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Aspekte der Szenenanalyse - III,4

Die Begegnung als rhetorische Debatte in einem Rollenspiel

 III,4 - Begegnung der Königinnen


FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren Friedrich SchillerBiographie
Werke Dramatische WerkeDie Räuber ● Maria Stuart Überblick Didaktische und methodische Aspekte Entstehungsgeschichte Entstehungsgeschichte Historischer Hintergrund StoffgeschichteAufbau und Komposition Handlungsverlauf Überblick Akte und Szenen Inhaltsüberblick Akt- und Szenenschema 1. Akt2. Akt Dritter AktSzenenüberblick III,1 III,2 III,3 [ III,4 - Begegnung der Königinnen Text III,4 [ Aspekte der Szenenanalyse Einordnung der Dramenszene in die Dramenhandlung Die Begegnung als rhetorische Debatte in einem Rollenspiel ▪ Innere Stimmen bei der Kommunikation ] Bausteine III,5 III,6 III,7 III,8  4. Akt 5. Akt Szenenbilder/Illustrationen Figurengestaltung Einzelne Figuren Sprachliche Form Interpretationsansätze Aufführungsberichte und - kritiken Bausteine Häufig gestellte Fragen (FAQs) Links ins Internet Lyrische Werke Sonstige Werke Bausteine Links ins Internet  Quickie für Eilige: So analysiert man eine dramatische Szene W-Fragen zur systematischen Szenenanalyse Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
 

Strukturen dramatischer Texte
Analytisches Drama
Überblick
Aufbauschema des analytischen Dramas
Drama der geschlossenen Form

Die Begegnung von ▪ Maria Stuart und ▪ Elisabeth (Szene ▪ III,4) ist, formalästhetisch betrachtet, in der Mitte des Dramas platziert und die ▪ Einordnung Szene in die Dramenhandlung muss daher zahlreiche Entwicklungen im Blick behalten.

Das einzige, historisch ohnehin nie erfolgte Treffen der beiden königlichen Rivalinnen im Stück wird gemeinhin als der Höhepunkt der ▪ Handlung angesehen und spielt dementsprechend im ▪ Pyramidenmodell der Komposition Freytags oder allgemein im ▪ Spannungsverlauf des Dramas eine herausragende Rolle. Die Interpretation der Szene bleibt aber ▪ in der literaturwissenschaftlichen Forschung weiterhin umstritten.

In der Aufführungsgeschichte des Dramas wurde die Begegnung zu verschiedenen Zeiten auf der Grundlage ihres jeweiligen, auch zeitbedingten Verständnisses, ▪ von unzähligen unterschiedlichen Regiekonzepten in Szene gesetzt, die alle auf ihre Weise nur erdenklichen Akzente gesetzt haben.

Bei den Interpretationen des Stücks ist dabei die psychologische Deutungsperspektive am weitesten verbreitet. Sie lässt sich sich mehr oder weniger von der Auffassung leiten, dass es sich bei ▪Friedrich Schillers Drama ▪ Maria Stuart  um ein ▪ analytisches Charakterdrama handelt, "bei dem die wesentlichen Momente der Handlung einschließlich der Gerichtsverhandlung gegen die des Hochverrats angeklagte Maria bereits zu Beginn des Stücks abgeschlossen sind, so dass das Trauerspiel ganz und gar auf die unterschiedliche Rezeption und Interpretation dieser Handlungen konzentriert bleibt" (Vonhoff 2005, S.157). Geht man von einem Charakterdrama aus, dann wird damit unterstellt, dass "dieses Trauerspiel die innere Entwicklung zum Gegenstand haben soll" (ebd., S.158). Dem ist in neueren Forschungen vor allem mit dem Hinweis widersprochen worden, dass in dem Stück keine Entwicklung der Charaktere zur Anschauung gebracht werde, "sondern ganz im Gegenteil das fortwährende, unter den dargestellten Umständen nicht zu überwindende Eingeschränktsein der Charaktere (Figuren) im dramatischen Stück vorgeführt" werde (ebd., S.160)

Insbesondere die These von einer "Wandlung" oder "Läuterung" Marias (z. B. Buchwald 1957, Neis (1981) 1999 u. a. m.) im Verlauf des dramatischen Geschehens, auch Kern der These von der "Märtyrertragödie", ist dabei mit akribischer Textarbeit entgegengearbeitet worden (Guthke 1998/2005, S.439. Dabei wird betont, dass es für Entwicklung oder Läuterung Marias in ihrem gewöhnlich verwendeten Sinne im "Text keine eindeutigen Anhaltspunkte (gibt); zuviel seelisches Auf und Ab bestimmt die Vorgänge. [...] Tatsächlich nimmt Maria dem Wortlaut nach ja mehrmals, an verschiedenen Stationen ihres Weges, Abschied von der Welt. Und wie die unterschiedlichen Deutungen erkennen lassen, legt sich an mehreren Stellen dieses Weges (nicht immer plausibel) der Gedanke nahe, dass eine Gewandelte vor uns stehe, ohne dass zweifelsfrei eindeutig würde, in welchem Moment die entscheidende Wandlung vollzieht." (ebd.)

