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Der
Roman »"Siebenkäs" von »Jean
Paul
(1763-1825) wird
1796/97 zunächst in drei "Bändchen", später (1818) nach seiner
Umstrukturierung in vier "Bändchen" veröffentlicht. Sein vollständiger
Titel lautet: Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und
Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken
Kuhschnappel.
Jean Paul, der in der deutschen Literatur eine Sonderstellung einnimmt
und dessen Werke auf ein rundum zwiespältiges Publikuminteresse der Zeit
stößt, mischt darin immer wieder witzige und skurille EInfällen mit
Reflexionen über die Dichtung und die Welt und zeichnet sich dabei durch
seinen Humor, seine geistreiche Ironie und oft auch bissige Satire aus,
die er in seinen oft ironisch gebrochenen Idyllen für seine
Gesellschaftskritik verwendet. Die Ehe, um die es im "Siebenkäs" unter
anderem geht, war für ihn daher auch als "ein unendliches Wechselspiel
aus Leiden und kleinen Freuden" ein besonders geeigneter Stoff, um "im
psychologischen Duett [...] vielerlei Zeittypisches" zu porträtieren (Ortheil
2021, S. 132, google-books).
Der nachfolgende Auszug stammt ist der Beginn des 1. Kapitels, in dem
der Armenadvokat Firmian Stanislaus Siebenkäs im Reichsmarktflecken
Kuhschnappel seine Braut, die Putzmacherin Lenette Egelkraut,
Ratskopistentochter aus Augsburg, erwartet. Diese kommt unter der Obhut
des Schulrats Stiefel an.
Jean Paul
(1763-1825),
Siebenkäs.
Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand,
Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im
Reichsmarktflecken Kuhschnappel. Roman, 1796–1797
Erstes Kapitel
(Auszug)
"Der Armenadvokat Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel hatte
den
ganzen Montag im Dachfenster zugebracht und sich nach seiner Braut
umgesehen; sie sollte aus Augsburg früh ein wenig vor der
Wochenbetstunde ankommen, damit sie etwas Warmes trinken und einmal
eintunken könnte, ehe die Betstunde und die Trauung angingen. Der
Schulrat des Orts, der gerade von Augsburg zurückfuhr, hatte
versprochen, die
Verlobte als Rückfracht mitzunehmen und ihren Kammerwagen oder
Mahlschatz hinten auf seinen Koffer zu binden.
Sie war eine geborne
Augsburgerin – des verstorbenen lutherischen Ratkopisten Egelkraut
einzige Tochter –, wohnte in der Fuggerei in einem geräumigen Hause, das
vielleicht größer war als mancher Salon, und war überhaupt nicht
unbemittelt, da sie nicht wie pensionierte Hof-Soubretten von fremder
Arbeit lebte, sondern von eigner; denn
sie hatte die neuesten Kopf-Trachten früher als die reichsten Fräulein
in den Händen (wiewohl in einem Formate, daß
keine Ente den Putz aufsetzen
konnte) und führte nach dem kleinen Baurisse die schönsten Hauben im
großen aus, wenn sie einige Tage vorher bestellt waren.
Alles, was Siebenkäs unter dem Warten tat, waren einige Eidschwüre, daß
der Teufel das Suchen und seine Großmutter das Warten ausgesonnen.
Endlich erhielt er noch früh genug statt der Braut einen Nachtboten mit
einem Schreiben des Schulrats: er und die Verlobte könnten unmöglich vor
Dienstags eintreffen, sie arbeite noch an ihrem Brautkleide, und er noch
in den Bibliotheken der Exjesuiten und des Geheimen Rat Zapf und der
Gebrüder Veith und an einigen Stadttoren. [...] Er hatte nicht nur eine
schöne Stube, sondern auch einen langen roten Eßtisch zur Miete, den er
an einen niedrigen gestoßen, desgleichen hohe Kröpel-Stühle; auch die
Mietherren der Möbeln und der Stube, die sämtlich in diesem Hause
wohnten, hatt' er sich auf seinen blauen Montag geborgt gehabt; es wäre
sonach herrlich an diesem abgelaufen, weil die meisten Hausleute
Handwerker waren und also ihrer in seinen fiel; denn bloß der Mietherr
war etwas Bessers, nämlich ein Perückenmacher. [...]
Am frischen Morgen fuhr der Schulrat Stiefel vor und hob aus der
Kutschenarche (feine Lebensart ziert einen gelehrten Mann doppelt) einen
Haubenkopf statt der Braut aus dem Wagen und befahl, das übrige
Eingebrachte derselben, das in einem weißverblechten Reisekasten
bestand, abzuladen, indes er mit dem Kopfe unter dem Arme zum Advokaten
hinauflief: »Ihre werte Verlobte«, sagt' er, »muß gleich nachkommen; sie
putzt sich draußen im Vorwerk für das heilige Werk an und bat mich,
vorauszufahren, damit Sie nicht ungeduldig würden. Eine wahre Frau nach
Salomons Sinn, zu der ich höchlich gratuliere!«– –
»Der Herr Advokat Siebenkäs, meine Schönste? – zu dem kann ich Sie
führen, er sitzt bei mir selber, meine Beste, und ich werde Sie den
Augenblick bedienen«, sagte der Perückenmacher unten an der Türe und
wollte sie an der Hand hinaufgeleiten; aber da sie
ihren
zweiten Haubenkopf noch in der Kutsche sitzen sah, nahm sie ihn wie
ein Kind auf den linken Arm (der Haarkräusler wollte den Kopf vergeblich
tragen) und stieg
ihm wankend in das Männerzimmer nach. Sie reichte mit einem tiefen
Kniebeugen und leisen Grüßen dem Bräutigam bloß die rechte Hand hin, und
auf dem vollen runden Gesichtchen – alles ründete sich daran, Stirn,
Auge, Mund und Kinn –
blühten die
Rosen weit über die Lilien hinüber, waren aber desto lieblicher zu
schauen unter dem großen schwarzen Seidenhute, und das schneefarbige
Mousselinkleid mit einem vielfarbigen Strauße welscher Blumen und mit
den weißen Schuhspitzen gaben der
schüchternen Gestalt Reize über Reize.
