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Auktoriale Erzählsituation

Überblick

»Franz K. Stanzel

 
FAChbereich Deutsch
Glossar
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Auktoriales Erzählen - Wenn der Erzähler alles weiß und alles kann

Die auktoriale Erzählsituation weist eine Reihe von charakteristischen Merkmalen auf, die sie von anderen Erzählsituationen unterscheiden. Von den ▪ drei Konstituenten, die nach Stanzel das Erzählen ausmachen (Person, Perspektive, Modus) dominiert hier der Pol der ▪ Außenperspektive.

Als Idealtypus ist die auktoriale Erzählsituation dadurch charakterisiert, "dass ein allwissender Erzähler außerhalb der von ihm erzählten fiktionalen Welt steht, über die er absolute Kontrolle ausüben kann. Seine Allwissenheit und seine absolute Macht sind nnur zwei Seiten einer Medaille: Wenn der Erzähler mal in die Vergangenheit zurückspringt, mal in die Zukunft vorgreift, mal in diese, mal in jene Figur hineinschaut, dann aber wieder einen olympischen Panoramablick aufs große Ganze gewährt, dann ist dies freie, gänzlich unlimitierte Schalten und Walten Ausweis und Ausübung uneingeschänkten auktorialen Erzählens." (Bode 2005, S.165)

Der auktoriale Erzähler ist nicht identisch mit dem Autor

Auch wenn man das leicht verwechseln kann: Der auktoriale Erzähler ist nicht identisch mit dem Autor, sondern wird von diesem zur Darbietung der Erzählung auf eine bestimmte Art und Weise gestaltet. Gewöhnlich kommt der reale Autor in der Geschichte nicht selbst zu Wort, stattdessen tut dies der fiktive Erzähler gewissermaßen als Stellvertreter. Die Beziehung zwischen Erzähler und Autor lässt sich vereinfacht auf den Satz bringen: "Der reale Autor erfindet, der fiktive Erzähler erzählt, was gewesen ist." (Scheffel 2006, S.106)

Bei einer Textinterpretation kann es also nicht heißen: "Der Autor XY berichtet ...". Stattdessen muss es heißen: "Der Erzähler berichtet, kommentiert, spricht an...".

Der auktoriale Erzähler ist quasi persönlich anwesend

Im Gegensatz zur ▪ personalen und ▪ neutralen Erzählperspektive, die quasi erzählerlos daherkommen, hat auktoriales Erzählen einen persönlich anwesenden Erzähler. Das bedeutet vereinfacht ausgedrückt, dass man die Art und Weise, wie das Erzählte dargeboten wird, einem konkreten Erzähler zuordnen kann, der die "Geschichte" als Ganzes so präsentiert, wie er sie sieht und sie vermitteln will.

Anders ausgedrückt: Man spürt beim Lesen einen ausgeprägten Gestus des Erzählens bei der Vermittlung der erzählten Wirklichkeit (= "Distanz zum Erzählten" Graevenitz 1982, S.93)

Und doch darf dies nicht dazu verleiten, sich den auktorialen Erzähler als einen konkreten Menschen, eine ganz konkrete Figur bzw. Person vorzustellen. Wir sind deshalb schnell geneigt, dies zu tun, "weil wir reflexartig jeder 'Stimme' jemanden hinzuimagieren, der da spricht - eine Person." (Bode 2005, S.169). In Wahrheit ist der auktoriale Erzähler nicht mehr und nicht weniger als ein "Text-Aspekt  [...] also gar kein Lebewesen und daher unsterblich."  (ebd., S.171)

Aber auch das bedeutet nicht, dass es auch in der auktorialen Erzählsituation immer wieder Bestrebungen gibt, den auktorialen Erzähler quasi in einer "Hybrid-Form" (ebd., S.175) stärker zu "verpersönlichen". Dann "(kommt) der auktoriale Erzähler - eigentlich gar kein Mensch - (...) dem Leser nun menschlich" und wird "durch die Art und Weise seines Erzählens, seine Wortwahl, seine Kommentierung, seiner Wertungen usw. als Person, als Mensch mit anggebbaren Konturen und Zügen vorstellbar" (ebd.). Ein solcher "zur Person ausstafierter auktorialer Erzähler [...] eigentlich ein Unding." (ebd.)

