▪ Kriteriengeleitete
Beschreibung des Erzählers
Komplexe Erzählsituationen oder Beschreibung des Erzählers
auf der Basis von gegensätzlichen Merkmalsoppositionen (Dichotomien)
Bei der Analyse der Erzählerposition konkurrieren bis heute u. a.
Stanzels Konzept der ▪ Erzählsituationen
mit eher strukturalistischen Ansätzen, die das Konzept ablehnen und
stattdessen in eine ▪
Mehrzahl wirklich elementarer gegensätzlicher Merkmalskombinationen
(Dichotomien) auflösen, um der Vielgestaltigkeit des Erzählers
besser gerecht werden zu können.
Stanzels Konzept der ▪ Erzählsituationen
ist bis heute die wohl am meisten verbreitete ▪
Typologie des Erzählers im schulischen Literaturunterricht. Dafür
gibt es verschiedene Gründe.
Es ist sicher auch darauf zurückzuführen, dass trotz der
▪
Unstimmigkeiten, die dem Konzept von Literaturwissenschaftlern immer
wieder vorgehalten worden sind, seine Begriffe dem für
literaturdidaktische Zwecke heuristischen Zweck beim Umgang mit
Literatur und für die schulische ▪
Analyse und Interpretation von literarischen Texten durchaus
genügen.
Außerdem scheinen sich die Wogen der Entrüstung, in der es fast "zum
guten Ton" unter Literaturwissenschaftlern gehörte, Stanzels Konzept in
"Bausch und Bogen" zu verwerfen (Lahn/Meister
2013, S.79), etwas geglättet zu haben, zumal sich eine streng am
Strukturalismus orientierte Beschäftigung mit Literatur "aus Gründen,
die auch auf Unkenntnis und Unverständnis beruhen mögen" (ISB
2010, Bd. 2, S.385), in der Literaturdidaktik und damit im
Literaturunterricht der Schule nur wenig durchsetzen konnte.
Da beide
Konzepte abstrahierend gebildet würden, so
Bode (2005,
S.243), sei es ohnehin so gut wie egal, welchem Konzept man folge. Ob
man das eine oder andere Konzept seiner Erzähltextanalyse zugrunde legt,
hängt dementsprechend neben der Kompetenz des Analysierenden auch von
den Texten und ihrer Beschaffenheit ab.
Ob und inwieweit Begriffe aus beiden Konzepten bei der Analyse eines
bestimmten Erzähltextes verwendet werden können, wird von der
Wissenschaft unterschiedlich beantwortet. Für den schulischen
Literaturunterricht empfiehlt sich dabei naturgemäß ein ▪
"großzügigerer"
Umgang mit gemischten Analysekonzepten, die nicht in letzter Konsequenz
voneinander abgegrenzt werden müssen. Entscheidend ist dabei die
heuristische Funktion komplementär verwendeter Kategorien.
Literaturdidaktischer Umgang mit den Konzepten der Erzählertypologie
So gibt Schülerinnen und Schülern z. B. die immer wieder monierte "traditionelle, aber
problematische Dichotomie Ich-Erzähler vs. Er-Erzähler" (Schmid
2005, S.87), bei denen es nicht um
die Anwendung auch der letzten erzähltheoretisch fundierten Kategorie
gehen kann, ein "griffiges", wenngleich nicht alle Fälle umfassendes
Instrument für ihre Analyse in die Hand.
Der schulische
Literaturunterricht verfolgt zudem, selbst wenn "eine exakte
Begrifflichkeit wünschenswert ist" (ISB
2010, Bd. 2, S.384), noch andere Ziele, die mit dem "modischen"
Anschluss an die oft verwirrende, kontrovers beurteilte, mitunter völlig
abgehoben erscheinenden Terminologie der modernen Erzähltheorie, leicht
in den Hintergrund gedrängt werden könnten. Und dazu gehört auch "das
Bedürfnis Jugendlicher, sich mit Problemen, Fragestellungen,
literarischen Gestalten auseinanderzusetzen, sich zu orientieren" (ebd.),
statt sich im Dunstkreis der "Schwierigkeiten bei der wissenschaftlichen
Modell- und Theoriebildung" (Lahn/Meister
2013, S.79) zu verheddern.
Literaturwissenschaftlich bzw. erzähltheoretisch wird man den Einwand, die "Erzählsituationen" Stanzels
kombinierten "zwei zu trennende Parameter miteinander [...]: die Teilhabe
des Erzählers an der Geschichte (»Er«- vs. »Ich«-Erzählung) und die
Erzählperspektive (»auktorial« vs. »personal«) (Schmid 2011,
S.132, vgl.
2005, S. 83) allerdings nicht von der Hand weisen können.
Und manches spricht
dementsprechend auch dafür, statt "irgendwelche
komplexe »Erzählsituationen«" zu beschreiben (ebd.),
für eine Typologie des Erzählers nur "elementare
▪
Kriterien zugrunde (zu)
legen, ohne sie mit anderen zu kombinieren." (ebd.)
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Kriteriengeleitete
Beschreibung des Erzählers
Dies gilt vor allem auch dann, wenn man bedenkt, dass "das literarische
Erzählen (...) ohnehin so vielgestaltig (ist), dass es sich empfiehlt,
es nicht nur mit einer Minimaldefinition zu beschreiben, sondern ein
möglichst breites Spektrum seiner Erscheinungsformen zu erfassen." (Martínez
2011a, S.11)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
19.12.2023
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