Home
Nach oben

 

Der Majdanek-Prozess 1975 - 1981

Überblick

 
 
  Der Majdanek-Prozess, dessen Hauptverhandlung  am 26. November 1975 am Landgericht Düsseldorf begann und erst mehr als fünfeinhalb Jahre später beendet wurde, gehört zu den wichtigsten Strafprozessen der deutschen Justiz wegen nationalsozialistischer Verbrechen nach dem 2. Weltkrieg. Zugleich war er der längste Prozess seiner Art.
 

Der Majdanek-Prozess im Überblick

Verfahren Lfd.Nr.869
Tatkomplex: Massenvernichtungsverbrechen in Lagern, NS-Gewaltverbrechen in Haftstätten, Kriegsverbrechen
Angeklagte:
Ell., Thomas 3 Jahre
Gro., Heinrich Walter Gustav Freispruch
Hac., Hermann 10 Jahre
Läc., Hildegard Martha Luise 12 Jahre
Lau., Emil Josef 8 Jahre
Pet., Fritz Heinrich 4 Jahre
Ryan geb. Braunsteiner, Hermine lebenslänglich
Stri., Arnold Georg 3½ Jahre
Vil., Heinz Hermann Karl 6 Jahre
Gerichtsentscheidungen:
LG Düsseldorf 810630
Tatland: Polen
Tatort: HS KL Majdanek
Tatzeit: 41-44
Opfer: Juden, Häftlinge, Kriegsgefangene
Nationalität: Polnische, Deutsche, Griechische, Sowjetische, unbekannt
Dienststelle: Haftstättenpersonal KL Majdanek
Verfahrensgegenstand: Tötung von 200-400 seuchenkranken Häftlingen ('Fleckfieberaktion'). Selektion und anschließende Vergasung von mindestens 1000 arbeitsunfähigen Jüdinnen sowie von Überlebenden des Warschauer Ghettoaufstandes. Vergasung von insgesamt mindestens 200 jüdischen Kindern (teilweise mit ihren Müttern) in drei Aktionen. Tötung von mindestens 17.000 Juden, die in drei Gräben getrieben und dort, auf einander liegend, erschossen wurden (Aktion 'Erntefest'). Selektion und Erschießung von 3000 vom SSPF Lublin zur Exekution eingelieferten Juden. Erschießung von 42 sowjetischen Kriegsgefangenen, nachdem 86 Kriegsgefangene die Flucht aus dem Lager gelungen war. Erschießung von Gruppen von der Sipo eingelieferten, als Partisanen, Partisanenverdächtige oder sonstige Gegner des NS-Regimes verhafteten Zivilisten. Einzeltötungen von Häftlingen durch Erhängen, Erschießen, Erwürgen, Vergasen, zu Tode prügeln und Ertränken in einer Vielzahl von Fällen

(aus: http://www1.jur.uva.nl/junsv/brd/files/brd869.htm , 11.02.04)

Das Konzentrationslager »Majdanek wurde 1941 in einem Vorort der polnischen Stadt »Lublin nahe der polnischen Ostgrenze auf Befehl des »Reichsführers der SS, »Heinrich Himmler, errichtet. Obwohl anfangs offiziell als ein "Kriegsgefangenlager der Waffen-SS Lublin" ausgegeben, spielte das Lager schnell seine schreckliche Rolle bei der Ermordung von Juden und anderen Häftlingen. Den Stacheldrahtzaun mit seiner Hochspannungsleitung, der das 2,7 Quadratkilometer große Gelände umgab, sahen  während der Existenz des Lagers über 500 000 inhaftierte Menschen aus 28 Ländern von Innen. Häftlinge in Majdanek waren vor allem Juden aus Polen, der Tschechoslowakei, Deutschland, Ungarn, Frankreich, Belgien, Griechenland und den Niederlanden, außerdem sowjetische Kriegsgefangene, Zigeuner, polnische Bauern und Partisanen. Über 250.000 Menschen sind in Majdanek umgekommen, davon 60 Prozent als Opfer von Krankheiten, Hunger und Folterungen. Die restlichen 40 Prozent, mehr als 100.000 Menschen, wurden in den sieben Gaskammern des Lagers mit Kohlenmonoxid und Zyklon B oder auf andere Weise umgebracht. Massenerschießungen im großen Stil, denen u. a. kranke sowjetische Kriegsgefangene zum Opfer fielen. Berüchtigt auch das so genannte "Erntefest", vom 3. November 1943, bei dem 40.000 Juden im Distrikt Lublin einer Massenerschießung zum Opfer fielen, davon allein 17.000 in Majdanek.
Vor dem Eintreffen sowjetischer Truppen wurde Majdanek im Juli 1944 geräumt. Man brachte etwa 1000 Gefangene weg, die Hälfte davon ins KZ Auschwitz. Am 22. Juli 1944 wurde das Lager schließlich von der sowjetischen Armee erreicht.

