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▪
Bausteine
Die schulische Parabelinterpretation muss Freiräume zur
Interpretation gewähren
Die Beschäftigung mit
▪ Parabeln, ihre Analyse und Interpretation,
ist ab der späten Sekundarstufe I bis hin zum Abitur
ein Gegenstand des Literaturunterrichts und eine gängige
Schreibaufgabe.
Je nach dem Charakter der Schreibaufgabe dient die
Textarbeit
mit solchen Texten dem Erwerb und der Förderung
literarästhetischer Rezeptions- und
literarästhetischer Produktionskompetenzen.
Dabei müssen die
Anforderungen an solche Aufgaben im Rahmen einer schrittweisen
Weiterentwicklung entsprechender Kompetenzen betrachtet werden.
Dies kann und soll an
dieser Stelle nicht geleistet werden. Stattdessen sollen lediglich
Hinweise gegeben werden, die in einem solchen Kontext
fachwissenschaftlich und fachdidaktisch berücksichtigt werden
sollten.
Soviel nur: In der
späten Sekundarstufe I kommen sowohl ▪
entwicklungspsychologisch als
auch aufgrund der bis dahin erfolgten ▪
Lesesozialisation neben
▪ traditionellen Parabeln auch gesellschaftskritische Parabeln der
Moderne wie z. B. »Keuner-Geschichten
»Bertolt
Brechts (1898-1956) in Frage, in der Sekundarstufe II moderne
verrätselte und poetisch-expressive Parabeln wie die Parabeln von
Franz Kafka oder Günter Kunerts, die oft paradoxe Grundstrukturen
aufweisen und die Gesetze der Wahrscheinlichkeit überschreiten und
die Texte damit auch für für fantastische Elemente öffnen. (vgl.
Nickel-Bacon 2014, S.103)
Für das uneigentliche
Sprechen in Parabeln sensibilisieren
Wie Werner
Brettschneider (1971, S.9) betont, ist das erste und wichtigste Gattungsmerkmal
der Parabel "das uneigentliche, gleichnishafte Sagen". Darunter versteht er
ein Sprechen bei dem das, was gesagt bzw. ausgesprochen wird, nicht das ist,
was eigentlich gemeint ist.
Diese Grundstruktur prägt die Parabel beim Erzählen. Was also erzählt
wird, und mag das noch so kurz sein, verweist also stets über
sich hinaus. Die Bedeutung Erzählten muss demnach vom Wortlaut des
jeweiligen Textes zu unterscheiden sein und gesucht und gefunden
werden.
Dabei ist diese
Bedeutung nicht etwa in die Reihenfolge der sprachlichen Zeichen
"eingraviert", sondern ist ein konstruktiver, psychisch-kognitiver
Akt, den ein Leser dem Text aufgrund seines Wissens und seiner
Dispositionen zuschreibt.
Das schließt eben auch ein, dass einem
Leser, insbesondere wenn ein Text kein explizites Transfersignal
aufweist, das ihn auffordert, das Erzählte auf auf einen Bereich
außerhalb des erzählten Geschehens zu übertragen, sich bei seiner
Rezeption mit dem "vordergründigen" Handlungssinn begnügt und damit,
zumindest bei der Rezeption, Mustern folgt, die eher bei der
Interpretation von ▪
Kurzgeschichten angebracht sind.
Schülerinnen und
Schüler fühlen sich, was das "uneigentliche Sprechen" in kürzeren
erzählenden Texten angeht, oft keineswegs sicher und fragen oft
verzweifelt, entsprechende Hilferufe in Foren im Internet sind dafür
ein deutliches Zeichen, woran man
eine Parabel erkennt (vgl. FAQ 2).
Stehen sie vor entsprechenden Schreibaufgaben, treten leicht ▪
Schreibschwierigkeiten und Schreibstörungen auf, die manche
Schülerinnen und Schüler nur dadurch
im
Zaum halten können, dass sie ihre ▪
lernstrategischen Orientierungen beim Schreiben entsprechend
anpassen und zu schreiben versuchen, "was der Lehrer bzw. die
Lehrerin hören will".
