In Ludwigsburg geht Friedrich Schiller vom Anfang des Jahre 1767 mit seinen
Freunden
Friedrich Wilhelm (1759-1838) und
Christoph August von Hoven (1761 - 1780)
sowie
Immanuel
Gottlieb Elwert (1759 - 1811) auf die Lateinschule,
die sich zu
dieser Zeit noch in der Beckengasse (heutige Eberhardstraße)
befindet (später wird sie in ein Kanzleigebäude in der Oberen Marktstraße 1 verlegt).
Wie von Hoven in seinen Erinnerungen erwähnt, wollen
Schiller und er zu diesem Zeitpunkt später einmal Theologie studieren.
Friedrich Schiller, dessen religiöse Neigungen von seinem Vater wie auch
seiner Mutter stets begrüßt und nach Kräften gefördert worden sind, will
damit den Weg einschlagen, den ihm sein Vater,
Johann Caspar Schiller,
längst vorgezeichnet hat. Zugleich zeigt dieser Wunsch des siebenjährigen
Jungen, welche tiefen Eindrücke die
Predigten von Pastor Philipp Ulrich Moser
in der Lorcher
Zeit seiner Kindheit (1764 - 1766) bei ihm hinterlassen haben. Der
Besuch der Lateinschule ist in dieser Zeit Voraussetzung dafür, in ein
Predigerseminar mit anschließendem Theologiestudium aufgenommen zu werden.
Als
»Herzog Eberhard
Ludwig (1676 - 1733)
um 1710 herum den Entschluss fasst, um das weitgehend fertige
Ludwigsburger
Schloss herum, eine
Stadt zu errichten, war das
Fehlen einer Schule wohl zunächst kein sonderliches Problem, zumal den
ersten herzoglichen
Angeboten zur Ansiedelung
zunächst kaum jemand Folge leistet. Die wenigen Kinder, die zur Schule
gehen, tun dies in Oßweil und Eglosheim.
Es dauert indessen nicht lange, bis der Herzog ohne Einschaltung des
protestantischen Konsistoriums und ohne Genehmigung des Dekanats den
Arbeitsaufseher (Obmann) und ehemaligen Schreiber
Richard Boklet beauftragt, in der neuen Siedlung mit anfänglich 15
Kindern im Alter von 6 bis 9 Jahren Schule zu halten. (vgl.
Sting 2005, S. 477).
Der
Unterricht findet in der ersten Zeit, da es zunächst kein eigenes
Schulgebäude gibt, im rechten Flügelbau des Schlosses, dann im so genannten "Maisterhäußlein“
hinterm Wirtshaus statt. Dort ist es allerdings so zugig, dass im Winter an
Unterricht nicht zu denken ist. So findet dieser zunächst auch nur im
Sommer, und zwar vormittags zwischen 9 und 11 Uhr statt. Ab 1722 wird in
verschiedenen Bürgerhäusern Schule gehalten, wobei die anfallende Miete vom
Kirchenrat beglichen wird. Seitdem ist der Schulbetrieb ganzjährig und in
dieser "teutschen“ Schule werden im Sommer
achtzig und im Winter hundert Kinder unterrichtet. Bis 1730 sitzen Jungen
und Mädchen gemeinsam in der Klasse. Danach wird "die teutsche Knaben- und
MädgleinsSchule“ nach Geschlechtern getrennt von je einem für die Mädchen-
oder Knabenklasse zuständigen Lehrer unterrichtet.
Neben der deutschen Schule gibt es seit 1721 auch eine Lateinschule in
Ludwigsburg, für deren eine Klasse
Johann Christian Schoder als Praeceptor angestellt wird. Sieben Jahre
später gibt es bereits drei Klassen.1768 erhält die Lateinschule durch die
Einrichtung einer höheren Klasse für ältere Söhne, die ein Studium
anstreben, gymnasialen Rang, wird "eine Art von Obergymnasium" (Krauß
1905, S.190), was den Absolventen den unmittelbaren Zugang
zur Universität eröffnet. (vgl.
Sting 2005, S.144f.,
Lahnstein
1981, S.32) Damit rückt die Schule auf den dritten Platz der im
Land vorhandenen höheren Schularten. In Stuttgart gibt es in dieser Zeit das
einzige Gymnasium des Landes, das so genannte Gymnasium illustre, und in
Tübingen die Schola anatolica, eine Art Progymnasium.
Lateinschule nennt man
seit dem Mittelalter eine höhere Schule, die über den Unterricht der
Elementarschulen, auch "teutschen Schulen“, hinausgeht. Aus ihnen gehen
später, wie auch in Ludwigsburg, häufig die Gymnasien hervor. Lateinschulen
befinden sich in den Städten und existieren lange neben Klosterschulen oder
Domschulen, die an Bischofssitzen vorhanden sind. Kloster- und Domschulen
dienen zwar hauptsächlich dem Ziel, qualifizierten Kloster- bzw.
