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Bei der
Figuren-/Personenrede wird häufig, besonders wenn ein Gespräch erzählt wird, die direkte
Rede verwendet. Unter der direkten Rede versteht man die
wörtliche Wiedergabe einer
Äußerung. Üblicherweise wird die direkte Rede in geschriebener
Sprache mit einem Wiedergabeindex versehen, der Anfang und Ende der
direkten Rede markiert. Dafür gibt es die die
Anführungszeichen, die in
der
Zeichensetzung mit
bestimmten
Regeln verwendet werden.
Die wichtigste Wirkung der direkten Rede beschreibt
Vogt
(1990, S.151) wie folgt:
"Direkte Rede wirkt unmittelbar, der Leser vernimmt wie im Drama die Figur
selbst; andererseits unterbricht sie spürbar den Erzählfluss - und dies
um so stärker, je ausgedehnter sie ist."

Merkmale
-
gibt epischem Text
Akzent eines
dramatischen Textes (dialogisch)
-
Wortwechsel ist die Handlung
-
zieht Leser in das Geschehen
hinein
-
unterbricht den Erzählfluss
-
Erzähler tritt hinter die Figuren
zurück
-
manchmal von der eigentlichen
Handlung abschweifend für Erörterungen allgemeiner Art
-
Wirkung: szenisch
unmittelbar, vergegenwärtigend,
zeitdeckend,
indirekt
charakterisierend
-
Affinität zur
personalen
Erzählsituation
-
häufig in Kombination mit der
indirekten Rede
-
keine
Innensicht
des Erzählers, sondern mehr oder weniger bewusster Einblick in die
Gedankenwelt einer Figur, wenn eine Figur in einer Art "Gedankenbericht"
mitteilt, woran sie denkt oder was sie bewegt
-
keine kommentierende Einmischung des Erzählers möglich
Die direkte Rede wird in geschriebener Sprache üblicherweise mit einem
Wiedergabeindex versehen, der Anfang und Ende der direkten Rede markiert.
Dafür gibt es die die
Anführungszeichen, die in
der
Zeichensetzung mit
bestimmten
Regeln verwendet werden.
Dabei wird die Äußerung in Anführungszeichen eingeschlossen. Wenn die
direkte Rede einem übergeordneten Satz unterbrochen wird, werden alle
Teile der direkten Rede in Anführungszeichen eingeschlossen.
Anführungszeichen in journalistischen Darstellungsformen
Anführungszeichen sind für für bestimmte Textsorten bis heute
unverzichtbar. So gehört es bei
journalistischen
Darstellungsformen selbstverständlich dazu, wörtlich
Gesagtes, in Anführungszeichen gesetzt, als originale und authentische
Wiedergabe zu markieren. Ebenso müssen Textpassagen, die wortgetreu aus
anderen Werken übernommen werden, also
wörtlich zitiert werden, aus urheberrechtlichen Gründen, wegen wissenschaftlicher Konvention und allgemeiner Redlichkeit mit
Anführungszeichen versehen werden. Andernfalls handelt es sich um ein
Plagiat.
Anführungszeichen als Wiedergabeindizes in der modernen
belletristischen Literatur
In epischen
Texten wird von der Markierung durch Anführungszeichen sehr
häufig Gebrauch gemacht, so wie dies in den unten stehenden Beispielen
1
und 3
der Fall ist. Damit wird die direkte Rede von anderen
Darbietungsformen wie dem
Erzählerbericht, der
indirekten Rede,
der erlebten Rede,
dem inneren
Monolog oder dem
Bewusstseinsstrom deutlich abgehoben. Aber ebenso wird in den
Erzähltexten auch auf die
Anführungszeichen verzichtet. Dann kommen aber
meistens andere Wiedergabeindizes zum Einsatz.
- So werden die Äußerungen
samt ihrer übergeordneten Sätze eingerückt und die Sprecherwechsel werden
oft mit Gedankenstrichen (Spiegelstrichen) signalisiert.
- Ebenso kommt es vor, dass - wie in dramatischen Texten - einfach
der Sprecher ohne weitere syntaktische Einbettung vor die Äußerung
gesetzt wird. (→
Doris
Dörrie, Trinidad)
Oft wird aber auch auf jegliche Markierung
wörtlicher Rede mit Satzzeichen oder sonstigen Zeichen- und
Absatzattributen (z. B.
