▪
Barock (1600-1720)
In der ▪
Literaturepoche
des ▪
Barock (1600-1720) stellt das ▪ Sonett
aus verschiedenen Gründen die wohl am meisten verbreitete die ▪
lyrische Form
im Bereich der neulateinischen und der neuen volkssprachlichen
deutschen Kunstdichtung dar.
Sie steht in
Deutschland im Kontext der Rezeption der Sonette des
Renaissance-Dichters Francesco Petrarca (1304-1374), dessen Art,
solche Gedichte zu gestalten, stil- und themenbildend in Deutschland
geworden ist (▪
Italienischer Petrarca-Typ)
und über längere Zeit die Sonettproduktion in Deutschland
dominierte.
Dass das Sonett
seinen "Siegeszug" in deutschen Landen antreten konnte, hat dabei
natürlich viele Gründe. Einer davon war, die Art und Weise, wie sich
mit dem Sonett geradezu musterhaft die aus dem Mittelalter stammende
▪ Lehre vom vierfachen Schriftsinn
umsetzen ließ. Nicht zuletzt über die Petrarca-Rezeption der "Kunstdichtung"
in deutscher Volkssprache konnte die ▪
Dominanz der neulateinischen Gelehrtendichtung nach und nach
verringert werden.
Dazu kam noch, dass
sich im konventionellen Rahmen der im Barock besonders ausgeprägten
▪
frühneuzeitlichen Imitatio- und
Überbietungspoetik ein die gelehrten Dichter wie auch ihr höfisches und
gebildetes Publikum überzeugender ▪
Bildstil mit bestimmten Wort-, Satz-, Gedanken- und Klangfiguren
etc. entwickeln konnte, der durch den Griff in die den Autoren
verfügbaren "poetischen Schatzkammern" (Szyrocki
1979/1994, S.41) das
Vorgefundene im Rahmen bestehender, aber auch immer wieder variierter Bedeutungszuordnungen (vgl.
Mauser
1982, S.235) immer und immer wieder reproduziert wurde.
Dabei ist die Aufteilung eines Sonetts in zwei Quartetten und zwei
Terzette deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie, wie
Freund
(1990, S.15f.) betont, "der argumentativen Gedankenführung nach dem
»vierfachen Schriftsinn wie keine andere lyrische Dichtart entgegen(kommt)."
Der Erkenntnisgewinn des Gedankenganges, den ein Sonett gestaltet und beim
Rezipienten ermöglichen will, sei dabei nämlich ganz streng auf je eine
Sonetteinheit verteilt: "Der Wortsinn auf das erste Quartett, der
allegorische Sinn auf
das folgende und der moralische Sinn auf das erste Terzett, gefolgt im
abschließenden Terzett vom heilsgeschichtlich-anagogischen Sinn. Die Zäsur zwischen den Vier- und
Dreizeilern entspricht im wesentlichen der wachsenden Distanzierung vom
Vordergründig-Irdischen. Entwickelt sich der allegorische Sinn noch ganz aus
dem Wortsinn, so hebt der moralische Sinn schon von der Bindung an das
Weltliche ab und bereitet die Transzendierung als Ziel des
Argumentationsprozesses vor." (ebd.)
So klar und stringent wie sich die Gedankenführung im Aufbau eines
Sonetts niederschlägt, zeigt sie sich auch bei Klang und Betonung etc.
("prosodische und klangliche Organisation"). So ist nach
Freund
(1990, S.15f.) "der breit
ausladende
Alexandriner, mit seinen zwölf Silben ungewöhnlich lang für eine
Gedichtzeile, (...) das angemessene Medium gedanklicher Auseinanderfaltung."
Dabei verwiesen "die identischen Reimpositionen und die streng durchgeführte Zweireimigkeit
in den Quartetten (...) auf den Zusammenhang von Wortsinn und
allegorischer Auslegung, auf die irdische Verknüpfung von Erscheinung und
Wesen." (vgl.
ebd.)

Hinzukommt gerade
bei barocken ▪
Vanitas-Sonetten aus der ▪
Literaturepoche
des ▪
Barock (1600-1720) eine ▪
Rekontextualisierung, die entweder die Biographie des Autors,
wie z. B. die von ▪ Andreas Gryphius (1616-1664) heranzieht, um dessen besonderes
Interesse am Thema der Vergänglichkeit zu erklären, oder schematisch
und geradezu ▪
reflexartig, weil vordergründig so plausibel, die
Verheerungen des Barockzeitalters (Dreißigjähriger
Krieg, Hungersnöte und Seuchen) oder etwas vorschnell ein
allgemeines barockes
Lebensgefühl heranzieht, um die Texte im Zuge einer ▪
kontextualisierten werkimmanenten Interpretation
"ganzheitlich" (Blickfeld
Deutsch, Lehrerband 2003, S.28) zu deuten. Andere Aspekte, wie
z. B. der Beitrag der Vanitas-Dichtung zur ▪
Sozialdisziplinierung der Untertanengesellschaft bei der Entwicklung zum
frühmodernen Staat u. a. bleiben dabei in der Regel außen vor,
verkomplizieren eben aus literaturdidaktischer Sicht eingeschliffene
Lesarten, auch wenn diese mittlerweile schon schematisch erstarrt
sind.