Priesternachwuchs auszubilden, aber darüber hinaus übernehmen sie später
mancherorts auch die Aufgabe, Schüler von Adeligen und gut betuchten Bürgern
gegen ein gewisses Entgelt zu bilden.
Lange Zeit haben nur Jungen Zugang zu solchen Schulen. Ihre
Aufnahmevoraussetzungen sind, was die
Vorbildung der neuen Schüler anbelangt, nach heutigem Verständnis, gering.
Wie in Ludwigsburg wird von einem künftigen Lateinschüler erwartet, dass er
einigermaßen lesen kann. (vgl.
Sting 2005, S. 144). Das
bedeutet indessen nicht, dass die Lateinschule von allen Schichten des
Volkes besucht werden kann. Sozial gesehen bleibt sie nämlich ärmeren
Schichten verschlossen. Deren Grundausbildung vollzieht sich, wenn
überhaupt, in einem in sich geschlossenen System (vgl.
Wehler Bd. I, 1987, S.288),
das mit seinem Elementarschulenwesen keine weiteren Bildungshorizonte und
davon abhängende soziale Aufstiegschancen eröffnet. Was in Elementar-, Dorf-
oder Küsterschulen unterrichtet wird, steht zudem in keinem Lehrplan und ist
in besonderem Maße von dem jeweiligen Lehrer abhängig, der freilich oft auch
nur eine dürftige Elementarschulbildung genossen hat. So überragt der
übliche Bildungshorizont des Elementarschullehrers den seiner Schüler
manchmal nur recht wenig. Zudem steht diese Schulbildung in den Augen der
ärmeren Schichten nicht sonderlich hoch im Kurs: Trotz der seit 1649 in
Württemberg geltenden Schulpflicht werden nur etwa die Hälfte aller Kinder
überhaupt in die Schule geschickt.
Erst nach und nach entwickeln sich weitere Schultypen, die Kenntnisse im
Lesen und Schreiben in deutscher Sprache vermitteln und ihren Schülern die
wichtigsten Fähigkeiten im Rechnen vermitteln, die für den Umgang mit Münz-,
Maß- und Gewichtseinheiten nötig sind.
Lateinkenntnisse, Lese- wie auch Sprechfähigkeiten, gelten dagegen als
Ausweis für höhere Bildung. Da Latein zudem lange Zeit "Amtssprache" bleibt,
wird auch der Unterricht gehobener Art nur in lateinischer Sprache
abgehalten. Lateinkenntnisse verschaffen damit auch Zugang zu Berufen, die
dem Bildungsbürgertum vorbehalten sind. Aus diesem Grunde fängt man in
ambitionierten Familien so früh wie nur möglich an, die Kinder in Latein zu
unterrichten. Wo dies nicht schulisch geht, greift man, wie ja auch im Falle
Schillers in Lorch bei Pastor Moser, auf den örtlichen Priester oder Pfarrer
zurück, der nicht selten privaten Lateinunterricht erteilt. Die dabei
erworbenen Lateinkenntnisse sind im Falle Schillers offenbar so gut, dass er
beim Eintritt in die Ludwigsburger Lateinschule im Dezember 1766 zwar
zunächst in die erste Klasse von Präzeptor
Abraham Elsäßer geht (vgl.
Krauß 1905, S.193), aber
schon ab Herbst 1767, nach entsprechender Prüfung, in die zweite Klasse
aufsteigen kann. (vgl.
Buchwald 1959, S.96) In der
zweiten und dritten Klasse verweilt Schüler die restlichen fünf Jahre auf
der Lateinschule, was aber in Württemberg durchaus üblich ist, denn die
württembergischen Schulgesetze enthalten keinerlei verbindliche Normen
darüber, "in welchem Alter die Knaben in die unterste Klasse der
Lateinschule eintreten und wie lange sie in der Klasse verweilen" sollen (Krauß
1905, S. 195). Aus der dritten Klasse, in die Schiller im Herbst
1769 aufrückt, wechselt Schiller im
Januar 1773 auf die
Karlsschule.
(vgl.
ebd.)
Auch an den Lateinschulen in Württemberg gibt es noch keinen einheitlichen
Lehrplan. Allerdings führt das alljährlich
stattfindende Landexamen dazu, dass sich die
Lateinschulen an dem ausrichten, was zum Bestehen dieser Prüfung vonnöten
ist. Was in den Landexamen in den alten Sprachen Lateinisch, Griechisch,
Hebräisch, in lateinischer Poetik als eigenständigem Fach, sowie in
Geschichte und in der Arithmetik abgeprüft wird, zwingt die Lateinschulen
natürlich auch, diesen mehr oder minder klar umgrenzten Stoff zu vermitteln.
