docx-Download -
pdf-Download
▪
Petrarca und die
Überbietungspoetik des Barock
Im Kern ist
das System der Bildsprache und der
▪
Bildstil des nach »Francesco
Petrarca (1304-1374) genannten
▪
Petrarkismus in der
▪ barocken Liebeslyrik durch die
"antinomische Konfiguration Geliebte-Liebender" und seine "festgelegten
Motive und Bildelemente" bestimmt, "mit denen die Sehnsucht und der
Liebesschmerz ausgedrückt werden."
(Niefanger
2006, S.109). Dabei werden Rollenstereotype genutzt.

Für größere
(740px) oder
große Ansicht (1100px) bitte an*klicken*tippen!
Liebe besaß im Barockzeitalter zwei Komponenten und
wurde stets in diesem Dualismus verstanden. Auf der einen Seite die
sinnliche und körperliche Liebe als Sexualität und auf der anderen
Seite die psychische Komponente der Liebe, die man als eine
geistig-seelische Erscheinung verstand. (vgl.
▪ Liebe und Erotik) Insgesamt standen
Liebesbezeugungen unter einem strengen moralisch fundierten
Sittlichkeitsgebot, dem die rein körperliche Liebe als "viehische
Brunst" eigentlich etwas Animalisches, der Sittlichkeit des Menschen
nicht Gemäßes, wenngleich nicht Vermeidbares galt. Für Gefühle gab
es lange nur einen engen, streng konventionalisierten öffentlichen
Rahmen, der bestimmte, welche Gefühle überhaupt anzuerkennen waren.
Erst allmählich zog sich das Gefühl bzw. das Äußern von Gefühlen in
die von der Öffentlichkeit getrennte Privatsphäre zurück und wurde
damit auch eine Privatangelegenheit des Einzelnen.
Liebe in der Literatur des Barock
In
diesem Rahmen und unter den gesellschaftlichen Bedingungen der
frühen Neuzeit entwickelte sich die Auffassung von Liebe in der
Literatur. Sie war stets geprägt von den gesellschaftlich
anerkannten Rollenbildern, die Frauen, wenn sie nicht wie in den
ärmeren gesellschaftlichen Schichten notwendige Arbeitskräfte waren,
die gemeinsam mit ihren Männern den ohnehin sehr prekären
Lebensunterhalt ihrer zum Teil sehr großen Familien sichern helfen
mussten, als sexuelle Objekte, die den Männern, die im Grunde sonst
nur "das Eine" von Frauen wollten, zur Lustbefriedigung dienten.
Wurde
Liebe zum Thema der Dichtung, dann geschah dies vor allem im Bereich
der weltlichen Lyrik. In der sogenannten barocken Liebeslyrik finden
sich dementsprechend auch die zeitbedingte, dualistische Auffassung
von Liebe wieder. Um sie zu gestalten, entwickelte sich eine Bild-
und Formensprache, eine Art lyrische Liebessprache, mit der die
literarische Kommunikation über dieses Thema in "höfisch-unterhaltende(r)
und im höchsten Maße gesellige(r)" Art und Weise (Niefanger
2006, S.111) vor allem deshalb gelingen konnte, weil diese Liebessprache
eine
entindividualisierte, eigentlich realitätsferne Form des
(lyrischen) Sprechens über die Liebe in stereotypen Bildern und mit
stereotypen rhetorischen Strategien war. Sein Repertoire, war "ein
durch und durch konventionalisiertes, gesellschaftliches Geschehen" (Binneberg
2009, S.121), das in der Öffentlichkeit kommuniziert, "(...) nicht dem
poetischen Bekenntnis wirklich erlebter Liebe" diente." (ebd.
S.122)
Ihre
Bildlichkeit und die Technik ihrer Verknüpfung ist dem barocken
Hörer/Leser im Grundsatz vertraut und erscheint ihm - das ist
ihr Reiz - aber durch die Vielfalt der kombinatorischen
Möglichkeiten stets auch wieder verfremdet (vgl.
