In der
literaturwissenschaftlichen Sekundärliteratur zu •
Thomas
Manns Roman • »Buddenbrooks«
herrscht weitgehend Einigkeit über die Rolle und Funktion •
Johann Buddenbrooks, sen. (1765 - 1842).
Hervorgehoben wird
im Zusammenhang mit der • komparativen
Erzähltechnik Thomas Manns immer wieder die Tatsache, dass an
seiner Figur , in deren Lebenszeit die "Familie den Scheitelpunkt
ihres Aufstiegs" erreicht, "alle nachfolgenden Gestalten der Familie
gemessen werden" (Keller
1988, S.173) Die komparativischen Bezüge der Figuren, die auch über
mehrere Generationen hinweg und über die Familie der Buddenbrooks
hinaus entfaltet werden, führt dazu, dass Figuren "Plastizität und
Individualität" (Koopmann
1995, S.67) dadurch erlangen, dass "das eine Porträt (...) seine
Glaubwürdigkeit durch das danebengehaltene Porträt des anderen
(erhält)" und damit "auf der Ebene der Figurenbeziehungen »im
Porträt des Sohnes« [...] stets auch »zugleich das des Vaters
mit anwesend« (Koopmann 1975,12)" ist.
(Blödorn/Zilles 2018, S.85)
Auf diese Weise
macht der über vier Generationen dargestellte "Verfall einer Familie"
zweierlei deutlich: "Das Bild des bürgerlichen Kaufmanns wird
demontiert und entwertet: War Johann Buddenbrook d. Ä. auf
selbstverständliche und naive Art Kaufmann, so ist es sein Sohn Jean
willig, aber er reflektiert über die Moral seines Berufes aus
wirtschaftlichen Gründen. Thomas Buddenbrooks Dasein kommt dem eines
»Schauspielers« (677) gleich; er vollzieht eine erzwungene
Anpassung, zu der sein Sohn Hanno nicht mehr in der Lage ist und
sich den an ihn gestellten Forderungen als Stammhalter der Firma in
spe entzieht [...]
Die Veränderung
Auffassung des Kaufmannberufs korreliert zugleich zu jener
Verfallsgeschichte, die sich mit der sich wandelnden Haltung der
Generationen zum Leben abzeichnet: Die Unbekümmertheit der ersten
beiden Generationen wird mit der reflektorisch eingefärbten und
religiös überhöhten Lebensauffassung Jeans und der mühsam
aufrechterhaltenen 'Maske' Thomas Buddenbrooks kontrastiert und und
mündet in der vierten Generation in der Selbstaufgabe." (Zilles
2018, S.83)
Das komparativische
Erzählen trägt auch dazu bei, dass die Figur •
Johann Buddenbrooks, sen. nicht
als •
Typus zu verstehen ist, sondern im Beziehungsgefüge der
Figurenbeziehungen als individueller •
Charakter
•
konzipiert
ist.
Schon
seine äußere Erscheinung mit seinem Festhalten an einem
Kleidungsstil (gepuderte Perücke, Jabot und den Kniebundhosen/Culottes), der längst aus der
Mode gekommen ist, steht im Eingangskapitel im Kontrast zu dem, wie
sich
sein Sohn, der Konsul •
Johann Buddenbrook (ca. 1800 - 1855)
zu kleiden
pflegt.
Was der ältere Buddenbrook trägt, gehört zu einer Zeit, in der
das Großbürgertum aufgrund des von ihm erreichten Wohlstandes den
Lebensstil der immer noch privilegierten Adeligen imitierte, um auf
diese Weise seine wachsende gesellschaftliche und politische
Bedeutung zu signalisieren. •
Johann Buddenbrooks, sen. ist
damit Repräsentant eines großbürgerlichen »Patriziats,
das sich seit dem 17. Jahrhundert, vor allem in den
Reichs- und Hansestädten, aus führenden Familien der Kaufmannschaft
als neuere Oberschicht herausgebildet hatte. Wer dazu zählte,
strebte zwar in der Regel nicht mehr wie die Patrizier vergangener
Tage danach, Grundherrschaften und Adelstitel zu erwerben, betonte
aber die eigenen bürgerlichen Werte, allen voran das kaufmännische
Leistungsdenken. Zudem zeigte man gewöhnlich (noch) eine gewisse
Zurückhaltung bei der öffentlichen Zurschaustellung des erworbenen
Reichtums, um sich so von der adeligen Prasserei und der auch über
den Luxus definierten aristokratischen Machtrepräsentation
abzusetzen. Trotzdem verstanden sich auch die großbürgerlichen
Patrizier mit ihren Familien, die gelegentlich auch als "Bürgeradel"
bezeichnet werden, als gesellschaftliche Elite, die ein
eigenes Standesbewusstsein entwickelten, das sich von dem der
älteren, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen,
aristokratischen Patrizier, die einen "quasi-adeligen Geburtsstand"
gebildet hatten, "der sich gegenüber den Machtansprüchen der
Handwerkerzünfte abschottete" (Gestrich
2003, S.434), kaum unterschied.
Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts, im Roman etwa der Übergang von
der ersten zur zweiten Generation der Buddenbrooks, wurde diese
bürgerliche Führungsschicht am Zuge von Revolutionen und
Industrialisierung in ihren lokalen Wirkungskreisen häufig durch
neue Wirtschaftseliten abgelöst, denen wie auch •
Johann Buddenbrooks, sen.
bei seinen kritischen Äußerungen über die so genannten
"praktischen Ideale" und den heraufziehenden gesellschaftlichen und
ökonomischen Wandel anmerkt, offenbar die neue Zeit gehörte. In
diese passt weder Vorliebe für die barocke Gartenkultur, die sich
die Natur auf alle erdenkliche Art und Weise in geometrische Formen
zurechtzuschneiden pflegt, sein Flötenspiel mit dem im Rokoko
bevorzugten Instrument (alle anderen Buddenbrooks sind
"unmusikalisch" (S.86/S.49)), seine Vorliebe für französische
Redewendungen sowie seine frankophile, unkritische Sicht auf den
gescheiterten Machtmenschen Napoleon Bonaparte, dem, weil er ihn
einmal in Paris aus der Ferne zu sehen bekommt, seine ganze
Bewunderung entgegenbringt, ohne diese Einstellung im mindesten zu
reflektieren.
In der Firmengeschichte, in der er im Rahmen der erzählten Zeit des
Romans dargestellt wird, hat sich der Seniorchef der
Firma Buddenbrook mit seinen etwa 70 Jahren offenbar vom operativen
Tagesgeschäft schon weitgehend zurückgezogen, das inzwischen sein
gleichnamiger Sohn, der Konsul •
Johann Buddenbrook, der Jüngere, (ca. 1800 - 1855)
leitet. Das Unternehmen floriert und mit dem Kauf des 1682
erbauten, weitläufigen Hauses (S.21/10) - das Haus ist im Roman das
strukturierende "zentrale Symbol (Vogt
1995, S.26) - mit Vorder- und Hinterhaus und seinen
Repräsentationsräumen im 1. Stockwerk hat die Familie ihren
gesellschaftlichen Aufstieg nach außen sichtbar vollzogen. Als
Sohn des Firmengründers war der Seniorchef früher in der näheren
europäischen Umgebung unterwegs gewesen, mutmaßlich in Geschäften herumgekommen
und hatte 1813 offenbar noch eigenhändig ein vierspänniges Fuhrwerk
auf einer Geschäftsreise nach Süddeutschland gelenkt, wo er Getreide
aufkaufte, um es es an das preußische Heer zu liefern (S.12/4),
dessen König »Friedrich
Wilhelm III. (1770-1840) sich in den »Befreiungskriegen
gegen Napoleon 1813-15 der antifranzösischen Koalition
angeschlossen hatte. Seine frankophile Einstellung sowie seine
Bewunderung für Napoleon hinderte ihn jedenfalls nicht, einträgliche
Geschäfte mit dessen Gegnern zu machen und dazu auch in
Süddeutschland, womöglich im Gebiet des mit Napoleon in einem
Militärbündnis stehenden »Rheinbunds,
Getreide für die preußische Armee zu kaufen und nach Preußen zu
liefern. Die sorgfältige Trennung von Geschäft und Politik war somit
eine der Maximen seines geschäftlichen Handelns, das stets die
Interessen der Firma allem anderen voranstellte. Ihn als
"energischen und optimistischen Unternehmer" (Müller
2010, S.57f.) oder "als Geschäftsmann mit festen und
nüchternen Grundsätzen" (Müller
1988, S.28) zu bezeichnen, geht jedenfalls an seinem
Geschäftsgebaren und seinen Motiven vorbei und auch "Tatsachensinn"
(Keller
1988, S.173) daraus abzuleiten, kann die widersprüchlichen
Geschäftsinteressen des Kriegsgewinnlers nicht grundsätzlich
beschönigen. So wird man in ihm eher einen "frühkapitalistischen 'merchant
adventurer'" (Vogt
1995, S.41) sehen können, dessen geschäftliches Handeln nur auf den
ersten Blick und im Interesse eines möglichst klar zu
konstruierenden Figurenkontrasts als "selbstverständliche und naive
Art Kaufmann" (Zilles
2018, S.83) zu sein verstanden und als "Unbefangenheit und
Unbekümmertheit"
(Blödorn/Zilles 2018, S.84) interpretiert werden kann.
