Nachrichten von Schillers Leben
Für die Zuverlässigkeit dieser Nachrichten bürgt der Appellationsrat Körner
in Dresden als ihr Verfasser. Seit dem Jahr 1785 gehörte er zu Schillers
vertrautesten Freunden und wurde von mehreren Personen, die mit dem
Verewigten in genauester Verbindung gewesen waren, durch schätzbare Beiträge
unterstützt. Nicht der kleinste Umstand ist in diese Lebensbeschreibung
aufgenommen worden, der nicht auf Schillers eigene Äußerungen oder auf
glaubwürdige Zeugnisse sich gründet. Zu bemerken ist, dass sie im Jahr 1812
verfasst worden sind.
Die Sitte und Denkart des väterlichen Hauses, in welchem Schiller die Jahre
seiner Kindheit verlebte, war nicht begünstigend für die frühzeitige
Entwicklung vorhandener Fähigkeiten, aber für die Gesundheit der Seele von
wohltätigem Einfluss.
Einfach und ohne vielseitige Ausbildung, aber
kraftvoll, gewandt und tätig für das praktische Leben, bieder und fromm war
der Vater. Als Wundarzt ging er im Jahr 1745 mit einem bayerischen
Husarenregiment nach den Niederlanden, und der Mangel an hinlänglicher
Beschäftigung veranlasste ihn, bei dem damaligen Krieg sich als
Unteroffizier gebrauchen zu lassen, wenn kleine Kommandos auf Unternehmungen
ausgeschickt wurden. Als nach Abschluss des Aachener Friedens ein Teil des
Regiments, bei dem er diente, entlassen wurde, kehrte er in sein Vaterland,
das Herzogtum Württemberg, zurück, erhielt dort Anstellung und war im Jahr
1757 Fähnrich und Adjutant bei dem damaligen Regiment Prinz Louis. Dies
Regiment gehörte zu einem württembergischen Hilfskorps, das in einigen
Feldzügen des siebenjährigen Krieges einen Teil der österreichischen Armee
ausmachte. In Böhmen erhielt dieses Korps einen bedeutenden Verlust durch
eine heftige, ansteckende Krankheit, aber Schillers Vater erhielt sich durch
Mäßigkeit und viel Bewegung gesund, und übernahm in diesem Fall der Not
jedes erforderliche Geschäft, wozu er gebraucht werden konnte. Er besorgte
die Kranken, als es an Wundärzten fehlte, und vertrat die Stelle des
Geistlichen bei dem Gottesdienst des Regiments durch Vorlesung einiger
Gebete und Leitung des Gesangs.
Seit dem Jahr 1759 stand er bei einem andern württembergischen Korps in
Hessen und in Thüringen und benutzte jede Stunde der Muse, um durch eigenes
Studium, ohne fremde Beihilfe, nachzuholen, was ihm in frühern Jahren, wegen
ungünstiger Umstände, nicht gelehrt worden war. Mathematik und Philosophie
betrieb er mit Eifer, und landwirtschaftliche Beschäftigungen hatten dabei
für ihn einen vorzüglichen Reiz. Eine Baumschule, die er in Ludwigsburg
anlegte, wo er nach beendigtem Krieg als Hauptmann im Quartier war, hatte
den glücklichsten Erfolg. Dies veranlasste den damaligen Herzog von
Württemberg, ihm die Aufsicht über eine größere Anstalt dieser Art zu
übertragen, die auf der Solitude, einem herzoglichem Lustschloss, war
errichtet worden. In dieser Stelle befriedigte er vollkommen die von ihm
gehegten Erwartungen, war geschätzt von seinem Fürsten und geachtet von
allen, die ihn kannten, erreichte ein hohes Alter, und hatte noch die Freude
den Ruhm seines Sohnes zu erleben. Über diesen Sohn findet sich folgende
Stelle in einem noch vorhandenen eigenhändigen Aufsatz des Vaters:
"Und Du, Wesen aller Wesen! Dich hab’ ich nach der Geburt meines einzigen
Sohnes gebeten, dass Du demselben an Geistesstärke zulegen möchtest, was ich
aus Mangel an Unterricht nicht erreichen konnte, und Du hast mich erhört.
Dank Dir, gütigstes Wesen, dass Du auf die Bitten der Sterblichen achtest!
–“
Schillers Mutter wird von zuverlässigen Personen als eine anspruchslose,
aber verständige und gutmütige Hausfrau beschrieben. Gatten und Kinder
liebte sie zärtlich, und die Innigkeit ihres Gefühls machte sie ihrem Sohne
sehr wert. Zum Lesen hatte sie wenig Zeit, aber Utz und Gellert waren ihr
lieb, besonders als geistliche Dichter. – Von solchen Eltern wurde Johann
Christoph Friedrich Schiller am 10. November 1759 in Marbach, einem
württembergischen Städtchen am Neckar, geboren. Einzelne Züge, deren man
sich aus seinen frühesten Jahren erinnert, waren Beweise von Weichheit des
Herzens, Religiosität und strenger Gewissenhaftigkeit. Den ersten Unterricht
erheilt er von dem Pfarrer Moser in Lorch, einem württembergischen
Grenzdorf, wo Schillers Eltern von 1765 an drei Jahre lang sich aufhielten.
Der Sohn dieses Geistlichen, ein nachheriger Prediger, war Schillers erster
Jungendfreund, und dies erweckte bei ihm wahrscheinlicher Weise die
nachherige Neigung zum geistlichen Stand.
Die Schiller’sche Familie zog im Jahre 1768 wieder nach Ludwigsburg. Dort
sah der neunjährige Knabe zum ersten Mal ein Theater, und zwar ein so
glänzendes, wie es die Pracht des Hofes unter Herzog Karl Regierung
erforderte. Die Wirkung war mächtig: Es eröffnete sich ihm eine neue Welt,
auf die sich alle seine jugendlichen Spiele bezogen, um Pläne zu
Trauerspielen beschäftigten ihn schon damals, aber seine Neigung zum
geistlichen Stand verminderte sich nicht.
Bis zum Jahr 1773 erhielt er seinen Unterricht in einer öffentlichen
größeren Schule in Ludwigsburg, und auf diese Zeit erinnert sich ein
damaliger Mitschüler seiner Munterkeit, seine roft mutwilligen Laune und
Keckheit, aber auch seiner edeln Denkart und seines Fleißes. Die guten
Zeugnisse seiner Lehrer machten den regierenden Herzog auf ihn aufmerksam,
der damals eine neue Erziehungsanstalt mit großem Eifer errichtete und unter
den Söhnen seiner Offiziere Zöglinge dafür aussuchte.
Die Aufnahme in dieses Institut, die militärische Pflanzschule auf dem
Lustschloss Solitude und nachherige Karlsschule in Stuttgart, war eine Gnade
des Fürsten, deren Ablehnung für Schillers Vater allerdings bedenklich sein
musste. Gleichwohl eröffnete dieser dem Herzog freimütig die Absicht, seinen
Sohn einem Stand zu widmen, zu welchem er bei der neuen Bildugnsanstalt
nicht vorbereitet werden konnte. Der Herzog war nicht beleidigt, aber
verlangte die Wahl eines andern Studiums. Die Verlegenheit war groß in
Schillers Familie, ihm selbst kostete es viel Überwindung, seine Neigung den
Verhältnissen seines Vaters aufzuopfern, aber endlich entschied er sich für
das juristische Fach, und wurde im Jahr 1773 in das neue Institut
aufgenommen. Noch im folgenden Jahr, als jeder Zögling seine eigene
Charakterschilderung aufsetzen musste, wagte Schiller das Geständnis:
"Dass er sich weit glücklicher schätzen würde, wenn er dem Vaterland als
Gottesgelehrter dienen könnte.“
Auch ergriff er im Jahr 1775 eine Gelegenheit, wenigstens das juristische
Studium, das für ihn nichts Anziehendes Hatte, aufzugeben. Es war bei dem
Institut eine neue Lehranstalt für künftige Ärzte errichtet worden. Der
Herzog ließ jedem Zögling die Wahl von dieser Anstalt Gebrauch zu machen,
und Schiller benutzte diese Aufforderung.
Auf der Karlsschule war es, wo seine frühesten Gedichte entstanden. Ein
Versuch das Eigentümliche dieser Produkte aus damaligen äußern Ursachen
vollständig zu erklären, wäre ein vergebliches Bemühen. Von dem, was die
Richtung eines solchen Geistes bestimmte, blieb natürlicher Weise vieles
verborgen, und nur folgende bekannt gewordene Umstände verdienen in dieser
Rücksicht bemerkt zu werden.
Deutsche Dichter zu lesen, gab es auf der Karlsschule, so wie auf den
meisten damaligen Unterrichtsanstalten in Deutschland, wenig Gelegenheit.
Schiller blieb daher noch unbekannt mit einem großen Teil der
vaterländischen Literatur; aber desto vertrauter wurde er mit den Werken
einige Lieblinge. Klopfstock, Utz, Lessing, Goethe und von Gerstenberg waren
die Freunde seiner Jugend.
Auf dem deutschen Parnass begann damals ein neues Leben. Die besten Köpfe
empörten sich gegen den Despotismus der Mode und gegen das Streben nach
kalter Eleganz. Kräftige Darstellung der Leidenschaft und des Charakters,
tiefe Blicke in das Innere der Seele, Reichtum der Phantasie und der Sprache
sollten allein den Wert des Dichters begründen. Unabhängig von allen äußern
Umgebungen, sollte er als ein Wesen aus einer höhern Welt erscheinen,
unbekümmert ob er früher oder später bei seinen Zeitgenossen eine würdige
Aufnahme finden werde. Nicht durch fremden Einfluss, sondern allein durch
sich selbst sollte die deutsche Dichtkunst sich aus ihrem Innern entwickeln.
Beispiele einer solchen Denkart mussten einen Jüngling von Schillers Anlagen
mächtig ergreifen. Daher besonders seien Begeisterung für Goethes Götz von
Berlichingen und Gerstenbergs Ugolino. Später wurde er auf Shakespeare
aufmerksam gemacht, und dies geschah durch seinen damaligen Lehrer, dem
jetzigen Prälaten Abel in Schönthal, der überhaupt sich um ihn mehrere
Verdienste erwarb. Mit dem Dichter Schubart war Schiller in keiner weiteren
Verbindung, als dass er ihn einmal auf der Festung Hohenasperg, aus
Teilnehmung an seinem Schicksal, besuchte.
Ein episches Gedicht, Moses, gehört zu Schillers frühesten Versuchen vom
Jahr 1773, und nicht lange nachher entstand sein erstes Trauerspiel: Cosmus
von Medicis, im Stoff ähnlich mit Leisewitzens Julius von Tarent. Einzelne
Stellen dieses Stücks sind später in die Räuber aufgenommen worden; aber
außerdem hat sich von Schillers Produkten aus dem Zeitraum von 1780 nichts
erhalten, als wenige Gedichte, die sich im schwäbischen Magazin finden.
Schiller beschäftigte sich damals aus eigenem Antrieb nicht bloß mit Lesung
der Dichter; auch Plutarchs Biograpien, Herders und Garvens Schriften waren
für ihn besonders anziehend, und es verdient bemerkt zu werden, dass er
vorzüglich in Luthers Bibelübersetzung die deutsche Sprache studierte.