Schriftschnitt) selbst in erweiterten Gesamtsätzen
verzichtet. Damit wird die wörtliche Rede so in den Erzählerbericht
eingebettet, dass der Verzicht auf Anführungszeichen auch wichtige
Lesehilfen beseitigt. Natürlich wird dadurch auch die Lesefreundlichkeit
herabgesetzt, indem die mit Wiedergabeindizes ermöglichte Abgrenzung von
wörtlichen Äußerungen gegenüber anderen Äußerungen erschwert wird. (→Beispiel:
Philip Roth, Der Professor der Begierde)
Auf der anderen Seite gewinnt ein derart gestalteter Text
u. U. mit seiner
Schriftgestaltung
insgesamt einen anderen
Schriftcharakter und u. U. auch eine andere Art der
Anmutung. (→Beispiel:
Kurt Marti, Neapel sehen) In jedem Falle wird der
Fließtextcharakter des Ganzen damit betont. Erzähltechnisch
ausgedrückt: die von direkter Rede ausgehende spürbare Unterbrechung des
Erzählflusses (vgl.
Vogt
1990, S.151,
s.o.),
wird damit in gewisser Weise gemindert.
So verbirgt sich hinter einem teilweisen oder vollständigen Verzicht auf
"Äußerungszeichen" (Engel
1988/1996, S.833ff,) wie z.B. Punkt, Ausrufezeichen, Fragezeichen,
Komma, Doppelpunkt, Gedankenstrich, Klammern und Anführungszeichen) als
Wiedergabeindizes im Allgemeinen doch mehr als eine bloße "Mode", wie
die eine oder andere kritische Stimme zum Lektorieren solcher
Manuskripte vermutet (→Verzicht
auf Markierung als modisches Stilmittel).
Insbesondere bei anspruchsvoller Literatur, bei der
der Autor den Wechsel zwischen den verschiedenen Darbietungsformen
des Erzählens bewusst ohne solche
Wiedergabeindizes gestaltet, liegt dem häufig ein Erzählkonzept (Erzählweise)
zugrunde, das die prinzipielle Gleichwertigkeit sprachlicher oder
gedanklicher Äußerungen, den nahtlosen Übergang zwischen Gesprochenem
und Gedachten im Rahmen der zugrunde gelegten
Erzählperspektive
signalisieren soll. Zugleich erfordert der Verzicht auf Äußerungszeichen
einen kompetenten Leser, der durch Kenntnis und Erfahrung im Umgang mit
verschiedenen
Darbietungsformen des Erzählens der vom Autor konzipierten
Erzählweise folgen und dabei auch nicht markierte wörtliche Rede als
solche erkennen kann.
Daher wird auch der Übergang von der direkten Rede in
den Redebericht oder inneren Monolog häufig
fließend gestaltet. Häufig kommt es aber auch zu
einem Wechsel zwischen direkter und
indirekter Rede beim Erzählen (Fluktuation).
Beispiel 1:
In
Thomas Manns (1875-1955)
Novelle "Tonio Kröger"
(1903) führt der Schriftsteller Tonio Kröger ein Gespräch mit seiner
russischen Malerfreundin Lisaweta Iwanowna in deren Atelier über Kunst und
Literatur. Dabei geht es im Kern um den Gegensatz von Kunst und Leben und
damit auch um den Gegensatz der Existenzen von Künstler und Bürger. Im
Gespräch zwischen den beiden Künstlern stehen die Fremdheit des Künstlers
in der bürgerlichen Welt und die Zerstörung des Menschlichen durch die
Kunst im Mittelpunkt.
"Ich
bin am Ziel, Lisaweta. Hören Sie mich an. Ich liebe das Leben - dies ist
ein Geständnis. Nehmen Sie es und bewahren Sie es, - ich habe es noch
Keinem gemacht. Man hat gesagt, man hat es sogar geschrieben und drucken
lassen, dass ich das Leben hasse oder fürchte oder verachte oder
verabscheue. Ich habe dies gern gehört, es hat mir geschmeichelt; aber
darum ist es nicht weniger falsch. Ich liebe das Leben... [...]«
»Sind Sie nun fertig, Tonio Kröger?«
»Nein. Aber ich sage nichts mehr.«
»Und es genügt auch. - Erwarten Sie eine Antwort?«
»Haben Sie eine?«
»Ich dächte doch. - Ich habe Ihnen gut zugehört, Tonio, von Anfang bis
zu Ende, und ich will Ihnen die Antwort geben, die auf alles passt, was
Sie heute Nachmittag gesagt haben, und die die Lösung ist für das
Problem, das Sie so sehr beunruhigt hat. Nun also! Die Lösung ist die,
dass Sie, wie Sie da sitzen, ganz einfach ein Bürger sind.«
»Bin ich?« fragte er und sank ein wenig in sich zusammen...
