Vierter Auftritt
Die Vorigen.
Elisabeth. Graf Leicester. Gefolge.
ELISABETH.
(zu Leicester). Wie heißt der Landsitz?
LEICESTER.
Fotheringhayschloss.
ELISABETH.
(zu Shrewsbury).
Schickt unser Jagdgefolg' voraus nach London,
Das Volk drängt allzuheftig in den Straßen,
Wir suchen Schutz in diesem stillen Park.
(Talbot entfernt das Gefolge.
Sie fixiert
mit den Augen
die Maria, indem sie zu Paulet weiterspricht.)
Mein gutes Volk liebt mich zu sehr.
Unmäßig,
Abgöttisch sind die Zeichen seiner Freude,
2230
So ehrt man einen Gott, nicht einen Menschen.
MARIA.
(welche
diese Zeit über halb ohnmächtig auf die
Amme gelehnt war,
erhebt sich jetzt, und ihr Auge be-
gegnet dem gespannten Blick
der Elisabeth.
Sie schau-
dert zusammen und wirft sich
wieder an der Amme
Brust).
O
Gott, aus diesen Zügen spricht kein Herz!
ELISABETH.
Wer
ist die Lady?
(Ein allgemeines Schweigen.)
LEICESTER.
-
Du bist zu Fotheringhay, Königin.
ELISABETH.
(stellt sich überrascht und erstaunt, einen
finstern Blick auf Leicester
richtend).
Wer
hat mir das getan? Lord Leicester!
LEICESTER.
Es ist geschehen, Königin - Und nun
Der Himmel deinen Schritt hierher gelenkt,
So
lass die Großmut und das Mitleid
siegen.
SHREWSBURY.
Lass dich erbitten, königliche Frau,
Dein Aug' auf die Unglückliche zu richten,
2240
Die hier vergeht vor deinem Anblick.
(Maria rafft sich zusammen und will auf
die Elisabeth
zugehen, steht aber auf halbem Weg schaudernd
still, ihre
Gebärden drücken den heftigsten
Kampf aus.)
ELISABETH.
Wie, Mylords ?
Wer war es denn, der
eine Tiefgebeugte
Mir angekündigt?
Eine Stolze find ich,
Vom Unglück keineswegs geschmeidigt.
MARIA.
Sei's!
Ich will mich auch noch diesem unterwerfen.
Fahr hin, ohnmächt'ger Stolz der edeln
Seele!
Ich will vergessen, wer ich bin, und was
Ich litt; ich will vor ihr mich niederwerfen,
Die mich in diese Schmach herunterstieß.
(Sie wendet sich gegen die Königin.)
Der Himmel hat für Euch entschieden,
Schwester!
2250
Gekrönt vom Sieg ist Euer glücklich
Haupt,
Die
Gottheit bet ich an, die Euch erhöhte!
(Sie fällt vor ihr nieder.)
Doch seid auch
Ihr nun edelmütig,
Schwester!
Lasst mich nicht schmachvoll liegen,
Eure Hand
Streckt aus, reicht mir die königliche
Rechte,
Mich zu erheben von dem tiefen Fall.
ELISABETH.
(zurücktretend).
Ihr seid an Eurem Platz, Lady Maria!
Und dankend preis ich meines Gottes Gnade,
Der nicht gewollt,
dass ich zu Euren
Füßen
So liegen sollte, wie Ihr jetzt zu meinen.
2260
MARIA.
(mit
steigendem Affekt).
Denkt an den Wechsel alles Menschlichen!
Es leben Götter, die den Hochmut rächen!
Verehret, fürchtet sie, die schrecklichen,
Die mich zu Euren Füßen niederstürzen
-
Um dieser fremden Zeugen willen, ehrt
In mir Euch selbst,
entweihet, schändet
nicht
Das Blut der Tudor, das in meinen Adern
Wie in den Euren fließt - O Gott im
Himmel!