Medizin trieb er mit Ernst, und um ihr zwei Jahre ausschließlich zu widmen,
entsagte er während dieser Zeit allen poetischen Arbeiten. Er schrieb damals
eine Abhandlung unter dem Titel: Philosophie der Physiologie. Diese Schrift
wurde nachher lateinisch von ihm ausgearbeitet und seinen Vorgesetzten im
Manuskript vorgelegt, erschien aber nicht im Druck. Nach beendigtem Kursus
verteidigte er im Jahre 1780 eine andere Probeschrift: Über den Zusammenhang
der tierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen. Der Erfolg davon war
eine baldige Anstellung als Regiments-Medikus bei dem Regiment Augé, und
seine Zeitgenossen behaupten, dass er sich als praktischer Arzt durch Geist
und Kühnheit, aber nicht in gleichem Grad durch Glück ausgezeichnet habe.
Nach Ablauf der Zeit, in der ihn ein strenges Gelübde von der Poesie
entfernte, kehrte er mit erneuerter Liebe zu ihr zurück. Die Räuber und
mehrere einzelne Gedichte, die er kurz nachher, nebst den Produkten einiger
Freunde, unter dem Titel einer Anthologie herausgab, entstanden in den
Jahren 1780 bis 1781, welche zu den entscheidendsten seines Lebens gehörten.
Für die Räuber fand Schiller keinen Verleger, und musste den Druck auf
eigene Kosten veranstalten. Desto erfreulicher war ihm der erste Beweis
einer Anerkennung im Ausland, als ihn schon im Jahr 1781 der Hof-Kammerrat
und Buchhändler Schwan in Mannheim zu einer Umarbeitung dieses Werks für die
dortige Bühne aufforderte. Einen ähnlichen Antrag, der zugleich auf künftige
dramatische Produkte gesichtet war, erhielt er kurz darauf von dem Direktor
des Mannheimer Theaters selbst, dem Freiherrn von Dalberg. Was Schiller
hierauf erwiderte, ist noch vorhanden, und es ergibt sich daraus, wie streng
er sich selbst beurteilte, und wie leicht er in jede Abänderung willigte,
von deren Notwendigkeit man ihn überzeugte, aber wie wenig auch diese
Willfährigkeit in Schlaffheit ausartete, und wie nachdrücklich er in
wesentlichen Punkten, selbst gegen einen Mann, den er hoch schätzte, die
Rechte seines Werks verteidigte.
Die schriftlichen Verhandlungen endigten sich in beiderseitiger
Zufriedenheit, und die Räuber wurden im Januar 1782 in Mannheim aufgeführt.
Bei dieser und der zweiten Aufführung im Mai eben dieses Jahres war Schiller
gegenwärtig, aber die Reise nach Mannheim hatte heimlich geschehen müssen,
und bleib nicht verborgen. Ein vierzehntägiger Arrest war die Strafe.
Zu eben dieser Zeit wurde Schiller durch einen andern Umstand sein
Aufenthalt in Stuttgart noch mehr verbittert. Eine Stelle in den Räubern,
wodurch sich die Graubündtner beleidigt fanden, veranlasste eine Beschwerde,
und der Herzog verbot Schiller, außer dem medizinischen Fach irgend etwas
drucken zu lassen. Dies war für ihn eine desto drückendere Beschränkung, je
günstigere Aussichten sich ihm durch den glücklichen Erfolg seines ersten
Trauerspiels eröffneten. Auch hatte er sich mit dem Professor Abel und dem
Bibliothekar Petersen in Stuttgart vereinigt um eine Zeitschrift unter dem
Titel: Württembergisches Repertorium der Literatur, herauszugeben, zu deren
ersten Stücken er einige Aufsätze, als: Über das gegenwärtige deutsche
Theater; der Spaziergang unter den Linden; eine großmütige Handlung aus der
neuesten Geschichte und verschiedene Rezessionen, vorzüglich eine sehr
strenge und ausführliche über die Räuber, lieferte. Indessen gab es noch
einen Ausweg, um jenes Verbot rückgängig zu machen, wozu aber Schiller sich
nicht entschließen konnte.
In späteren Jahren erzählte er selbst, wie ein glaubwürdiger Mann bezeugt,
dass es nicht seine Beschäftigung mit Poesie überhaupt, sondern seine
besondere Art zu dichten war, was damals die Unzufriedenheit des Herzogs
erregte. Als ein vielseitig gebildeter Fürst achtete der Herzog jede Gattung
von Kunst, und hätte gern gesehen dass auch ein vorzüglicher Dichter aus der
Karlsschule hervorgegangen wäre. Aber in Schillers Produkten fand er häufige
Verstöße gegen den bessern Geschmack. Gleichwohl gab er ihn nicht auf, ließ
ihn vielmehr zu sich kommen, warnte ihn auf eine väterliche Art, wobei
Schiller nicht ungerührt bleiben konnte, und verlangte bloß, dass er ihm
alle seine poetischen Produkte zeigen sollte. Dies einzugeben, war Schiller
unmöglich, und seine Weigerung wurde natürlicherweise nicht wohl
aufgenommen. Es scheint jedoch, dass bei dem Herzog auch nachher noch ein
gewisses Interesse für Schiller übrig blieb. Wenigstens wurden keine strenge
Maßregeln gegen ihn gebraucht, als er später sich heimlich von Stuttgart
entfernte, und dieser Schritt hatte für seinen Vater keine nachteiligen
Folgen. Auch durfte Schiller nachher im Jahr 1793, als der Herzog noch
lebte, eine Reise in sein Vaterland und zu seinen Eltern wagen, ohne dass
diese Zusammenkunft auf irgend eine Art gestört wurde.
Die Aufführung der Räuber in Mannheim, wo die Schauspielkunst damals auf
einer hohen Stufe stand, und besonders Ifflands Darstellung des Franz Moor,
hatte auf Schiller begeisternd gewirkt. Seine dortige Aufnahme versprach ihm
ein schönes poetisches Leben, dessen Reiz er nicht widerstehen konnte. Aber
gleichwohl wünschte er Stuttgart nur mit Erlaubnis des Herzogs zu verlassen.
Diese Erlaubnis hoffte er durch den Freiherrn von Dalberg auszuwirken, und
seine Briefe an ihn enthalten mehrmalige dringende Gesuche um eine solche
Verwendung. Aber es mochten Schwierigkeiten eintreten, seien Bitte zu
erfüllen. Seine Ungeduld wuchs, er entschloss sich zur Flucht und wählte
dazu den Zeitpunkt im Oktober 1782, da in Stuttgart alles mit den
Feierlichkeiten beschäftigt war, die durch die Ankunft des damaligen
Großfürsten Paul veranlasst wurden.
Unter fremden Namen ging er nach Franken und lebte dort beinahe ein Jahr in
der Nähe von Meinigen zu Bauerbach, einem Gut der Frau Geheimrätin zu
Wollzogen, deren wohlwollende Aufnahme er seiner Verbindung mit ihren
Söhnen, die mit ihm in Stuttgart studiert hatten, verdankte. Sorglos und
ungestört widmete er sich hier ganz seinen poetischen Arbeiten. Die Früchte
seiner Tätigkeit waren: Die Verschwörung des Fiesco, ein schon in Stuttgart
während des Arrests angefangenes Werk, Cabale und Liebe und die ersten Ideen
zum Don Carlos. Im September 1783 verließ er endlich diesen Aufenthalt, um
sich nach Mannheim zu begeben, wo er mit dem dortigen Theater in genauere
Verbindung trat.
Es war in Schillers Charakter, bei jedem Eintritt in neue Verhältnisse sich
sogleich mit Plänen einer viel umfassenden Wirksamkeit zu beschäftigen. Mit
welchem Ernst er die dramatische Kunst betrieb, ergibt sich aus seiner
Vorrede zur ersten Ausgabe der Räuber, aus dem Aufsatz über das gegenwärtige
deutsche Theater in Württembergischen Repertorium und aus einer im ersten
Heft der Thalia eingerückten Vorlesung über die Frage: Was kann eine gute
stehende Schaubühne wirken? In Mannheim hoffte er viel für das höhere
Interesse der Kunst. Er war Mitglied der damaligen kurpfälzischen deutschen
Gesellschaft geworden, sah sich von Männern umgeben, von denen er eine
kräftige Mitwirkung erwartete, und entwarf einen Plan dem Theater in
Mannheim durch eine dramaturgische Gesellschaft eine größere Vollkommenheit
zu geben. Dieser Gedanke kam nicht zur Ausführung; aber Schiller versuchte
wenigstens allein für diesen Zweck etwas zu leisten, und bestimmte dazu
einen Teil der periodischen Schrift, die er im Jahr 1784, unter dem Titel
Rheinische Thalia, unternahm. In der Ankündigung dieser Zeitschrift wirft er
sich mit jugendlichem Vertrauen dem Publikum in die Arme. Seine Worte sind
folgende:
"Alle meine Verbindungen sind nunmehr aufgelöst. Das Publikum ist mir jetzt
Alles, mein Studium, mein Souverain, mein Vertrauter. Ihm allein gehöre ich
jetzt an. Vor diesem und keinem andern Tribunal werde ich mich stellen.
Dieses nur fürcht’ ich und verehr’ ich. Etwas Großes wandelt mich an bei der
Vorstellung, keine andere Fessel zu tragen, als den Ausspruch der Welt – an
keinen andern Thron mehr zu appellieren, als an die menschliche Seele. – Den
Schriftsteller überhüpfe die Nachwelt, der nicht mehr war, als seine Werke –
und gerne gestehe ich, dass bei Herausgabe dieser Thalia meine vorzügliche
Absicht war, zwischen dem Publikum und mir ein Band der Freundschaft zu
knüpfen.“
Unter die dramatischen Stoffe, mit denen sich Schiller während seines
Aufenthaltes in Franken und Mannheim abwechselnd beschäftigte, gehörte die
Geschichte Konradins von Schwaben und ein zweiter Teil der Räuber, der eine
Auflösung der Dissonanzen dieses Trauerspiels enthalten sollte. Auch
entstand damals bei ihm die Idee, Shakespeares Macbeth und Timon für die
deutsche Bühne zu bearbeiten. Aber Don Carlos war es endlich, wofür er sich
bestimmte, und einige Szenen davon erschienen im ersten Heft der Thalia.
Die Vorlesung dieser Szenen an dem landgräflich hessen-darmstädtischen Hof
gab Gelegenheit, dass Schiller dem dabei gegenwärtigen regierenden Herzog
von Sachsen-Weimar bekannt und von ihm zum Rat ernannt wurde. Diese
Auszeichnung von einem Fürsten, der mit den Musen vertraut und nur an das
Vortreffliche gewöhnt war, musste Schiller zur großen Aufmunterung
gereichen, und hatte späterhin für ihn die wichtigsten Folgen.
Im März des Jahres 1785 kam er nach Leipzig. Hier erwarteten ihn Freunde,
die er durch seine früheren Produkte gewonnen hatte, und die er in einer
glücklichen Stimmung fand. Unter diesen Freunden war auch der zu früh
verstorbene Huber. Schiller selbst wurde aufgeheitert, und verlebte einige
Monate des Sommers zu Gohlis, einem Dorf bei Leipzig, in einem fröhlichen
Zirkel. Das Lied an die Freude wurde damals gedichtet.
Mit dem Ende des Sommers 1785 begann Schillers Aufenthalt in Dresden und
dauerte bis zum Juli 1787. Don Carlos wurde hier nicht bloß geendigt,
sondern erhielt auch eine ganz neue Gestalt. Schiller bereute oft, einzelne
Szenen in der Thalia bekannt gemacht zu haben, ehe das Ganze vollendet war.
Er selbst hatte während dieser Arbeit beträchtliche Fortschritte gemacht,
seine Forderungen waren strenger geworden, und der anfängliche Plan
befriedigte ihn ebenso wenig, als die Manier der Ausführung in den ersten
gedruckten Szenen.