Dass das Curriculum eine "kirchlich erzwungene Einseitigkeit“ aufweist (Lahnstein
1981, S.32), ergibt sich zwangläufig aus der dem Schultyp
zugewiesenen Funktion.
Mit ihren drei Klassen nimmt auch die Ludwigsburger Lateinschule am
jährlichen Landexamen in Stuttgart teil. Dieses fungiert als ein sich über
vier bis fünf Jahre hinziehendes Ausleseverfahren für Stipendiaten der sich
anschließenden Klosterschulen (“niedere Seminare“), den so genannten
Predigerseminaren. Wer als Stipendiat ein solches Predigerseminar
absolviert, kann seine theologische Ausbildung wiederum als Stipendiat,
damit also kostenlos, im Universitätsstudium am Tübinger Stift abschließen.
(vgl.
Buchwald 1959, S.98)
Nicht alle Lateinschüler nehmen an den jährlich im Herbst stattfindenden
Landexamen teil. Freilich muss ein jeder, der auf das evangelische
Predigerseminar will, sich diesen Prüfungen unterziehen. Sie zu bestehen ist
bei den geforderten Leistungen gar nicht so einfach. Daher nehmen auch nur
die Schüler der Lateinschulen teil, denen man das Bestehen der Prüfung
wirklich zutraut. Wer die anspruchsvollen Prüfungen allerdings besteht, hat
im Allgemeinen gute Aussichten, nach Abschluss der dritten Klasse, im Alter
von 14 Jahren, das erhoffte Stipendium an einem evangelischen
Predigerseminar zu ergattern. Das ist noch immer eine der wenigen
Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg und, was in dieser Zeit vielleicht noch
mehr wiegt, zur sozialen Absicherung der eigenen Existenz.
In der Lateinschule in Ludwigsburg beginnt der
Unterricht im Sommer um sieben und im Winter um acht Uhr. Mit einer
längeren Mittagspause dauert der Unterricht sieben Stunden - wochentags,
zuzüglich verpflichtend der sonntägliche Kirchenbesuch mit anschließender
Katechisation, einer Religionsübung, bei der meistens nur das
Glaubensbekenntnis, allerlei Bibeltexte und zahllose Kirchenlieder auswendig
gelernt werden. (vgl.
Alt Bd. I 2004, S. 75)
An der Ludwigsburger Lateinschule werden drei Klassen unterrichtet, die
jeweils zwei oder drei Jahrgänge umfassen. Trotz des guten Rufs, den die
Schule genießt, wird ihrem schon 1730 gestellten Antrag, sie zu einem
regulären Gymnasium zu erheben, 1767 nicht stattgegeben, weil Kirchenrat und
Konsistorium finanzielle Einwände geltend machen. Allerdings wird der
Schule, wie schon erwähnt, gestattet, eine weitere, höhere, Klasse
einzurichten, die der Schule einen quasi-gymnasialen Rang gibt. (vgl.
Lahnstein
1981, S.32)
Latein ist das mit Abstand wichtigste Fach, das
unterrichtet wird. Das Niveau ist entsprechend hoch: Die Schüler übersetzen
Texte aus dem Lateinischen ins Deutsche und vom Deutschen ins Lateinische,
sie üben sich in lateinischem Stil, sie verfassen lateinische Dialoge, um
ihre aktive lateinische Rede- und Ausdrucksfähigkeit zu erhöhen, und spielen
Theater, auf Latein, versteht sich. Latein - das ist, so wie es die
Lateinschule versteht - eben keine "tote" Sprache, sondern der aktiven
Beschäftigung mit ihr kommt eine quasi universell bildende Beutung zu. So
kommt es in Lateinschulen sogar vor, dass das Sprechen in der Muttersprache
Deutsch untersagt wird. In Württemberg jedenfalls lernt man Latein fast wie
eine lebende Sprache mit solchem Erfolg, dass die Absolventen einer
Lateinschule Latein ihr Leben lang meist außerordentlich gut beherrschen.
Für viele von ihnen ist das Rezitieren lateinischer Texte von Vergil, Ovid
oder Horaz und das Übersetzen der Verse auch später noch eine beliebte
Freizeitbeschäftigung, mit der man sich als gebildeter Bürger darstellen
kann. (vgl.
Sting 2005, S. 145)
Und auch
Friedrich Schiller, er ist zeitweilig der beste Lateiner der Schule (vgl.