Seine weltanschaulichen Überzeugungen sind, wie der Erzähler
konstatiert, zwar von der Aufklärung geprägt, und dabei vor allem durch
sein distanziertes Verhältnis zur Religion (Müller
1988, S.28) und die Ablehnung von metaphysischen Erklärungen von
Naturphänomenen. Seine Haltung aber, wie der Erzähler
ironisch anmerkt, "bei Gott nicht alles für
verurteilenswürdig" (Hervorh. d. Verf.) zu halten, "was außerhalb
der Tore seiner giebeligen Vaterstadt lag" (S.12/4), ist weniger
von der Toleranzidee der Aufklärung geprägt als von seinem "gesunden
Menschenverstand". Dieser reicht aus, dass er, als Tony eine
Stelle aus dem Katechismus auswendig aufsagt, die Gelegenheit nutzt,
um "sich über den Katechismus moquieren zu können." (S.8/1) und
sich im
familiären Kreis immer wieder, offenbar sehr zum Unbehagen seines
Sohnes, häufiger "über das Heiligste" (S.10/2) lustig macht. Wenn er
der jüngeren Generation dazu vorwirft, "den Kopf voll christlicher
und phantastischer Flausen ... und ... Idealismus" (S.46/25) zu
haben, zeigt er zudem, dass in seinem Weltbild "die protestantische
Ethik die ökonomisch notwendigen Praktiken des Kapitalismus dem
frommen Kaufmann oder Unternehmer als Christenpflichten subjektiv
annehmbar und verbindlich macht, sie moralisch legitimiert - und ihn
damit zugleich für die kapitalistische Praxis motiviert" (Vogt
1995, S.41), keinen Platz hat. Der Leitsatz protestantischer Ethik »Dominus providebit«,
der über dem Buddenbrookschen Portal prangt, hat für ihn jedenfalls
kaum Bedeutung und so bleibt er "blind gegen die produktive Funktion
der frommen Geschäftsgesinnung." (ebd.)
Am Ende verwundert es daher auch nicht, dass seine Reflexion über
das eigene Leben anlässlich des Todes seiner Ehefrau •
Antoinette Buddenbrook, geb.
Duchamps (? - 1842),
geradezu "ideologiefrei" daherkommt und ihn
"mit einem leisten Kopfschütteln
auf sein Leben und das Leben im Allgemeinen, das ihm plötzlich so
fern und wunderlich erschien" (S.70/39), zurücksehen sehen lässt und
ihm das ganze Welttheater und der Welten Lauf bloß noch "kurios"
vorkommen. (•
Johann Buddenbrooks Gedanken
über Leben und Tod analysieren)
Über die religiöse Toleranz hinaus, die er aber aus einer
spöttischen Haltung heraus und damit auch mit einer gewissen
Herablassung denen gegenüber, die sich wie sein
protestantischer Sohn als religiös verstehen, praktiziert, zeigt er
eben bestenfalls eine Art "praktische(r) und angewandte(r) Toleranz"
(Koopmann
1995, S.53), die aber in seinem sonstigen sozialen Handeln nicht
zur Maßgabe für eine allgemeine Duldung anders Denkender wird. So
charakterisiert ihn auch der Erzähler als eine Person, die "in
gesellschaftlicher Beziehung" im Vergleich mit seinem Sohn, dazu
neigt "strenge Grenzen zu ziehen und Fremden ablehnend
zu begegnen" (S.12/4). Dies bekommt die "Preußin" (S.13/4)
im familiären Umfeld
Ida Jungmann zu spüren, die von seinem Sohn und dessen Frau als Erzieherin
ihrer Kinder engagiert worden ist. Sie teilt mit ihren
"aristokratischen Grundsätzen" (S.12/4) zwar seine Vorstellungen
gesellschaftlicher Konventionen durchaus, wird aber von ihm mit ihrer "fremdartige(n)
Aussprache" (S.13/4) nicht wirklich akzeptiert.
