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Aspekte zur Analyse und Interpretation

Literarische Charakteristik und Interpretation

Johann Buddenbrook, sen. (1765 - 1842)

 
FAChbereich Deutsch
Glossar
Literatur Literarische Gattungen Autorinnen und Autoren Thomas ManN (1875-1955) Buddenbrooks  Gesamttext/Rechercheversion Didaktische und methodische Aspekte Überblick Die Familiengeschichte der Buddenbrooks ASPEKTE DER ERZÄHLTEXTANALYSE Überblick Zeitgestaltung Raumgestaltung ErzählverhaltenDarbietungsformen Figurengestaltung ▪ Einzelne figuren Johann Buddenbrook, sen. (1765 - 1842) Überblick [ Aspekte zur Analyse und Interpretation Textanalyse Ebenen der Figurencharakterisierung Literarische Charakteristik und Interpretation ] Bausteine Gotthold Buddenbrook (1796 - 1856) Friederike (1822-?), Henriette (1823-?) und Pfiffi Buddenbrook (1824-?) Antoinette Buddenbrook, geb. Duchamps (? - 1842) Johann Buddenbrook, der Jüngere, Konsul (ca. 1800 - 1855) Konsulin Elisabeth Buddenbrook, geb. Kröger (ca. 1803 - 1871) Thomas Buddenbrook (1826-1875) Antonie Buddenbrook, verh. Grünlich, Permaneder (1827-?) Christian Buddenbrook (1828-?) Clara Buddenbrook (1838-1864) Hanno Buddenbrook (1861-1877) Weitere Figuren Komparativisches ErzählenTextauswahl Bausteine Links ins Internet Schreibformen Operatoren im Fach Deutsch
 

Literarische Charakteristik
Didaktische und methodische Aspekte
Überblick
Aspekte der Schreibaufgabe
Überblick
Gesellschaft und Charakter
Merkmale der Schreibform
Formen

Arbeitsschritte
Literarische Charakteristik in einem erzählenden Text
Quickie für Eilige: Keine Zeit und trotzdem zum Schreibziel
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  Die Familiengeschichte der Buddenbrooks
Genealogischer Überblick (Stammbaum) der Lübecker Familie Buddenbrooks

Die literarische Charakteristik einer Figur mit der Tabellenmethode systematisch erarbeiten

Bei der ▪ schulischen Analyse und Interpretation erzählender Texte müssen verschiedene Aspekte zur literarischen Charakteristik einer Figur herangezogen werden, wie Sie auch dem nebenstehenden Mind Map zu entnehmen sind.

Dabei können zur literarischen Charakteristik und Interpretation von Johann Buddenbrook, sen. (1765 - 1842) in • Thomas Manns Roman •"Buddenbrooks" eine Reihe von Textstellen herangezogen werden, die sich unterschiedlichen Aspekten zuordnen lassen.

In der literaturwissenschaftlichen Sekundärliteratur zu • Thomas Manns Roman • »Buddenbrooks« herrscht weitgehend Einigkeit über die Rolle und Funktion • Johann Buddenbrooks, sen. (1765 - 1842).

Hervorgehoben wird im Zusammenhang mit der • komparativen Erzähltechnik Thomas Manns immer wieder die Tatsache, dass an seiner Figur , in deren Lebenszeit die "Familie den Scheitelpunkt ihres Aufstiegs" erreicht, "alle nachfolgenden Gestalten der Familie gemessen werden" (Keller 1988, S.173) Die komparativischen Bezüge der Figuren, die auch über mehrere Generationen hinweg und über die Familie der Buddenbrooks hinaus entfaltet werden, führt dazu, dass Figuren "Plastizität und Individualität" (Koopmann 1995, S.67) dadurch erlangen, dass "das eine Porträt (...) seine Glaubwürdigkeit durch das danebengehaltene Porträt des anderen (erhält)" und damit  "auf der Ebene der Figurenbeziehungen »im Porträt des Sohnes« [...]  stets auch »zugleich das des Vaters mit anwesend« (Koopmann 1975,12)" ist. (Blödorn/Zilles 2018, S.85)