Der auktoriale Erzähler ist gegenüber seiner Geschichte "allwissend", d. h. er ist nicht an den oder Wahrnehmungshorizonte der erzählten Figuren gebunden, sondern initiiert und lenkt den Erzählvorgang, wie er will. Deshalb hat man ihn auch immer wieder mal den "Gottvater unter den Erzählinstanzen" (Bode 2005, S.149) genannt, weil nur dieser Erzähler einen "gottgleichen Blick auf die Gesamtheit der erzählten Welt" (ebd.) besitzt. Auch dies im Übrigen ein Hinweis darauf, dass der Erzähler gar kein Mensch sein kann, denn eine allwissende Perspektive ist eben für Menschen unmöglich, was anders ausgedrückt bedeutet: Wir lassen uns den herausgestellten oder unterstellten Wahrheitsanspruch der auktorialen Erzählsituation einfach gefallen (Wenn der auktoriale Erzähler sagt, dass etwas so war, dann war es eben auch so. (vgl. ebd., S.166). Zugleich beruht er aber darauf, dass die auktoriale Perspektive eigentlich "unmöglich ist." (ebd., S.172)

Wenn man von der persönlichen Anwesenheit des auktorialen Erzählers spricht, bedeutet dies allerdings nicht, dass sein Tun und die Art und Weise, wie er erzählend handelt, immer offensichtlich ist. Wie viel er nämlich von sich preisgibt, kann sehr unterschiedlich sein und auch in einer Erzählung kann er sich mal mehr, mal weniger zeigen. Dies unterschiedliche Ausmaß der Selbstkundgabe ist dabei stets ins Belieben des Erzählers gestellt bzw. des Autors / der Autorin, die ihn gestaltet.

Dabei kann ein auktorialer Erzähler durchaus auch "Ich" sagen, ohne dass es sich dann um Ich-Erzähler handelt, weil der Unterschied zwischen einer Ich- und einer Er-Erzählung keine "grammatische Demarkationslinie", sondern eine ontologische Grenze darstellt, "die Seinsbereiche voneinander trennt." (Bode 2005, S.149) Wie beim Marionettenspiel, bei dem sich der Erzähler der Geschichte immer räumlich außerhalb der Bühne befindet, ist er eben auch ein ganz anderes Wesen aus Fleisch und Blut, während die Figuren nur aus Holz geschnitzt sind. (vgl. ebd.)

Erzählerstandort: Außerhalb der Welt der Erzählung

Der auktoriale Erzähler steht außerhalb der fiktionalen Welt der Figuren (Außenperspektive).
Er ist keine handelnde Figur der erzählten Welt, sondern arrangiert und organisiert diese nach Belieben. Sein Point of view liegt im Bewusstsein eines außerhalb der erzählten Welt befindlichen Erzählers.

So kann er z. B. die Chronologie der erzählten Ereignisse nach Belieben gestalten, indem Vorausdeutungen und Rückwendungen einfügt, das erzählte Geschehen rafft oder dehnt. Er kann aber auch trotz der generellen Außenperspektive, eben weil er alles kann, das Innenleben von Figuren darstellen.

Dabei kann er seine wichtigen  Erzählentscheidungen offenlegen oder nicht und dem Leser seine Auswahl erzählter Ereignisse, z. B. bei Zeitraffungen, verdeutlichen oder nicht.

Innen- und Außensicht aller Figuren

Im Gegensatz zur ▪ personalen Erzählperspektive kann der auktoriale Erzähler die inneren Vorgänge (Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle) prinzipiell aller in der Erzählung vorkommen Figuren wiedergeben (Innensicht). Darüber hinaus kann er sie natürlich auch von außen betrachten (Außensicht).

Erzählerbericht und Erzählerkommentar

Der auktoriale Erzähler erzählt im Modus des Telling. Darunter versteht man den summarischen Erzählerbericht i. e. S. und den sog. Erzählerkommentar. Das sind eigentlich Erzählereinmischungen wie die Anrede des Lesers durch den Erzähler, Exkurse, direkte Eingriffe in das Geschehen durch: Vorausdeutungen, Rückwendungen, fiktiver Diskurs mit den Figuren, (= "überlegene Distanz zum Erzählten, um die Distanz zum Leser abzubauen" Graevenitz 1982, S.93).