Der Entwurf zu einem Schauspiel: Der Menschenfeind, und einige davon
vorhandene Szenen gehören auch in diese Periode. Von kleineren Gedichten
erschienen damals nur wenige. Schiller war teils zu sehr mit der Fortsetzung
seiner Zeitschrift beschäftigt, teils war in ihm der Wunsch rege geworden,
durch irgend eine Tätigkeit außerhalb des Gebietes der Dichtkunst sich eine
unabhängige Existenz zu gründen. Er schwankte einige Zeit zwischen Medizin
und Geschichte, und wählte endlich die letzte. Die historischen Vorarbeiten
zum Don Carlos hatten ihn auf einen reichhaltigen Stoff aufmerksam gemacht,
den Abfall der Niederlande unter Philipp dem Zweiten. Zur Behandlung dieses
Stoffes fing er daher an, Materialien zu sammeln. Auch beschloss er damals,
Geschichten der merkwürdigsten Revolutionen und Verschwörungen
herauszugeben, wovon aber nur ein Teil erschien, der von Schiller selbst
etwas mit enthält.
Cagliostro spielte damals eine Rolle in Frankreich, die viel Aufsehen
erregte; unter dem, was von diesem sonderbaren Mann erzählt wurde, fand
Schiller manches brauchbar für einen Roman, und es entstand die Idee zum
Geisterseher. Es lag durchaus keine wahre Geschichte zu Grunde, sondern
Schiller, der nie einer geheimen Gesellschaft angehörte, wollte bloß in
dieser Gattung seine Kräfte versuchen. Das Werk wurde ihm verleidet und
blieb unbeendigt, als aus den Anfragen, die er von mehreren Seiten erhielt,
hervorzugehen schien, dass er bloß die Neugierde des Publikums auf die
Begebenheit gereizt hätte. Sein Zweck war eine höhere Wirkung gewesen.
Das Jahr 1787 führte ihn nach Weimar. Goethe war damals in Italien, aber von
Wieland und Herder wurde Schiller mit Wohlgefallen aufgenommen. Herder war
für ihn äußerst anziehend, aber die väterliche Zuneigung, mit der ihm
Wieland zuvorkam, wirkte noch in einem höheren Grad auf Schillers
Empfänglichkeit. Er schrieb damals an einen Freund:
"Wir werden schöne Stunden haben. Wieland ist jung, wenn er 'liebt'.
Ein solches genaueres Verhältnis gab Anlass, dass Schiller zu einer
fortgesetzten Teilnahme am Deutschen Merkur aufgefordert wurde. Die Idee,
dieser Zeitschrift durch ihn eine frischere und jugendlichere Gestalt zu
geben, war für Wieland sehr erfreulich. Schiller ließ es nicht an Tätigkeit
fehlen und lieferte die Götter Griechenlands, die Künstler, ein Fragment der
niederländischen Geschichte, die Briefe über Don Carlos und einige andere
prosaische Aufsätze für die Jahrgänge des Merkur von 1788 und 1789, die
überhaupt zu den reichhaltigsten gehörten und zugleich durch Beiträge von
Goethe, Kant, Herder und Reinhold sich auszeichneten.
Noch im Jahr 1787 wurde Schiller von der Dame in Meiningen, die ihn, nach
seiner Entfernung von Stuttgart, mit so viel Güte aufgenommen hatte, zu
einem Besuch eingeladen. Auf dieser Reise, die er aus inniger Dankbarkeit
und Hochschätzung unternahm, verweilte er auch mit vieler Annehmlichkeit in
Rudolstadt, machte dort interessante Bekanntschaften, und sah zuerst seien
nachherige Gattin, Fräulein von Lengefeld.
Einige Wochen waren nach seiner Rückkehr von dieser Reise vergangne, als er
an einen Freund schrieb:
"Ich bedarf eines Mediums, durch das ich die andern Freuden genieße,
Freundschaft, Geschmack, Wahrheit und Schönheit werden mehr auf mich wirken,
wenn eine ununterbrochene Reihe feiner wohltätiger häuslicher Empfindungen
mich für die Freude stimmt und mein erstarrtes Wesen wieder durchwärmt. Ich
bin bis jetzt, ein isolierter fremder Mensch, in der Natur herumgeirrt und
habe nichts als Eigentum besessen. – Ich sehne ich nach einer bürgerlichen
und häuslichen Existenz. – Ich habe seit vielen Jahren kein ganzes Glück
gefühlt, und nicht sowohl, weil mir die Gegenstände dazu fehlten, sondern
darum, weil ich die Freuden mehr naschte, als genoss, weil es mir an immer
gleicher und sanfter Empfänglichkeit mangelte, die nur die Ruhe des
Familienlebens gibt.“
Die Gegend bei Rudolstadt hatte Schiller so sehr angezogen, dass er sich
entschloss, den Sommer des Jahres 1788 dort zu verleben. Er wohnte vom Mai
bis zum November teils in Volksstadt, nicht weit von Rudolstadt, um das
Landleben zu genießen, teils später in Rudolstadt selbst, und die Familie
der Frau von Lengefeld war fast täglich sein Umgang. Im November schrieb er:
"Mein Abzug aus Rudolstadt ist mir in der Tat schwer geworden. Ich habe dort
viele schöne Tage gelebt, und ein sehr wertes Band der Freundschaft
gestiftet.“
Während dieses Aufenthalts in Rudolstadt traf sich’s, dass Schiller zum
ersten Mal Goethe sah. Seine Erwartung war aufs höchste gespannt, teils
durch die früheren Eindrücke von Goethes Werke, teils durch alles, was er
über sein Persönliches in Weimar gehört hatte. Goethe erschien in einer
zahlreichen Gesellschaft, heiter und mitteilend, besonders über seine
italienische Reise, von der er eben zurück gekommen war; aber diese Ruhe und
Unbefangenheit hatte für Schiller, der in dem Bewusstsein eines rastlosen
und unbefriedigten Strebens ihm gegenüber saß, damals etwas Unbehagliches.
"Im Ganzen genommen,“ schrieb er über diese Zusammenkunft, "ist meine in der
Tat große Idee von Goethe nach dieser persönlichen Bekanntschaft nicht
vermindert worden, aber ich zweifle, ob wir einander je sehr nahe rücken
werden. Vieles, was mir jetzt noch interessant ist, was ich noch zu wünschen
und zu hoffen habe, hat seine Epoche bei ihm durchlebt. Sein ganzes Wesen
ist schon von Anfang her anders angelegt, als das meinige, seine Welt ist
nicht die meinige, unsere Vorstellungsarten scheinen wesentlich verschieden.
Indessen schließt sich aus einer solchen Zusammenkunft nicht sicher und
gründlich. Die Zeit wird das Weitere lehren.“
Und die Zeit lehrte schon nach einigen Monaten, dass Goethe wenigstens keine
Gelegenheit versäumte, sich für Schiller, den er zu schätzen wusste, tätig
zu verwenden. Als der Professor Eichhorn damals Jena verließ, war eben
Schillers Werk über den Abfall der Niederlande erschienen, und versprach
viel von ihm für den Vortrag der Geschichte; Goethe und der jetzige
Geheimrat von Voigt bewirkten daher seine Anstellung als Professor in Jena.
Schiller war dies allerdings erwünscht, aber zugleich überraschend, da er zu
einem solchen Lehramt noch eine Vorbereitung von einigen Jahren für nötig
gehalten hatte.
Seit seiner Abreise von Dresden bis zum Frühjahr 1789, als der Zeit, da er
seine Professur in Jena antrat, beschäftigte ihn hauptsächlich sein
historisches Werk. Er schrieb darüber einem Freund:
"Du glaubst kaum, wie zufriedne ich mit meinem neuen Fach bin. Ahnung großer
unbebauter Felder hat für mich so viel Reizendes. Mit jedem Schritt gewinne
ich an Ideen, und meine Seele wird weiter mit ihrer Welt.“
Eine spätere Äußerung über den historischen Stil war folgende:
"Das Interesse, welches die Geschichte des peloponnesischen Krieges für die
Griechen hatte, muss man jeder neuern Geschichte, die man für die Neuern
schreibt, zu geben suchen. Das eben ist die Aufgabe, dass man seine
Materialien so wählt und stellt, dass sie des Schmucks nicht brauchen, um zu
interessieren. Wir Neuern haben ein Interesse in unserer Gewalt, das kein
Grieche und kein Römer gekannt hat, und dem das vaterländische Interesse bei
weitem nicht beikommt. Das letzte ist überhaupt nur für unreife Nationen
wichtig, für die Jugend der Welt. Ein ganz anderes Interesse ist es, jede
merkwürdige Begebenheit, die mit Menschen vorging, dem Menschen wichtig
darzustellen. Es ist ein armseliges, kleinliches Ideal, für eine Nation zu
schreiben: Einem philosophischen Geist ist diese Grenze durchaus
unerträglich. Dieser kann bei einer so wandelbaren, zufälligen und
willkürlichen Form der Menschheit, bei einem Fragment (und was ist die
wichtigste Nation anders?) nicht stille stehen. Er kann sich nicht weiter
dafür erwärmen, als soweit ihm diese Nation oder Nationalbegebenheit als
Bedingung für den Fortschritt der Gattung wichtig ist.“
Eine so begeisternde Ansicht der Geschichte machte gleichwohl Schiller der
Dichtkunst nicht untreu. Seine poetischen Produkte in diesem Zeitraum waren
nicht zahlreich, aber bedeutend, und Fortschritte, sowohl in Ansehung der
Form als des Inhalts, zeigen sich sehr deutlich in den Göttern Griechenlands
und in den Künstlern. Auch beschäftigen ihn Pläne zu künftigen poetischen
Arbeiten. Die Idee, einige Situationen aus Wielands Oberon als Oper zu
behandeln, kam nicht zur Ausführung. Länger verweilte Schiller bei dem
Gedanken, zu einem epischen Gedicht den Stoff aus dem Leben des Königs
Friedrich des Zweiten zu wählen. Es finden sich hierüber in Schillers
Briefen folgende Stellen:
"Die Idee, ein episches Gedicht aus einer merkwürdigen Aktion Friedrichs des
Zweiten zu machen, ist gar nicht zu verwerfen, nur kommt sie für sechs bis
acht Jahre für mich zu früh. Alle Schwierigkeiten, die von der so nahen
Modernität dieses Süjets entstehen, und die anscheinende Unverträglichkeit
des epischen Tons mit einem gleichzeitigen Gegenstand, würden mich so sehr
nicht schrecken. – Ein episches Gedicht im achtzehnten Jahrhundert muss ein
ganz anderes Ding sein, als eines in der Kindheit der Welt. Und eben das
ist’s, was mich an diese Idee so anzieht. Unsere Sitten, der feinste Duft
unserer Philosophien, unsere Verfassungen, Häuslichkeit, Künste, kurz, alles
muss auf eine ungezwungene Art darin niedergelegt werden, und in einer
schönen harmonischen Freiheit leben, so wie in der Iliade alle Zweige der
griechischen Kultur usw. anschaulich leben. Ich bin auch gar nicht abgeneigt
mir eine Maschinerie dazu zu erfinden, denn ich möchte auch alle
Forderungen, die man an den epischen Dichter von Seiten der Form macht,
haarscharf erfüllen. Diese Maschinerie aber, die bei einem so modernen
Stoff, in einem so prosaischen Zeitalter die größte Schwierigkeit zu haben
scheint, kann das Interesse in einem hohem Grad erhöhen, wenn sie eben
diesem modernen Geist angepasst wird. Es rollen allerlei Ideen darüber in
meinem Kopf trüb durcheinander, aber es wird sich noch etwas Helles daraus
bilden. Aber welches Metrum ich dazu wählen würde, errätst Du wohl
schwerlich. – Kein anderes, als ottave rime. Alle andern, das jambische
ausgenommen, sind mir in den Tod zuwider, und wie angenehm müsste der Ernst,
das Erhabene in so leichten Fesseln spielen! Wie sehr der epische Gehalt
durch die weiche sanfte Form schöner Reime gewinnen! Singen muss man es
können wie die griechischen Bauern die Iliade, wie die Gondoliere in Venedig
die Stanzen aus dem befreiten Jerusalem. Auch über die Epoche aus Friedrichs
Leben, die ich wählen würde, habe ich nachgedacht. Ich hätte gern eine
unglückliche Situation, welche seinen Geist unendlich poetischer entwickeln
lässt. Die Haupthandlung müsste, wo möglich, sehr einfach und wenig
verwickelt sein, dass das Ganze immer leicht zu übersehen bleibe, wenn auch
die Episoden noch so reichhaltig wären. Ich würde darum immer sein ganzes
Leben und sein Jahrhundert darin anschauen lassen. Es gibt hier kein
besseres Muster, als die Iliade.“
Das Studium der Griechen war überhaupt damals für Schiller sehr anziehend.