Auf diese Weise macht der über vier Generationen dargestellte "Verfall einer Familie" zweierlei deutlich: "Das Bild des bürgerlichen Kaufmanns wird demontiert und entwertet: War Johann Buddenbrook d. Ä. auf selbstverständliche und naive Art Kaufmann, so ist es sein Sohn Jean willig, aber er reflektiert über die Moral seines Berufes aus wirtschaftlichen Gründen. Thomas Buddenbrooks Dasein kommt dem eines »Schauspielers« (677) gleich; er vollzieht eine erzwungene Anpassung, zu der sein Sohn Hanno nicht mehr in der Lage ist und sich den an ihn gestellten Forderungen als Stammhalter der Firma in spe entzieht  [...]
Die Veränderung Auffassung des Kaufmannberufs korreliert zugleich zu jener Verfallsgeschichte, die sich mit der sich wandelnden Haltung der Generationen zum Leben abzeichnet: Die Unbekümmertheit der ersten beiden Generationen wird mit der reflektorisch eingefärbten und religiös überhöhten Lebensauffassung Jeans und der mühsam aufrechterhaltenen 'Maske' Thomas Buddenbrooks kontrastiert und und mündet in der vierten Generation in der Selbstaufgabe." (Zilles 2018, S.83)

Das komparativische Erzählen trägt auch dazu bei, dass die Figur • Johann Buddenbrooks, sen. nicht als Typus zu verstehen ist, sondern im Beziehungsgefüge der Figurenbeziehungen als individueller Charakter konzipiert ist.

Schon seine äußere Erscheinung mit seinem Festhalten an einem Kleidungsstil (gepuderte Perücke, Jabot und den Kniebundhosen/Culottes), der längst aus der Mode gekommen ist, steht im Eingangskapitel im Kontrast zu dem, wie sich sein Sohn, der Konsul Johann Buddenbrook (ca. 1800 - 1855) zu kleiden pflegt.

Was der ältere Buddenbrook trägt, gehört zu einer Zeit, in der das Großbürgertum aufgrund des von ihm erreichten Wohlstandes den Lebensstil der immer noch privilegierten Adeligen imitierte, um auf diese Weise seine wachsende gesellschaftliche und politische Bedeutung zu signalisieren. Johann Buddenbrooks, sen. ist damit Repräsentant eines großbürgerlichen »Patriziats, das sich seit dem 17. Jahrhundert, vor allem in den Reichs- und Hansestädten, aus führenden Familien der Kaufmannschaft als neuere Oberschicht herausgebildet hatte. Wer dazu zählte, strebte zwar in der Regel nicht mehr wie die Patrizier vergangener Tage danach, Grundherrschaften und Adelstitel zu erwerben, betonte aber die eigenen bürgerlichen Werte, allen voran das kaufmännische Leistungsdenken. Zudem zeigte man gewöhnlich (noch) eine gewisse Zurückhaltung bei der öffentlichen Zurschaustellung des erworbenen Reichtums, um sich so von der adeligen Prasserei und der auch über den Luxus definierten aristokratischen Machtrepräsentation abzusetzen. Trotzdem verstanden sich auch die großbürgerlichen Patrizier mit ihren Familien, die gelegentlich auch als "Bürgeradel" bezeichnet  werden, als gesellschaftliche Elite, die ein eigenes Standesbewusstsein entwickelten, das sich von dem der älteren, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen, aristokratischen Patrizier, die einen "quasi-adeligen Geburtsstand" gebildet hatten, "der sich gegenüber den Machtansprüchen der Handwerkerzünfte abschottete" (Gestrich 2003, S.434), kaum unterschied.

Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts, im Roman etwa der Übergang von der ersten zur zweiten Generation der Buddenbrooks, wurde diese bürgerliche Führungsschicht am Zuge von Revolutionen und Industrialisierung in ihren lokalen Wirkungskreisen häufig durch neue Wirtschaftseliten abgelöst, denen wie auch • Johann Buddenbrooks, sen. bei seinen kritischen Äußerungen über die so genannten "praktischen Ideale" und den heraufziehenden gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel anmerkt, offenbar die neue Zeit gehörte. In diese passt weder Vorliebe für die barocke Gartenkultur, die sich die Natur auf alle erdenkliche Art und Weise in geometrische Formen zurechtzuschneiden pflegt, sein Flötenspiel mit dem im Rokoko bevorzugten Instrument (alle anderen Buddenbrooks sind "unmusikalisch" (S.86/S.49)), seine Vorliebe für französische Redewendungen sowie seine frankophile, unkritische Sicht auf den gescheiterten Machtmenschen Napoleon Bonaparte, dem, weil er ihn einmal in Paris aus der Ferne zu sehen bekommt, seine ganze Bewunderung entgegenbringt, ohne diese Einstellung im mindesten zu reflektieren.