Steht nicht da, schroff und unzugänglich,
wie
Die Felsenklippe, die der Strandende
2270
Vergeblich ringend zu erfassen strebt.
Mein Alles hängt, mein Leben, mein Geschick
An meiner Worte, meiner Tränen Kraft:
Löst
mir das Herz,
dass ich
das Eure rühre!
Wenn Ihr mich anschaut mit dem Eisesblick,
Schließt sich das Herz mit schaudernd
zu, der Strom
Der Tränen stockt, und kaltes Grausen
fesselt
Die Flehensworte mir im Busen an.
ELISABETH.
(kalt und streng).
Was habt Ihr mir zu sagen, Lady Stuart?
Ihr habt mich sprechen wollen.
Ich vergesse
2280
Die Königin, die schwer beleidigte,
Die fromme Pflicht der Schwester zu erfüllen,
Und
meines Anblicks Trost gewähr ich
Euch.
Dem Trieb der Großmut folg ich, setze
mich
Gerechtem Tadel aus,
dass ich so weit
Heruntersteige - denn
Ihr wisst,
Dass Ihr mich habt ermorden lassen wollen.
MARIA.
Womit soll ich den Anfang machen, wie
Die Worte klüglich stellen,
dass
sie Euch
Das Herz ergreifen, aber nicht verletzen!
2290
O Gott, gib meiner Rede Kraft und
nimm
Ihr jeden Stachel, der verwunden könnte!
Kann ich doch
für mich selbst nicht sprechen,
ohne Euch
Schwer zu verklagen, und das will ich nicht.
- Ihr habt an mir gehandelt, wie nicht recht
ist,
Denn ich bin eine Königin wie Ihr,
Und Ihr habt als Gefangne mich gehalten;
Ich kam zu Euch als eine Bittende,
Und Ihr, des Gastrechts heilige Gesetze,
Der Völker heilig Recht in mir verhöhnend,
2300
Schlosst mich in Kerkermauern ein, die
Freunde,
Die Diener werden grausam mir entrissen,
Unwürd'gem Mangel werd ich preisgegeben,
Man stellt mich vor ein schimpfliches Gericht
-
Nichts mehr davon! Ein ewiges Vergessen
Bedecke, was ich Grausames erlitt.
- Seht!
Ich will alles eine Schickung nennen:
Ihr seid nicht
schuldig, ich bin auch nicht schuldig,
Ein
böser Geist stieg aus dem Abgrund
auf,
Den
Hass in unsern Herzen zu entzünden,
2310
Der unsre zarte Jugend schon entzweit.
Er wuchs mit uns, und böse Menschen fachten
Der unglücksel'gen Flamme Atem zu.
Wahnsinn'ge Eiferer bewaffneten
Mit Schwert und Dolch die unberufne Hand -
Das ist das Fluchgeschick der Könige,
Dass sie, enzweit, die Welt in Hass zerreißend
Und jeder Zwietracht Furien entfesseln.
- Jetzt ist kein fremder Mund mehr zwischen
uns,
(nähert sich ihr zutraulich und mit
schmeichelndem Ton)
Wir stehn
einander selbst nun gegenüber. 2320
Jetzt,
Schwester, redet!
Nennt mir meine Schuld,
Ich will Euch völliges Genügen leisten.
Ach,
dass Ihr damals mir Gehör geschenkt,
Als ich so dringend Euer Auge suchte!
Es wäre nie so weit gekommen, nicht
An diesem traur'gen Ort geschähe jetzt
Die unglückselig traurige Begegnung.
ELISABETH.
Mein
guter Stern bewahrte mich davor,
Die
Natter an den Busen mir zu legen.
-
Nicht die Geschicke, Euer schwarzes Herz
2330
Klagt an, die wilde Ehrsucht Eures Hauses.
