▪
Der Blankvers
in Lessings "dramatischem Gedicht in fünf Aufzügen "Nathan
der Weise"
▪
Schillers ästhetische
Theorie und die Funktion der sprachlichen Gestaltung des
Dramas
▪
Rhetorik der Idealisierung
Auch der Blankvers hat eine verfremdende und oft befremdende
Wirkung
Der Blankvers reimt
sich nicht. Das sieht man in der Regel auf den ersten Blick.
Dennoch ist der Blankvers, der seinen Namen aus dem Englischen
hat (blank = ungereimt), gebundene, d.h. eine in Versform
ästhetisch stilisierte Sprache Man spürt dies spürt insbesondere
beim lauten Lesen heraus. das sich eben irgendwie fremd anhört
und bei dem der Redeklang das Gesprochene irgendwie verfremdet.
Und: In einem ▪ Versdrama ▪
sprechen in der Regel alle Figuren so und tun dabei so, als
sei das gänzlich normal. Die Kommunikation der Figuren, die so
sprechen, verläuft jedenfalls sprachlich so als ob sie sich im
Prosastil der
Normalsprache unterhielten.
Literaturdidaktisch schafft das durchaus Probleme und erschwert
Schülerinnen und Schülern oft einfach den Zugang zu Versdramen.
Sie begegnen derart sprachlich gebundenen Texten schnell mit
Ablehnung, weil ihnen die Sprache mehr als
seltsam, befremdlich, mitunter sogar unnötig geziert erscheint. Um dies aufzufangen,
aber auch um die Besonderheit dieser gebundenen Sprache herauszuarbeiten,
lohnt es sich, auf verschiedene Formen des ▪
kreativen Schreibens zu setzen und mit Methoden der ▪
produktiven Textarbeit und/oder der gestaltenden
Interpretation der Sprache zu nähern, z. B. durch
Umwandlung des dramatischen Textes in eine Prosafassung, Modernisierungen
mit Travestiecharakter,
Verfassen von Zeitungsberichten etc.
Die metrische Struktur des Blankverses
Die Besonderheit des Blankverses, seine Abweichung von der
Normalsprache, beruht auf der systematisch alternierenden
Abfolge von betonten und unbetonten Silben (Hebungen
und Senkungen).
Diese charakteristische Abfolge prägt damit sein
Versmaß bzw.
seine metrische Struktur.
Diese Tonfolge
von betonter und unbetonter Silbe wird in der Verslehre (Metrik)
als Jambus bezeichnet. Der Jambus
ist die kleinste Einheit dieser Tonfolge und wird als
Versfuß bezeichnet.
Das Wort "Jambus" selbst ist als Versfuß, was es bezeichnet, nämlich eine
Abfolge von einer unbetonten Silbe gefolgt von einer betonten. Notiert wird
der Versfuß entweder nach antikem Muster als "v-" oder nach deutschem Muster xẋ
oder xX oder xx. Im deutschen Vers spricht man auch
statt Betonung bzw. Nicht-Betonung von
Hebung
(Starkton) und
Senkung
(Schwachton).
Ob eine Silbe eine Hebung oder eine Senkung erforderlich
macht, ergibt sich aus den Betonungsregeln, die aber unabhängig von der
Bedeutung und ebenso unabhängig von Vers oder Prosa sind. Einsilbige
Wörter können je nach Wortumgebung als Hebung oder Senkung vorkommen.
Mitunter ist es gar nicht so einfach herauszuhören, ob es sich bei einer
Silbe um eine Hebung oder eine Senkung handelt. Vielleicht hilft da die
Faustregel weiter: Als "schwer" gilt eine Silbe dann, wenn sie "schwerer"
ist als ihre unmittelbare Nachbarsilbe, als "leicht", wenn sie "leichter"
als die unmittelbare Nachbarsilbe ist. (vgl.
Fricke/Zymner 1993, S.104)
Das jeweilige Versende eines Blankverses kann dabei mit
klingender oder stumpfer Kadenz erfolgen. Endet ein Vers auf
einen Versfuß
mit einer einzelnen betonten Silbe (Hebung)
dann spricht man von einer
stumpfen
Kadenz, endet er auf einen zweisilbigen
Versfuß (Senkung und einer
Hebung)
mit einer unbetonten Silbe ist dies eine
klingende
Kadenz. Statt dieser Begriffe werden auch häufig die
Begriffe
männliche oder
weibliche
Reime verwendet.
Die metrische Struktur des Blankverses besteht, kurz zusammengefasst, aus
reimlosen Verszeilen mit alternierendem
jambischen (v-)
Metrum von zehn Silben bei
stumpfer
Kadenz (der
Vers schließt mit einer Hebung) oder elf bei
klingender
Kadenz (der
Vers
schließt mit Hebung und
Senkung bzw.
einer unbetonten Silbe).
Da der Blankvers gewöhnlich aus einer Abfolge
von 5 Hebungen bzw. 5 auf der ersten Silbe betonten Wörtern besteht,
bezeichnet man die metrische Struktur des
Blankverses auch als fünfhebigen
Jambus.
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Die prosanahe Rezitation des Blankverses
Die
Versanordnung der ▪ dramatischen Rede bei
Versdramen, die den Blankvers verwenden, ist hingegen alles
andere als gleich.
Was typografisch
mit der Zeilenanordnung in Versen wie ein
herkömmliches Gedicht daherkommt, ist nämlich durch zwei rhetorische
Hilfsmittel so arrangiert, dass eine
prosanahe
Rezitation
möglich wird. Darunter versteht man ein Sprechen des Textes, das die
Gebundenheit der Sprache in Versen etwas abschwächt.