Herzog 1979, S.52) Und genau an diesem Spiel mit bekannten Motiven und
Bildelementen und verschiedenen rhetorischen Strategien, sie ins
Bild zu setzen, haben ihre Leser wohl ihren "Spaß" gehabt und ihre
Autoren, im "Kräftemessen" miteinander die kompetitive Motivation
gefunden, Altbekanntes immer wieder zu imitieren oder neu zu
kombinieren, ohne den vorgegebenen konventionalisierten Rahmen und
die Erwartungen ihres ohnehin zahlenmäßig eng begrenzten
Leserkreises zu enttäuschen oder gar zu überfordern.
Eine
besondere Bedeutung besitzt dabei das italienische ▪
Sonett,
das durch »Francesco
Petrarca (1304-1374) seine ▪
klassische Form mit einem Sinneinschnitt zwischen den Quartetten und
Terzetten erhalten hat und als Gattungsform eine nachhaltige Wirkung auf die
europäische Liebeslyrik besaß. In dieser Gedichtform ließ sich den einander
widerstrebenden Kräften der Liebesthematik in besonderer Weise eine Gestalt geben.
So lassen sich in einem Sonett besonders gut, die für die
petrarkistische Bildsprache typischen
Antinomien und
Antithesen gestalten, wenn es z. B. um den hin- und hergerissenen Liebhaber und
seine unnahbare Geliebte geht und dieser Konflikt in seiner
Unlösbarkeit dargestellt werden soll. (vgl.
Meid 2000.,
S.28) So zählen auch Antithesen nach dem Muster Lust und Leid, Flammen und
Tränen zum Arsenal petrarkistischer Gestaltung, die dazu Vorlieben für
Oxymoron,
Hyperbel,
Paradoxon und
Chiasmus zeigt, so wie auch Petrarca selbst seine zum Vorbild gewordenen
366 Gedichte des an seine Geliebte Madonna Laura gerichteten »Canzoniere«
(1356ff.) gestaltet hat.
Petrarkistische Frauenbeschreibung
In der
Dichtung von »Francesco
Petrarca (1304-1374) fanden die Lyriker des Barock ein Muster,
dem sie ▪ nachahmend (imitatio)
folgen konnten. Dabei ließ sch neben der Übernahme von Formen, Motiven und
Bildelementen (Topoi) auch die rhetorischen Strategien kopieren und zugleich
auch anhand der volkssprachlichen Lyrik des italienischen Vorbildes
erproben, ob und inwieweit sich diese auch in deutscher Sprache gestalten
lassen. (vgl.
Niefanger
2006, S.109)
Im Zuge der
Rezeption der Werke Petrarcas bildeten sich dabei vier ▪
Formen der Petrarkismus genannten Bildsprache
heraus: weltlicher,
geistlicher und
erotischer
Petrarkismus sowie der sogenannte
Antipetrarkismus.
Jede dieser
Richtungen des Petrarkismus stützte sich dabei auf ein allen gemeinsames
Reservoir fester Stereotypen und klischeeartiger Vorstellungen und
rhetorischen Strategien, die insbesondere in die ▪
barocke Liebeslyrik Eingang gefunden
haben.
Bei
der Frauenbeschreibung bzw. dem sogenannten Schönheitspreis erweisen sich
solche Rollenstereotype zur Frauen- und Männerrolle in besonderer Weise als
Kernelemente petrarkistischer Bildsprache, zu denen immer wieder
Antinomien wie die folgende zählen:
"Der Mann ist der klagende
Sklave, die Frau ist die kühle, grausame Tyrannin [...]. Der Mann leidet die
grausamsten Liebesqualen, er ist ein lebendig Toter, ein schmachtender
Weichling, dessen Herz von Liebesglut verzehrt wird." (Szyrocki
1968b, S.18f.)
Petrarkistische Frauenschreibung verwendet immer die mehr
oder weniger gleichen Stereotypen: "Das Antlitz ist Diamant, die Wangen sind
Rosen, die Haare Gold, die Brüste Marmorbälle" (ebd.)
und auf die Röte der Lippen verweisen Korallen, weißer Schnee auf die Haut,
Bäche auf Tränen und Marmor und andere Steine auf die Herzenskälte und
Unnahbarkeit der Geliebten. (vgl.
Niefanger
2006, S.109) Und " "die überschönen, blind machenden, tötenden Augen" (Szyrocki
1968b, S.18f.)
der Angebeten und Begehrten werden mit Edelsteinen oder Quellen verglichen. (vgl.