Nichts Feindliches war zwischen uns geschehn,
Da kündigte mir
Euer Ohm, der stolze,
Herrschwüt'ge Priester, der die freche
Hand
Nach allen Kronen streckt, die Fehde an,
Betörte Euch, mein Wappen anzunehmen,
Euch meine Königstitel zuzueignen,
Auf Tod und Leben in den Kampf mit mir
Zu gehn - Wen rief er gegen mich nicht auf?
Der Priester Zungen und der Völker Schwert,
2340
Des frommen Wahnsinns fürchterliche Waffen;
Hier selbst, im Friedenssitze meines Reiches
Blies er mir der Empörung Flammen an
-
Doch Gott ist mit mir, und der stolze Priester
Behält das Feld nicht - Meinem Haupte
war
Der Streich gedrohet, und das Eure fällt!
MARIA.
Ich steh
in Gottes Hand.
Ihr werdet Euch
So blutig Eurer Macht nicht überheben
-
ELISABETH.
Wer
soll mich hindern? Euer Oheim gab
Das Beispiel allen Königen der Welt,
2350
Wie man mit
seinen Feinden Frieden macht:
Die
Sankt Barthelemi sei meine Schule!
Was ist mir Blutsverwandtschaft, Völkerrecht?
Die Kirche trennet aller Pflichten Band,
Den Treubruch heiligt sie, den Königsmord,
Ich übe nur, was Eure Priester lehren.
Sagt!
Welches Pfand gewährte mir für
Euch,
Wenn ich großmütig Eure Bande löste?
Mit welchem
Schloss verwahr ich Eure
Treue,
Das nicht
Sankt Peters Schlüssel öffnen
kann?
2360
Gewalt nur ist die einz'ge Sicherheit,
Kein Bündnis ist mit dem Gezücht
der Schlangen.
MARIA.
Oh, das
ist Euer traurig finstrer Argwohn!
Ihr habt mich stets als eine Feindin nur
Und Fremdlingin betrachtet.
Hättet Ihr
Zu Eurer Erbin mich erklärt, wie mir
Gebührt, so hätten Dankbarkeit und
Liebe
Euch eine treue Freundin und Verwandte
In mir erhalten.
ELISABETH.
Draußen, Lady Stuart,
Ist Eure Freundschaft, Euer Haus
das Papsttum,
2370
Der Mönch ist Euer Bruder - Euch! zur
Erbin
Erklären! Der
verräterische Fallstrick!
Dass Ihr bei meinem Leben noch mein Volk
Verführtet, eine
listige Armida,
Die edle Jugend meines Königreichs
In Eurem Buhlernetze schlau verstricktet -
Dass alles sich der neu aufgehnden Sonne
Zuwendetet, und ich -
MARIA.
Regiert in Frieden!
Jedwedem Anspruch auf dies Reich entsag ich.
Ach, meines Geistes Schwingen sind gelähmt,
2380
Nicht Größe lockt mich mehr - Ihr
habt's erreicht,
Ich bin nur noch der Schatten der Maria.
Gebrochen ist in langer Kerkerschmach
Der edle Mut - Ihr habt das Äußerste
an mir
Getan,
habt mich zerstört in meiner Blüte!
- Jetzt macht ein Ende, Schwester. Sprecht
es aus,
Das Wort, um dessentwillen Ihr gekommen,
Denn nimmer will ich
glauben, dass Ihr
kamt,
Um Euer Opfer grausam zu verhöhnen.
Sprecht dieses Wort aus.
Sagt mir:" Ihr
seid frei,
2390
Maria! Mein Macht habt Ihr gefühlt,
Jetzt lernet meinen Edelmut verehren."
Sagt's, und ich will mein Leben, meine Freiheit
Als ein Geschenk aus Eurer Hand empfangen.
-
Ein Wort macht alles ungeschehn. Ich warte
Darauf. O lasst mich's nicht zu lang
erharren!
Weh Euch, wenn Ihr mit diesem Wort nicht endet!
