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Die Erfassung und Darstellung des Geschehens durch den Erzähler
Für Wolf Schmid ist Erzählperspektive "der von inneren
und äußeren Faktoren gebildete Komplex von Bedingungen für das Erfassen
und Darstellen eines Geschehens" (Schmid
2005, S.125, S.308). Dabei können die beiden Akte des Erfassens und
Darstellens kongruent oder
inkongruent ausfallen und dadurch wichtige Aufschlüsse über die
Präsentation des Geschehens durch den Erzähler geben.
Die Erzählperspektive kann sich in unterschiedlichen
Perspektiven zeigen
Perspektive
nur einfach als Blickwinkel oder ▪ Standort des Erzählers zu betrachten,
verkürzt in grober Weise, was in einem Erzähltext überhaupt
perspektiviert werden kann. Neben dieser räumlichen Perspektive kann man
das Phänomen der Perspektive noch unter vier weiteren "Parametern,
Aspekten oder Facetten" (ebd.,
S.127) betrachten. Alle diese Parameter können sich prinzipiell mit
jeder der beiden Grundformen der Perspektive, der narratorialen oder der
figuralen Perspektive, verbinden. Zugleich werden in Erzähltexten in der
Regel nicht unbedingt alle Möglichkeiten (Parameter) der Perspektive
ausgeschöpft und gestaltet.
-
Wenn der
Erzähler auf eine ▪
narratoriale oder
▪ figurale Perspektive festgelegt
ist, kann diese Perspektive auch in allen in Frage kommenden Parametern
gleich gestaltet sein. Alle Parameter sind dann entweder narratorial
oder eben personal gestaltet. Eine solche Gestaltung kann man als
kompakte Perspektive bezeichnen
(kompakte narratoriale oder
kompakte figurale Perspektive).
-
Es kann
aber auch sein, dass die Parameter unterschiedlich gestaltet sind.
Das ist der Fall, wenn z. B. mehrere Parameter narratorial und ein
Parameter figural gestaltet ist. In diesem Fall spricht man, je nach
Dominanz, von distributiver Perspektive.
-
Und
schließlich können sich bestimmte, im Extremfall sogar alle
Parameter neutralisieren, wenn sie auf die narratoriale und
auf figurale Erzählinstanz bezogen werden können, oder, wenn sie von
keiner der beiden gestaltet ist.
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Die Parameter der narratorialen und figuralen Perspektive
Wolf
Schmid (2005,
S.125ff.) unterscheidet fünf Parameter, in denen sich Perspektive narratorial oder figural manifestieren kann.
(vgl.
Lahn/Meister 2013, S.111)
Perspektive
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Merkmale |
Perzeptive Perspektive
Mit wessen Augen wird das Geschehen gesehen?
An welchen (Wissens-)horizont ist das Wahrgenommen gebunden?
(epistemologische
Position) |
-
wird oft verkürzt mit Erzählperspektive
gleichgesetzt
-
"Prisma, durch das das Geschehen wahrgenommen wird"
(Schmid
(2005, S.131)
-
handelt es sich um eine figurale perzeptive
Perspektive kann man das u. U. an Themen, die auf den
eingeschränkten Horizont der Figur verweisen, an ihren
Emotionen, an ihrem "Raumgefühl" etc. erkennen
|
Ideologische Perspektive
Wie und auf welcher Grundlage wird das, was wahrgenommen
wird, ethisch, moralisch, philosophisch, weltanschaulich,
politisch etc. beurteilt und bewertet? |
-
subjektive Faktoren, die das Verhältnis des
wahrnehmenden Subjekts zu dem, was es wahrnimmt,
festlegen können, wie z. B. Wissen, Denkweisen,
Einstellungen, Interessen, Wertungshaltungen, geistiger
Horizont
-
kann als
direkte explizite Wertung auftreten oder in anderen
Perspektiven impliziert enthalten sein, z. B. der
räumlichen Perspektive (vgl.
ebd., S.127ff.)
|
Räumliche Perspektive
Aus welcher räumlichen Position wird das Geschehen der
Geschichte wahrgenommen? |
-
durch den
(räumlichen) Ort konstituiert, von dem das Geschehen
gesehen, gehört oder sonstwie wahrgenommen wird und
beschränkt durch das davon bestimmte Gesichtsfeld einer Figur bzw. der Erzählinstanz
(Schmid 2005, S.127)
-
abhängig
auch von der Kompetenz der Erzählinstanz eng an die räumliche
Position der Figur oder "mit olympischer
Allgegenwärtigkeit verbunden" (Schmid 2005, S.145)
-
ob die
räumliche Perspektive figural oder narratorial ist,
lässt sich nicht immer leicht feststellen; ist die
räumliche Position nicht hinreichend markiert und der
Blick auf die Räume des Geschehens nicht durch das
Blickfeld einer Figur beschränkt, "liegt in jedem Fall
narratoriale räumliche Perspektive vor." (ebd.)