»Nicht wahr, das trifft Sie hart, und das muss es ja auch. Und darum
will ich den Urteilsspruch um etwas miildern, denn das kann ich. Sie
sind ein Bürger auf Irrwegen, Tonio Kröger, - ein verirrter Bürger.«
- Stillschweigen. Dann stand er entschlossen auf und griff nach Hut und
Stock.
»Ich danke Ihnen, Lisaweta Iwanowna; nun kann ich getrost nach Hause
gehen. Ich bin erledigt.«
(Thomas Mann, Tonio Kröger und Mario und der Zauberer, 35. Aufl.,
Frankfurt/M.: Fischer-Verlag 1999, S.41)
Beispiel 2:
Die
Kurzgeschichte »Das
Leben ist kurz« von
Gabriele Wohmann
ist von wenigen Passagen des
Erzählerberichts abgesehen, nur in
direkter Rede gestaltet, so dass die
szenische Darstellung in den
Vordergrund rückt. Auf
Anführungszeichen und
anderen Zeichen, um den Sprecherwechsel zu signalisieren, wird im Text
verzichtet, dessen Erzähler aus der
Innenperspektive erzählt
und der in einer meist
personaler
Erzählperspektive aus der Sicht Hedwigs verfasst ist.
Darin zeigt sich die Affinität der direkten Rede zu dieser
Erzählperspektive/Erzählhaltung.
Das Leben ist kurz
Gabriele Wohmann
Herein!, rief Hedwig, und schon trat ihre Schwester Gina ins Zimmer.
Sie sah unschlüssig aus.
Ich fand's eigentlich doch kurz. Ginas weißgrauer Schopf war zerrauft,
anscheinend hatte sie schon im Bett gelegen.
Was war kurz?
Unser Leben.
Aber es war lang. Ausnahmsweise widersprach Hedwig. Du bist's doch von
uns beiden, die sich an alles erinnert. Wir trugen als Kinder lange
Kleider, die Musikstunden bei Onkel Wilhelm und all das.
Gina wog ihre Portion in der Hand. Du hast doch nichts genommen, Hedwig.
Wir wollten es um Mitternacht tun, sagte Hedwig demütig. Gina stellte
sich ans Fenster und blickte in den östlichen Nachthimmel: Der Orion ist
wirklich näher herangekommen. Sag, was du willst, Hedwig, ich weiß nicht
mehr, ob wir's tun sollen.
Aber das Brummen und das merkwürdige Rauschen, du hörst es doch noch?
Hedwig fragte unkonzentriert, denn sie erinnerte sich an ihren Mann, den
lieben, guten, und aus Schüchternheit erwähnte sie nicht, der Orion sei
ihrer beider Lieblingssternbild gewesen. Und wenn er wirklich näher
herangekommen war, der Orion?
Es war ein langes Leben, objektiv, sagte Gina. Aber auch kurz.
Das Leben ist kurz...
Und der Tag ist lang, ergänzte Gina das Lieblingszitat ihrer Schwester.
Die Geigenstunden mit Axel, die waren lang. Stunden sind lang.
Aber das Leben, ich find's doch kurz.
Es geht uns ja auch zur Zeit ganz gut, sagte Hedwig vorsichtig.
Wir könnten noch ein bisschen warten.
Vielleicht müsste ich mir nur das Ohr ausputzen lassen, sagte Gina. Du,
hör mal, eigentlich haben wir's oft noch ganz schön, oder?
(aus: Süddeutsche Zeitung, 11./12.3.95)
Beispiel 3:
In seinem Text »Ein Tod« gestaltet
Arno Holz (1863-1929), ganz
so, wie es bei Dichtern der
Literaturepoche des
Naturalismus (1880-1910)
üblich war, den Tod eines Menschen in überwiegend
szenischer
Darstellung, also fast nur mit der direkten Rede der beiden
Gesprächspartner. Dadurch erzielt der Text seine szenisch
unmittelbare Wirkung, die auch der authentisch wirkenden
Zeitdeckung (Erzählzeit
=
erzählte Zeit) beruht.
Ein Tod
Arno Holz"Du!" "Was denn?!" "Er liegt so auffallend still?" "Ja! … Und… Herrgott! Sieh mal!!! Seine Nase ist - so spitz? Und…
die - Augen…" Olaf hatte sich schnell über Martin gebückt. Um seinen Mund lag jetzt ein krampfiges Lächeln. Die Arme lagen lang
über das zerwühlte Bett hin. Das scharfe spitzige Gesicht, auf welches
jetzt schräg die Sonne fiel, war wachsbleich. "Man… man spürt - den Puls gar nicht - mehr…" "Was??" "Ach… Er… er ist ja - tot?!" "W…??" "Tot!!" "Tot?? Du meinst … tot???" Die Worte blieben Jens in der Kehle stecken. Er zitterte. "Tot?" Es war, als ob er an dem Wort kaute. "Es … es… ich will… die Wirtin…" "Lass!" Olaf hatte sich tief über die Leiche gebeugt. Er drückte ihr die Augen
zu… Eine Minute war vergangen. Sie hatten nicht gewagt, sich anzusehen.
