teachSam- Arbeitsbereiche:
Arbeitstechniken - Deutsch - Geschichte - Politik - Pädagogik - PsychologieMedien - Methodik und Didaktik - Projekte  - So navigiert man auf teachSam - So sucht man auf teachSam - teachSam braucht Werbung


deu.jpg (1524 Byte)

 

Johann Michael Moscherosch (1601-1669): Philander von Sittewald

[Adel, Junker und die Obrigkeit]

6. Gesichte: Höllenkinder

 
FAChbereich Deutsch
Glossar Literatur Autorinnen und Autoren
Johann Michael Moscherosch (1601-1669)Überblick Kurzbiografie ▪ Lyrische Texte Erzählende Texte   Philander von Sittewald ÜberblickAspekte der Analyse und Interpretation Textauswahl [  6. Gesicht: Höllenkinder Überblick Die Weggabelung: Wege in den Himmel und in die Hölle Verleger und "Raubkopierer" auf dem Weg zur Hölle Pastetenbäcker ín der Hölle Kaufleute in lichterhohen Flammen Adel, Junker und die Obrigkeit ◄ ▪ Ungetreue und hoffärtige Mägde O-hätte-ich-doch-Sünder und Studenten Vorwitzige, leichtsinnige und hoffärtige Weiber Poeten in der Hölle ] BausteineLinks ins Internet Links ins Internet  ...   Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
 

 

Im "6. Gesichte" (das sechste Traumgesicht) (1. Aufl. 1640) erzählt die Hauptfigur in ▪ Johann Michael Moscheroschs (1601-1669) Philander von Sittewald von seinem Besuch in der Hölle.

"Ich fand, wie richtig dies alles sei. Doch wenn ich dem Teufel Gehör gegeben hätte, so würde er sein Gespräch noch lange nicht beendet haben. Darum ging ich von dannen einem Orte zu, von wo ich ein großes Gelächter hörte: denn es däuchte mir ein wunderliches Ding zu sein in der Hölle lachen. Bald sah ich denn auch zwei todte Kerls beisammen stehen, bekleidet als ob sie Junker wären. Der eine hielt einen großen Pergamentbrief in der Hand, unten mit einem tellerbreiten Insiegel versehen. Ich hielt ihn für irgend einen Zahnbrecher oder Bruchschneider, welche oftmals den Junkern gleich gekleidet gehen, der an einem Orte eine Heldenthat verrichtet, einen armen Mann mit Aufschneiden um sein Geld gebracht hätte (denn die Bruchschneider sind von Natur Aufschneider: sie können nicht helfen, es sei denn daß sie den Schaden zuvor aufschneiden). Aber bei jedem Wort, das er sprach, erhoben die Teufel ein Gelächter, als ob sie bersten wollten; deshalb vermuthete ich, es wäre Harlequin oder Hanswurst oder einer dergleichen Gaukelnarren, der einen Mummenschanz aufführte und seinen Hut auf tausenderlei Weisen verwandelte. Aber ich hatte gefehlt; denn als ich näher herbeikam, sah ich, daß, je mehr die Teufel lachten, sich die Beiden umso mehr um die Narrenkappe rissen und sich erzürnten. Aus ihren Worten merkte ich endlich, daß sie Beide für gut vom Adel wollten angesehen sein, und daß der Pergamentbrief aus einer fürstlichen oder pfalzgräflichen Kanzlei herkomme, aus dem der eine seinen Adel, den er um viel Geld bar erkauft hatte, beweisen wollte. "Mein Vater, sprach er, war der und der, hat sich im Kriege ritterlich gebrauchen lassen, Straßen und Wege sauber gehalten, falsche Briefe und Posten auszukundschaften gewußt, die Bauern meisterlich können zum Gehorsam bringen, die Contributionen unfehlbar einfordern, die Ungehorsamen mit Feuer und Schwert können zur Schuldigkeit treiben. Mein Oheim war der Oberst Kehraus, des Obersten Räumauf's Vetter. Mit einem Worte: in meines Vaters Linie sind fünf vornehme Hauptleute und Helden, von denen die Galeeren zu Neapel noch genugsam Zeugnis geben können. Von Mutter-Seite stamme ich gleichfalls von vornehmem Geschlecht und vornehmen Leuten her; das kann auch nicht gut anders sein: denn, noch ein Kind, hörte ich sagen, daß meine Großmutter ein tapferes Weib wäre, deren Haus nimmer ohne großen Verkehr und allezeit mit zehn oder zwölf Mägden und Säugammen versehen gewesen." – "Vielleicht hat sie, sprach ein Teufel, ein offenes Hurenhaus gehalten?" "Sie habe gehalten was sie wolle, fuhr der Monsieur fort: was geht's einen andern an; was ich von ihr gemeldet habe, ist eben wahr, das weiß ich. Ihr Vater trug allezeit einen Degen als Zeichen seines Standes." – "Vielleicht ist er Thurmhüter gewesen?" sprach ein Teufel. "Wer mir nicht glauben will, der sehe hier Siegel und Brief, sprach der Herr Junker; dann wird er finden, daß ich meinen adligen Titel nicht umsonst führe. Wer will nun an meinem Adel zweifeln oder mich in einen geringeren Stand setzen, als meinen Mitgesellen?"