-
Signale
für personale räumliche Perspektive sind deiktische (direktive)
Ortsadverbien, die sich auf das Hier der Figur beziehen,
z. B. hier, dort, rechts, links, oben, unten usw.
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Zeitliche Perspektive
Wird das "Jetzt" des Geschehens an einer der Figuren
festgemacht oder drückt es eine davon unabhängige zeitliche
Position des Erzählers bzw. der Erzählinstanz aus? |
-
Verschiebung des zeitlichen Standpunktes auf der
Zeitachse mit seinen möglichen Folgen wie einer
veränderten Wissensgrundlage (Wissenszuwachs ebenso wie
einfaches Vergessen), veränderten Bewertungskriterien,
die z. B. zu einer neuen Sichtweise und Neubewertung des
Geschehens führen können
-
bestimmt
den zeitlichen Abstand zwischen dem ursprünglichen
Erfassen und dem späteren Erfassen und Darstellen des
Geschehens
-
dabei ist
es beim Erfassen egal, ob es sich dabei um den ersten
Eindruck oder seine Verarbeitung und Deutung erst zu
einem späteren Zeitpunkt handelt
-
Geschehen, das narratorial zeitlich perspektiviert
ist, zeigt sich in einem freien Umgang des Erzählers mit
der Zeit, der ganz nach Belieben Zeitebenen wechseln und
Geschehen, Ereignisse und Entwicklungen vorwegnehmen
kann, die in der Zukunft liegen
-
Signale für eine narratoriale zeitliche Perspektive
sind anaphorische Wendungen wie in diesem Augenblick,
zu dieser Stunde, an diesem Tag, am nächsten Tag
usw.
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Merkmale der figuralen (personalen) zeitlichen
Perspektive sind a) die enge Bindung der
Darstellung an das Jetzt der Figur b) die Koppelung der
Darstellung daran, wie es eine Figur wahrnimmt oder
erlebt c) eine Darstellung, die sehr ins Detail geht d)
die chronologische Darstellung der Ereignisse, die bis
hin zur vollständigen Darbietung des Geschehens, wie es
die Figur im chronologischen Nacheinander wahrnimmt; (ebd.,
S.143ff.)
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Signale für eine figurale zeitliche Perspektive
sind deiktische Zeitadverbien wie jetzt, gestern,
heute, morgen usw. die sich "auf einen
bestimmten zeitlichen Nullpunkt" das Jetzt der Figur
beziehen (ebd.,
S.143)
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Sprachliche Perspektive
Wessen Sprache benutzt der Erzähler? Spricht er in seiner
eigenen Sprache oder in der einer seiner Figuren oder in der eines
bestimmten Milieus? |
- Erzähler kann in seiner eigenen Sprache
(Sprachebene, Sprachstil, Wortwahl etc.) (= narratoriale
sprachliche Perspektive) oder in der Sprache einer Figur
(= figurale sprachliche Perspektive) sprechen bzw.
erzählen
- dies gilt auch beim
diegetischen Erzählen, wenn das
erzählende Ich eine andere Sprache spricht als das
erzählte Ich
- dabei kann es durchaus vorkommen, dass der Erzähler
eine bestimmte figurale sprachliche Perspektive auch
dann beibehält, wenn es sich gar nicht um die
Wahrnehmungsperspektive (perzeptive Perspektive) dieser
Figur handelt (ebd.,
S.146)
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(Kurzfassung) |
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Leitfragen in einem vereinfachten Analyseverfahren
Schmid
(2005, S.149) spricht aus mehreren Gründen für ein vereinfachtes
Verfahren aus:
-
In vielen Texten
sind bestimmte Parameter gar nicht gestaltet.
-
Oft
neutralisieren sich die Parameter
gegenseitig.
-
In kürzeren
Textabschnitten fehlen oft Hinweise auf die raumzeitliche
Situierung des Geschehens.
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.07.2024
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