Von Rudolstadt aus schrieb er:
"Ich lese jetzt fast nichts, als Homer. Die Alten geben mir wahre Genüsse.
Zugleich bedarf ich ihrer im höchsten Grad, um meinen eigenen Geschmack zu
reinigen, der sich durch Spitzfindigkeit, Künstlichkeit und Witzelei sehr
von der wahren Simplizität zu entfernen anfing.“
In dieser Zeit übersetzte er auch die Iphigenie in Anlis und einen Teil der
Phönizierinnen des Euripides. Der Agamemnon des Äschylus, auf den er sich
sehr freute, sollte nachher an die Reihe kommen. Die Übersetzungen aus
Virgils Äneis entstanden später, und wurden größtenteils durch Schillers
damalige Vorliebe für die Stanzen veranlasst. Bürger war im Jahr 1789 nach
Weimar gekommen, und Schiller ging einen Wettstreit mit ihm ein. Beide
wollten dasselbe Stück aus dem Virgil, jeder in einem selbst gewählten
Versmaß, übersetzen.
Wie sehr Schiller in dieser Periode seines Lebens die echte Kritik ehrte,
und mit welcher Strenge er sich selbst behandelte, ergibt sich aus folgenden
Stellen seiner Briefe:
"Mein nächstes Stück,“ schreibt er, "das schwerlich in den nächsten zwei
Jahren erscheinen dürfte, muss meinen dramatischen Beruf entschieden. Ich
traue mir im Drama dennoch am allermeisten zu, und ich weiß, worauf sich
diese Zuversicht gründet. Bis jetzt haben mich die Pläne die mich ein
blinder Zufall wählen ließ, aufs äußerste embarassiert, weil die Komposition
zu weitläufig und zu kühn war. Lass mich einmal einen simpeln Plan behandeln
und darüber brüten.“
Wieland hatte ihm den Mangel an Leichtigkeit vorgeworfen.
"Ich fühle,“ schreibt er darüber, "während meiner Arbeiten nur zu sehr, dass
er Recht hat, aber ich fühle auch, woran der Fehler liegt, und dies lässt
mich hoffen, dass ich mich sehr darin verbessern kann. Die Ideen strömen mir
nicht reich genug zu, so üppig meine Arbeiten auch ausfallen, und meine
Ideen sind nicht klar, ehe ich schreibe. Fülle des Geistes und Herzens von
seinem Gegenstand, eine lichte Dämmerung der Ideen, ehe man sich hinsetzt,
sie aufs Papier zu werfen, und leichter Humor sind notwendige Requisiten zu
dieser Eigenschaft; und wenn ich es einmal mit mir selbst dahin bringe, dass
ich jene drei Erfordernisse besitze, so soll es mit der Leichtigkeit auch
werden.“
Ein solches Streben, jede höhere Forderung zu befriedigen, artete jedoch nie
in kleinliche Ängstlichkeit aus. Über die Freiheit des Dichters in der Wahl
seines Stoffes schrieb er damals Folgendes:
"Ich bin überzeugt, dass jedes Kunstwerk nur sich selbst, das heißt, seiner
eigenen Schönheitsregel Rechenschaft geben darf, und keiner andern Forderung
unterworfen ist. Hingegen glaube ich auch fest, dass es gerade auf diesem
Weg alle übrigen Forderungen mittelbar befriedigen muss, weil sich jede
Schönheit doch endlich in allgemeine Wahrheit auflösen lässt. Der Dichter,
der sich nur Schönheit zum Zweck setzt, aber dieser heilig folgt, wird am
Ende alle andern Rücksichten, die er zu vernachlässigen schien, ohne dass er
es will oder weiß, gleichsam zur Zugabe mit erreicht haben, da im Gegenteil
der, der zwischen Schönheit und Moralität, oder was es sonst sei, unstet
flattert, oder um beide buhlt, leicht es mit jeder verdirbt.“
In einem andern damaligen Brief findet sich folgende Äußerung:
"Ihr Herren Kritiker, und wie Ihr Euch sonst nennt, schämt oder fürchtet
Euch vor dem augenblicklichen, vorübergehenden Wahnwitz, der sich bei allen
eignen Schöpfern findet, und dessen längere oder kürzere Dauer den denkenden
Künstler von dem Träumer unterscheidet. Daher Eure Klagen über
Unfruchtbarkeit, weil ihr zu früh verwerft und zu streng sondert.“
Die glückliche Stimmung, die in der damaligen Zeit aus Schillers Briefen
hervorging, wurde in den ersten Jahren seines Aufenthalts in Jena noch
erhöht, als mehrere günstige Umstände ihn von der ängstlichen Sorge für die
Gegenwart und Zukunft befreiten, und als der Besitz einer geleibten Gattin
einen längst gewünschten Lebensgenuss ihm darbot. Sein Lehramt begann er auf
eine sehr glänzende Art; über vierhundert Zuhörer strömten zu seinen
Vorlesungen. Die Unternehmung einer Herausgabe von Memoiren, wozu er
einleitende Abhandlungen schrieb, und die Fortsetzung der Thalia sicherten
ihm für seine Bedürfnisse eine hinlängliche Einnahme. Es blieb ihm dabei
noch Zeit zu Rezessionen für die allgemeine Literatur-Zeitung übrig, zu der
er schon seit 1787 Beiträge lieferte. Für die Zukunft hatte ihn der
Buchhändler Göschen zu einer Geschichte des dreißigjährigen Krieges für
einen historischen Almanach aufgefordert, und ein deutscher Plutarch war die
Arbeit, die den folgenden Jahren vorbehalten wurde. Von dem Herzog von
Sachsen-Weimar war mit großer Bereitwilligkeit, so viel es die Verhältnisse
erlaubten beigetragen worden, um Schiller ein gewisses Einkommen zu
verschaffen. Das ausgezeichnete Wohlwollen, womit ihn der damalige Koadjutor
von Mainz und Statthalter von Erfurt, der verstorbene Fürst Primas und
Großherzog von Frankfurt, behandelte1) eröffnete Schiller die günstigsten
Aussichten. Für die Gründung seines häuslichen Glücks schien er nichts
weiter zu bedürfen. Sein Herz hatte gewählt, und im Februar 1790 erhielt er
die Hand des Fräuleins von Lengefeld. Seine Briefe aus den nachherigen
Monaten enthalten folgende Stellen:
"Es lebt sich doch ganz anders an der Seite einer lieben Frau, als so
verlassen und allein – auch im Sommer. Jetzt erst genieße ich die schöne
Natur ganz und lebe in ihr. Es kleidet sich wieder um mich herum in
dichterische Gestalten, und oft regt sich’s wieder um mich herum in
dichterische Gestalten, und oft regt sich’s wieder in meiner Brust. – Was
für ein schönes Leben führe ich jetzt! Ich sehe mit fröhlichem Geiste um
mich her, und mein Herz findet eine immerwährende sanfte Befriedigung außer
sich, mein Geist eine so schöne Nahrung und Erholung. Mein Dasein ist in
eine harmonische Gleichheit gerückt; nicht leidenschaftlich gespannt, aber
ruhig und hell gehen mir diese Tage dahin. – Meinem künftigen Schicksal sehe
ich mit heiterem Mute entgegen. Jetzt, da ich am erreichten Ziel stehe,
erstaune ich selbst, wie alles doch über meine Erwartungen gegangen ist. Das
Schicksal hat die Schwierigkeiten für mich besiegt, es hat mich zum Ziel
gleichsam getragen. Von der Zukunft hoffe ich alles. Wenige Jahre, und ich
werde im vollen Genuss meines Geistes leben, ja, ich hoffe, ich werde wieder
zu meiner Jugend zurückkehren; ein inneres Dichterleben gibt mir sie
zurück.“
Aber eine so glückliche Lage wurde bald durch einen harten Schlag gestört.
Eine heftige Brustkrankheit ergriff Schiller am Anfang des Jahres 1791 und
zerrüttete seinen körperlichen Zustand für seine ganze übrige Lebenszeit.
Mehrere Rückfälle ließen das Schlimmste fürchten, er bedurfte der größten
Schonung, öffentliche Vorlesungen wären ihm äußerst schädlich gewesen, und
alle andern anstrengenden Arbeiten mussten ausgesetzt bleiben. Es kam Alles
darauf an, ihn wenigstens auf einige Jahre in eine sorgenfreie Lage zu
versetzen, und hierzu fehlte es in Deutschland weder an Willen noch an
Kräften. Aber ehe für diesen Zweck eine Vereinigung zustande kam, erschien
unerwartet eine Hilfe aus Dänemark. Von dem damaligen Erbprinzen, jetzt
regierenden Herzog von Holstein-Augustenburg, und von dem Grafen von
Schimmelmann wurde Schiller ein Jahresgehalt von tausend Talern auf drei
Jahre ohne alle Bedingungen und bloß zu seiner Wiederherstellung angeboten,
und dies geschah mit einer Feinheit und Delikatesse, die den Empfänger, wie
er schreibt, noch mehr rührte, als das Anerbieten selbst. Dänemark war es,
woher einst auch Klopfstock die Mittel einer unabhängigen Existenz erhielt,
um seinen Messias zu endigen. Gesegnet sei eine so edelmütige Denkart, die
auch bei Schiller durch die glücklichsten Folgen belohnt wurde!
Völlige Wiederherstellung seiner Gesundheit war nicht zu erwarten, aber die
Kraft seines Geistes, der sich vom Druck der äußern Verhältnisse frei
fühlte, siegte über die Schwäche des Körpers. Kleinere Übel vergaß er, wenn
ihn eine begeisternde Arbeit oder ein ernstes Studium beschäftigte, und von
heftigen Anfällen blieb er oft Jahre lang befreit. Er hatte noch schöne Tage
zu erleben, genoss sie mit heiterer Seele, und von dieser Stimmung erntete
seine Nation die Früchte in seinen trefflichsten Werken.
Während der ersten Jahre seines Aufenthaltes in Jena war Schiller mit den
meisten dortigen Gelehrten im besten Vernehmen, mit Paulus, Schütz und
Hufeland in freundschaftlichen Verhältnissen, aber in der genauesten
Verbindung mit Reinhold. Es konnte nicht fehlen, dass er dadurch auf die
Kantische Philosophie aufmerksam gemacht wurde, und dass sie ihn anzog. Was
er vorzüglich studierte, war die Kritik der Urteilskraft, und dies führte
ihn zu philosophischen Untersuchungen, deren Resultat er in der Abhandlung
über Anmut und Würde, in verschiedenen Aufsätzen der Thalia, und
hauptsächlich später in den Briefen über die ästhetische Erziehung des
Menschen bekannt machte.