(aus: Arno Holz u. Johannes Schlaf, Papa Hamlet. Ein Tod.
Stuttgart: Philipp Reclam Verlag, Nr.8853)
Beispiel 4:
In
Theodor Fontanes
(1819-1898) Roman »Effi
Briest« (1895) lässt sich am Beginn des 12. Kapitels das
Zusammenwirken von direkter Rede und indirekter Rede als Figurenrede und
dem Redebericht
als spezifische Form des Erzählerberichts i. e. S. aufzeigen (Fluktuation).
Damit kann der Erzähler das Tempo variieren und die Szene zugleich
gedrängt und anschaulich erscheinen lassen. (vgl. Vogt
1990, S. 155,)
Es war spät, als man aufbrach. Schon bald nach zehn hatte Effi zu
Gieshübler gesagt,
es sei nun wohl Zeit; Fräulein Trippelli, die den Zug nicht versäumen
dürfe, müsse ja schon um sechs von Kessin aufbrechen; die
danebenstehende Trippelli aber, die diese Worte gehört, hatte mit der
ihr eigenen ungenierten Beredsamkeit gegen solche zarte Rücksichtnahme
protestiert. »Ach, meine
gnädigste Frau, Sie glauben, dass unsereins einen regelmäßigen
Schlaf braucht, das trifft aber nicht zu; was wir regelmäßig brauchen,
heißt Beifall und hohe Preise. Ja, lachen Sie nur. Außerdem (so was
lernt
man) kann ich auch im Coupé schlafen, in jeder Situation und sogar
auf der linken Seite, und brauche nicht einmal das Kleid aufzumachen.
Freilich bin ich auch nie eingepresst; Brust und Lunge müssen immer frei
sein und vor allem das Herz. Ja, meine gnädigste Frau, das ist die
Hauptsache. Und dann das Kapitel Schlaf überhaupt - die Menge tut es
nicht, was entscheidet, ist die Qualität; ein guter Nicker von fünf
Minuten ist besser als fünf Stunden unruhige Rumdreherei, mal links, mal
rechts. Übrigens schläft man in Russland wundervoll, trotz des starken
Tees. Es muss die Luft machen oder das späte Diner oder weil man so
verwöhnt wird. Sorgen gibt es in Russland nicht; darin - im Geldpunkt
sind beide gleich - ist Russland noch besser als Amerika.«
Nach
dieser Erklärung der Trippelli hatte Effi von allen Mahnungen zum
Aufbruch Abstand genommen, und so war Mitternacht herangekommen. Man
trennte sich heiter und herzlich und mit einer gewissen Vertraulichkeit.
Der Weg von der Mohrenapotheke bis zur landrätlichen Wohnung war
ziemlich weit; er kürzte sich aber dadurch,
dass Pastor Lindequist bat,
Innstetten und Frau eine Strecke begleiten zu dürfen; ein Spaziergang
unterm Sternenhimmel sei das beste, um über Gieshüblers Rheinwein
hinwegzukommen.
Unterwegs wurde man natürlich nicht müde, die verschiedensten
Trippelliana heranzuziehen; Effi begann mit dem, was ihr in
Erinnerung geblieben, und gleich nach ihr kam der Pastor an die Reihe.
Dieser, ein Ironikus, hatte die Trippelli, wie nach vielem sehr
Weltlichen, so schließlich auch nach ihrer kirchlichen Richtung gefragt
und dabei von ihr in Erfahrung gebracht, dass sie nur eine Richtung
kenne, die orthodoxe. Ihr Vater sei freilich ein Rationalist gewesen,
fast schon ein Freigeist, weshalb er auch den Chinesen am liebsten auf
dem Gemeindekirchhof gehabt hätte; sie ihrerseits sei aber ganz
entgegengesetzter Ansicht, trotzdem sie persönlich des großen Vorzugs
genieße, gar nichts zu glauben. Aber sie sei sich in ihrem entschiedenen
Nichtglauben doch auch jeden Augenblick bewusst, dass das ein
Spezialluxus sei, den man sich nur als Privatperson gestatten könne.