Auf der Grundlage dieser Kritik am vermeintlichen "Läuterungsdrama" Maria Stuart hat sich eine dem Mainstream der "psychologisierenden Deutungstradition" (Vonhoff 2005, S.162) abgewandte Position entwickelt, die die Grundstruktur des Dramas mitsamt der Funktion ihrer kompositorischen Prinzipien wie ▪ Parallelisierung, Kontrastierung und Symmetrierung von Szenen, Personen, Wechselreden und Positionen anders versteht und sich als Alternative zu einer ▪ schematischen und schablonenartigen Betrachtung der Tektonik des Dramas präsentiert.

Diese "in die Irre" (Guthke 1998, S.420) führende psychologisierende Betrachtung hat, ihren Kritikern zufolge, auch dazu geführt, dass bestimmte Themen des Dramas auf der Grundlage ihrer spezifischen Sicht auf die formalästhetischen Kompositionsprinzipien auch in einer Art "Schwarz-Weiß-Malerei" einander gegenübergestellt worden seien.

Dafür habe die Begegnung der Königinnen mit ihrer formalästhetisch "akkurate(n) Antithetik" in besonderem Maße herhalten müssen: "hier die ethisch geläuterte Triumphfigur, dort die erbärmliche Verbrecherin, hier die Heilige und Märtyrerin, dort der Theaterbösewicht, hier die am Ende ihres Lebens von »irdischen«, »physischen« Motiven nicht mehr erreichbare, sich nach dem Diktat absoluter Werte bestimmende »Idealistin« in der makellosen Glorie des »Gewissens«, dort die ganz in den Bezügen der Welt aufgehende »Realistin«, die sich von 'Macht'-Gelüsten und Rachsucht treiben lässt unter dem Vorwand unter dem Vorwand des Volkswohls und der Staatsräson (F. van Ingen, 1988; G. A. Wells, 1973)". (Guthke ebd.)

Statt die dramatische Rede der Figuren stets von den psychologischen Dispositionen, Emotionen und Überlegungen der Figuren und ihrer seelischen Prozesse zu lesen und damit einer Lesart zu folgen, die der ohnehin fraglichen These folge, es gehe in diesem Drama " (überhaupt) um die Darstellung von seelischen Prozessen" (Vonhoff 2005, S.162), müsse man "die Figurenreden abstrakter" lesen (ebd., vgl. auch Sharpe 1991, S.259f., S.263) Damit ist - vereinfacht ausgedrückt - gemeint, dass der rhetorischen Sprachverwendung und ihrer Analyse, die in zahlreichen Szenen des Dramas im Vordergrund steht, eine weitaus größere Bedeutung zu geben ist. Dies lässt sich auch in Szene III,4 zeigen.

Diese rhetorische Sprachverwendung wird auch deutlich, als die beiden Königinnen persönlich aufeinandertreffen. Voraussetzung für ihr Verständnis ist, dass man das dargebotene Geschehen als Rollenspiel der beiden Akteurinnen versteht. Für Maria gilt dies ohnehin, denn "wo immer Maria sich und ihr Handeln auslegt, geschieht dies im Rollenmodell der Herrscherin" (Alt 2004, Bd. II, S. 501), bleibt Maria wie ihre Rivalin "an machttechnische Muster" gefesselt" (ebd., S.500), auch wenn "hinter dem Konflikt um die Rechte des Throns (...) die Linien einer erotischen Konkurrenzsituation auf(scheinen)".(ebd., S.499).

Diese abstraktere Lesart, die den psychologisierenden Deutungsrahmen bewusst verlässt, soll dazu beitragen, das Stück, welches immer wieder "mit einer anderen Deutung des gleichen Zusammenhangs oder mit einer überraschenden Wendung, die alles zuvor Dargestellte in Frage stellt" (Vonhoff 2005, S.160), aufwartet, so zu rezipieren, dass die von Schiller intendierte "Zivilisationskritik" (ebd., S.166) an den gesellschaftlichen Widersprüchen seiner Zeit erfahrbar wird. Die "zivilisationspessimistische Denkfigur" (ebd., S.166), die seinem Drama zugrunde liegt, beruhen letztlich auf in seinen prinzipiell pessimistischen Auffassungen über die gesellschaftlich-kulturellen Entwicklungspotentiale seiner Zeit, die er das sentimentalische Zeitalter, nennt. Mit seinen ▪ Erfahrungen der Französischen Revolution und ihrer Bewertung - kann sie nach Auffassung Schillers den Antagonismus "der natürlichen Gewalt des Sinnlichen (Stoff)" und der subtilen, aber deshalb noch gefährlicheren Gewalt des Geistes (Form)" (ebd., S.165) nicht überwinden.