-
Realisiert wird dies zum einen durch die
häufige Verwendung des Zeilensprunges (Enjambement),
bei dem z. B. ein Satz über das Ende eines Verses hinweg weitergeführt wird.
Das Enjambement steht damit einem versbezogenen "Herunterleiern" entgegen,
das nur der metrischen Rhythmisierung folgend das Versende betont, ohne den
syntaktisch-logischen Satz- bzw. Aussagenzusammenhang zu erhalten.
-
Zum
anderen wird das, was von den Figuren gesprochen wird, oft auf ein und
denselben Vers verteilt, so dass die eine Figur im jeweiligen Vers zu
sprechen beginnt, eine andere den Rhythmus aufnimmt und den Vers zu Ende
führt. Man nennt dies Hakenstil (Antilabe) (vgl.
Fricke/Zymner
1993, S.264f.), das im Übrigen auch ein besonderes
sprachlich-stilistisches Merkmal des ▪
Sprecherwechsels in einem Versdrama darstellt.
Der Blankvers bei Lessing und Schiller
Als ▪ Gotthold Ephraim
Lessing (1729-1781) sein mit Blankvers gestaltetes Drama ▪ »Nathan der Weise«
ein
"Ein
dramatisches Gesicht in fünf Aufzügen verfasste, wusste er ziemlich genau, was für
eine Wirkung dies bei zeitgenössischen Zuschauern des Stückes haben würde. Diese
waren nämlich bis dahin eine solche Versform im Theater nicht gewöhnt. Und
auch Lessing war bis dahin Anhänger der
▪ aufklärerischen Forderung nach einer "natürlichen" Dramensprache
gewesen.
Die alternierende Abfolge von betonten
und unbetonten Silben beim Blankvers verlieh seinen Figuren eine
Art morgenländisches Flair,
da dem Publikum diese Sprache nicht nur fremd, sondern
irgendwie exotisch vorkommen musste.
Mit dem Blankvers hat Lessing "die 'morgenländische'
Handlung in redeklanglicher Hinsicht orientalisch" koloriert. (vgl.
Fricke/Zymner
1993, S.264f.), was eine ▪
eigentümliche Wirkung auf die Rezeption des Stückes und in
seinem Zentrum der ▪ "Ringparabel"
(▪
III,7) hatte.
[...]
NATHAN. Ja, gut erzählen, das ist nun Wohl eben meine Sache nicht. SALADIN.
Schon wieder So stolz bescheiden? - Mach! erzähl, erzähle! 1910 NATHAN. Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in
Osten, Der einen
Ring von unschätzbarem Wert
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein
Opal, der hundert
schöne Farben spielte, Und hatte die geheime Kraft, vor Gott Und Menschen
angenehm zu machen, wer In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder, Dass ihn der Mann in Osten darum nie Vom Finger ließ; und die Verfügung traf, Auf ewig ihn bei seinem Hause zu 1920 Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring Von seinen Söhnen dem geliebtesten; Und setzte fest, dass dieser wiederum Den Ring von seinen Söhnen dem vermache, Der ihm der liebste sei; und stets der liebste, Ohn' Ansehn der Geburt,
in Kraft allein Des Rings, das Haupt, der
Fürst des Hauses werde. - Versteh mich, Sultan. SALADIN.
Ich versteh dich. Weiter! [...]
Lessing hat im Übrigen den Blankvers für dieses Stück aus der zunächst
von ihm geschriebenen Prosafassung des Stücks entwickelt (vgl.
Fick 2010,
S. 489) Man hat die Absichten, die er damit verfolgte, auf
bestimmte
geschichtsphilosophische Positionen Lessings zurückgeführt
(vgl.Kaiser
(1976b, S.133ff.) oder die Blankvers-Gestaltung des Dramas
als ▪
eine Art "Guerilla-Strategie" gesehen, mit der Lessing den
"Maulkorb", dem ihn seine Polemik mit dem Hamburger Hauptpastor
»Johann
Melchior Goeze (1717-1787)
einbrachte, zu umgehen versuchte.(▪
Fragmentenstreit)
Auch ▪
Friedrich Schiller (1759-1805) verwendet u. a. in seinem
Drama ▪
Maria
Stuart den Blankvers, verfolgt damit aber eine
▪ besondere sprachlich-stilistische Strategie, die man als ▪
Lyrisierung der dramatischen Sprache bezeichnet hat. Diese
steht im Dienst der thematischen Pointierung
bestimmter Handlungsaspekte und der Intensivierung der Aussage. Zu diesem
Zweck "steigert" mit verschiedenen Miteln auch die formale Struktur der gebundenen Rede. Er "lyrisiert" sie stärker und hebt sie damit von dem ansonsten Gesagten ab.
In dem gleichen Maße, wie die Sprache durch die neue Rhythmisierung und
den zeitweise verwendeten Reim musikalischer wird, löst sie sich von ihrer
"inhaltlichen »Schwere« [...] und erlaubt dem Rezipienten so den Zustand
ästhetischer Freiheit und Distanz." (Leipert 2000, S.83)
So dient selbst der vergleichsweise "einfache" Blankvers
Schillers ▪
Rhetorik der Idealisierung.
▪
Der Blankvers
in Lessings "dramatischem Gedicht in fünf Aufzügen "Nathan
der Weise"
▪
Schillers ästhetische
Theorie und die Funktion der sprachlichen Gestaltung des
Dramas
▪
Rhetorik der Idealisierung
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
19.12.2023
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