Der Teufel antwortete ihm: "Mein Herr Junker, es ist ja niemand dagegen, daß alles dies wahr sei: was du bezahlt hast, das ist billig dein. Aber was ist euer Thun und Wesen? Habt ihr auch während der Zeit eures Adels etwas Adliges verrichtet? Sind nicht Gotteslästern, Fluchen, Schwören, Huren, Rauben und Morden eure größten Thaten gewesen? Huren- und Wirthshäuser anstatt die Kirche zu besuchen, Tabak rauchen, ehrliche Leute ängstigen und peinigen, das Land verderben, – ist es nicht euer einziges Thun gewesen? Soll das eines Edelmannes Leben sein? Soll das einen Junker geben? Dann kann ja jeder Strauchdieb dergleichen wohl erwerben. Pfui des kahlen Titels, des losen Adels, der allein in Briefen, in Lastern, in Aufschneidereien und Prahlen, und nicht in Ehre und Tugend besteht! Wir Teufel sind nicht so albern, daß wir uns wie die einfältigen Bauern betrügen, drillen und tribuliren lassen. Tugend hin, Tugend her, das ist ein schöner Adel! Spielen, Prassen, Hunde und Vögel ziehen, Kauderwelschen, Pochen, Poltern, Fluchen, Alfänzen, Bauern schinden, Rauben, Sengen: – das macht keinen Junker! Wie geringen Herkommens ein Kerl immer sei: wenn er sich in seinem Leben und Thun rechtschaffen, aufrichtig, mannhaft, fest, fromm und redlich erweist, so ist er wahrhaft von Adel, und wir haben über ihn so wenig Gewalt, so wenig ihr pergamentenen Junker mit euren schindhündischen Thaten uns entlaufen könnt. Aber genug! Ihr Herren habt nimmermehr etwas getaugt und seid in eurem ganzen Leben nicht werth gewesen, das warme Wasser über dem Brot zu saufen: darum habt ihr auch ein solches Ende erlangt." Da gab er ihm einen Stoß, daß er Hals über Kopf in die ewige Tiefe hinunter fiel.

Es mögen sich diejenigen, welche den Adel zu verleihen Gewalt haben, vorsehen, daß es ihnen nicht ergeht wie dem Herzog Anton von Lothringen, der einst einen Falschmünzer zum Strang verdammen ließ; und als er nun später einen kargen Schindhund adeln wollte, sagte einer seiner Räthe zu ihm: Gnädigster Fürst und Herr, haltet ein mit diesem Kerl, sonst habt ihr ein nicht geringeres Urtheil verwirkt als ein Falschmünzer! – Der Herzog fragte warum? Darum, versetzte der Rath, weil Ew. Fürstl. Gnaden einen Falschen von Adel machen.