Alt Bd. I 2004, S.79),
beherrscht das Lateinische so gut, dass er Jahre später, im Sommer 1788 den
Schwestern
Lengefeld mit der Dichtung
Vergils bekannt machen kann, indem er ihnen vom Blatt weg vom Lateinischen
ins Deutsche übersetzt (vgl.
Buchwald 1959, S. 99).
Der Unterricht von Altgriechisch ist verglichen
mit Latein nicht so umfassend, zielt aber mit seinen Grammatikübungen und
dem eingehenden Vokabellernen darauf, die Schüler zu eigenständigen
Übersetzungen des Neuen Testaments zu befähigen.
Hebräisch spielt dagegen nur eine marginale Rolle und für
Musik und Mathematik hat man
gerade mal eine einzige Unterrichtsstunde pro Woche übrig.
Moderne Fremdsprachen,
Deutsch, Geographie,
Philosophie und Naturwissenschaften
werden dagegen nicht gelehrt, so dass es von den Lehrern selbst abhängt, ob
sie solche Themen im vorgesehenen Unterricht an die Schüler heranbringen
oder nicht. Erstaunlich immerhin, "dass viele Pfarrherrn, die diese geistige
Kost in ihrer ganzen Ausbildung reichlich genossen hatten, hernach ihre
liebste Beschäftigung in Bereichen suchten, aus denen sie vom Katheder herab
nichts vernommen hatten - mechanische Künste aller Art, Ökonomie, Gartenbau
und Bienenzucht, Literatur und Poesie." (Lahnstein
1981, S.33)
Im Ganzen gesehen ist Unterrichtsgeschehen in der Lateinschule von einer
Lernkultur geprägt, die, auch wenn es einzelne
Ausnahmen gibt, man im Anschluss an ein Buch der Soziologin
Katharina Rutschky (1977/2001)
wertend als
schwarze Pädagogik bezeichnen kann.
Physische und psychische
Gewaltanwendung seitens der Lehrer ist etwas ganz Normales - die
Erziehungsmethoden in der patriarchalisch strukturierten Familie sind nicht
anders - und so gehört es "einfach" dazu, dass die Schüler bei mangelnden
Leistungen und kleineren Disziplinverstößen eingeschüchtert, geprügelt oder
zeitweise eingekerkert werden. (vgl.
Alt Bd. I 2004, S. 75)
In der Ludwigsburger Lateinschule gibt es z. B. eine je nach Schwere des
grammatikalischen Fehlers, den ein Schüler macht, Staffelung der dafür
drohenden "Tatzen". Wer einen Fehler macht, muss 12 bis 24 solcher Schläge
mit dem Rohrstock auf die offene Hand erdulden. (vgl.
Lahnstein
1981, S.33) Insgesamt also ein System, das extrem repressiv und
autoritär ist, und das den Lehrern die Möglichkeit gibt, eigene sadistische
Neigungen auszuleben und "brutalen Typen [...] ihr Leben lang Gelegenheit
schaffte, sich ganz im Rahmen der Ordnung ungestraft auszutoben." (ebd.)
In seinen Erinnerungen (1840) hat Schillers Freund
Friedrich Wilhelm von Hoven,
die Lernkultur der Lateinschule eingehend beschrieben (vgl. →Aus
den Erinnerungen Friedrich Wilhelm von Hovens) und dabei auch die
Lehrer (Präzeptoren) der verschiedenen Klassen charakterisiert. Von
Abraham Elsässer (geb. 1735), der zwischen 1776 und 1807 Präzeptor der
1. Klasse der Lateinschule ist, heißt es darin, dass er "zwar
ein ernster, etwas strenger Mann“ gewesen sei, aber dessen
ungeachtet seine Schüler so freundlich behandelt habe, dass sie gerne zur
Schule gegangen seien. In der ersten Klasse wird nur die lateinische Sprache
gelehrt. Man dekliniert und konjugiert tagein tagaus und paukt Grammatik und
Vokabeln. In der zweiten Klasse wird Friedrich Schiller von Magister
Philipp Christian Honold (geb.
1728), unterrichtet, der ein "kirchlicher Eiferer und grausamer
Knabenschinder" (Krauß
1905, S. 193)ist. Dieser steht der zweiten Klasse zwischen 1755-1778
vor. Mit ihm treffen die Schüler auf
einen eifernden Anhänger der pietistischen Lehre Bengels, dem es mehr den
allem anderen darum geht, seine Schüler für die pietistische Frömmigkeit zu
begeistern. Selbst die eine Unterrichtsstunde pro Woche, die für Deutsch
vorgesehen ist, funktioniert er mit steter Regelmäßigkeit zur Katechisation
um und lässt die Schüler auswendig gelernte geistliche Lieder aufsagen.