Aus der Periode dieser theoretischen Studien findet sich von ihm folgende
schriftliche Äußerung:
"Ich habe vor einiger Zeit Aristoteles Poetik gelesen, und sie hat mich
nicht nur nicht niedergeschlagen und eingeengt, sondern wahrhaft gestärkt
und erleichtert. Nach der peinlichen Art, wie die Franzosen den Aristoteles
nehmen und an seinen Forderungen vorbeizukommen suchen, erwartet man einen
kalten, unliberalen und steifen Gesetzgeber in ihm, und gerade das Gegenteil
findet man. Er bringt mit Festigkeit und Bestimmtheit auf das Wesen, und
über die äußeren Dinge ist er so lax, als man sein kann. Was er vom Dichter
fordert, muss dieser von sich selbst fordern, wenn er irgend weiß, was er
will. Es fließt aus der Natur der Sache. Die Poetik handelt beinahe
ausschließlich von der Tragödie, die er mehr als irgend eine andere
poetische Gattung begünstigt. Man merkt ihm an, dass er aus einer sehr
reichen Erfahrung und Anschauung herausspricht, und eine ungeheure Menge
tragischer Vorstellungen vor sich hatte. Auch ist in seinem Buche absolut
nichts Spekulatives, keine Spur von irgend einer Theorie. Es ist alles
empirisch; aber die große Anzahl der Fälle und die glückliche Wahl der
Muster die er vor Augen hat, gibt seinen empirischen Aussprüchen einen
allgemeinen Gehalt und die völlige Qualität von Gesetzen.“
In den Jahren von 1790 bis 1794 wurde kein einziges Originalgedicht fertig,
und bloß die Übersetzungen aus dem Virgil fallen in diese Zeit. Es fehlte
indessen nicht an Plänen zu künftigen poetischen Arbeiten. Besonders waren
es Ideen zu einer Hymne an das Licht und zu einer Theodicee, was Schiller
damals beschäftigte.
"Auf diese Theodicee,“ schreibt er, "freue ich mich sehr, denn die neue
Philosophie ist gegen die Leibnitzsche viel poetischer, und hat einen
größeren Charakter.“
Vorzüglich gab ihm die Geschichte des dreißigjährigen Krieges, die er für
Göschens historische Almanache vom Jahr 1791 an bearbeitete, Stoff zu
poetischer Tätigkeit. Einige Zeit beschäftigte ihn der Gedanke, Gustav
Adolph zum Helden eines epischen Gedichts zu wählen, wie aus folgender
Stelle seiner Briefe zu ersehen ist:
"Unter allen historischen Stoffen, wo sich poetisches Interesse mit
nationalem und politischem noch am meisten gattet, steht Gustav Adolph
obenan. – Die Geschichte der Menschheit gehört als unentbehrliche Episode in
die Geschichte der Reformation, und diese ist mit dem dreißigjährigen Kriege
unzertrennlich verbunden. Es kommt also bloß auf den ordnenden Geist des
Dichters an, in einem Heldengedicht, das von der Schlacht bei Leipzig bis
zur Schlacht bei Lützen geht, die ganze Geschichte der Menschheit
ungezwungen, und zwar mit weit mehr Interesse zu behandeln, als wenn dies
der Hauptstoff gewesen wäre.“
Aus eben dieser Zeit ist auch die erste Idee zum Wallenstein. Als schon im
Jahre 1792 diese Idee zur Ausführung kommen sollte, schrieb Schiller darüber
folgendes:
"Eigentlich ist es doch nur die Kunst selbst, wo ich meine Kräfte fühle. In
der Theorie muss ich mich immer mit Prinzipien plagen; da bin ich bloß
Dilettant. Aber um der Ausführung selbst willen philosophiere ich gern über
die Theorie. Die Kritik muss mir jetzt selbst den Schaden ersetzen, den sie
mir zugefügt hat. Und geschadet hat sie mit in der Tat; denn die Kühnheit,
die lebendige Glut, die ich hatte, ehe mir noch eine Regel bekannt war,
vermisse ich schon seit mehreren Jahre. Ich sehe mich jetzt erschaffen und
bilden, ich beobachte das Spiel der Begeisterung, und meine Einbildungskraft
beträgt sich mit minder Freiheit, seitdem sie sich nicht mehr ohne Zeugen
weiß. Bin ich aber erst so weit, dass mir Kunstmäßigkeit zur Natur wird, wie
einem wohlgesitteten Menschen die Erziehung, so erhält auch die Phantasie
ihre vorige Freiheit wieder zurück, und setzt sich keine andere als
freiwillige Schranken.“
Aber es sollten noch sieben Jahre vergehen, ehe der Wallenstein fertig
wurde, und es gab einen Zeitpunkt der Mutlosigkeit, da Schiller dieses Werk
beinahe ganz aufgegeben hätte. In seinen Briefen vom Jahre 1794 findet sich
folgende Stelle:
"Vor dieser Arbeit (dem Wallenstein) ist mir ordentlich angst und bang, denn
ich glaube mit jedem Tage mehr zu finden, dass ich eigentlich nichts weniger
vorstellen kann, als einen Dichter, und dass höchstens da, wo ich
philosophieren will, der poetische Geist mich überrascht. Was soll ich tun?
Ich wage an diese Unternehmung sieben bis acht Monate von meinem Leben, das
ich Ursache habe sehr zu Rate zu halten, und setzte mich der Gefahr aus, ein
verunglücktes Produkt zu erzeugen. Was ich im Dramatischen zur Welt
gebracht, ist nicht sehr geschickt, mir Mut zu machen. Im eigentlichsten
Sinne des Worts betrete ich eine mir ganz unbekannte, wenigstens unversuchte
Bahn; denn im Poetischen habe ich seit drei bis vier Jahren einen völlig
neuen Menschen angezogen.“
Nicht lange vor diesen Äußerungen hatte Schiller eine Revision seiner
Gedichte vorgenommen, und aus seinen damaligen Ansichten wird die Strenge
begreiflich, mit der er seine frühern Produkte behandelte. Gleichwohl darf
man nicht glauben, dass überhaupt damals eine hypochondrische Stimmung durch
körperliche Leiden bei ihm hervorgebracht worden wäre. Mehrere Stellen aus
seinen Briefen beweisen, dass er eben in dieser Zeit für begeisternde
Wirksamkeit und für edleren Lebensgenuss nichts weniger als erstorben war.
Als nach Ausbruch der französischen Revolution das Schicksal Ludwigs XVI
entschieden werden sollte, schrieb Schiller im Dezember 1792 folgendes an
einen Freund:
"Weißt Du mir niemand, der gut ins französische übersetzte, wenn ich etwas
in den Fall käme, ihn zu brauchen? Kaum kann ich der Versuchung widerstehen,
mich in die Streitsache wegen des Königs einzumischen und eine Memoire
darüber zu schreiben. Mir scheint diese Unternehmung wichtig genug, um die
Feder eines Vernünftigen zu beschäftigen, und ein deutscher Schriftsteller,
der sich mit Freiheit und Beredsamkeit über diese Streitfrage erklärt,
dürfte wahrscheinlich auf diese richtungslosen Köpfe einen Eindruck machen.
Wenn ein Einziger aus einer ganzen Nation ein öffentliches Urteil sagt, so
ist man wenigstens auf den ersten Eindruck geneigt, ihn als Wortführer
seiner Klasse, wo nicht seiner Nation, anzusehen, und ich glaube, dass die
Franzosen gerade in dieser Sache gegen fremdes Urteil nicht ganz
unempfindlich sind. Außerdem ist gerade dieser Stoff sehr geschickt dazu,
eine solche Verteidigung der guten Sache zuzulassen, die keinem Missbrauch
ausgesetzt ist. Der Schriftsteller, der für die Sache des Königs öffentlich
streitet, darf bei dieser Gelegenheit schon einige wichtige Wahrheiten mehr
sagen, als ein anderer, und hat auch schon etwas mehr Kredit. Vielleicht
rätst Du mir an, zu schweigen, aber ich glaube, dass man bei solchen
Anlässen nicht indolent und untätig bleiben darf. Hätte jeder frei gesinnte
Kopf geschwiegen, so wäre nie ein Schritt zu unserer Verbesserung geschehen.
Es gibt Zeiten, wo man öffentlich sprechen muss, weil Empfänglichkeit dafür
da ist, und eine solche Zeit scheint mir die jetzige zu sein.“
In der Mitte des Jahres 1793 schrieb Schiller: "Die Liebe zum Vaterland ist
sehr lebhaft in mir geworden.“
Er unternahm die Reise nach Schwaben, lebte vom August an bis zum Mai des
folgenden Jahres teils in Heilbronn, teils in Ludwigsburg, und freute sich
des Wiedersehens seiner Eltern, Schwestern und Jugendfreunde. Von Heilbronn
aus schrieb er an den Herzog von Württemberg, gegen den er sich durch seine
Entfernung von Stuttgart vergangen hatte. Er erhielt zwar keine Antwort,
aber die Nachricht, der Herzog habe öffentlich geäußert: Schiller werde nach
Stuttgart kommen und von ihm ignoriert werden. Dies bestimmte Schiller,
seine Reise fortzusetzen, und er fand in Folge, dass er nichts dabei gewagt
hatte. Auch betrauerte er eben diesen Herzog, der kurz nachher starb, mit
einem innigen Gefühl der Dankbarkeit und Verehrung.
Schiller kehrte nach Jena zurück, voll von einem schon lange entworfenen,
aber nun reif gewordenen Plan, die vorzüglichsten Schriftsteller
Deutschlands zu einer Zeitschrift zu vereinigen, die alles übertreffen
sollte, was jemals von dieser Gattung existiert hatte. Ein unternehmender
Verleger war dazu gefunden, und die Herausgabe der Horen wurde beschlossen.
Die Thalia war mit dem Jahrgang 1793 geendigt worden. Für die neue
Zeitschrift öffneten sich sehr günstige Aussichten, und auf die Einladung
zur Teilnehmung erfolgten von allen Seiten viel versprechende Antworten.
Jena erhielt damals für Schiller einen neuen Reiz, da Wilhelm v. Humboldt2),
der ältere Bruder des berühmten Reisenden, sich dahin begeben hatte, und mit
Schiller dort in der genauesten Verbindung lebte. In diese Zeit trifft auch
der Anfang des schönen und nachher immer fester geknüpften Bundes zwischen
Goethe und Schiller, der für beide den Wert ihres Lebens erhöhte. Über die
Veranlassung dieses Ereignisses finden sich folgende Stellen in Schillers
Briefen:
"Bei meiner Rückkehr (von einer damaligen kleinen Reise) fand ich einen
herzlichen Brief von Goethe, der mir mit Vertrauen entgegen kommt. Wir
hatten vor sechs Wochen über Kunst und Kunsttheorie ein langes und breites
besprochen und uns die Hauptideen mitgeteilt, zu denen wir auf ganz
verschiedenen Wegen gekommen waren. Zwischen diesen Ideen fand sich eine
unerwartete Übereinstimmung, die um so interessanter war, weil sie wirklich
aus der größten Verschiedenheit der Gesichtspunkte hervorging. Ein jeder
konnte dem andern etwas geben, was ihm fehlte, und etwas dafür empfangen.
Seit dieser Zeit haben diese ausgestreuten Ideen bei Goethe Wurzel gefasst,
und er fühlt jetzt ein Bedürfnis, sich an mich anzuschließen und den Weg,
den er bisher allein und ohne Aufmunterung betrat, mit mir fort zu gehen.
