Küsse besonderer Art sind nicht vor den andern mir theuer,
Beut sie mir thauig ein Mund, reizen die thauigen mich.
Aber
im trockenen Kuss auch wohnt anlockender Liebreiz
Oft in das innerste Mark strömten sie schmachtende Glut.
Süß auch
ists mit Küssen die nickenden Augen bedecken,
Und zur Strafe den Quell unserer Qualen zu ziehn,
Oder
im Nacken sich fest, an den Wangen sich anzusaugen,
Oder am schneeigen Hals, oder der
schneeigen Brust,
Und
mit erröthendem Maal so Nacken als Wange zu zeichnen,
Zeichnen den Lilienhals, zeichnen die Lilienbrust,
Oder
mit zitternden Lippen die girrende Zunge zu schlürfen,
Daß der vereinigte Geist glühend im Kuss sich berührt,
Daß
er dem Busen entfleucht, in des anderen Busen zu tauchen,
Und in entzückenden Tod sinke die schmachtende Lust.
Ob
er entfliehend und kurz, ob innig und lang, er entzückt mich,
Ob du den Kuss mit geschenkt, ob ich ihn, Süße, geraubt.
Doch erwieder' ihn, wie den Kuss von mir du empfangen:
Spiele das liebliche Spiel jedes auf eigene Art.
Aber
welcher zuerst des reizenden Wechsels ermangelt,
Höre, gesenkten Blicks, dieses strenge Gesetz:
Daß er allein dem Sieger so viele der süßesten Küsse
Spend', als beyde zuvor küssten, und wechselnd wie sie.
(Quelle:
Küsse. Aus dem Lateinischen übersetzt von Franz Passow, Leipzig 1807,
S.41) – gemeinfrei