Seine offenbar für die kleinsten Fehler verteilten Tatzen und Prügel
erzeugen bei den Schülern Angst und wecken den Wunsch, möglichst schnell in
die höhere Klasse überzuwechseln. Der dritten Klasse, in der vorwiegend
wiederum Latein, aber auch Griechisch und Hebräisch gelehrt wird, steht mit
dem Oberpräzeptor Johann Friedrich Jahn (geb. 1728) ein
sehr befähigter und vergleichsweise weltoffener Mann vor, "der über das
Wirkungsfeld der Schule hinauszuschauen versteht.“ (Alt Bd. I 2004,
S.76). Er übt sein Amt an der Lateinschule zwischen 1767 bis 1771 aus,
wechselt dann für einige Zeit als Professor an die Karlsschule auf der
Solitude und kehrt nach Querelen 1775 wieder an die Lateinschule zurück.
Ganz im Gegensatz zu Honold hält Jahn nicht viel von den obligatorischen
Paukstunden in Latein. Nur wer die geschichtlichen Zusammenhänge kennt und
begreift, davon ist er überzeugt, kann zu einem vertieften Verständnis
antiker Sprachen gelangen.
Mit Honold auf der einen und Jahn auf der anderen Seite hat es auch
Friedrich Schiller mit zwei mehr oder weniger klaren Exponenten
unterschiedlicher Lehrauffassungen zu tun, die allerorten in den so
genannten "Gelehrtenschulen“ miteinander ringen. Die theologische Richtung,
für die Honold, aber insbesondere Jahns Nachfolger
Philipp Heinrich Winter (Oberpräzeptor
von 1771-1788) stehen, zieht als sprachdidaktische Neuerung zwar auch antike
Autoren zur Lektüre heran, befasst sich inhaltlich aber mit diesem als
heidnisch abgestempelten Gedankengut in keiner Weise. Die Vertreter einer
humanistischen Richtung, zu der auch Jahn zu zählen ist, durchbrechen jedoch
die theologischen Schranken. Sie erklären die antiken Autoren
"antiquarisch“, indem sie die antiken Lebens- und Gesellschaftsverhältnisse,
antikes Recht und antike Götterwelt lebendig werden lassen. (vgl.
Buchwald 1959, S.99)
So
scheint es vor allem Jahn zuzuschreiben, dass Schiller sich für das
klassische Altertum begeistert und seine auf dessen Schullektüre
zurückgehende, ein Leben lang anhaltende Vorliebe für Vergils "Äneis“
entwickeln kann. Dieses antike Heldenepos, des Sohns der Venus und des
Anchises, den Vergil sogar zum Stadtgründer Roms macht, hat es in der
Vermittlung Jahns dem jungen Lateinschüler besonders angetan. Jedenfalls ist
der junge Friedrich Schiller von Vergil so angetan, dass er auch zu Hause
weiterliest (vgl.
Alt Bd. I 2004, S.
76ff.) und sich später "als Vorarbeiten für seine eigenen epischen Versuche
ab 1790“ an die Übersetzung verschiedener Teile des Werkes macht. Jedenfalls
scheint diese frühe Begegnung mit antiker Literatur auch für Schillers
spätere Bemühungen, eine klassische Literatur zu schaffen, konstituierend
gewesen zu sein (vgl.
Aufenanger 2006, S.19)
Der um die vierzig Jahre alte Johann Friedrich Jahn hat Schiller als Lehrer
und Erzieher wie kaum ein anderer in seiner Jugend geprägt. Seit 1769 lernt
Schiller bei ihm Latein. Allerdings wird Jahn schon im Juni 1771 auf Geheiß
von Herzog
Carl Eugen an die
Karlsschule berufen, wo er,
als Schiller im Januar 1773 dort eintritt, bis zu seiner auf
Auseinandersetzungen mit dem Herzog zurückgehende Rückversetzung an die
Lateinschule aber erneut für knapp zwei Jahre Schillers Lehrer wird. Man
kann Jahn ohne weiteres in einem Atemzug mit seinem
Vater Johann
Caspar,
Pastor Moser und seinem
späteren Philosophielehrer an der Karlsschule,
Jakob Friedrich Abel, nennen. Schiller
bewundert Jahn wegen seines umfangreichen
Fach- und
Weltwwissens, das sich von
der spröden Orthodoxie anderer Theologen deutlich unterscheidet, und bringt
ihm als Zögling eine Verehrung entgegen, die dessen Autorität auch im
Erzieherischen, selbst wenn es mal Prügel setzt, nicht in Frage stellt.