Ich freue mich sehr auf einen für mich so fruchtbaren Ideenwechsel.“ –
"Ich werde künftige Woche auf vierzehn Tage nach Weimar reisen und bei
Goethe wohnen. Er hat mir so sehr zugeredet, dass ich mich nicht weigern
konnte, da ich alle mögliche Freiheit und Bequemlichkeit bei ihm finden
soll. Unsere nähere Berührung wird für uns beide entscheidende Folgen haben,
und ich freue mich innig darauf.“
"Wir haben eine Korrespondenz miteinander über gemischte Materien
beschlossen3), die eine Quelle von Aufsätzen für die Horen werden soll. Auf
diese Art, meint Goethe, bekäme der Fleiß eine bestimmte Richtung, und ohne
zu merken, dass man arbeitet, bekäme man Materialien zusammen. Da wir in
wichtigen Sachen einstimmig und doch so ganz verschiedene Individualitäten
sind, so kann diese Korrespondenz wirklich interessant werden.“
Mit dem folgenden Jahr 1795 beginnt bei Schiller eine neue Periode der
poetischen Fruchtbarkeit. So sehr ihn auch die neue Zeitschrift
beschäftigte, so entstanden doch gleichwohl mehrere Gedichte, die teils in
die Horen, teils in den Musenalmanach aufgenommen wurden, dessen Herausgabe
Schiller unternahm. Das Reich der Schatten oder das Ideal und das Leben, die
Elegie oder der Spaziergang und die Ideale waren Produkte dieses Jahres. Die
Elegie hielt Schiller für eines seiner gelungensten Werke.
"Mir däucht,“ schrieb er darüber, "das sicherste empirische Kriterium von
der wahren poetischen Güte meines Produkts dieses zu sein, dass es die
Stimmung, worin es gefällt, nicht erst abwartet, sondern hervorbringt, also
in jeder Gemütslage gefällt. Und dies ist mir noch mit keinem meiner Stücke
begegnet, als mit diesem.“
Über die Ideale findet sich folgende Äußerung von ihm:
"Dies Gedicht ist mehr ein Naturlaut, wie Herder es nennen würde, und als
eine Stimme des Schmerzens, die kunstlos und vergleichsweise auch formlos
ist, zu betrachten. Es ist zu individuell wahr, um als eigentliche Poesie
beurteilt werden zu können; denn das Individuum befriedigt dabei ein
Bedürfnis, es erleichtert sich von einer Last, anstatt dass es in Gesängen
von anderer Art, von einem Überfluss getrieben, dem Schöpfungsdrang
nachgibt. Die Empfindung, aus der es entsprang, teilt es auch mit, und auf
mehr macht es, seinem Geschlecht nach, nicht Anspruch.“
"Das Reich der Schatten,“ schreibt er ferner, "ist, mit der Elegie
verglichen, bloß ein Lehrgedicht. Wäre der Inhalt so poetisch ausgeführt
worden, wie der Inhalt der Elegie, so wäre es in gewissem Sinn ein Maximum
gewesen. Und das will ich versuchen, sobald ich Muße bekomme. Ich will eine
Idylle schreiben, wie ich hier eine Elegie schrieb. Alle meine poetischen
Kräfte spannen sich zu dieser Energie an – das Ideal der Schönheit objektiv
zu individualisieren, um daraus eine Idylle in meinem Sinn zu bilden. Ich
teile nämlich das ganze Feld der Poesie in die naive und die
sentimentalische. Die naive hat gar keine Unterarten (in Rücksicht auf die
Empfindungsweise nämlich), die sentimentalische hat ihrer drei: Satire,
Elegie, Idylle. In der sentimentalischen Dichtkunst (und aus dieser heraus
kann ich nicht) ist die Idylle das höchste, aber auch das schwierigste
Problem. Es wird nämlich aufgegeben, ohne Beihilfe das Pathos einen hohen,
ja den höchsten poetischen Effekt hervorzubringen. Mein Reich der Schatten
enthält dazu nur die Regeln; ihre Befolgung in einem einzelnen Fall würde
die Idylle, von der ich rede, erzeugen. Ich habe ernstlich im Sinn da fort
zu fahren, wo das Reich der Schatten aufhört. Die Vermählung des Herkules
mit der Hebe würde der Inhalt meiner Idylle sein. Über diesen Stoff hinaus
gibt es keinen mehr für den Poeten, denn dieser darf die menschliche Natur
nicht verlassen, und eben von diesem Übertritt des Menschen in den Gott
würde diese Idylle handeln. Die Hauptfiguren wären zwar schon Götter, aber
durch Herkules kann ich sie noch an die Menschheit anknüpfen, und eine
Bewegung in das Gemälde bringen. Gelänge mir dieses Unternehmen, so hoffte
ich dadurch mit der sentimentalischen Poesie über die naive selbst
triumphiert zu haben.“
"Eine solche Idylle würde eigentlich das Gegenstück der hohen Komödie sein
und sie auf einer Seite (in der Form) ganz nahe berühren, indem sie auf der
andern und im Stoff das direkte Gegenteil davon wäre. Die Komödie schließt
nämlich gleichfalls alles Pathos aus, aber ihr Stoff ist die Wirklichkeit;
der Stoff dieser Idylle ist das Ideal. Die Komödie ist dasjenige in der
Satire, was das Produkt quaestionis in der Idylle (diese als ein eigenes
sentimentalisches Geschlecht betrachtet) sein würde. Zeigt es sich, dass
eine solche Behandlung der Idylle unausführbar wäre – dass sich das Ideal
nicht individualisieren ließe – so würde die Komödie das höchste poetische
Werk sein, für welches ich sie immer gehalten habe, bis ich anfing an die
Möglichkeit einer solchen Idylle zu glauben. Denken Sie sich aber den
Genuss, in einer poetischen Darstellung alles Sterbliche ausgelöscht, lauter
Licht, lauter Freiheit, lauter Vermögen – keinen Schatten, keine Schranken,
nichts von dem allen mehr zu sehen – Mir schwindelt, wenn ich an diese
Aufgabe, wenn ich an die Möglichkeit ihrer Auflösung denke. Ich verzweifle
nicht ganz daran, wenn mein Gemüt nur erst ganz frei und von allem Unrat der
Wirklichkeit recht rein gewaschen ist. Ich nehme dann meine ganze Kraft und
den ganzen ätherischen Teil meiner Natur noch auf einmal zusammen, wenn er
auch bei dieser Gelegenheit rein sollte aufgebraucht werden. Fragen Sie mich
aber noch nichts. Ich habe bloß noch ganz schwankende Bilder davon und nur
hier und da einzelne Züge. Ein langes Studieren und Streben muss mich erst
lehren, ob etwas Festes, Plastisches daraus werden kann.“
Das Trauerspiel war indessen die Heimat, zu der Schiller auch in der
damaligen Stimmung bald wieder zurückkehrte. Aus der Geschichte der
türkischen Belagerung von Malta hatte er einen Stoff sich ausgedacht, wobei
er viel von dem Gebrauch des Chors erwartete. Von diesem Stück – den Rittern
von Malta – findet sich der Plan in Schillers Nachlass, und die Ausführung
wurde damals bloß aufgeschoben, da er sich im Mai 1796 für den Wallenstein
entschied.
"Ich sehe mich,“ schrieb er damals, "auf einem sehr guten Weg, den ich nur
fortsetzen darf, um etwas gutes hervorzubringen. Dies ist schon viel und auf
alle Fälle sehr viel mehr, als ich in diesem Fach sonst von mir rühmen
konnte. Vordem legte ich das ganze Gewicht in die Mehrheit des Einzelnen.
Jetzt wird alles auf die Totalität berechnet, und ich werde mich bemühen,
denselben Reichtum im Einzelnen mit eben so vielem Aufwand von Kunst zu
verstecken, als ich sonst angewandt, ihn zu zeigen, um das Einzelne recht
vordringen zu lassen. Wenn ich es auch anders wollte, so erlaubt es mir die
Natur der Sache nicht, denn Wallenstein ist ein Charakter, der – als echt
realistisch – nur im Ganzen, aber nie im Einzelnen interessieren kann. – Er
hat nichts Edles, er erscheint in keinem einzelnen Lebensakte groß, er hat
wenig Würde und dergleichen. – Ich hoffe aber nichtsdestoweniger, auf rein
realistischem Weg einen dramatisch großen Charakter in ihm aufzustellen, der
ein echtes Lebensprinzip hat. Vordem habe ich, im Posa und Carlos, die
fehlende Wahrheit durch schöne Idealität zu ersetzen gesucht: Hier im
Wallenstein will ich es probieren, und durch die bloße Wahrheit die fehlende
Idealität (die sentimentalische nämlich) entschädigen.“
"Die Aufgabe wird dadurch schwer, aber auch interessanter, dass der
eigentliche Realismus den Erfolg nötig hat, den der idealistische Charakter
entbehren kann. Unglücklicherweise aber hat Wallenstein den Erfolg gegen
sich. Seine Unternehmung ist moralisch schlecht und sie verunglückt
physisch. Er ist im Einzelnen nie groß, und im Ganzen kommt er um seinen
Zweck. Er kann sich nicht, wie der Idealist, in sich selbst einhüllen und
sich über die Materie erheben, sondern er will der Materie sich unterwerfen,
und erreicht es nicht.“
"Dass Sie mich auf diesem neuen und mir nach allen vorhergegangenen
Erfahrungen fremden Wege mit einiger Besorgnis werden wandeln sehen, will
ich wohl glauben. Aber fürchten Sie nicht zu viel. Es ist erstaunlich, wie
viel Realistisches schon die zunehmenden Jahre mit sich bringen, wie viel
der anhaltende Umgang mit Goethe und das Studium der Alten, die ich erst
nach dem Carlos habe kennen lernen, bei mir nach und nach entwickelt hat.
Dass ich auf dem Weg, den ich nun einschlage, in Goethes Gebiet gerate und
mich mit ihm werde messen müssen, ist freilich wahr; auch ist es ausgemacht,
dass ich hierin neben ihm verlieren werde. Weil mir aber auch etwas übrig
bleibt, was mein ist, und er nie erreichen kann, so wird sein Vorzug mir und
meinem Produkt keinen Schaden tun, und ich hoffe, dass die Rechnung sich
ziemlich heben soll. Man wird uns, wie ich in meinen mutvollsten
Augenblicken mir verspreche, verschieden spezifizieren, aber unsere Arten
einander nicht unterordnen, sondern unter einem höhern idealistischen
Gattungsbegriff einander koordinieren.“
Acht Monate später schrieb Schiller hierüber folgendes an einen andern
Freund:
Noch immer liegt das unglückselige Werk formlos und endlos vor mir da.
Keines meiner alten Stücke hat so viel Zweck und Form, als der Wallenstein
schon jetzt hat, aber ich weiß jetzt zu genau, was ich will, und was ich
soll, als dass ich mir das Geschäft so leicht machen könnte. – Es ist mir
fast alles abgeschnitten, wodurch ich diesem Stoff nach meiner gewohnten Art
beikommen könnte; von dem Inhalt habe ich fast nichts zu erwarten; alles
muss durch eine glückliche Form bewerkstelligt werden.
Du wirst, dieser Schilderung nach, fürchten, dass mir die Lust an dem
Geschäft vergangen sei, oder, wenn ich dabei wider meine Neigung beharre,
dass ich meine Zeit dabei verlieren werde, Sei aber unbesorgt, meine Lust
ist nicht im Geringsten geschwächt, und ebenso wenig meine Hoffnung eines
trefflichen Erfolgs. Gerade so ein Stoff musste es sein, an dem ich mein
neues dramatisches Leben eröffnen konnte. Hier, wo ich nur auf der Breite
eines Schermessers gehe, wo jeder Seitenschritt das Ganze zu Grunde richtet,
kurz, wo ich nur durch die einzige innere Wahrheit, Notwendigkeit,
Stetigkeit und Bestimmtheit meinen Zweck erreichen kann, muss die
entscheidende Krise mit meinem poetischen Charakter erfolgen. Auch ist sie
schon stark im Anzug, denn ich traktiere mein Geschäft ganz anders, als ich
ehemals pflegte. Der Stoff und Gegenstand ist so sehr außer mir, dass ich
kaum eine Neigung abgewinnen kann. Er lässt mich beinahe kalt und
gleichgültig, und doch bin ich für die Arbeit begeistert. Zwei Figuren
ausgenommen, an die mich Neigung fesselt, behandle ich alle übrigen, und
vorzüglich den Hauptcharakter, bloß mit der reinen Liebe des Künstlers, und
ich verspreche Dir, dass sie dadurch um nichts schlechter ausfallen sollen.