Im Jahr 1835, mit dem die
erzählte Zeit des Romans einsetzt, lebt
der ältere Johann Buddenbrook mit seiner zweiten Frau •
Antoinette Buddenbrook, geb.
Duchamps (? - 1842) schon seit 1799 zusammen. Sie stammt aus
einer "einer reichen und hoch
angesehenen Hamburger Familie" (S.55/30) und ist Mutter ihrer beiden
Kinder, •
Johann Buddenbrook (geb. ca. 1800) und
der Tochter Olly ("Die in Frankfurt"), die in der
Romanhandlung aber nur rudimentär Erwähnung findet ("Die in
Frankfurt"). Die Eheschließung der beiden ist nicht das Ergebnis
einer romantischen Liebe, sondern erfolgt
aus gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Überlegungen
(vgl. S.54/29). So wundert es auch nicht, dass die Vernunftehe der
beiden von ihm im Rückblick emotionslos nüchtern betrachtet wird,
wenn er über die Frau, mit der 43 Jahre verheiratet gewesen ist,
urteilt, sie habe "ihm niemals ein großes Glück, niemals einen
großen Schmerz" (S.70/39) bereitet.
Und auch
ihr Sohn, der Konsul, betont später anerkennend, dass seine Eltern
ihr Leben lang "respektvoll und aufmerksam [...] nebeneinander"
(S.55/30) gelebt hätten.
Bei seiner ersten Heirat im Jahr 1795 war •
Johann Buddenbrook, sen. mit
seiner ersten Frau Josephine könnte hingegen bei der Wahl der
Tochter eines Bremer Kaufmanns (S.54/29) auch Liebe im Spiel gewesen
sein, jedenfalls lässt eine von ihm geschriebene und der
"Familien-Mappe" (S.57/31) hinzugefügte Notiz, diesen Schluss zu, in
der er das Jahr mit Josefine, die als die glücklichste Zeit seines
Lebens bezeichnet (»L'année la plus heureuse de ma vie«), wobei die
Wahl der französischen Sprache die emotionale Beziehung stilistisch
noch in gewisser Weise überhöht. Einerlei, ob schon bei der
Partnerwahl oder erst im Laufe des einzigen Ehejahres, das die
Eheleute bis zum frühen Tod Josefines miteinander verbringen konnten
erst gewachsen, der Konsul glaubt jedenfalls daran, dass sein Vater
seine erste Frau "in rührender Weise" (S.54/29) geliebt habe.
Josefine verstirbt schon 1796 an den Folgen der Geburt des
gemeinsamen Sohnes
•
Gotthold Buddenbrook (1796 - 1856).
Die Prinzipien nach denen •
Johann Buddenbrook, sen. seine
Ehepartnerinnen wählt, sind ungeachtet der Emotionen, die bei seiner
ersten Frau im Spiel sind, von den sozialstrategischen Überlegungen
bestimmt, die solche Heiraten im gehobenen Bürgertum kennzeichnen.
Sie haben viel mit der Vermögensverteilung in der
Gesellschaft zu tun, denn die zum Teil über Generationen angehäuften
Vermögen wurden immer wieder vererbt und erheiratet. Dabei ist die
Partnerwahl - im Übrigen nicht nur in den früheren Jahrhunderten,
sondern bis heute "ein ganz zentrales Element der Reproduktion von
Strukturen sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Macht über
den Wechsel der Generationen. Besonders in den Oberschichten bietet
die Heirat innerhalb der eigenen sozialen Gruppe die Möglichkeit zur
Akkumulierung von Vermögen und damit zur weiteren Absicherung der
wirtschaftlichen und sozialen Position der Familie auf lokaler,
nationaler oder internationaler Ebene." (Gestrich
2003, S.483) Auch der ältere Johann Buddenbrook handelt in
beiden Fällen so, heiratet selbstverständlich "innerhalb der eigenen
sozialen Gruppe" und schafft sich auf diese Weise "die Möglichkeit
zur Akkumulierung von Vermögen und damit zur weiteren Absicherung
der wirtschaftlichen und sozialen Position der Familie" (Gestrich
2003, S.483) und deren weiterem sozialen Aufstieg. Anders
gesagt: "Eine Partie zu machen gehört zum Geschäft." (Herd
1988, S.220)
Auch wenn die Eheschließung bei den Buddenbrooks offenbar nicht dem
autoritären Modell der arrangierten Ehe folgte, sondern die freie
Partnerwahl zuließ, war der Entscheidungsspielraum der
Heiratskandidaten, wie sich besonders drastisch am Schicksal
•
Gotthold Buddenbrooks (1796 - 1856)
zeigt, doch in der Praxis sozial sehr
eingeschränkt. Seine "Liebeheirat mit Laden" führte ebenso zur
"Verbannung aus der Familie 'im engeren Sinne'" wie "Christians
vermeintliche Liebesheirat mit Aline Puvogel [...] Tony und Erika
ordnen sich der Familientradition unter und bleiben deshalb, auch
wenn ihre Ehen scheitern Mitglieder der engeren Familie und werden
vom Machtzentrum in Lübeck nicht entfernt." (ebd.)