Niefanger
2006, S.109)
Solche stereotype Vorstellungen über das Äußere von Frauen
sind dabei begleitet von Vorstellungen, die bestimmte Metaphern
repräsentieren, wenn z. B. die "Liebe als Kampf, Feuer, Leben und Tod"
dargestellt wird. (Meid 2000.,
S.28)
Eine sich ständig selbst überbietende
Naturmetaphorik, die der unerhörten Liebe
eine geradezu kosmische Dimension verleiht, gehört ebenso zum
petrarkistischen System wie verschiedene
Trostmotive (Träume und Erinnerungen an die Geliebte) oder die
Darstellung von Rückzugsmöglichkeiten
für den Sänger, der weit weg von der Geliebten, meistens in Einsamkeit, Ruhe
und Besinnung erlebt. (vgl.
Niefanger
32012,
S.119)
Ihre Bildlichkeit und die Technik ihrer Verknüpfung ist dem
kompetenten, d. h. entsprechend gebildeten, barocken Hörer/Leser jedenfalls im Grundsatz vertraut und erscheint ihm - das
scheint ihr eigentlicher Reiz für ihn zu sein -
aber durch die Vielfalt der kombinatorischen Möglichkeiten stets auch wieder
verfremdet (vgl.
Herzog 1979, S.52)
Petrarkismus, Manierismus und galanter Stil
Barocke Liebeslyrik ist ein von Stereotypen
geprägtes Rollenspiel, indem männliche Dichter ihre Männerfantasien
über die Liebe in bestimmte Konventionen gebettet gestalten und im
öffentlichen Raum in unterhaltsamer Art und Weise kommunizieren
konnten.
Oft war sie eine meist schlecht bezahlte Auftragslyrik, die
sich in der Konkurrenz mit anderen Produkten ihrer Art zu stellen
hatte. Wenn es für den Publikumserfolg unverzichtbar war, bekannte
Stereotypen darüber in modifzierter, Aufmerksamkeit und Interesse
schaffender Form zu präsentieren und sich als Autor dazu selbst mit
seiner Schaffenskraft und Kreativität darzustellen, dann konnte das
Spiel mit Stereotypen und rhetorischen Strategien dazu führen, dass
die sprachlich-rhetorischen und bildhaften Elemente sich soweit
verselbständigten, dass sie ohne inhaltliche Funktion nur noch
"schwülstig", überladen und durch und durch gekünstelt daherkamen.
Was der petrarkistischen Frauenbeschreibung mit
ihrem Hang zu überzogener "Artistik" der Darstellung ohnehin schon
innewohnte, verstärkte sich dabei zu einem gekünstelt und
gleichermaßen überzogen pathetisch daherkommenden
Manierismus, dessen Bildsprache geradezu
strotzt von regelrecht gesucht wirkenden Bildern und rhetorischen
Gestaltungsmitteln und allerlei Chiffren, die sich nur einem
kompetenten zeitgenössischen, in dieser Bildsprache und ihrer
Rhetorik bewanderten Leser erschließen, aber nicht immer auch den
gewünschten Gefallen gefunden haben.
Unter
welchen Umständen die Liebeslyrik in ihrem
Grundzug manieristisch wird, lässt sich, da es sich dabei vor allem
um ein Geschmacksurteil der Zeitgenossen ebenso wie späterer
Leserinnen* handelt, kaum sagen, zumal sie
die
im Grunde gleichen Motive, rhetorischen Verfahren und Bilder
benutzten, die auch ein eher nicht-manieristisch wirkendes Gedicht
auszeichnen.
So
lässt sich der Frage vielleicht beikommen, wenn man die
Leser-/Hörerrolle in der literarischen Kommunikation stärker
berücksichtigt. Ein manieristisches Gedicht schickt seinen Leser
quasi auf eine Art einer Entdeckungsreise mit eingebauten
Wiedererkennungseffekten, auf der er genussvoll den Sinn von
Hyperbeln,
Synästhesien oder
Oxymora, die Bedeutung von Fremdwörtern
erkennen, gelehrte Anspielungen auf
die antike Mythologie entschlüsseln und oft noch lateinische Satzfragmente
übersetzen soll. Ob der Manierismus damit auch zu einem "Spiegel der inneren
Leere des höfischen Zeremoniells" (Metzger
2014, S.12) wird, mag aus der heutigen Perspektive zutreffen, ob er
allerdings wirklich zu einem Mittel wurde, "den Leser zur Reflexion
zu provozieren und ihn durch kühne Metaphern dazu zu bringen, neue
und ungewöhnliche Querverbindungen herzustellen" (ebd.),
ist hingegen wohl eher Spekulation.