Unter den Lagerkommandanten »Karl Otto Koch, »Max Koegel, »Hermann Florstedt, »Martin Gottfried Weiß und »Arthur Liebehenschel verrichten 1.300 Personen des Lagerpersonals ihren "Dienst", darunter auch die sechs SS-Männer, die in einem ersten Prozess in Lublin 1944 zum Tode verurteilt wurden, und die 15 SS-Leute, die im »Majdanek-Prozess 1976 in Düsseldorf angeklagt wurden. Unter den Angeklagten diese Prozesses war auch »Hermine Braunsteiner-Ryan, die sich nach dem Krieg in die USA abgesetzt hatte und dort erst im Jahre 1964 von Simon Wiesenthal, dem bekanntesten Nazi-Jäger der Nachkriegszeit, aufgespürt werden konnte. Erst nahezu neun Jahre später kommt Hermine Braunsteiner, mittlerweile 54-jährig in Auslieferungshaft und wird im August 1973 nach in die Bundsrepublik Deutschland verbracht. Die in den USA unter normalen bürgerlichen Verhältnissen lebende, dort verheiratete Frau Ryan, war freiwillig Aufseherin in Majdanek geworden und hatte sich dort wegen ihrer Brutalität ihren Namen bei den Häftlingen gemacht. "Die Stute" nannte man sie, weil sie stets mit eisenbeschlagenen Stiefeln nach Gefangenen trat. Außer Hermine Braunsteiner wurde eine weitere Frau im Majdanek-Prozess vor Gericht gestellt, der damit auch das das erste und einzige NS-Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland war, in dem weiblichen Lagerbediensteten der Prozess gemacht wurden. Der Eindruck, den die beiden vor Gericht machten, war bei Beginn zunächst seltsam, "von Grauen keine Spur. Angeklagt waren inzwischen betuliche ältere Damen mit Strickkostüm, Wollmütze und Kuchengesicht, Hausfrauen, die man von Heim, Herd und Kaffeekränzchen weggerissen hatte. Nette Omis, die ihr Gesicht vor dem Blitzlichtgewitter der Photographen mit Tüten und Zeitungen schützen. "Bestien", die in Majdanek "panische Angst verbreiteten", die "wie besessen" schlugen und "Exzesstaten" begingen.
In der ersten Reihe vor dem Schwurgericht, das Haar unter der Wollmütze frisch geweißt, in weißer Strickjacke über einem auffallend lila Kleid, ein verbittert-kantiges Gesicht: Hermine Ryan, zu Prozessbeginn 56 Jahre alt. Sie zeigt keine Regung, auch nicht beim Anblick ihrer KZ-Kolleginnen, mit denen sie nach einigen Stunden erste Worte wechselt. [...] Hermine Ryan ist die Schweigsamste. Wenn sie mal spricht, bestreitet sie die Vorwürfe und beugt sich wieder über ein Rätselheftchen." (aus: Thorsten Schmitz, Die Stute von Majdanek, in: Süddeutsche Magazin v. 13.12.1996) Von Unrechtsbewusstsein keine Spur bei einer Täterin, die sich durch ihre Grausamkeit gegenüber den Gefangenen deutlich hervorgetan hatte: "Irgendwann im Oktober 1943 versuchte ein Vater seinen Sohn in einem Rucksack mit ins Lager zu schmuggeln. Hermine Ryan sah, dass sich der Rucksack bewegte und schlug mit der Peitsche darauf. Bis nur noch ein Wimmern aus dem Rucksack kam. Hermine Ryan, damals 24 Jahre alt, zog den blutenden Buben an den Haaren raus. Sie warf ihn auf einen offenen Lastwagen zu den anderen Kindern: Abfahrt in die Gaskammer. [...] Hermine Ryan schlug Kinder mit einer Suppenkelle blutig, weil die sich auf einen Essenskübel stürzten. Sie peitschte Mädchen, die ihre Häftlingsnummer nicht korrekt angenäht, Strümpfe getragen, Kissen unter die dünne Kleidung gebunden oder über Hunger geklagt hatten. Kinder und Säuglinge galten in Majdanek als "unnütze Esser".
Weil im Frühjahr 1943 mehr Juden aus dem Warschauer Ghetto nach Majdanek deportiert wurden, als das Lager fasste, konnten die Kinder nicht sofort vergast werden. Etwa hundert wurden deshalb in eine Baracke verlegt, bis in den Gaskammern wieder Platz war. Beim Abtransport packte Hermine Ryan kräftig mit an. Die Kinder, die von allein nicht auf die Todeslastwagen klettern konnten, fasste sie an "Ärmchen und Beinchen und warf sie wie Schlachtvieh auf die offene Ladefläche". Frauen, soll Ryan gesagt haben, "sind wie Scheiße". Womöglich sprach sie aus bloßem Neid: Hermine Ryan ist unfruchtbar, sie kann keine Kinder bekommen." (ebd.)
Als Hermine Braunsteiner-Ryan im Juni 1981 zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt wird, hält ihr das Gericht ihren "persönlichen Ehrgeiz, Befehle in besonders brutaler bestialischer Art und Weise auszuführen" vor. Im April 1996 wird Hermine Ryan, 77-jährig und mittlerweile schwer gicht- und zuckerkrank von Ministerpräsident Rau begnadigt und zum Sterben, wie die Behörden sagen, entlassen.

