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In
Bernhard
Schlinks Roman »Der
Vorleser« wird Schuld und die damit verbundenen Probleme
in vielgestaltiger Weise vom Ich-Erzähler
Michael Berg zur Sprache gebracht.
Der Ich-Erzähler reflektiert in seiner Rolle als
erlebendes oder
erzählendes Ich - häufig ist dies in diesem Roman kaum auseinander zu
halten - über verschiedene Arten und Aspekte von Schuld.
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Geht es ihm um die Darstellung seiner eigenen
individuellen Schuld, die er sich seiner Überzeugung nach im Laufe der
Geschichte (plot) aufgebürdet hat, dann handelt es sich um Ängste
und Schuldgefühle, die ihn im Zusammenhang mit seiner Beziehung zu Hanna
bis in die Erzählergegenwart hinein belasten. Schuldgefühle trägt das
erlebende Ich mit sich herum, weil es sich der die Norm verletzenden Form
seiner sexuellen Beziehung zu Hanna bewusst ist und sich sein religiöses
Gewissen gegen "sündige Tat" (S.21) regt. Der "Verrat" an
Hanna, den
der Erzähler sich anlastet, lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Darüber
hinaus muss er mit den Schuldgefühlen zurechtkommen, die ihn ergreifen,
als er während des Prozesses erfahren muss, dass Hanna als SS-Aufseherin
in der Vergangenheit zur Mörderin geworden war.
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Wenn das erzählende Ich auf Hannas Schuld zu
sprechen kommt, dann geschieht dies zum einen in Form seiner mehr oder
minder objektiven Wiedergabe und rechtlichen Bewertung der strafrechtlich
relevanten Fakten ausgehend von der Beweisaufnahme und bei der
abschließenden Verurteilung von Hanna im Prozess zu einer lebenslänglichen
Freiheitsstrafe.
Zum anderen reflektiert der Erzähler selbst über Hannas Schuld und
problematisiert die Frage nach ihrer Schuldfähigkeit bzw. Mündigkeit auf
dem Hintergrund von Hannas Analphabetismus.
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Kollektive Schuld kennzeichnet nach Auffassung des
erlebenden Ichs aber auch die Generation der Eltern des
Ich-Erzählers, die entweder als Täter oder als angepasste Mitläufer - so
sehen es die Studenten während des Prozesses - kollektiv mitverantwortlich
waren für die Verbrechen des Nationalsozialismus. Ihre mangelnde
politische Aufarbeitung der Vergangenheit erhöht in den Augen des
erlebenden Ichs und seiner Generation noch ihre ethische Schuld.
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Die kollektive Schuld der Tätergeneration und
insbesondere die unzureichende individuelle und gesellschaftliche
Aufarbeitung der NS-Vergangenheit durch die Elterngeneration
"hinterlässt", so empfindet es das erlebende Ich in den Tagen des
Prozesses, der nachgeborenen Generation in einem gewissen Sinne
diese Schuld, womit diese aber nicht fertig werden kann.
Über diese vom Ich-Erzähler selbst thematisierten Aspekte wirft der Roman
auch andere Fragen und Probleme auf, die im Zusammenhang mit der
Schuldproblematik zu sehen ist. So geht es u. a. darum
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nach welchen prinzipiellen Kriterien Schuld zu beurteilen ist,
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ob das Bild vom Schuldigen eher seine monströse Kriminalität oder
seine Verwurzelung in Normalität zeigen soll,
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welchen Anteil die individuelle Schuld eines Einzelnen im Rahmen einer
kollektiven Verantwortung der Schuld ausmacht,
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welche generationsübergreifende Bedeutung einmal entstandene Schuld
haben kann.
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wie Schuld gesühnt, verarbeitet und überwunden werden kann,
Diese Fragen werden im Zusammenhang mit der Bedeutung, die die
NS-Vergangenheit bis heute hat, stets aufs Neue gestellt. Anlässlich der 60.
Wiederkehr des Tages, an dem im Jahre 1945 das Konzentrationslager Auschwitz
befreit wurde, antworteten verschiedene Politiker, Historiker und ehemalige
KZ-Häftlinge auf die Frage: "Müssen
wir uns auch heute noch schuldig fühlen?". Dabei sagte z. B. die
israelische Schriftstellerin
Halina Birkenbaum, die selbst
Auschwitz überlebt hat: "Die Deutschen sollten sich immer daran erinnern,
was Deutsche mit den Juden gemacht haben. Es schmerzt, wenn heute Deutsche
behaupten: ‚Das gab es nie.’ Wer zulässt, dass junge Nazis wieder ‚Heil
Hitler’ brüllen, der muss sich schuldig fühlen." (aus: Stern 5(2005), S..44)
Thema zur
literarischen Erörterung:
"Wer im 'Dritten Reich' schuldig geworden ist, indem er Unrecht getan hat
oder hat geschehen lassen, bleibt schuldig – wer sollte ihm vergeben und
die Schuld von ihm genommen haben? Vergeben können nur die Opfer, und wenn
die Opfer tot sind, kann niemand die Schuld von den Tätern nehmen. Auch
die Generation der Kinder bleibt schuldig, soweit sie dadurch schuldig
geworden ist, dass sie mit der Generation der Väter nicht gebrochen hat.
Die Liebe der Kinder zu ihren Eltern, die Verehrung der Lehrer, Meister,
Pfarrer, Professoren, Vorgesetzten und Chefs, das Lernen von ihnen, die
Dankbarkeit ihnen gegenüber und die Verbundenheit mit ihnen verstricken in
deren Schuld. Für die Enkel, die ihren Großeltern kaum noch persönlich
begegnen, gibt es auch die Verstrickung in deren Schuld kaum noch, und die
Urenkel sind von ihr frei. Was dann noch bleibt. Ist nicht mehr Schuld.
Geschuldet bleiben aber die Erinnerung an die Opfer, der Respekt ihnen
gegenüber und der Takt gegenüber ihren Nachfahren. (aus: Stern 5(2005),
S..45)
(Bernhard Schlink, 2005)
Erörtern Sie das dargestellte Schuldverständnis von Bernhard Schlink und
erläutern Sie, inwieweit es in seinen Roman »Der
Vorleser«) Eingang gefunden hat.
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