Denn wenn Ihr jetzt nicht
Segen bringend, herrlich,
Wie eine Gottheit von mir scheidet - Schwester!
Nicht um dies ganze reiche Eiland, nicht
2400
Um alle Länder, die das Meer umfasst,
Möcht' ich vor Euch so stehn, wie Ihr
vor mir!
ELISABETH.
Bekennt
Ihr endlich Euch für überwunden?
Ist's aus mit Euren Ränken? Ist kein
Mörder
Mehr unterwegs? Will kein Abenteurer
Für Euch die traur'ge Ritterschaft mehr
wagen?
-
Ja, es ist aus, Lady
Maria. Ihr verführt
Mir keinen mehr. Die Welt hat andre Sorgen.
Es lüstet keinen, Euer - vierter Mann
Zu werden, denn Ihr tötet Eure Freier,
2410
Wie Eure Männer!
MARIA.
(auffahrend).
Schwester! Schwester!
O Gott! Gott! Gib mir Mäßigung!
ELISABETH.
(sieht sie lange mit einem Blick stolzer
Verachtung an).
Das also sind die Reizungen, Lord Leicester,
Die ungestraft kein Mann erblickt, daneben
Kein andres Weib sich wagen darf zu stellen!
Fürwahr! Der
Ruhm war wohlfeil
zu erlangen:
Es kostet nichts, die
allgemeine Schönheit
Zu sein, als die
gemeine sein für alle!
MARIA.
Das ist
zuviel!
ELISABETH.
(höhnisch lachend).
Jetzt zeigt Ihr Euer wahres
Gesicht, bis jetzt war's nur die Larve.
2420
MARIA.
(von
Zorn glühend, doch mit einer edlen Würde).
Ich habe
menschlich, jugendlich gefehlt,
Die
Macht verführte mich, ich hab es
nicht
Verheimlicht und verborgen, falschen Schein
Hab ich verschmäht mit königlichem
Freimut.
Das Ärgste weiß die Welt von mir,
und ich
Kann sagen,
ich bin besser als mein Ruf.
Weh Euch, wenn sie von Euren Taten einst
Den Ehrenmantel zieht,
womit Ihr gleißend
Die wilde Glut verstohlner Lüste deckt.
Nicht Ehrbarkeit habt Ihr von Eurer Mutter 2430
Geerbt: man weiß, um welcher Tugend
willen
Anna von Boleyn das Schafott bestiegen.
SHREWSBURY.
(tritt zwischen beide Königinnen).
O Gott des Himmels!
Muss es dahin kommen!
Ist das die Mäßigung, die Unterwerfung,
Lady Maria?
MARIA.
Mäßigung!
Ich habe
Ertragen, was ein Mensch ertragen kann.
Fahr hin, lammherzige Gelassenheit,
Zum Himmel fliehe, leidende Geduld,
Spreng endlich deine Bande, tritt hervor
Aus deiner Höhle, langverhaltner Groll
-
2440
Und
du, der dem gereizten Basilisk
Den Mordblick gab, leg auf die Zunge mir
Den gift'gen Pfeil -
SHREWSBURY.
O
sie ist außer sich!
Verzeih der Rasenden, der schwer Gereizten!
(Elisabeth, für Zorn sprachlos, schießt wütende Blicke auf
Marien.)
LEICESTER.
(in der heftigsten Unruhe, sucht die Elisabeth
hinwegzuführen). Höre
Die Wütende nicht an! Hinweg, hinweg
Von diesem unglücksel'gen Ort!
MARIA.
Der Thron
von England ist durch einen Bastard
Entweiht, der Briten edelherzig Volk
Durch eine list'ge Gauklerin betrogen.
-
Regierte Recht, so läget Ihr
vor mir
2450
Im Staube jetzt, denn ich bin Euer
König.
(Elisabeth
geht schnell ab, die Lords folgen ihr in der
höchsten
Bestürzung.)