"Einmal hatte Jahn in seinem Jähzorn den Fritz Schiller unverdienterweise so
hart gezüchtigt, dass man die blauen Flecken am Körper fand; er sah sein
Unrecht ein und suchte den Vater auf: da stellte sich denn heraus, dass der
Knabe sich zu Hause gar nicht beklagt hatte; er habe gedacht, Jahn werde es
gut gemeint haben.“ (Buchwald
1959, S. 100)
Auch wenn derartigen Auswüchsen "schwarzer
Pädagogik“ stets eine fragwürdige autoritäre Erzieher-Zögling-Struktur
zugrunde liegt, die insbesondere die Reaktion Friedrichs in kritisches Licht
rückt (vgl.
Ehrfurcht Friedrichs vor seinem Vater),
hat Schiller dies nie thematisiert und hat an seiner außerordentlichen
Wertschätzung Jahns sein Leben lang festgehalten. Auf seiner Reise nach
Württemberg im Jahr 1793 besucht Friedrich Schiller Jahn sogar mehrmals an
seiner alten Schule im Unterricht. (vgl.
ebd.,
Alt Bd. II, 2004, S. 66).
Buchwald /1959 S. 100) hat
darauf hingewiesen, dass Schiller den Richtungsstreit zwischen den
theologischen und humanistisch orientierten Lehrer in seinem Drama "Die
Räuber“ verewigt hat: " in jener Stelle (I,
1) in den »Räubern«, wo
Franz Moor seinem
Vater vorwirft, dass er durch
eine verfehlte moderne Erziehung an dem moralischen Untergang seines Sohnes
Karl selber die Hauptschuld trage. »Ahndete
mir’s nicht«, lässt er Franz sprechen, »da
er die Abenteuer des Julius Cäsar und Alexander Magnus und anderer
stockfinsterer Helden lieber las als die Geschichte des bußfertigen Tobias?«
Die Gegenseite mit ihrem Grammatik- und Stilistikbetrieb wird hingegen von
Karl Moor in seiner großen
Anklage gegen das tintenklecksende
Säkulum (I,2)
angegriffen: »Feuchtohrige
Buben fischen Phrases aus der Schlacht bei Cannä und greinen über die Siege
des Scipio, weil sie exponieren müssen …
Schöner Preis für euren Schweiß in der
Feldschlacht, dass ihr jetzt in Gymnasien lebet und eure Unsterblichkeit in
einem Bücherriemen mühsam fortgeschleppt wird!«"
Anregungen, die Friedrich Schiller in der Schule bei Jahn erhält, folgt er,
soweit es die
familiäre Ausstattung mit Büchern
zulässt, auch zu Hause beim
Lesen. Von seiner
Äneis-Begeisterung
ist schon gesprochen worden. Jahns Unterricht scheint aber auch das
Interesse Schillers an Reiseliteratur geweckt
zu haben, einem Genre, das sich in dieser Zeit wachsenden Zuspruchs erfreut.
Allerdings scheint er kaum mehr als die fiktionalen
Abenteuer von Telemach, dem Sohn des
Odysseus, gelesen zu haben, die in der deutschen Übersetzung des
französischen Originals von
Fénelon (»Les adventures
des Télémaque«) zu den beliebtesten Jugendbüchern des 18. Jahrhunderts
zählt. (vgl.
Alt Bd. I 2004, S. 79)
Vielleicht ist bei dem jugendlichen Schiller auch die Neigung zum
evasorischen Lesen nicht so
ausgeprägt, vielleicht fehlt ihm eben auch nur der Lesestoff dazu, da es in
der Hausbibliothek der Schillers ja nur wenige Bücher, darunter keine
Romane, gibt. So weiß man nicht, ob der junge Schiller mit anderen populären
Lesestoffen aus dem gleichen Genre wie
Daniel Defoes »Robinson Crusoe«
oder Schnabels »Insel Felsenburg« als jugendlicher Leser in Berührung
gekommen ist. (vgl.
ebd.)