Abgesehen von der ersten Ehe •
Johann Buddenbrooks, sen. gibt
es jedenfalls "nur eine glückliche, auf Liebe basierende Ehe"
(ebd.,
S.227)
bei den Buddenbrooks und das ist die Ehe Gottholds, deren soziale
Folgen aber auch noch deren drei Töchter tragen müssen, die ohne
Mitgift unverheiratet bleiben.
Das liberale Modell der Partnerwahl, dem man zu
folgen hatte, verzichtete zwar in der Regel im Vorfeld auf gezielte
Eingriffe, auch wenn wie am Beispiel Tonys verdeutlicht wird, dass
die Eltern die Pflicht hatten, eine gute Partie für ihre Tochter
auszusuchen. (ebd.,
S.221). Die Partnerwahl war eben kein idealistisch besetztes Terrain, auf
dem strukturelle Elemente wie Standes-, Schicht- oder
Klassenzugehörigkeit, kulturelles Kapital wie Bildung oder
Umgangsformen keine Bedeutung besessen hätten. (vgl.
Gestrich 2003, S.498) Die klaren Erwartungshaltungen auf seiten
der jeweiligen Herkunftsfamilien bestimmten weiterhin die
Partnerwahl, auch wenn sich sie sich nicht mehr in der gleichen Art
und Weise einmischten, wie dies bei den arrangierten Ehen der Fall
war. Auch bei der Eheschließung seines Sohnes •
Johann aus zweiter Ehe hat
der Vater zwar die Fäden gezogen, in dem er diesen "auf die Tochter
des reichen Kröger, die der Firma eine stattliche Mitgift zuführte
aufmerksam gemacht" (S.54/29) hat. Sein Sohn, der seinen eigenen
Angaben zufolge "von Herzen einverstanden gewesen" (ebd.) war,
folgte in den zehn Ehejahren, die er und seine Frau Bethsy, die
•
Konsulin
Elisabeth Buddenbrook, geb. Kröger (ca. 1803 - 1871), bei Beginn des Romans hinter
sich haben, in gewisser Weise
dem vom Vater vorgelebten Modell als verehrter "Gattin" und "als die
ihm von Gott vertraute Gefährtin"
(ebd.). Allerdings überhöht er die Ehe aufgrund
seiner religiösen Überzeugungen, ganz im Sinne des »Dominus
providebit« , in sakraler Weise und ideologisiert seine patriarchalischen
Vorstellungen über das Verhältnis der Geschlechter mit der Betonung
der Gebärfunktion der Frau als "hohe Pflicht des Weibes" (S.55/30).
In jedem Fall bestimmte beide Ehen unter dem Dach des Hauses in der
Mengestraße, trotz der vor allem in der Literatur seit dem
18. Jahrhundert thematisierten romantischen Liebe, das Konzept der
"vernünftigen Liebe" mit einer Partnerwahl, die "gerade im
Bürgertum nicht zu einer Durchbrechung der Schichtspezifik der Ehen"
führte, sondern "die soziale Endogamie" (Gestrich
2003, S.502) zementierte.
Wer gegen diese sozialen Erwartungshaltungen großbürgerlicher
Familien verstieß, musste mit erheblichen Sanktionen rechnen. Das
lässt
•
Johann Buddenbrook, sen.