Wenn es Schiller dennoch darum zu tun ist, dass der Zuschauer "Unterschiede im Ähnlichen" erkennen kann und damit zu "Erkenntnissen und Einsichten in die analysierte Gesellschaft" (ebd., S.162) gelangen kann, muss das Drama auch anhand seiner Figuren vermitteln können, dass es "(...) eine zivilisationskritische Bearbeitung des Maria Stuart-Stoffes dar(stellt), geschrieben aus der Perspektive eines an den Notwendigkeiten des sentimentalischen Geschichtsstandes Verzweifelnden."  (ebd.)

Geht es in diesem allgemeinen Deutungsrahmen bei der Begegnung der Königinnen als weniger um eine "wirkliche Darbietung" (ebd., S.163) als um eine "rhetorische Debatte samt Rollenspiel" (ebd.) dann richtet sich der Fokus der Analyse nicht so sehr auf eine "psychologisch geführte Auseinandersetzung" (ebd.) der beiden Königinnen, sondern nimmt die rhetorische Sprachverwendung und die Grundstruktur des szenischen Spiels als Rollenspiel in den Blick.

So kann die in der Szene stattfindende rhetorische Debatte in einem auf Verstellung beruhenden Rollenspiel an bestimmten Bühnenanweisungen (Regiebemerkungen) im Nebentext und sprachlich an verschiedenen "Brechungen in der Regelmäßigkeit des verwendeten Blankverses" (ebd.) aufgezeigt werden.

Auf der Ebene des Nebentexts wird dies z. B. daran deutlich, dass das höhnische Lachen (▪ V. 2419), mit dem Elisabeth ihre schon kurz vor eingenommene Pose ▪ "stolzer Verachtung" ( V. 2413) noch steigert, eigentlich signalisieren soll, dass sie die Situation im Griff hat. In Wahrheit aber zeigt die Tatsache, dass sie "gleich darauf, vom regelmäßig vollendeten Blankvers abweichenden Versen nur noch einen vierhebigen Vers (V, 2420) hervorbringt: »Jetzt zeigt Ihr Euer wahres / Gesicht, bis jetzt war's nur die Larve«, dass sie ihr emotionales Involvement kaum kontrollieren kann. Statt also die Botschaft einer "gebändigten Rationalität" (ebd., S.163) zu senden, wird damit verdeutlicht, "wie auf das (Herrschafts-)Technische verkürzte Rationalität ihrerseits in Irrationalität umschlägt." (ebd., S.163)

Im Gegensatz zu den dies ausdrückenden Abweichungen von der Regelmäßigkeit des Blankverses bei Elisabeth ist die Antwort Marias darauf zunächst in ihrer vernünftigen Argumentation (V, 2421-2432), dann aber auch in einer zunehmend von Emotionen geprägten rhetorischen Grundhaltung der nachfolgenden Verse (V, 2436-2443) "samt ihrem dann schließlich herausgeschleuderten ▪ Bastardvorwurf (V. 2447-2541) ganz regelmäßig in Blankversen abgefasst". (ebd.)

In dem "rhetorisch-metrischen Spiel" (ebd.), das dargeboten wird, spielt die Bühnenanweisung zu V. 2421, die der unmittelbaren Replik Marias auf das höhnische Lachen ihrer Widersacherin zugeordnet ist, eine zentrale Rolle.

Maria soll danach "von Zorn glühend, doch mit einer edlen Würde" sprechen und auftreten, um die verächtliche Pose und Anmaßung Elisabeths zu parieren. Dabei bringt diese oft überlesene oder unterschätzte Regieanweisung zusammen, was sonst im Stück sorgsam getrennt bleibt: Stofftrieb und Formtrieb, deutet so an, wie das Folgende zu verstehen ist, als Ausdruck von »Schönheit«, die Marias Reden und ihrem Spiel auf der Bühne im Voraus zugeschrieben wird." (ebd.).

Stoff und Form, die "natürliche Gewalt des Sinnlichen (Stoff)" (ebd., S.165) einerseits und die "subtile, aber darum als eher noch gefährlicher eingeschätzte Gewalt des Geistes (Form)" (ebd.,) lassen sich eben im "sentimentalischen Zeitalter" auch in einer auf der Bühne präsentierten Figur nicht überwinden, wenngleich Schiller und das ästhetische Programm der Klassik den Anspruch auf eine prinzipiell mögliche Versöhnung und Harmonisierung der beiden Pole nicht aufgeben und der Autor diesen Anspruch in seiner rhetorischen Sprachverwendung und dem vom Rollenspiel dominierten Drama Maria Stuart (vgl. Sharpe 1991, S.259f.) nicht preisgibt.

In der Begegnung der Königinnen zeigt sich jedenfalls "das Scheitern einer versöhnlichen, »naiv« Schönheit versprechenden Konzeption [...]; darum auch die Notwendigkeit, mit der das Trauerspiel von da an auf die Katastrophe im Kontext des Erhabenen zusteuert, das seinerseits Ausdruck des sentimentalischen Zeitalters mit seiner Unversöhnlichkeit der Gegensätze ist." (Vonhoff 2005, S.166)

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Drama der geschlossenen Form

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 01.06.2021

   
 

 
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