Nicht nur in den
Foren, sondern oft auch in der Schule werden sie dann mit ein paar "lausigen" sprachlichen
und erzähltechnischen Merkmalen abgespeist, die mit ihrem
eigentlichen Problem: "Woran erkennt man, dass etwas anderes
gemeint ist als nur das Erzählte?" nicht im Geringsten
beantwortet. Die negativen Motivationseffekte solcher "Ratschläge"
liegen auf der Hand. Sie jedenfalls machen keinen Mut, sich mit den
Voraussetzungen des eigenen
Textverstehensprozesses (▪
volitionale und ▪
metakognitive Aspekt des Lesens) zu beschäftigen oder sich
intensiver auf den Text einzulassen, um weitere Textaspekte in
Augenschein zu nehmen und Hypothesen über deren Zusammenwirken zu
entwickeln.
Explizite und implizite
Transfersignale unterscheiden und erkennen können
Für das Verständnis
von traditionellen und modernen Parabeln ist es unerlässlich
-
Parabel:
-
Die Annahme, dass es sich
bei dem Kurzprosatext um eine Parabel handelt, gründet bei einem Leser,
der schon über einschlägige Erfahrungen mit solchen Texten von Franz
Kafka hat, in der Regel darauf, dass solche Texte relativ vereinfachend
einem allgemeinen Parabelbegriff
zugeordnet werden können, der allerdings ziemlich ungenau ist.
-
Merkmale jedenfalls wie
die im obigen Mind Map aufgelisteten können die Textsorte als Ganzes
kaum eindeutig beschreiben und können bestenfalls zur Textbeschreibung
eines parabolischen Textes mit herangezogen werden, dessen grundlegendes
Merkmal die sogenannte "Uneigentlichkeit"
in ihren vielgestaltigen Erscheinungsformen darstellt. (s.u.)
-
Für schulische Zwecke ist
zur Beschreibung der Textsorte aber stets die Unterscheidung zwischen der ▪
traditionellen und der ▪
modernen
Parabel hilfreich. Sie liefert Hinweise für das Textverständnis, die
man ansonsten vielleicht leicht übersehen kann. Am besten ist natürlich,
wenn man die Unterschiede an Beispielen kennengelernt hat.

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-
Um einen Text wie ▪
Franz Kafkas ▪
»Der
Aufbruch«
als parabolischen Text einordnen zu können, der im Analogieschluss
auf etwas anderes überteragen werden kann, ist es zunächst wichtig,
die sogenannte "Uneigentlichkeit" des Textes plausibel festzustellen. Das geschieht
unter literaturdidaktischem Vorzeichen dadurch, dass man es versteht, am
Text plausibel zu machen, woraus man schließt, "dass der Text eine
'andere' Bedeutung hat" (Zymner
1991, S.88). Dabei kommt es in der Schule nicht so sehr auf die
eindeutige Identifizierung von (impliziten) Transfersignalen an,
aber zumindest darauf, aufzuzeigen, was sich einem am rein
Buchstäblichen des Textes orientierten Textverständnis auf der
Bedeutungsebene des Textes entgegenstellt.
-
Da die moderne
Parabel im Allgemeinen keine expliziten Transfersignale enthält, die
auf einen mehr oder weniger bestimmten Bildbereich verweisen, muss
man dafür den Sachbereich genau analysieren. Im Verlauf
fortschreitenden Textverstehens stößt man dann oft auf
"Ungereimtheiten", die wie absichtlich aufgestellte "Stolpersteine"
der Vorstellung entgegenstehen, die man sich möglicherweise schon vom Text als Ganzem und
seiner Bedeutung gemacht hat. Jede neue Information, die man dem
Text oder einem Kontext entnimmt, kann dabei so geartet sein, dass
sie ein rein wörtliches Textverständnis sprengt und in eine andere
Richtung bewegt.
-
Allerdings kann auch nicht übersehen werden, dass es immer wieder
vorkommt, dass das gedankliche Konzept, mit dem ein Text zunächst
einmal verstanden wird, auch verhindern kann, dass implizite
Transfersignale, die der Text enthält, überhaupt noch erkannt werden
können. Die Brille des eigenen Textverstehens lässt dann semantische
"Ungereimtheiten" nicht mehr durch. Was eigentlich als "Stolperstein" gedacht war,
wird "eingeebnet" und vordergründig "geglättet". Anders ausgedrückt:
Diese Textstellen werden dann
einfach assimlierend in vorhandene
Wissensschemata (z.
B. Alltagswissen, allgemeines
Weltwissen,▪
Handlungsschemata, ▪
emotionale
Schemata etc.) "eingelesen", ohne
dass sich das Textverstehen durch ▪
Anpassung des
Schemas selbst weiterentwickelt.