seinen Sohn aus erster Ehe, •
Gotthold Buddenbrook (1796 - 1856)
spüren. Ihm lastet er mit einer Reihe "wunderlicher
Bemerkungen" (S.55/29), wie sein Sohn beim Studium der
"Familien-Mappe" auffällt,
den Tod der Mutter als "Mord" (S.55/30) an
und scheint ihn von Anfang an "als den ruchlosen Zerstörer seines
Glücks" "ehrlich und bitterlich" (S.55/30) gehasst zu haben. Dass
dieser "skrupellose Eindringling" dazu noch "kräftig und sorglos"
heranwächst, verstärkt und nährt das Trauma, das der Vater durch den
Tod seiner ersten Frau im Kindbett erleidet. Diese Erfahrung ist die
psychische Energie, die ihn zu der gegenüber
•
Gotthold immer wieder
gezeigten Unerbittlichkeit - davon zeugen wohl auch die vom Konsul
in der "Familien-Mappe" gesichteten zahlreichen "traurigen Dokumente
die bösen Briefe Gottholds an seinen Vater" (S.57/31) - verleitet
und die ihn wegen dessen Mesalliance veranlasst, dessen unfolgsames
Verhalten mit erheblichen finanziellen Einbußen zu sanktionieren und
bis zu seinem Tode keine Versöhnung mit dem Sohn zu suchen.
Vorausgegangen war die vom Vater streng verbotene Hochzeit
Gottholds mit "Mamsell Stüwing", die die sozialstrategischen
Überlegungen bei der Partnerwahl, wie sie im Hause Buddenbrook
angestellt werden, ignoriert. Einem derart missratenen Sohn das
Geschäft der Fa. Buddenbrook irgendwann einmal zu überlassen oder
ihn an ihren finanziellen Erträgen teilhaben zu lassen, ist für den
Vater ein Ding der Unmöglichkeit. Als Gotthold gegen den erklärten
Willen des Vaters Desmoiselle Stüwing, die Tochter des Inhabers
einer Leinenhandlung ehelicht, heiratet er in den Augen des Vaters
aus reiner Verliebtheit eben nur einen einfachen "Laden" (S.47/25).
Gönnerisch verzichtet er zwar darauf, ihn deshalb vollständig zu
enterben, gewährt ihm 100.000 Couranttalern als Mitgift zu der von
ihm streng verbotenen Hochzeit mit "Mamsell Stüwing" und der
Aussicht auf die gleiche Summe im Erbfall. Weitere Ansprüche, vor
allem einen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg, den die Firma danach
hat, wehrt er auch gegen die Bedenken seines Sohnes und Teilhabers •
Johann
hingegen rigoros ab. Seine Entscheidung in diesem Fall
entspricht dem Denken aller nachfolgenden Oberhäupter der Familie
Buddenbrook: "Die Interessen der Familie, die immer schwerer
in die Waage fallen als die Wünsche des einzelnen, sind vorwiegend
perkuniäre Interessen. Wenn persönliche oder menschliche Argumente
mit den finanziellen Interessen der Familie im Streit liegen, so
wird der Streit regelmäßig zugunsten der Firma entschieden." (Herd
1988, S.214) Aber: selbst wenn "die Familie auch eine
Versorgungsinstitut für alle Familienmitglieder ist, wie die
vielbeachteten 'Geschäftsbilanzen' immer wieder wieder beweisen" (ebd.),
ließe die Autorität und Macht, die dem Familienoberhaupt bei den
Buddenbrooks zukommt, auch ein anderes Verhalten zu als das
gegenüber seinem Sohn
•
Gotthold
gezeigte, denn dieses ist eben nicht allein, das zeigt auch
seine Ungleichbehandlung mit der Tochter
•
Johann Buddenbrooks, sen. ("Die
in Frankfurt") aus zweiter Ehe, von finanziellen Interessen geprägt,
sondern von seinem nicht verarbeiteten Verlust seiner ersten Frau
Josefine, die er
•
Gotthold
ein Leben lang anlastet. Auf das ihm von den Interpreten immer
wieder zugeschriebene aufklärerische Denken, seine Toleranz oder "Unbefangenheit
und Unbekümmertheit"
(Blödorn/Zilles 2018, S.84) fällt daher von Anfang an ein
großer Schatten.
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Literarische Charakteristik
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Didaktische und methodische Aspekte
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Überblick
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Aspekte der Schreibaufgabe
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Überblick
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Gesellschaft und Charakter
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Merkmale der Schreibform
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Formen
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Arbeitsschritte
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Literarische Charakteristik in einem erzählenden Text
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Quickie für Eilige:
Keine Zeit und trotzdem zum Schreibziel
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Überblick
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Beispiele
(Musterlösungen)
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Bausteine
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Textauswahl
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Die Familiengeschichte der Buddenbrooks
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Genealogischer
Überblick (Stammbaum) der Lübecker Familie Buddenbrooks
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Die literarische Charakteristik einer Figur mit der
Tabellenmethode systematisch erarbeiten
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
14.05.2024