Aber zu diesem bloß objektiven Verfahren war und ist mir das weitläufige und
freundlose Studium der Quellen so unentbehrlich; denn ich musste die
Handlung, wie die Charaktere, aus ihrer Zeit, ihrem Lokal und dem ganzen
Zusammenhang der Begebenheiten schöpfen, welches ich weit weniger nötig
hätte, wenn ich mich durch eigne Erfahrung mit Menschen und Unternehmungen
aus dieser Klasse hätte bekannt machen können. Ich suche absichtlich in den
Geschichtsquellen eine Begrenzung, um meine Ideen durch die Umgebung der
Umstände streng zu bestimmen und zu verwirklichen. Davor bin ich sicher,
dass mich das Historische nicht herabziehen oder lähmen wird. Ich will
dadurch meine Figuren und meine Handlung bloß beleben; beseelen muss sie
diejenige Kraft, die ich allenfalls schon habe zeigen können, und ohne
welche ja überhaupt kein Gedanke an dieses Geschäft von Anfang an möglich
gewesen wäre.“
Seit der Zeit, da dieses geschrieben wurde, vergingen noch zwei Jahre und
beinahe vier Monate, ehe Schiller den Wallenstein endigte. Es entstanden
aber inmittelst mehrere kleine Gedichte, und unter diesen die Xenien. Die
Geschichte dieses Produkts kann vielleicht etwas beitragen, manche darüber
gefällte Urteile zu berichtigen.
An Goethes Seite begann für Schiller eine neue und schönere Jugend. Hohe
Begeisterung für alles Treffliche, lebendiger Hass gegen falschen Geschmack
überhaupt und gegen jede Beschränkung der Wissenschaft und Kunst,
berauschender Übermut im Gefühl einer vorher kaum geahnten Kraft war damals
bei ihm die herrschende Stimmung. Daher seine Vereinigung mit Goethe zu
einem Unternehmen, das Schiller selbst auf folgende Art beschreibt:
"Die Einheit kann bei einem solchen Produkt bloß in einer gewissen
Grenzenlosigkeit und alle Messung überschreitenden Fülle gesucht werden, und
damit die Heterogenität der beiden Urheber in dem Einzelnen nicht zu
erkennen sei, muss das Einzelne ein Minimum sein. Kurz, die Sache besteht in
einem gewissen Ganzen von Epigrammen, deren jedes ein Monodistichon ist. Das
Meiste ist wilde Satire, besonders auf Schriftsteller und
schriftstellerische Produkte, untermischt mit einzelnen poetischen und
philosophischen Gedanken-Blitzen. Es werden nicht unter 600 solche
Monodistichen werden, aber der Plan ist, auf 1000 zu steigen. Sind wir mit
einer bedeutenden Anzahl fertig, so wird der Vorrat, mit Rücksicht auf eine
gewisse Einheit, sortiert, überarbeitet, um einerlei Ton zu erhalten, und
jeder wird dann von seiner Manier etwas aufzuopfern suchen, um sich dem
andern mehr anzunähern.“
Dieser Plan wurde nicht ausgeführt. Im Juli 1796 schrieb Schiller darüber
folgendes:
"Nachdem ich die Redaktion der Xenien gemacht hatte, fand sich, dass noch
eine erstaunliche Menge neuer Monodistichen nötig sei, wenn die Sammlung
auch nur einigermaßen den Eindruck eines Ganzen machen sollte. Weil aber
etliche hundert neue Einfälle, besonders über wissenschaftliche Gegenstände,
einem nicht so leicht zu Gebote stehen, auch die Vollendung des "Meisters“
Goethe eine starke Diversion macht, so sind wir übereingekommen, die Xenien
nicht als ein Ganzes, sondern zerstückelt dem Almanach einzuverleiben. Die
ernsthaften, philosophischen und poetischen werden daraus vereinzelt und
bald in größeren, bald in kleineren Ganzen vorn im Almanach angebracht. Die
satirischen folgen unter dem Namen Xenien nach.“
Es mag sein, dass bei diesem Verfahren manches Epigramm aufgenommen wurde,
das bei einer strengen Auswahl nach dem ersten Plan weggeblieben wäre.
Schiller war allerdings damals gereizt, nicht durch Bemerkungen über die
Mängel seiner Produkte – denn hierüber war niemand scharfsichtiger als er
selbst, wie sich aus obigen Stellen seiner Briefe ergibt, und jeden seiner
Freunde forderte er zu freimütiger Urteilen auf – sondern, weil ihn die
Kälte und Geringschätzung erbitterte, womit ein Unternehmen, wofür er sich
begeistert hatte, von mehreren Seiten aufgenommen wurde. Dies war der Fall
bei den Horen. Im Vertrauen auf den Beistand der ersten Schriftsteller der
Nation hatte er auf eine große Wirkung gerechnet und traf dagegen sehr oft
auf Mangel an Empfänglichkeit und kleinliche Ansichten. Es konnte ihm dann
wohl in einer Aufwallung der Indignation auch etwas Menschliches begegnen;
aber der eigentlich Geist, in dem die Xenien geschrieben sind, spricht sich
für den unbefangenen Leser im Ganzen deutlich genug aus.
Ein Wetteifer mit Goethe veranlasste im Jahr 1797 Schiller erste Balladen.
Beide Dichter teilten sich in die Stoffe, die sie gemeinschaftlich
ausgesucht hatten. Von dieser Gattung, die Schiller lieb geworden war,
lieferte er in späteren Jahren noch Manches, nachdem andere kleinere
Gedichte seltner von ihm erschienen.
Seit dem Jahr 1799 widmete er sich ganz den dramatischen Arbeiten, und gab
die Herausgabe des Musenalmanachs auf. Die Horen hatten schon früher
geendigt. Goethes Propyläen indessen, für die sich Schiller sehr lebhaft
interessierte, sollten Beiträge von ihm erhalten.
In eben diese Zeit trifft auch eine Veränderung seines Wohnorts. Um die
Anschauung des Theaters zu haben, wollte Schiller anfänglich nur den Winter
in Weimar zubringen und während des Sommers auf einem Garten bei Jena leben,
den er sich dort gekauft hatte. Aber späterhin wurde Weimar sein beständiger
Aufenthalt. Von dem regierenden Herzog wurde er bei dieser Gelegenheit auf
eine sehr edle Art unterstützt, so wie ihn überhaupt dieser Fürst bei jedem
Anlass durch die deutlichsten Beweise seines Wohlwollens erfreute. Ihm
verdankte Schiller im Jahr 1795, als er einen Ruf als Professor nach
Tübingen erhielt, die Zusicherung einer Verdopplung seines Gehalts, auf den
Fall, dass er durch Krankheit an schriftstellerischen Arbeiten verhindert
würde, nachher im Jahr 1799 eine fernere Zusage, und zuletzt im Jahr 1804,
wegen bedeutender Anerbietungen, die Schiller von Berlin aus gemacht wurden,
eine Vermehrung seiner Besoldung. Auch war es der Herzog von Sachsen-Weimar,
der aus eigner Bewegung im Jahr 1802 Schiller den Adelsbrief auswirkte.
Außer Goethes Nähe hatte der Aufenthalt in Weimar für Schiller noch andere
erhebliche Vorteile. Zu seiner Aufheiterung diente besonders ein damals
errichteter fröhlicher Klub, für den er, so wie Goethe, einige
gesellschaftliche Lieder dichtete. Die vier Weltalter und das Lied an die
Freunde entstanden auf diese Art. Das Theater gab Schiller vielen Genuss,
und gern beschäftigte er sich auch mit der höhern Ausbildung der dortigen
Schauspieler.
Seine Ansichten der Kunst und Kritik in dieser letzten Periode seines Lebens
ergeben sich aus folgenden Fragmenten seiner damaligen Briefe:
"Sie müssen sich nicht wundern, wenn ich mir die Wissenschaft und die Kunst
jetzt in einer größern Entfernung und Entgegensetzung denke, als ich vor
einigen Jahren vielleicht geneigt gewesen bin. Meine ganze Tätigkeit hat
sich gerade jetzt der Ausübung zugewendet: Ich erfahre täglich wie wenig der
Poet durch allgemeine reine Begriffe bei der Ausübung gefördert wird, und
wäre in dieser Stimmung zuweilen unphilosophisch genug, alles, was ich
selbst und andere von der Elementar-Ästhetik wissen, für einen einzigen
empirischen Vorteil, für einen Kunstgriff des Handwerks hinzugeben. In
Rücksicht auf das Hervorbringen werden Sie mir zwar selbst die
Unzulänglichkeit der Theorie einräumen, aber ich dehne meinen Unglauben auch
auf das Beurteilen aus, und möchte behaupten, dass es kein Gefäß gibt, die
Werke der Einbildungskraft zu fassen, als eben diese Einbildungskraft
selbst.“ –
"Wenn man die Kunst, so wie die Philosophie, als etwas, das immer wird und
nie ist, als immer dynamisch und nicht, wie sie es jetzt nennen, atomistisch
betrachtet, so kann man gegen jedes Produkt gerecht sein, ohne dadurch
eingeschränkt zu werden. Es ist aber im Charakter der Deutschen, dass ihnen
alles gleich fest wird, und dass sie die unendliche Kunst, so wie sie es bei
der Reformation mit der Theologie gemacht, gleich in ein Symbolum
hineinbannen müssen. Deswegen gereicht ihnen selbst treffliche Werke zum
Verderben, weil sie gleich für heilig und ewig erklärt werden, und der
strebende Künstler immer darauf zurückgewiesen wird. An diese Werke nicht
religiös glauben, heißt Ketzerei, da doch die Kunst über allen Werken ist.
