Nirgends hin als auf den Mund,
Da sinkts in des Herzen Grund;
Nicht zu frei, nicht zu gezwungen,
Nicht mit gar zu faulen Zungen.
Nicht zu wenig, nicht zu viel,
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Beides wird sonst Kinderspiel.
Nicht zu laut und nicht zu leise,
Bei der Maß' ist rechte Weise.
Nicht zu nahe, nicht zu weit;
Dies macht Kummer, jenes Leid. 10
Nicht zu trocken, nicht zu feuchte,
Wie Adonis Venus reichte.
Nicht zu harte, nicht zu weich,
Bald zugleich, bald nicht zugleich.
Nicht zu langsam, nicht zu schnelle, 15
Nicht ohn' Unterschied der Stelle.
Halb gebissen, halb gehaucht,
Halb die Lippen eingetaucht,
Nicht ohn' Unterschied der Zeiten,
Mehr alleine denn bei Leuten. 20
Küsse nun ein jedermann,
Wie er weiß, will, soll und kann!
Ich nur und die Liebste wissen,
Wie wir uns recht sollen küssen.
Worterklärungen:
1
Adonis: »Adonis
ist in der »griechischen
Mythologie das »Sinnbild oder
der Gott der Schönheit und der Vegetation und einer der Geliebten der »Aphrodite (oder
ihrer römischen Entsprechung »Venus);
wird meist als wunderschöner Jüngling beschrieben und dargestellt; als
Nachfahre des »Pygmalion
und dessen Beziehung mit dem Fleisch gewordenen Abbild der Aphrodite
verweist der Mythos auch auf das Thema
des »Inzests;
Venus muss ihre Liebe zu Adonis auf Geheiß des
olympischen Göttervaters »Zeus
mit dessen Tochter »Persephone
einer »Toten-, »Unterwelt-
und »Fruchtbarkeitsgöttin
teilen (in der »
römischen Mythologie heißt sie
Proserpina); die verschiedenen Fassungen des Mythos, in denen Adonis
stirbt, ohne sich jemals mit Venus vereinigt zu haben, handeln immer
wieder auch von unerfüllter Liebe und Tod.
2 Venus: »Venus
ist in der »römischen
Mythologie Göttin der Liebe, der Schönheit und der
sinnlichen Begierde; ihr gr. Pendant ist die »olympische
Göttin »Aphrodite,
die oft als Beschützerin der geschlechtlichen Liebe dargestellt wird und
als verkörpertes Ideal der Schönheit; zudem wird sie als
Fruchtbarkeitsgöttin verehrt.