Wenn es darum geht, erworbene Schulkenntnisse in eigenen Schreibversuchen zu
gestalten, zeigt der Lateinschüler Friedrich Schiller jedoch ein besonderes
Geschick. In einem lateinischen Neujahrsgedicht an seine Eltern zeigt er
schon am Beginn des Jahres 1769 eine hohe Stilsicherheit, die sich auch in
weiteren in Deutsch und Latein gedichteten Versen zeigt, die der gerade mal
zehn Jahre alte Junge verfasst. Solche besonderen Begabungen, die ihn bald
zum besten Lateiner der Schule machen, darf Friedrich auch bei besonderen
Schulanlässen,
sehr zum Stolz der eigenen Eltern,
unter Beweis stellen. Zur Einführung von
Philipp Heinrich Winter als Nachfolger Jahns verfasst er 1771 ein
Gedicht, das den neuen Oberpräzeptor, in
Distichen gefasst, zur
Begrüßung preist. Und ein paar Monate später darf er, stellvertretend für
alle Schüler, zum Dank für die Gewährung von ein paar Tagen Ferien im Herbst
ein Gedicht für den Ludwigsburger Spezialsuperintendenten
Georg Sebastian Zilling abfassen. In
all dem zeigt sich schon früh, sein durch die Klassikerlektüre geschultes
Auffassungsvermögen, eine außerordentlich ausgeprägte "Fähigkeit zur
schnellen Adaption stilistischer Muster“ und eine bemerkenswert "bewegliche
Formintelligenz“, die auch danach Grundzüge in seiner weiteren
intellektuellen Entwicklung darstellen (vgl.
ebd.)
Als Dreizehnjähriger soll Friedrich 1772, wie sein Vater Johann Caspar
Schiller im Rückblick 1790 notiert, auch schon erste Versuche mit der
dramatischen Form der
Literatur unternommen haben. Unter dem Einfluss biblischer Dramen des
vielbewunderten
Friedrich Gottlieb Klopstock (1724 –
1803) orientieren sich auch diese nicht überlieferten
dramatischen Versuche an religiösen Inhalten, was sich im Titel des verloren
gegangenen Jugenddramas »Die Christen« niedergeschlagen hat. Sicher sind
diese Versuche mit der dramatischen Form auch von den ersten Opernbesuchen
in irgendeiner Weise beeinflusst, zu denen ihn sein Vater, der als Offizier
freien Eintritt zu den Veranstaltungen im
Opernhaus hat, erstmals als
Neunjährigen und danach hin und wieder mitgenommen hat. Anzunehmen, dass er
dadurch Produktionen wie
Jomellis »Semiramide« oder
auch
Noverres Ballett »Der Tod des Herakles« zu sehen bekommt.
Deutschprachiges ist aber im höfischen Theater noch verpönt und so kommt
Friedrich Schiller auch erst später in Stuttgart damit in Berührung. (vgl.
ebd. S. 80) Auch wenn dem
jungen Schiller angesichts des Lichtglanzes in der Oper die Augen
übergegangen und ihn die bombastischen Aufführungen, meist freilich in
Italienisch, überwältigt haben mögen, lässt sich in späteren Jahren "bei ihm
auf lange hinaus nichts entdecken als eine offene Abneigung gegenüber dieser
Kunstform. "In der Zeit seiner Jugenddichtung galt ihm die spätbarocke Oper
geradezu als Sinnbild des nichtswürdigen Absolutismus. […] Auch in seiner
Mannheimer und Dresdener Zeit hat Schiller für die Oper als Kunstform nur
Spott übrig gehabt. […]
Und noch als er im Sommer 1788
Goethes
»Egmont«
öffentlich besprach (→Friedrich Schiller, Über Egmont, 1788),
bezeichnete er die Schlussszene (V,3),
wo Egmont entschläft und ihm
unter Klängen der Musik die Freiheit mit den Zügen
Klärchens erscheint, als
»unbegreiflich«, »eine
mutwillige Zerstörung der Illusion«, »einen
Saltomortale in eine Opernwelt« und – in der ersten Fassung der
Kritik – als »Versündigung
an Natur und Wahrheit«." (Buchwald
1959, S. 107f.) Trotzdem, was er im Opernhaus zu sehen bekommt,
mag ihm, wie
Karoline von Wolzogen in
ihrer Biographie (1830) meint, "eine
neue Welt“ eröffnet haben, auf die sich seine jugendlichen Spiele
fortan beziehen. (vgl.
ebd. S. 106) Wahrscheinlich
hat es ihn auch veranlasst, solches Spiel auf seine Weise nachzuahmen.
Vielleicht nimmt auch, wie Peter-André
Alt (Bd. I 2004, S. 80)
meint, "die Vorführung improvisierter Szenen, die Geschwistern und Freunden
in der Küche oder im Garten präsentiert“ werden, den Platz jener
Predigerübungen, als die
Familie noch in
Lorch wohnt, ein, von denen
seine Schwester
Christophine später
berichtet.
In jedem Fall geht Friedrich Schillers weiteres literarisches Schaffen nicht
von dem aus, was er auf der Opernbühne zu sehen bekommt, sondern orientiert
sich vielmehr an der religiösen
Lyrik
Gellerts
und Klopstocks. Und selbst Schillers dramatischer Erstling »Die
Räuber« sind von Schiller nicht von der Inszenierung her
konzipiert, sondern ursprünglich nur als Lesedrama gedacht, von dessen
Bühnentauglichkeit sogar er selbst nicht wenig überrascht ist. (vgl.