Es gibt freilich in der Kunst ein Maximum, aber nicht in der modernen, die
nur in einem ewigen Fortschritt ihr Heil finden kann.“
"Ich habe dieser Tage den rasenden Roland wieder gelesen und kann Dir nicht
genug sagen wie anziehend und erquickend mir diese Lektüre war. Hier ist
Leben und Bewegung und Farbe und Fülle; man wird aus sich heraus ins volle
Leben und doch wieder von da zurück in sich selbst hineingeführt; man
schwimmt in einem reichen unendlichen Elemente, und wird seines ewigen
identischen Ichs los, und existiert eben deswegen mehr, weil man aus sich
selbst gerissen wird. Und doch ist, trotz aller Üppigkeit, Rastlosigkeit und
Ungeduld, Form und Plan in dem Gedicht, welches man mehr empfindet als
erkennt, und an der Stetigkeit und sich selbst erhaltenden Behaglichkeit und
Fröhlichkeit des Zustandes wahrnimmt. Freilich darf man hier keine Tiefe
suchen und keinen Ernst; aber wir brauchen wahrlich die Fläche auch so nötig
als die Tiefe, und für den Ernst sorgt die Vernunft und das Schicksal genug,
dass die Phantasie sich nicht damit zu bemengen braucht.“ –
"Noch hoffe ich in meinem poetischen Streben keinen Rückschritt getan zu
haben, einen Seitenschritt vielleicht, indem es mir begegnet sein kann, den
materiellen Forderungen der Welt und der Zeit etwas eingeräumt zu haben. Die
Werke des dramatischen Dichters werden schneller als alle andere von dem
Zeitstern ergriffen. Er kommt selbst wider Willen mit der großen Masse in
eine vielseitige Berührung, bei der man nicht immer rein bleibt. Anfangs
gefällt es, den Herrscher zu machen über die Gemüter; aber welchem Herrscher
begegnet es nicht, dass er auch wieder der Diener seiner Diener wird, um
seine Herrschaft zu behaupten? Und so kann es vielleicht geschehen sein,
dass ich, indem ich die deutschen Bühnen etwas angenommen habe.“
Nachdem Schiller einmal durch den Wallenstein die Meisterschaft errungen
hatte, folgten seine übrigen dramatischen Werke schnell aufeinander,
obgleich seine Tätigkeit oft durch körperliche Leiden und besonders im Jahr
1799 durch Sorge für eine geliebte Gattin bei ihrer damaligen gefährlichen
Krankheit unterbrochen wurde. Wallenstein erschien 1799, Maria Stuart 1800,
die Jungfrau von Orleans 1801, die Braut von Messina 1803 und Wilhelm Tell
1804. In eben diesem Jahr feierte er die Ankunft der russischen Großfürstin,
die sich mit dem Erbprinzen von Sachsen-Weimar vermählte, durch die
Huldigung der Künste. Alle diese Werke ließen ihm noch Zeit übrig,
Shakespeares Macbeth und Gozzis Turandot für das deutsche Theater zu
bearbeiten. Später wurden noch Racines Phädra und zwei französische
Lustspiele von ihm übersetzt. In den Zwischenzeiten beschäftigten ihn
mehrere dramatische Pläne, wovon sich ein Teil unter seinen Papieren
aufgefunden hat.
Auch für eine Komödie hatte er einen Stoff gefunden, fühlte sich aber zu
fremd für diese Gattung.
"Zwar glaube ich mich,“ schrieb er einem Freund, "derjenigen Komödie, wo es
mehr auf eine komische Zusammenfassung der Begebenheiten, als auf komische
Charaktere und auf Humor ankommt, gewachsen; aber meine Natur ist doch zu
ernst gestimmt, und was keine Tiefe hat, kann mich nicht lange anziehen.“
Nach der Übersetzung der Phädra hatte er ein neues dramatisches Gedicht
begonnen, wovon die Geschichte des falschen Demetrius in Russland der Stoff
war. Bei diesem Werk, mitten im Vollgefühl seiner geistigen Kraft, ergriff
ihn der Tod. Ein heftiger Rückfall seiner gewöhnlichen Brustkrankheit
endigte sein Leben am 9. Mai 1805.
Er hinterließ eine Witwe, zwei Söhne und zwei Töchter. Von seinen drei
Schwestern war die jüngste vor ihm gestorben. Die älteste aber lebte in
Meiningen als Gattin des dortigen Hofrats Reinwald, und die zweite ist an
den Stadtpfarrer Frankh zu Möckmühl, im Königreich Württemberg, verheiratet.
Schillers Gesichtszüge sind am treuesten und geistvollsten in einer
kolossalen Büste von Dannecker in Stuttgart dargestellt worden. Eine früher
verfertigte Büste in Lebensgröße, wozu Schiller während seines Aufenthalts
in Schwaben gesessen hatte, lag dabei zum Grunde, und dieses Werk in einem
größeren Styl mit aller Anstrengung seiner Kräfte auszuführen, beschloss der
edle Künstler in dem Augenblick der höchsten Rührung, da er die Nachricht
von dem Tod seines Freundes erhielt.
Goethes Worte über Schiller mögen diesen Aufsatz beschließen:
Es glühte seine Wange rot und röter
Von jener Jugend, die uns nie verfliegt,
Von jenem Mut, der früher oder später
Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt,
Von jenem Glauben, der sich, stets erhöhter,
Bald kühn hervordringt, bald geduldig schmiegt,
Damit die Gute wirke, wachse, fromme,
Damit der Tag des Edeln endlich komme.
Und manche Geister, die mit ihm gerungen,
Sein groß Verdienst unwillig anerkannt,
Sie fühlten sich von seiner Kraft durchdrungen,
IN seinem Kreise willig festgebannt.
Zum höchsten hat er sich emporgeschwungen,
Mit allem, was wir schätzen, eng verwandt.
So feiert ihn! Denn, was dem Mann das Leben
Nur halb erteilt, soll ganz die Nachwelt geben.
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Charlotte von Schiller
Charlotte von Schiller, geborne von Lengefeld, erblickte im November 1766 in
Scharzburg-Rudolstadt das Licht der Welt. Im Februar 1790 wurde sie
Schillers Gattin. Fünfzehn Jahre hindurch war sei seine glückliche
Lebensgefährtin.
Nur immer wiederkehrende Sorge um seine Gesundheit konnte dies schöne Dasein
trüben. Im Frühling des sechzehnten Jahres ihrer Ehe entriss ihn der Tod
ihren Armen, der Welt.
Charlotte lebte ganz in Schiller und einzig für ihn. Ein Wesen voll reiner,
sinniger Empfänglichkeit für die Aufnahme seiner Ideen immer um sich zu
finden, war ihm Bedürfnis, und in seinen Mitteilungen fand Charlotte ihr
höchstes Glück. "Sie folgte gern, denn ihr ward leicht zu folgen.“ Ein
sicherer Geschmack war ihr in der Harmonie ihrer Seelenfähigkeiten
angeboren. Ihr Gefühl ward nicht selten ein bestimmendes Urteil für ihn. Der
Widerwille gegen alles Gemeine lag in ihr wie in ihm.
Sie war das Weib, dessen er bedurfte. Er konnte auf den klaren Grund dieser
Seele schauen, in der nicht Verborgenes lag, ja, der es unmöglich war, ein
Wort anders denn als treues Bild ihrer Gefühle und Gedanken auszusprechen.
Der erfrischende Hauch blühender Phantasie wehte durch ihr Leben, und ihre
Begleiterin, die Hoffnung, erhielt in Charlotte die Schiller so wohltätige
Heiterkeit. Selbstständigkeit und Charakter vermögen sich gegen die oft
harte Notwendigkeit zu stemmen, aber der Zauber des Umgangs entquillt nur
jenen Himmelskräften.
Charlottes Briefe haben eine eigene Grazie. Alles Ernste und Große
erfassend, doch die Kleinigkeiten des täglichen Lebens fein fühlend und im
heitern, oft komischen Sinne haltend, stellen sie den gegenwärtigen Moment
klar und anmutig dar.
Nach Schillers Tod lebte sie der Erziehung und Leitung des Lebensganges
ihrer vier gut gearteten und talentvollen Kinder. Sie erlebte noch die
Freude, ihre beiden Söhne glücklich verheiratet zu sehen. Ihre letzten
Lebensjahre waren durch Schwäche der Augen, die mit völliger Blindheit
bedrohte, getrübt. Sie ertrug auch dieses Unglück mit Mut und Ergebung,
genoss noch heitre Tage mit ihren Kindern im Kreise würdiger Freunde aus
Schwaben. Nach einer gelungenen Augenoperation, die ihr das Wiedergewinnen
des Gesichts versprach, befiel sie ein Nervenschlag. Sie starb in den Armen
zweier ihrer Kinder, in Bonn, im Julius 1826. Ihre letzten Stunden waren
sanft. Bei entschwundener klarer Besonnenheit fühlte sie die Trennung von
den Ihrigen nicht und verschied in freundlichen Phantasien. Wer sich von den
geist- und gemütvollen Zügen ihres Bildnisses angezogen fühlt und ihren
milden Einfluss auf das Leben des großen Dichters verfolgen will, kann
Charlotte in Schillers Leben, aus den Erinnerungen seiner Freunde geschöpft,
näher kennen lernen.
Anmerkungen
1) Eben dieser Fürst erfreute Schiller in der Folge durch fortgesetzte
schriftliche Beweise des wärmsten Anteils an seinen Schicksalen.
2) Siehe: Briefwechsel zwischen Schiller und Wilhelm v. Humboldt. Mit einer
Vorerinnerung über Schiller und den Gang seiner Geistesentwicklung von W. v.
Humboldt. Stuttgart und Tübingen. J. G. Cotta'sche Buchhandlung. 1830. «
(aus: Schillers sämtliche Werke in zwölf Bänden Leben. Erster Band,
Stuttgart und Tübingen: Cottascher Verlag 1847, S. XIII-XLVI
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Biographische Autornotiz:
"Christian Gottfried Körner (* 2. Juli 1756 in Leipzig; † 13. Mai 1831 in
Berlin) entstammte einer angesehenen Familie in Leipzig, sein Vater war
Superintendent und Prediger an der Thomaskirche. Gegen den Willen des streng
lutheranischen Vaters studierte Körner Sprachen, Philosophie, Naturlehre,
Mathematik und wurde schließlich Doktor der Rechte und sogleich als Notar
und Richter in seiner Vaterstadt eingesetzt.
Als Begleiter eines jungen sächsischen Grafens auf dessen Kavalierstour
bereiste er Holland, England, Frankreich und die Schweiz.
1783 wurde er als Mitglied der Landesökonomie-Deputation nach Dresden
berufen.
Christian Gottfried Körner sandte im Juni 1784 zusammen mit seinem Freund
Ludwig Ferdinand Huber und den Schwestern Minna und Dora Stock einen nicht
unterzeichneten Brief an den jungen Friedrich Schiller nach Mannheim, in dem
sie ihre uneingeschränkte Verehrung für dessen Dramen ausdrückten. Bei den
Absendern handelte es sich um zwei Brautpaare, deren Heiratsabsicht auf den
Widerstand der großbürgerlich-autoritären Väter gestoßen war, wodurch sie
sich insbesondere mit der Darstellung der nicht standesgemäßen Beziehung in
Schillers Drama "Kabale und Liebe" identifizieren konnten. Die Schwestern
Minna und Dora Stock waren Töchter eines Kupferstechers und damit
Handwerkerskinder.
Schiller antwortete erst ein halbes Jahr später auf diesen Brief.
"Ihre Briefe ... trafen mich in einer der traurigsten Stimmungen meines
Herzens." (7. Dezember 1784)
Inzwischen war seine finanzielle Lage so hoffnungslos geworden, dass er
keinen anderen Ausweg sah, als sich zu den unbekannten Freunden nach Leipzig
zu flüchten. Nach einer neun Tage dauernden Fahrt kam Schiller im April 1785
in Leipzig an und wurde dort von dem Freundeskreis - in Abwesenheit
C.G.Körners - gastfreundlich aufgenommen. Zur Überraschung der Damen war
Schiller kein stämmiger "Karl Moor" in Reiterstiefeln, sondern ein junger,
schüchterner Mann, der die Damen kaum anzusprechen wagte, zu Tränen gerührt
war und auch noch Schwäbisch sprach.
Auf die ihm entgegengebrachte Freundschaft dichtete Schiller seine Ode "An
die Freude", die Teil des Schlusssatzes der 9. Sinfonie von Ludwig van
Beethoven geworden ist.
C.G.Körner war der Herausgeber der ersten Gesamtausgabe der Werke Schillers
und der Herausgeber des poetischen Nachlasses seines Sohnes Theodor Körner.
Portraits von C.G.Körner in Text und Bild sind zu finden u.a. bei
Rüdiger Safranski: Schiller, Hanser Verlag 2004 S. 208 ff und Friedrich
Dieckmann: Diesen Kuss der ganzen Welt, Insel Verlag 2005, S. 134 ff
(aus: ZUM-WIKI,
https://wiki.zum.de/wiki/Christian_Gottfried_K%C3%B6rner, lizensiert
unter
CC-BY-SA 3.0 de
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
22.10.2023