Das
Wiederkennen der Stereotypen und die fortlaufende Dekodierung solcher Gestaltungselemente sorgten
damit auch dafür, dass
manieristische Lyrik einen elitären Charakter
besaß und sich im
Allgemeinen nur an gut gebildete Leser richtete, die solche geradezu
sprachakrobatischen Verkünstelungen sowohl verstanden als auch goutierten.
Wer mit seinen steilen Metaphern seine Vorgänger übertrumpfen konnte, dem
war die Bewunderung des eng begrenzten, aber nichtsdestoweniger
selbstbewussten Publikums sicher.
Allerdings
führte dies auch zu übertriebener Effekthascherei, die nicht selten auf
Kosten der Qualität des Werkes ging, insbesondere dann, wenn sich die
verwendeten bildlichen und rhetorischen Mittel geradezu verselbständigten
und einfach ohne entsprechende funktionale Bindung an den Inhalt oder die
konventionalisierten Formen angehäuft wurden. Meistens wird diese
"Künstlichkeit" und Selbstbezogenheit des bildlichen und rhetorischen
Ausdrucks als Grundprinzip manieristischer Darstellung angesehen.
Neben dem
Manierismus machte sich auch seit der Mitte des 17. Jahrhunderts der
Einfluss der höfischen Kultur Frankreichs in Deutschland bemerkbar. Der
sogenannte "Galante Stil", die Galanterie als Teil idealer männlicher
Identität wurde so auch ein Muster und Stilideal in der Kunst und Literatur.
In Deutschland gilt vor allem ▪
Christian Hofmann von Hofmannswaldau
(1616-1679) als ein
Vertreter dieses galanten Stils mit amourös-erotischen Texten, die bis zum
Beginn des 20. Jahrhunderts noch manche Kritiker ▪
in helle moralische Empörung versetzen konnten.
Texte,
insbesondere Lyrik, die dem galanten Stil zugerechnet werden, wollen dabei
aber vor
allem eines: Eine heitere und unbefangene Liebe darstellen, die spielerisch
mit ihrem Gegenstand umzugehen versteht und mit ihren zum, Teil durchaus
explizit gemachten erotisch-sexuellen Ausführungen als Ganzes unverfänglich,
wenngleich durchaus mehrdeutig, sein und von den schwer auf der Seele
lastenden Mahnungen des Memento mori entlasten. Dabei ist die in den Texten
vorgestellte Situation stets die gleiche. "»Er« will »sie« zur Liebe
bewegen. Das klassische Modell dieser petrarkistischen
Kommunikationssituation sieht vor, dass allein die männliche
Position als Sprache des Begehrens zum Ausdruck kommt, die weibliche
hingegen indirekt die Systemstelle der Verweigerung erotischer Lust
übernimmt." (Fröhlich
2005, S.203)
Was die
Zeitgenossen unter dem galanten Stil verstanden haben, hat Neukirch in
seiner "Anweisung zu Teutschen Briefen“ von 1721 beschrieben als "nichts
anders, als eine vermengung der scharffsinnigen, lustigen und satyrischen
styli“ bzw. "eine schreibart, welche so wohl im ernste, als im schertze das
maß hält, und den leser auf eine ungemeine art nicht allein ergötzet,
sondern auch gleichsam bezaubert“. (Wiedemann
1969, S. 40)
Auch wenn sich
Neukirch bemüht, den galanten Stil gegen den Manierismus abzugrenzen, der
eben nicht so überladen sein soll und auch in der Wahl von Reimarten freier
sein sollte, weisen beide auch viele Gemeinsamkeiten auf. Denn auch die
galanten Dichter wollen ihre schöpferisches Genie und ihre Beherrschung von
Bilder und Sprache unter Beweis stellen und auch ihre Werke setzen ein
ebenso gebildetes und gelehrtes Publikum voraus.
Gert Egle.
23.12.2023
docx-Download -
pdf-Download
▪
Petrarca und die
Überbietungspoetik des Barock
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.12.2023
|