-
Textstellen,
die darauf hinweisen, dass
der Text von Franz Kafka als Ganzes oder zumindest in Teilen über
das unmittelbar Dargebotene (Sachhälfte) auf eine andere Bedeutung
verweist, lassen sich auch mit herkömmlichen allgemeinen ▪
Strukturschemata
als ▪
Organisationsstrategien
beim Lesen nicht oder jedenfalls nicht besonders überzeugend
auflösen.
Textstellen, die in Kafkas Text signalisieren, dass der Text
übertragen werden "will", sind z. B.:
-
Der kurze Bericht
des Ich-Erzählers zu Beginn, als er erzählt, dass der Diener
seinen Befehl nicht verstanden hat. Für seinen Aufbruch ist es
eigentlich unerheblich, dass er selbst in den Stall geht und
sein Pferd selbst sattelt, um es dann zu besteigen. Der
"Stolperstein": Warum versteht der Diener den Befehl eigentlich
nicht?"
-
Das Blasen der
Trompete in der Ferne, das der Ich-Erzähler hört, ist ein
Geräusch, das in keinen Zusammenhang mit dem Aufbruch des
Ich-Erzählers auf der Textebene gebracht werden kann, und auch
die Fragen, die der Ich-Erzähler an den Diener richtet, geben
darüber keinen Aufschluss, zumal dieser das Geräusch nach
eigenen Angaben überhaupt nicht gehört hat und sich auch nicht
vorstellen kann, was es es, sofern es überhaupt dagewesen ist,
für eine Bewandtnis haben könnte.
-
Insbesondere die
Schlussbemerkungen des Ich-Erzählers "Kein Essvorrat kann mich
retten. Es ist ja zum Glück eine
wahrhaft ungeheure Reise." (Hervorh. d. Verf.), die
ohne Übertragung kaum in einen Bedeutungszusammenhang auf der
Textebene gebracht werden können, können als implizites
Transfersignal aufgefasst werden, dem Text eine über die
wörtliche Bedeutung hinweggehenden Sinn zuzuschreiben.
Allerdings müssen sich nicht wie bei einer traditionellen
Parabel mehr oder weniger sämtliche Elemente der Sachhälfte
(Herr, Diener, Pferd, Sattel, Pferd, Essvorrat ...) bei der
Übertragung in eine intersubjektiv plausible Bildhälfte als
Teile eines stimmigen Analogieschlusses fungieren können. (vgl.
▪
Bild- und Sachbereich in Auflösung)
Auf der anderen
Seite: Es macht auch nicht viel Sinn, bei schulischen Aufgaben zur
Interpretation von Parabeln, ein Mysterium um die Textsorte
aufzubauen, zumal Interpretationsaufgaben sowie so in einem
entsprechenden Kontext des Literaturunterrichts stehen. Es macht bei
Leistungsaufgaben ohnehin keinen Sinn, Schülerinnen mit Schülern
eben einfach mal so mit einer Parabel von Franz Kafka oder anderen
Autoren zu konfrontieren.
Und wenn ein Text
besonders hermetisch daherkommt, ist es doch allesamt besser, in der
Schreibaufgabe die Textsorte schon zu benennen, um den Fokus auf die
eigentlichen Interpretationsleistungen zu legen.
Insbesondere sollten
Abgrenzungen der Parabel gegenüber ihren möglichen Verwandten keinen
so hohen Stellenwert haben.
Natürlich lassen sich
moderne Parabeln von Mischformen und
Besonderheiten abgesehen (z.B. ▪
Franz Kafkas, ▪
Kleine Fabel)
durchaus von traditionellen Parabeln und der modernen
▪ Kurzgeschichte
abgrenzen. Dabei muss man sich allerdings auch stets bewusst sein,
dass gerade in der modernen Literatur eine große Vielfalt bei beiden
literarischen Textsorten existiert: Es gibt wohl ebenso wenig die
Parabel auch nicht die Kurzgeschichte.
Am besten bezieht man sich bei einer konkreten Abgrenzung auf ein
bestimmten
Prototypen, der die ihm zugeschriebenen Eigenschaften am besten
verkörpert.
Dies gilt insbesondere für die
▪ schulische Interpretation einer Parabel,
wenn sie mit Aufgaben zur Bestimmung der Textsorte verbunden sind.