Als der andere Gesell dem Spiel zugesehen hatte, sprach er: "Gnädiger Herr Teufel! so soll man es mit den Pfeffersäcken und neugebackenen Junkern machen, ganz recht so! weil sie sich im Stande uns gleich zu sein achten wollen. Ich aber, der ich mit meinen zweiunddreißig Ahnen ein Edler von Geblüt und aus der alten Ritterschaft geboren bin, auch nicht sorgen brauche, daß mir bei Turnieren irgend ein Schimpf geschehen oder daß ich auf die Schranken gesetzt werde – ich hoffe, daß mir mehr Ehren widerfahren sollen." "Wohledelgeborner, gestrenger und mächtiger Junker! antwortete der Teufel: des Herren Junkers Herkommen ist uns sehr wohl bekannt. Wenn hier nichts weiter als Titel, Ahnen, Geblüt und alte Ritterschaft vorzubringen sind, so habt ihr wenig Freundschaft vom Teufel zu gewärtigen. Aus dem Alter des Adels einen ehrlichen Mann zu erweisen, das würde Schnaubens geben! Denn woher kommt anders der Adel als durch allerhand Griffe, Raub, Gewalttaten und Mord? Wieviele sind derer, die sich eines altadligen Geschlechts rühmen und deswegen andere, als Sklaven, über die Achsel ansehen oder ihnen nicht das Maul gönnen? Während sie doch durch solch unwirsche Grobheiten weiter nichts zu erkennen geben, als daß sie den rechten Adel nie recht erkannt haben, dessen Wesen ist, den geringeren Standespersonen mit Freundlichkeit, Sanftmuth und Tugend vorzuleuchten: der Adel der Sitten ist mehr werth, als der Adel der Geburt. Habt ihr etwa anderthalb Unterthanen, – was muß das arme elende Volk nicht für Leibdienste und Frohnden leisten und dulden! bald eine Steuer, bald eine Schätzung, bald eine Satzung, bald einen Frevel, den man vom Zaune herabsucht, so daß sie es nicht besser haben, als die elenden leibeigenen Leute vor Zeiten unter den Heiden. [...]

Ueberdies: in welcher Ueppigkeit und Schwelgerei bringt der meiste Theil von euch sein Leben hin! Ist ein Edelknabe wehrhaft gemacht, so bleibt er vielleicht zu Hofe sitzen, kommt sein Lebtag nicht weiter als bis an das große Messer, lernt einen Hasen vorschneiden, eine Ente zerlegen, einen Waidspruch hersagen. Da ist dann sein Leben und Wandel, ja sein tägliches Amt nichts anders als trinken und trinken machen, saufen und zu saufen zwingen, eine Gasse auf, die andere ab; und wenn es zu herrschaftlichen Geschäften, Verrichtungen und Rathschlägen kommt, dann ist er so still wie eine Maus, wenn sie die Katze merkt. Fragt man ihn französisch, so antwortet er, damit er nicht ganz stillschweige ›oui‹, obschon er es nicht versteht; fragt man ihn lateinisch, so versteht er es ohnehin nicht; fragt man deutsch, so mag er nicht antworten, weil die Mode, die Reputation und die unadlige Einbildung dem Adel nicht erlaubt, daß er gut deutsch rede. Und gleichwohl, wenn ein solcher, der mit den gröbsten lotterbübischen Zoten, mit Rülpsen und Kotzen aufgezogen ist, ankäme, würde er bei Fürsten und Herren einem andern rechtschaffenen Manne, der sich wegen solcher Sünden vor Gott fürchtete, vorgezogen werden: und das ist nicht mehr eine alte Gewohnheit, sondern es ist zum ewigwährenden Wesen geworden; darum geht es auch so gut auf Erden.

O ihr Fürsten und Herren! O ihr Fürsten und Herren, die ihr euch der alten deutschen Frömmigkeit und Tugenden schämet und die Ohren nach welschen Untugenden jucken lasset! Warum folgt ihr nicht euren christlichen Räthen und liebt, ehrt und fördert Künste und Tugenden, die doch bei den Türken und Heiden geliebt, geehrt und gefördert werden, bei denen es heißt:

Wie das Alter kommt von Jugend,
So kommt Adel von der Tugend.

Wie alberne Menschen seid ihr, die ihr meint, eure Lande ohne Tugend in Ruhestand und Frieden zu bringen und zu erhalten! Nun, wollt ihr euren frommen, redlichen deutschen Räthen nicht folgen noch sie hören, so müsset ihr doch mich hören: denn wer die Wahrheit zu seiner Besserung nicht von Gott anhören will, dem muß der Teufel zu seinem Untergang die Predigt halten, wenn er sich nicht bekehrt und Buße thut.