Sie band sogleich – weil nicht mehr Zeit zum Kopulieren und Frisieren
übrig war – ihren Hut los und legte das Myrtenkränzchen darunter,
das sie im Vorwerke der Leute wegen versteckt, auf den Tisch, damit ihr
Kopf gehörig wie der Kopf anderer Honoratioren für die Trauung
zurechtgemacht und gepudert würde durch den schon passenden Mietherrn.
Du liebe Lenette! Eine Braut ist zwar
viele Tage lang für jeden, den sie nicht heiratet, ein schlechtes,
mageres hl. Schaubrot, und für mich
vollends; aber eine Stunde
nehm' ich aus – nämlich die am Morgen des Hochzeittages –, worin die
bisherige Freiin in ihrem dicken Putze zitternd, mit Blumen und Federn
bewachsen, die ihr das Schicksal mit ähnlichen bald ausreißet, und mit
ängstlichen andächtigen Augen, die sich am Herzen der Mutter zum letzten
und schönsten Mal ergießen; mich bewegt diese Stunde, sag' ich, worin
diese Geschmückte auf dem Gerüste der Freude so viele Trennungen und
eine einzige Vereinigung feiert, und worin die Mutter vor ihr umkehrt
und zu den andern Kindern geht und die Ängstliche einem Fremden
überlässet. Du froh pochendes Herz, denk' ich dann, nicht immer so wirst
du dich unter den schwülen Ehejahren heben, dein eignes Blut wirst du
oft vergießen, um den Weg ins Alter fester herabzukommen, wie sich die
Gemsenjäger ans Blut ihrer eignen Fersen halten. – –
Dann möcht' ich zu den zuschauenden und neidischen Jungfrauen auf dem
Wege zur Kirche hinaustreten und sagen: mißgönnt der Armen die Wonne
einer vielleicht flüchtigen Täuschung nicht so sehr – ach ihr sehet wie
sie heute den Zank- und Schönheitapfel der Ehe nur in der Sonnenseite
der Liebe hangen, so rot und so weich; aber die grüne, saure, im
Schatten versteckte Seite des Apfels sieht niemand. – Und wenn ihr
jemals eine verunglückte Ehegattin herzlich bedauert habt, welche den
veralteten Brautputz nach zehn Jahren von ungefähr aus dem Kleiderfache
zog, und in deren Augen auf einmal alle Tränen über die süßen Irrtümer
drangen, die sie in zehn Jahren verloren, wißt ihr denn das Gegenteil
von der Beneideten so gewiß, die vor euch glänzend vorüberzieht? –
Ich wäre aber hier nicht unerwartet in diese fremde Tonart von Rührung
ausgewichen, wenn ich mir nicht Lenettens Myrtenkränzchen unter dem
Hute
(ich wollte nur oben nichts von meiner Empfindung sagen) und ihr
Alleinsein ohne eine Mutter und ihr angepudertes weißes
Blumengesichtchen zu lebhaft vorgestellt hätte und vollends dazu die
Bereitwilligkeit, womit sie ihre jungen weichen Arme (sie
war schwerlich über neunzehn Jahre)
in die polierten Handschellen und Kettenringe der Ehe steckte, ohne
nur umzuschauen, an welche Plätze man sie daran führen würde....
Ich könnte hier die Finger aufheben und einen Schwur ableisten, daß
der Bräutigam so gerührt war wie ich, wo nicht stärker; zumal wie er den
Aurikeln-Puder aus dem Blüten-Gesichte gelind abstrich und die Blumen
darin nackt aufblühen ließ. Aber er hatte sein mit Liebetränken und
Freudentränen vollgegossenes Herz sehr behutsam herumzutragen, wenn es
nicht überlaufen sollte zu seiner Schande vor dem
lustigen
Haarkräusler und dem ernsten Schulrate. Auch litt er das Überlaufen
nicht an sich. Er versteckte, ja verhärtete gern die reinste Erweichung,
weil er immer an die Poeten und Schauspieler dachte, welche die
Wasserwerke ihrer Empfindung zur Schau springen lassen; und weil er
überhaupt über niemand so oft lachte als über sich. [...] "
(Quelle: Jean Paul: Werke. Band 2, München 1959–1963, S.
34-37
http://www.zeno.org/nid/20005125863) - gemeinfrei
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