" ankommt und das "im Sinne
wechselseitiger Leistungen, sozusagen
eines Gebens und Nehmens" zu verstehen sei.
(ebd.,
S.198)
"[...]
viel grosse Männer haben
Die Welt mit Sieg' erfüllt / doch ligen sie begraben /
Und ihre Thaten auch / in einer langen Nacht /
Weil kein Gelehrter sie nicht hat bekandt gemacht
[...]"
Zugleich war er sich offenbar sehr bewusst, dass in einer Zeit, in der so
gut wie kein Autor von publizierten Schriften leben konnte, dem Dichter
als solchem ohnehin nur in eine Art "(Neben-)Rolle im Spektrum von Aktivitäten und
der Ämter, die den Gelehrten zugänglich waren"
(ebd.,
S.198 Anm. 6) blieb. Sein Ruhm als Dichter und Theoretiker jedenfalls
erhöhte sein
»soziales
Kapital (Bourdieu), ohne den sein sozialer Aufstieg sich nie und nimmer
hätte vollziehen können.
Im Spagat zwischen den existenziellen Bedürfnissen nach sozialer
Absicherung, die einem Dichter im "Nebenjob", der nicht als Handwerker oder
kleiner Tagelöhner sein Auskommen sichern konnte und wollte, musste er sich
eben durch die Übernahme eines Amtes an den Fürstenhöfen auch
in die soziale Abhängigkeit seiner Gönner begeben.
Zugleich wollte er
wie auch die anderen Dichtergelehrten, die dieses Schicksal teilten,
versuchen, vorsichtig und klug taktierend eigene Interessen verfolgen und
dabei eine über die bloße soziale Anerkennung als
nobilita literaria, also einem
geistigen Adel, eine, vor allem nach unten hin, privilegierte Stellung in
der keineswegs grundsätzlich in Frage stehenden
▪
Ständegesellschaft zu
erlangen. Den Bürgern, und ein solcher war Opitz deshalb aber so etwas wie
"Verrat vorzuwerfen" (Amelang
1997, S.342) hat "keinerlei Blick für die beachtliche Rationalität, ja
Berechenbarkeit, die in dem beharrlichen Sicherheitsstreben steckt" (ebd.),
das sie in ganz Europa, in dem zu Zeiten des Barock fast überall der Adel
die herrschende Klasse war. So war es eigentlich überall "geradezu das
Kennzeichen der bürgerlichen Strategie" (ebd.),
sich den Erwartungen der herrschenden Klasse anzupassen, "um in einer
unberechenbaren und bedrohlichen Umwelt zu überleben und (mit etwas Glück)
sozial aufzusteigen." (ebd.,
S.343 ) Alles andere wären wohl überzogene Erwartungen an die Angehörigen
einer Klasse, die – damals wie heute – nur allzu genau weiß, dass sie,
anders als fast alle anderen, etwas zu verlieren hat." (ebd.)