Thomas Mann
nutzt zur Darstellung der erzählten Welt in den »Buddenbrooks«
ein Erzählverfahren, das als
komparativisches
Erzählen bezeichnet wird. Diese Erzähltechnik lässt sich besonders
gut bei der Figurengestaltung in den Buddenbrooks (Beispiel
1) erkennen.
Dabei geht es um den im Untertitel des Romans "Verfall einer
Familie" bezeichneten Vorgang, der sich über mehrere Generationen
hinzieht. Der Untertitel zum Roman bezeichnet daher keinen "Zustand, sondern einen Prozess [...], einen sich immer
stärker beschleunigenden Vorgang als Absturz in das Ende und in den Tod" (Koopmann
1995, S.66).
Bei der Darstellung dieses Prozesses hat die komparativische
Erzähltechnik besonderes Gewicht, denn "dieses komparativische Erzählverfahren schafft jenen Bezugsraum, in dem alles aufeinander zugeordnet ist." (vgl.
Koopmann 1995, S.67)
Im Unterschied zur bloßen
Konstrastierung werden bei diesem Verfahren bestimmte Elemente der erzählten Welt
"vom Erzähler selbst in eine Beziehung zueinander gesetzt, und erst diese schafft nicht nur den Bedeutungszusammenhang
innerhalb des ganzen Romans, sondern bringt auch die nötige Bewegung in den Erzählfluss, um den Verfall einer Familie als
Prozess zu charakterisieren." (Koopmann
1995, S.67f.)
Komparativisches
Erzählen wird in den »Buddenbrooks«
von Thomas Mann vor allem bei der
Figurengestaltung
und dabei besonders bei der
Charakterisierung
verschiedener Generationen der Buddenbrooks sichtbar.
Im Vergleich von
Monsieur Johann
Buddenbrook, dem älteren, und Jean Buddenbrook, dem Konsul,
wird das Prinzip dieser Erzähltechnik sichtbar. Dabei gilt es zu
beachten, dass die Bedeutung Johann Buddenbrooks, dem im gesamten Roman ja nur eine untergeordnete Rolle zukommt, ist unter dem
Aspekt komparativischen Erzählens besonders groß ist . Denn er "ist die Figur, an der alle nachfolgenden Gestalten der Familie
gemessen werden. In ihm erreicht die Familie den Scheitelpunkt ihres Aufstiegs."
(Keller 1988, S.173)
Die
Untersuchung der Komparativik
bei der Figurengestaltung von Johann B. sen. und Jean Buddenbrook, dem
Konsul, liefert hier die nötigen Gesichtspunkte.
Ganz allgemein kann im Zusammenhang mit der komparativischen
Figurengestaltung festgehalten werden:
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"Das eine Porträt erhält seine Glaubwürdigkeit durch das danebengehaltene Porträt des
anderen" und erlangt damit "Plastizität und
Individualität" (Koopmann
1995, S.67)
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Vogt betont dagegen die eher typisierende Wirkung dieser Charakterisierungen, die so angelegt seien, "dass sie
Familienähnlichkeit einerseits, Generationsunterschiede andererseits herausstellen"
(Vogt 1995, S.16)
Die komparativischen Bezüge der Figuren zueinander reichen dabei
auch über
mehrere Generationen hinweg. So, wenn Johann Buddenbrook senior kurz
vor seinem Tod die Bilder seines Lebens mit dem Ausdruck
"kurios" bezeichnet (vgl.S.71,
Textauszug) und damit im Ansatz die
Reflexionen seines Enkels Thomas im Rahmen des sogenannten
Schopenhauer-Erlebnisses (vgl.S.658) vorwegnimmt (vgl.
Ernst
Keller 1988, S.174)
Darüber hinaus erweisen sich die komparativischen Bezüge der
Familiengeschichten der Buddenbrooks, Ratenkamps und Hagenströms
zueinander als besonders eindrücklich.
Das
komparativische
Erzählen wird in den »Buddenbrooks«
von
Thomas
Mann bei der Charakterisierung von Johann Buddenbrook sen. und Jean
Buddenbrook, dem Konsul sichtbar.
Johann Buddenbrook der Ältere |
Jean Buddenbrook, der Konsul |
"Sein rundes, rosig überhauchtes und wohlmeinendes Gesicht [...] wurde von einem schneeweiß gepuderten Haar eingerahmt
[...]. Er war, mit seinen siebenzig Jahren, der Mode seiner Jugend nicht untreu geworden; [...] niemals im Leben hatte
er lange
Beinkleider getragen. Sein Kinn ruhte breit, doppelt und mit einem Ausdruck von Behaglichkeit auf dem weißen
Spitzen-Jabot."
(I, S.8) |
Der Konsul "trug einen zimmetfarbenen Rock mit breiten Aufschlägen und keulenförmigen Ärmeln, die sich erst unterhalb des
Gelenks um die Hand schlossen. Seine anschließenden Beinkleider bestanden aus einem weißen, waschbaren Stoff und waren
an den Außenseiten mit schwarzen Streifen versehen. Um die steifen Vatermörder, in die sich sein Kinn schmiegte, war die
seidene Krawatte geschlungen [...]. Er hatte die ein wenig tiefliegenden, blauen, aufmerksamen Augen seines Vaters, wenn ihr
Ausdruck auch vielleicht träumerischer war; aber seine Gesichtszüge waren ernster und schärfer, und seine Nase sprang stark
hervor, und die Wangen, bis zu deren Mitte blonde, lockige Bartstreifen liefen, waren viel weniger voll, als die des Alten." (I,
S.9) |
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hält trotz seines Alters an der Mode seiner Jugend fest
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strahlt Lebensbehaglichkeit aus
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vertritt Werte der Aufklärung (Vernunftglaube, Toleranz)
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Komparativik erkennbar am Vergleich von Aussehen und Habitus des Sohnes mit denen des Vaters
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