Bei den alten Turnierhändeln war besonders dies des wahren Adels Zeichen: Witwen und Waisen zu schützen und Jungfrauen in der Noth zu retten und zu beschirmen. Von euch Junkerleins heutiges Tages sind eurer viele so kühn, daß, wenn ihr eines armen Bauern wohlerzogene Tochter wo nicht mit List so mit Gewalt zu Unehren und zu Falle gebracht, und man euch allemal in die Schranken forderte, wie Turniers Brauch ist, wahrlich wenig Spieße mehr gebrochen würden. Ich will gern davon schweigen, wie wenig eurer viele heutiges Tages sich scheuen, ihr hochbetheuertes Versprechen durch Abläugnung ihrer eigenen Worte zunichte zu machen, so daß es nunmehr bei den Deutschen zum Sprichwort geworden ist: verheißen ist edelmännisch, halten ist bäuerisch.

Euer Hochmuth und Stolz ist nicht zu ergründen; ein Mann sei so ehrlich und tapfer, als er immer wolle; in Diensten und Aemtern so erfahren, so angesehen, so beliebt, als es möglich sein kann; ihr schlagt doch den Muff über ihn und achtet ihn eures Gesprächs nicht würdig, weil er ein Pfeffersack oder Schurke sei, als ob das Blut eines Ehrenmannes nicht so roth wäre als dessen, der von Adel geboren ist, oder als ob ihr eurer Mutter aus den Brüsten und nicht daher kommt, woher die andern, oder um recht bäuerisch zu reden, wie der alte Bauer Marius zu Rom: als ob euer Dreck Butter und eure Winde Bisam wären; ja, als ob ihr aus einem besseren Teige gebacken wäret als der wüsteste, stinkende Tropf und Stallknecht auf Erden.

Geschieht's, daß einer sich etwa in den Krieg, des Adels Schule, begiebt und zu einem Amt gelangt: – o wie viele sind derer, welche auf unritterliche Thaten sinnen und nicht bedenken, daß der Soldat den Namen trägt, um für Sold eine That zu thun; sondern sie gehen aus auf Rauben, Stehlen, Straßenfegen, Erbeuten bis auf die dünnen Biere und Kleie, auf Bauern- und Bürgerplündern und andere lose Stücke; z. B. wie sie den Soldaten den sauerverdienten Lohn vorenthalten, wie sie die Fürsten mit Passe-volants, mit Lichtergeld, Luntengeld, Werkgeld, Heugeld, Strohgeld, Ackergeld, mit ewighöllischem Pein-, Rauch- und Flammengeld – die armen Unterthanen mit Commis- und Diebsgriffen und Proviantforderungen aussäckeln können. Daher denn der nackte verhungerte Landsknecht sein Leben aus dem Stegreif zu fristen und dem armen Bauersmann das Blut aus den Nägeln zu saugen und noch viel gröbere Stücke zu treiben veranlaßt wird, daß sich Gott erbarme. Sie alle muß der Herr Oberaufseher controlliren, aber – wie streng er sich auch gegen einlaufende Klagen stellt – er darf die Verbrecher nimmermehr zu schuldiger Strafe heranziehen, weil er es selbst nicht besser macht. Wie will man hoffen redliche Soldaten zu bekommen, wenn Hauptleute und Commissarien selbst Diebe sind! Wenn es nun zum Treffen kommt, dann ziehen sie, wie rechte Lieutenants, hinter dem Volke her oder machen sich gar unsichtbar und verkriechen sich hinter Bäume und Mauern, während doch

Freie Kunst und gut Gemüth

Ist des Adels best Geblüt.