Hier sollte es nicht darauf ankommen, das ein oder andere
Textsortenmerkmal "herunterzubeten", sondern gemeinsame oder
unterschiedliche Texteigenschaften im Vergleich mit anderen
vergleichbaren Texten, die im Literaturunterricht behandelt worden
sind, herauszuarbeiten. So könnte also statt die Aufgabe zu stellen
"Bestimmen Sie die Textsorte" eine Aufgabe folgendermaßen formuliert
sein: "Zeigen Sie, wodurch sich der Ihnen vorliegende Text von
anderen Ihnen bekannten Texten epischer Kurzprosa unterscheidet."
Parabelinterpretation: Übertragungen vom Bildbereich in den
Sachbereich
Der Begriff
Parabel stammt aus dem
Altgriechischen und bedeutet etwa "das eine für das andere setzen“.
Wer eine parabolische Erzählung richtig verstehen will,
muss, wie
Brettschneider (1971, S.9) betont, das Erzählte als Beispiel aufnehmen
und aus ihm das herleiten, was eigentlich gemeint ist.
Wir sprechen in
diesem Zusammenhang von einem Prozess der Übertragung vom Bildbereich
(das Erzählte) in einen Sachbereich (das Gemeinte).
-
Was jeweils im Text
gemeint ist, kann von dem Autor selbst direkt ausgesprochen sein.
-
Genauso
gut kann es aber auch dem Leser/der Leserin völlig selbst überlassen
bleiben.
-
Was er/sie aus dem macht, was von ihm/ihr auf der Bildebene
wahrgenommen wird, ist dabei ein konstruktiver Akt, den jeder Rezipient für
sich selbst vollzieht.
So entzieht sich auch die Deutung einer Parabel der
Vorstellung, es gebe eine "richtige" Interpretation.
Man kann die Parabel als epische Kleinform von der
Kurzgeschichte und der Allegorie, allerdings keineswegs immer trennscharf,
unterscheiden.
Die Interpretation einer
Parabel muss von der
Unterscheidung zwischen Bildebene (= auch Bildbereich) und Sachebene (= auch
Sachbereich) als Grundstruktur ausgehen. Dabei macht man sich zu
eigen, dass die Parabel "ihren Sinn nicht in der Geschichte selbst, sondern
in dem was ihr Inhalt bedeutet", hat. (van
Rinsum 1986b, S.14) Dieses Textmusterwissen ist eingebunden "in
Zusammenhänge der kulturellen und bildungshistorischen Tradition" und
"entzieht [..] sich einem spontanen Leserzugang." (Durzak
1986, S.348) Vereinfacht ausgedrückt: Wer nicht weiß, was eine Parabel
ist, nicht über ein gewisses Maß an (literarischer) und sonstiger Bildung
verfügt, wird bei der Rezeption und Interpretation schnell an seine Grenzen
stoßen, bzw. die Parabelstruktur eines erzählten Textes nicht auf einer
abstrakteren Erkenntnisebene auflösen können.

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Die Parabel richtet sich also im Allgemeinen "an ein verstehendes bzw.
wissendes Publikum" (Schrader), wobei man gut daran tut, sein Augenmerk eher
auf die "historisch bedingte(n) Kommunikations- und
Vermittlungsformen" (Voßkamp
1992, S.286), denn auf normative Setzungen von
Textsortenmerkmalen
zu richten. Einem "kompetenten" Rezipienten allerdings ist die Parabel
"nichts ohne ihre Auflösung, ohne ihren eigentlichen Sinn". (van
Rinsum 1986b, S.15)
Damit ein Rezipient freilich erkennen kann, "dass mit dem Gesagten etwas
anderes gemeint ist, muss in der Parabel etwas enthalten sein, was ihn
darauf aufmerksam macht, dass er es auf eine gedankliche Ebene übertragen
muss." (ebd., S.15). Dies kann auf verschiedene Weise, aber auch in
Kombination miteinander, geschehen:
-
auf der Textebene selbst (z. B. durch den Titel, durch mehr oder weniger
explizit ausgedrückte Verweisstrukturen, z.B. Vergleiche in
Robert Musils
Parabel,
Das Fliegenpapier)
-
durch das Hintergrundwissen des Rezipienten (sein allgemeines Weltwissen,
seine literarischen Erfahrungen, Vorkenntnisse und sein Textmusterwissen)
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Bausteine
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
28.10.2020
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