Mit dem die Öffentlichkeit erregenden Prozess sollten ursprünglich fünfzehn ehemaligen SS-Leute zur Rechenschaft gezogen werden für ihre Straftaten im Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek. 31 Jahre nach der Befreiung des Lagers durch sowjetische Truppen wurden damit nur 15 von mindestens 1300 SS-Leuten, die als "Wachmannschaften" in Majdanek tätig gewesen waren, vor Gericht gestellt. Zu viele ehemalige SS-Leute waren zu diesem Zeitpunkt schon gestorben und  andere waren einfach minderverdächtig, an Mordaktionen mitgewirkt zu haben. Während der Hauptverhandlung wurden weit über 300 Zeugen aus dem In- und Ausland gehört, darunter auch 215 Häftlinge, die sich nach dieser langen Zeit  noch einmal, und zwar in aller Öffentlichkeit, mit ihren nicht selten verdrängten schrecklichen Erlebnissen ihrer KZ-Haft auseinandersetzen mussten.
Als das Urteil am 30. Juni 1981 verkündet wurde, erhielten lediglich 8 Angeklagte ihre Strafe, darunter zwei Frauen. Verhängt wurden einmal lebenslange Haft und sieben Freiheitsstrafen zwischen 3 und 12 Jahren. Fünf Angeklagte wurden mangels Beweisen freigesprochen. Einer der Angeklagten war während des Prozesses verhandlungsunfähig geworden und ein weiterer starb während der Verhandlung.
Das Strafmaß des Gerichts sorgte in der Öffentlichkeit für hitzige Debatten, da es vielen Beobachtern als viel zu gering erschienen ist. Allerdings konnten eben nach dem deutschen Individualstrafrecht nur genaue Nachweise der Einzeltäterschaft oder unmittelbaren Mittäterschaft bei der Ermordung von Menschen zur Verurteilung führen, da alle anderen Verbrechen, außer Mord und Beihilfe, dazu längst verjährt waren. So empfanden viele das Ergebnis des Prozesses äußerst unbefriedigend, weil er weder dem Sühnegedanken für den Mord an unzähligen unschuldigen Menschen nicht hinreichend Rechnung getragen hat.

 
       
    
   Arbeitsanregungen:
  1. Recherchieren Sie im Internet über das KZ Majdanek, den Majdanek-Prozess und Hermine Braunsteiner-Ryan. - Dokumentieren Sie Ihre Recherche mit einem Rechercheprotokoll.
  2. Erarbeiten Sie eine problemorientierte Fragestellung zum Thema.
  3. Gestalten Sie unter Einbezug verschiedener audiovisueller Medien eine multimedial angelegte Präsentation.
  4. Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede bestehen zwischen Bernhard Schlinks Figur Hanna Schmitz im " Vorleser" und realen KZ-Aufseherinnen in der Zeit des Nationalsozialismus?

     

   
     
  Majdanek-Prozess ]