Oder wenn es noch redlich hergeht, dann trinken sie sich nicht nur einen Rausch, damit sie etwas Muth kriegen, sondern saufen sich ganz voll, damit sie ohne Sinn und Verstand seien, nichts fühlen und empfinden, aber auch nicht wissen, wie sie die Dinge, die ihnen plötzlich begegnen, angreifen sollen. Doch in Gesellschaften reden sie von nichts als von Schrammen und Schlachten und Metzeleien; damit sie für Helden gehalten werden, machen sie sich selbst mit dem Messer einen Schnitt in den Hut, einen Ritz in die Stirn oder schießen durch das Koller, und hernach lassen sie es als Zeichen ihrer Mannheit aufweisen und ausrufen, auf daß sie ihrer Meinung nach geehrt und gefürchtet werden. Ja, wie viel ehrliebender Leute Kinder müssen im Spital, auf der Straße, in der Scheuer, oder gar auf der Schildwache verhungern, erfrieren, sterben, an Leib und Seele verderben oder zu Straßenräubern und Mördern werden, nur allein aus dem Grunde, weil ihnen ihre Hauptleute die gebührende Schuldigkeit mit List oder Gewalt abzwacken, vorenthalten und abstehlen." Dieser Teufel, dachte ich bei mir, muß eine gute Hebamme gehabt haben, weil ihm die Zunge so gut gelöst ist; und ich glaube, wenn er von seinen Genossen nicht anderweitig wäre gerufen worden, er hätte sein Gespräch noch mit vielen anderen bekannten edlen Meisterstücken zieren können. Aber er mußte fort. Der Junker aber, welcher in Sorgen stand, es möchte ihm wie dem vorigen ergehen, sprach zu einem andern Teufel, der dabei stand: es sei zwar an dem, daß dergleichen unter den heutigen Edelleuten sehr im Schwange gehe; doch um eines bösen Buben, eines stolzen Narren willen sei der gesammte Adel nicht zu schelten: denn er für seine Person wüßte sich von all solchen Verbrechen ganz frei. "Herr Junker! sprach derselbe Teufel: es ist nicht möglich, daß der, welcher ein besseres Leben geführt hätte, nach seinem Tode hierher kommen sollte wie du. Ergo kannst du dir die Rechnung unschwer selbst machen. Und weil du meinst, du seiest engelrein – wohlan! wir wollen dem übrigen Adel zum Besten einen Spiritus Tartari aus deinen Werken extrahiren, um ihnen damit gegen den bösen schleimigen Magen zu helfen oder sie mit deiner Quintessenz zu laben. Damit du uns auch nicht etwa der Unhöflichkeit und Grobheit bezichtigen könnest, so sollst du von uns als Cavalier, nicht als Pfeffersack, sondern recht edelmännisch behandelt werden;" und unversehens war ein Teufel zur Stelle, gesattelt und gezäumt wie ein großer Reithengst; der andere nicht unbehende, als Herr Stallmeister, griff mit der Linken an die Bügel, mit der andern hob er sich in den Sattel und mit dem Junker davon über alle Teufel hinweg, daß ich ihn nicht mehr sehen konnte.

Ich fragte, in welches Land er reiten müsse? "Nicht weit, nicht weit, sprach ein anderer Teufel, der da stand: was hier geschehen ist, ist nur um den Anstand zu beobachten; denn den edlen Cavalieren sind wir billiger Weise bereitwilliger zu Diensten als andern gemeinen Leuten, die uns eben auch nicht alles nach Gefallen thun wie der Adel. Sieh nur beiseits!"

Und wahrlich! ich sah den armen Junker in einem glühenden Ofen liegen mit allen Stiftern und Urhebern des Adels wie: Kain, Cham, Nimrod, Esau, Kambyses, Romulus, Tarquinius, Nero, Caligula, Domitianus, Heliogabalus und andern unzähligen Helden. Insonderheit waren viele mir bekannte darunter, welche bei dem jetzigen böhmischen Unwesen bisher ihren Adel durch Feuer, Schwert und Strang, durch Rauben und Blutvergießen, durch Tyrannei und Laster, nicht aber durch Tapferkeit und Tugend entweder von neuem erlangt oder doch erhöht hatten. Ich sah sie mit Verwunderung an; sie aber schlugen die Augen unter sich vor Scham, daß sie aus so gewaltigen Hansen und Weltbezwingern so grausame Höllenbrände geworden waren.

Während ich dies alles betrachtete, trat gegenüber ein anderer Geist mit einem großen pergamentenen Brief auf, von dem er ein Urtheil ablas. Meines Wissens sind dies die Worte gewesen:

Edel kommt von eitel her,
Aber nicht von Adel, und Adel
Heißet soviel als Un-Tadel;
Das ist selten edel mehr.
Edelleut' und Edelfrauen
Thun meist nach der Eitelkeit,
Nach des Fleisches Ueppigkeit,
Nicht nach Ehr' und Tugend schauen.
Wenig sind da ohne Tadel,
Drum sind wenig recht von Adel.