Staatlich höre der Spaß auf, und wenn ihr das Kultusministerium oder gar
ein Konsistorialregiment unterstünde, so würde sie mit unnachsichtiger
Strenge vorgehen. »Ich
fühle so was von einem Torquemada in mir.« Innstetten war sehr
erheitert und erzählte seinerseits, dass er etwas so Heikles, wie das
Dogmatische, geflissentlich vermieden, aber dafür das Moralische desto
mehr in den Vordergrund gestellt habe. Hauptthema sei das Verführerische
gewesen, das beständige Gefährdetsein, das in allem öffentlichen
Auftreten liege, worauf die Trippelli leichthin und nur mit Betonung der
zweiten Satzhälfte geantwortet habe: »Ja, beständig gefährdet; am
meisten die Stimme.«
Unter solchem Geplauder war, ehe man sich trennte, der Trippelli-Abend
noch einmal an ihnen vorübergezogen [...]
(aus: Theodor Fontane, Effi Briest, 4. Aufl., o. O.: 1982
(=Goldmann-Klassiker mit Erläuterungen), S.88-90)
Beispiel 5:
In seinem Roman "Professor der Begierde" (1978, 1998), stellt
der US-amerikanische Schriftsteller »Philip
Roth (geb. 1933) dar, wie der Literaturprofessor David
Kepesh, ein Enkel jüdischer Emigranten, als im Grunde einsamer Egomane
von seiner sexuellen Begierde umgetrieben wird und erst zu sich selbst
findet, als er nach seiner Scheidung von Helen Baird, mit der drei Jahre
verheiratet gewesen ist, in der Lehrerin Claire Ovington eine
verständnisvolle Lebensgefährtin findet. In einer Psychotherapie
versucht er mit Hilfe von Dr. Frederick Klinger über seinen Schmerz nach
der Trennung von Helen hinweg- und wieder mit sich ins Reine zu kommen.
(vgl. Dieter
Wunderlich 2005) Während eines Therapiegesprächs wird die szenische
Darstellung, die nur einmal mit dem elliptischen "Das Telefon" als
Erzählerbericht und den Sprechermarkierungen unterbrochen wird, mit
Anführungszeichen strukturiert, die aber - nicht konsequent gesetzt -
das jeweils vom Therapeuten im Raum Gesagte - zwischen Therapie- und
Telefongespräch fast bruchlos ineinandergreifen lässt.
»Warum
erlauben Sie Helen«, fährt Klinger fort, »die sich in ihrem
hektischen Bemühen, die Hohepriesterin des Eros zu sein,
kaputtgemacht hat - und die beinahe auch Sie mit ihren Behauptungen
und Andeutungen kaputtgemacht hat - warum erlauben Sie ausgerechnet
Helen immer noch, mit ihrem Urteil Macht über Sie auszuüben? Wie
lange wollen Sie ihr eigentlich noch gestatten, Sie dort
zurückzuweisen, wo Sie sich am schwächsten fühlen? [...] Was war den
ihr >mutiges< Suchen
...« Das Telefon. »Entschuldigen Sie«, sagt er. Ja, am Apparat. Ja,
nur zu. Hallo ... ja ich kann Sie sehr gut verstehen. Wie ist
Madrid? Was? Nun selbstverständlich ist er misstrauisch, was haben
Sie denn erwartet? Sagen Sie ihm einfach, dass er sich töricht
verhält, und dann vergessen Sie's. Nein, selbstverständlich wollen
Sie keinen Streit vom Zaun brechen. Das verstehe ich. Sagen Sie's
einfach, und dann versuchen Sie, allen Mut zusammenzunehmen. Sie
können sich ihm widersetzen. Gehen Sie zurück auf ihr Zimmer und
sagen Sie es ihm. Aber ich bitte Sie, Sie wissen doch genau, dass
Sie das können. Schön. Viel Glück. Und amüsieren Sie sich gut.
Wiedersehen. - »Was war denn ihre Sucherei anderes«, sagt er, »als
ein Ausweichen? Eine kindische Flucht vor dem, was man im Leben
wirklich schaffen kann?« - »Andererseits«, sage ich, »sind diese
Vorhaben, die man tatsächlich verwirklichen kann, so etwas wie eine
Flucht vor der Suche.« - »Bitte, Sie lesen gern und schreiben gern
über Bücher. Das schafft Ihnen nach eigenen Aussagen enorme
Befriedigung - oder hat es zumindest früher getan und wird es
auch wieder tun, das versichere ich Ihnen. Im Augenblick haben Sie
nur alles bis obenhin satt.[...]«
(aus: Philip Roth, Professor der Begierde 1978, Reinbek bei Hamburg:
Rowohlt, Neuausgabe 2004, S.123f.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
24.11.2018
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