Buchwald 1959, S. 106)
Während seiner Lateinschulzeit nimmt Friedrich Schiller stets an den
Landexemina in Stuttgart teil, die dort unter Aufsicht des
Prälaten Knaus, dem Rektor des städtischen Gymnasiums, durchgeführt
werden. Die ersten drei Prüfungen absolviert er mit Bravour und erhält dabei
stets die Auszeichnung »Puer bonus spei« (ein
hoffnungsvoller Junge). Vor dem vierten Landexamen verlässt ihn aber infolge
von Krankheiten, aber wohl auch wegen einer typischen Pubertätskrise,
offenkundig der Lerneifer, so dass er die anspruchsvolle Prüfung im Juni
1772 gerade noch schafft. Und so scheint trotzdem alles nach Plan zu laufen.
Friedrich soll, so wollen es bekanntlich die Eltern, danach in ein
Predigerseminar eintreten, um die vorgezeichnete theologische Laufbahn
fortzuführen.
Doch
Herzog Carl Eugen von Württemberg
macht den Eltern und dem 13-jährigen Sohn einen Strich durch die Rechnung.
Zweimal lässt er, der sich die besten Schüler der Lateinschule jedes Jahr
melden lässt, 1771 schon bei Schillers Vater Johann Caspar anfragen, ob er
seinen Sohn auf die von ihm gegründete "militärische Pflanzschule“ auf der
Solitude schicken wolle. Und zweimal kann der Vater dieses Ansinnen mit dem
Hinweis auf die vorgesehene theologische Ausbildung seines Sohnes offenbar
abblocken. Als der Herzog aber nicht locker lässt und 1772 nach Abschluss
des letzten Landexamens noch einmal in der gleichen Sache nachfragen lässt,
muss sein Offizier Johann Caspar einlenken, um nicht den Eindruck von
Ungehorsam zu erwecken.
So muss Friedrich Schiller, acht Monate nach seiner
Konfirmation Ende April 1772, die man ja als eine Art christlichen
Initiationsritus beim Übergang von der Kindheit zur Adoleszenz sehen kann,
seine lang gehegten Berufspläne begraben, als er am 16. Januar 1793 von
seinem Vater an der Pforte der
Karlsschule auf der Solitude in die Hände des
Herzogs "abgeben“ muss.
Buchwald (1959, S. 108ff.)
hat sich in einem eigenen Kapitel im Anschluss an die Darstellung der Zeit
vor dem Eintritt in die Karlsschule mit der Frage befasst, welchen "Ertrag“
die Kindheit für Schillers weiteres Leben geliefert haben könnte. Indem er
betont, dass Schiller selbst, rückblickend, die eigene Kindheit stets als
glücklich und darüber hinaus prägend bezeichnet hat, zeigt er auf, das
Schiller ein bestimmtes "Gesamtbild seiner Kindheit“ in seinem späteren
Leben stets vor Augen hat. Die Bezüge, die er in seiner Philosophie und
Ästhetik stets auf Kindheit als Paradies und Stand der Unschuld stets
herstellt und die Kindheit zur einzig unverstümmelten Natur stilisiert, die
in der kultivierten Menschheit noch anzutreffen ist, hat er ihr eine
Bedeutung in seinem Denken gegeben, die mit gewissem Recht behaupten kann,
dass seine ganze Philosophie "im Grunde eine Philosophie der Kindheit“
darstellt. Schillers neues Menschenideal kann, ohne dass die Kräfte der
(naiven) Kindheit im Erwachsenenalter wieder lebendig und in den weiteren
Entwicklungsprozess eingebracht werden, nicht erreicht werden. Die Bedeutung
der Kindheit für Schiller durchzieht auch sein Werk, das seine Protagonisten
immer dann, wenn sie "eine moralische Wiedergeburt durchmachen“ Erinnerungen
an die eigene Kindheit evozieren und quasi ein zweites Mal durchleben lässt,
heißen sie Karl Moor oder auch Demetrius. (vgl.
Buchwald 1959, S. 113f.)
Abbildungen:
-
Friedrich von
Hoven, gemalte Silhouette, aus:
Könnecke 1905, S.3
-
Friedrich Schiller
ca. 1763, gemalte Silhouette, aus dem Nachlass seiner Schwester
Christophine; ältestes erhaltenes Bildnis Schillers. aus:
Könnecke 1905, S.3
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
10.02.2022