Also, also geht es heut:
Prahlen, Pochen, Fressen, Saufen,
Nach dem Geiz und Wucher laufen;
So sind unsre Edelleut'.
Sauer sehen und braviren,
Raub und Reputation
Sind des Adels Ehrenkron';
Bauern schinden, tribuliren.
Wenig sind da ohne Tadel, Drum sind wenig recht von Adel.

Adels Sitt' ist Freundlichkeit,
Gern ansprechen, Bauern lieben,
Sich in Kunst und Tugend üben;
Alte Treu und Redlichkeit
Muß da sein vor allen Dingen;
Adel ist nicht aus dem Blut,
Nicht aus Zins und großem Gut,
Nicht mit Fluchen zu erzwingen.
Wenig sind da ohne Tadel,
Drum sind wenig recht von Adel.

Bergskofsky und seine Rott'
(Die den Adel heut erworben
Drum manch redlich Mann verdorben),
Sind des wahren Adels Spott:
Tugend muß den Adel zieren,
Adel ist der Tugend Lohn,
Tugend ist des Adels Kron'.
Da hilft wahrlich kein Erfrieren:
Denn wer nicht ist ohne Tadel,
Der ist auch nicht recht von Adel.

Drum in deiner Jugend
Streb' nach Ehr' und Tugend,
Und leb' ohne Tadel:
So wirst du von Adel.

Nun weiß ich zwar sehr wohl, dachte ich im Weitergehen (denn es wollte mir an dem Orte zu heiß werden), daß der Teufel ein Lügner ist von Anbeginn; aber ich habe nun aus diesem Gespräch gemerkt, daß er auch die Wahrheit sagen kann; und ich wollte lieber den Adel nicht noch einmal geschenkt nehmen, als daß ich sein Gespräch nicht gehört und die vielen Beispiele nicht erfahren hätte."

Wunderliche und warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald, das ist Straff-Schrifften Hanß-Michael Moscherosch von Wilstädt. In welchen Aller Weltwesen, Aller Mänschen Händel . als in einem Spiegel dargestellet und gesehen werden. Von Ihme zum letztern mahl auffgelegt, vermehret, gebessert, mit Bildnussen gezieret, und . in Truck gegeben. 2 Tle. in 1 Band. Straßburg, J. Ph. Mülbe u. J. Städel 1650. 8°. 23 Bll., 709 S., 12 Bll.; 7 Bll., 931 (recte 911) S., mit 2 gest. Titeln, 7 (st. 8) Kupfertafeln, 2 Poträt-Kupfertafeln, 1 (ganzs.) Textkupfer u. 25 (1 ganzs.) Textholzschnitten, Prgt. d. Zt., in der sprachlich erneuerten Fassung von Karl Müller 1883

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 06.02.2022

    
   Arbeitsanregungen:
  1. Geben Sie den Inhalt des Textes in einer knappen Inhaltsangabe wieder.
  2. Was wird den Adeligen vorgeworfen?
  3. In welcher Lage findet der Ich-Erzähler Philander sie in der Hölle vor?
  4. Welches Bewusstsein haben die Verdammten selbst von ihrer Lage? Was spiegeln die Unterschiede zwischen dem Amtsadel und dem Geburtsadel wider?
  5. Interpretieren Sie das Lied, mit dem der Teufel das Urteil über die Adeligen spricht.
  6. Mit welchen Zielen formuliert Moscherosch hier seine Kritik an der ständischen Gesellschaft?
 
 
 

 
ARBEITSTECHNIKEN und mehr
Arbeits- und Zeitmanagement Kreative Arbeitstechniken Teamarbeit ▪ Portfolio ● Arbeit mit Bildern  Arbeit mit Texten Arbeit mit Film und VideoMündliche Kommunikation Visualisieren PräsentationArbeitstechniken für das Internet Sonstige digitale Arbeitstechniken 

 
  Creative Commons Lizenzvertrag Dieses Werk ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International License (CC-BY-SA)
Dies gilt für alle Inhalte, sofern sie nicht von
externen Quellen eingebunden werden oder anderweitig gekennzeichnet sind. Autor: Gert Egle/www.teachsam.de
-
CC-Lizenz