Aus der Distanz  des auktorialen Erzählers zum Erzählten resultiert auch zum Teil die häufige Verwendung der indirekten Rede und des ▪ Konjunktiv.

Die geistige Physiognomie des auktorialen Erzählers (Franz K. Stanzel)

Franz K. Stanzel, auf den die traditionelle Unterscheidung von Erzählsituationen zurückgeht, betont den prinzipiellen Unterschied zwischen Autor und Erzähler, indem er die Rolle des Erzählers als einer Art "Zwischenträger" zwischen Autor und Leser betrachtet.

Außerdem hebt er hervor, dass die Sicht des Erzählers auf das von ihm dargestellte Geschehen stets subjektiv ist, die Geschichte, wenn man so will, lediglich als Konstrukt des Erzählers aufzufassen ist. Dadurch scheine auch die "geistige Physiognomie" des auktorialen Erzählers durch.

"In jedem Fall jedoch bedeutet auktoriales Erzählen Selbstkundgabe eines persönlichen und außerhalb der dargestellten Welt stehenden Erzählers, der sich mit seiner Selbstkundgabe im Erzählakt auch der Interpretation stellt. Wichtige Anhaltspunkte dafür, wie sich der Leser zu ihm einzustellen hat, liefert bereits die vom Erzähler angenommene Rolle, [...]. Daraus sind bereits Schlüsse auf die Lage seines Standpunktes, seine Perspektive und die Weite seines Beobachtungshorizontes zu ziehen […]
Aufschlussreicher als die Rolleneinkleidung des auktorialen Erzählers sind seine Einmengungen, seine Zwischenrede und seine Kommentare zum erzählten Geschehen. In diesen Einschaltungen zeichnet sich nämlich die geistige Physiognomie des auktorialen Erzählers ab, seine Interessen, seine Weltkenntnis, seine Einstellungen zu politischen, sozialen und moralischen Fragen, seine Voreingenommenheit gegenüber bestimmten Personen oder Dingen.[…]
Seine Einmengungen üben [...], während sie das Geschehen erläutern und kommentieren, einen vom Leser nicht immer bewusst wahrgenommenen Einfluss auf ihn aus. Sie regen seine Erwartung bezüglich der Geschichte in einer ganz bestimmten Richtung an, lenken sein Interesse, pflanzen Keime für Zweifel im Hinblick auf das Verhalten eines Charakters, steigern den Eindruck der einen Szene und dämpfen den einer anderen usw. Der Leser ist also den auktorialen Suggestionen in viel größerem Maße ausgeliefert als ihm im allgemeinen bewusst wird. Wenn der "geschätzte" oder "aufmerksame" Leser vom Erzähler ins Vertrauen gezogen wird, etwa über eine Frage, wie wohl dies oder jenes Ereignis am besten darzustellen sei, oder über ein Problem, das die Gedanken des Erzählers persönlich und ganz unabhängig von der Erzählung zu beschäftigen scheint, so geschieht dies nicht zuletzt mit der Absicht, einen guten Kontakt zwischen Erzähler und Leser herzustellen, was wiederum die Voraussetzung dafür zu sein scheint, dass sich der Leser den unterschwelligen Anleitungen des Erzählers gegenüber öffnet. [...]

(aus: Franz K. Stanzel (1979), Typische Formen des Romans, Göttingen: Vandenhoek &Ruprecht 9. Aufl. 1979,)

Erzählperspektiven können sich auch innerhalb eines Textes ändern

Ein literarischer Text muss keineswegs das Erzählte nur aus einer Erzählerperspektive darbieten, auch wenn viele Texte das tun. In der modernen Literatur werden die  Erzählperspektiven aber auch häufig innerhalb ein und desselben Textes geändert. Daher lassen sich bestimmte Erzählperspektiven oft unbedingt zur Charakterisierung eines gesamten Werkes oder auch nur eines größeren Abschnitts heranziehen, "sondern lediglich zur Klassifizierung kleinerer Erzähleinheiten" (Vogt 1990, S. 52)

 Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 19.12.2023

       
 

 
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