In der Firmengeschichte, in der er im Rahmen der erzählten Zeit des Romans dargestellt wird, hat sich der Seniorchef der Firma Buddenbrook mit seinen etwa 70 Jahren offenbar vom operativen Tagesgeschäft schon weitgehend zurückgezogen, das inzwischen sein gleichnamiger Sohn, der Konsul Johann Buddenbrook, der Jüngere, (ca. 1800 - 1855) leitet. Das Unternehmen floriert und mit dem Kauf des 1682 erbauten, weitläufigen Hauses (S.21/10) - das Haus ist im Roman das strukturierende "zentrale Symbol (Vogt 1995, S.26) - mit Vorder- und Hinterhaus und seinen Repräsentationsräumen im 1. Stockwerk hat die Familie ihren gesellschaftlichen Aufstieg nach außen sichtbar vollzogen. Als Sohn des Firmengründers war der Seniorchef früher in der näheren europäischen Umgebung unterwegs gewesen, mutmaßlich in Geschäften herumgekommen und hatte 1813 offenbar noch eigenhändig ein vierspänniges Fuhrwerk auf einer Geschäftsreise nach Süddeutschland gelenkt, wo er Getreide aufkaufte, um es es an das preußische Heer zu liefern (S.12/4), dessen König »Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) sich in den »Befreiungskriegen gegen Napoleon 1813-15 der antifranzösischen Koalition angeschlossen hatte. Seine frankophile Einstellung sowie seine Bewunderung für Napoleon hinderte ihn jedenfalls nicht, einträgliche Geschäfte mit dessen Gegnern zu machen und dazu auch in Süddeutschland, womöglich im Gebiet des mit Napoleon in einem Militärbündnis stehenden »Rheinbunds, Getreide für die preußische Armee zu kaufen und nach Preußen zu liefern. Die sorgfältige Trennung von Geschäft und Politik war somit eine der Maximen seines geschäftlichen Handelns, das stets die Interessen der Firma allem anderen voranstellte. Ihn als "energischen und optimistischen Unternehmer" (Müller 2010, S.57f.) oder "als Geschäftsmann mit festen und nüchternen Grundsätzen" (Müller 1988, S.28) zu bezeichnen, geht jedenfalls an seinem Geschäftsgebaren und seinen Motiven vorbei und auch "Tatsachensinn" (Keller 1988, S.173) daraus abzuleiten, kann die widersprüchlichen Geschäftsinteressen des Kriegsgewinnlers nicht grundsätzlich beschönigen. So wird man in ihm eher einen "frühkapitalistischen 'merchant adventurer'" (Vogt 1995, S.41) sehen können, dessen geschäftliches Handeln nur auf den ersten Blick und im Interesse eines möglichst klar zu konstruierenden Figurenkontrasts als "selbstverständliche und naive Art Kaufmann" (Zilles 2018, S.83) zu sein verstanden und als "Unbefangenheit und Unbekümmertheit" (Blödorn/Zilles 2018, S.84) interpretiert werden kann.

Seine weltanschaulichen Überzeugungen sind, wie der Erzähler konstatiert, zwar von der Aufklärung geprägt, und dabei vor allem durch sein distanziertes Verhältnis zur Religion (Müller 1988, S.28) und die Ablehnung von metaphysischen Erklärungen von Naturphänomenen. Seine Haltung aber, wie der Erzähler ironisch anmerkt, "bei Gott nicht alles für verurteilenswürdig" (Hervorh. d. Verf.) zu halten, "was außerhalb der Tore seiner giebeligen Vaterstadt lag" (S.12/4), ist weniger von der Toleranzidee der Aufklärung geprägt als von seinem "gesunden Menschenverstand". Dieser reicht aus, dass er, als Tony eine Stelle aus dem Katechismus auswendig aufsagt, die Gelegenheit nutzt, um "sich über den Katechismus moquieren zu können." (S.8/1) und sich im familiären Kreis immer wieder, offenbar sehr zum Unbehagen seines Sohnes, häufiger "über das Heiligste" (S.10/2) lustig macht. Wenn er der jüngeren Generation dazu vorwirft, "den Kopf voll christlicher und phantastischer Flausen ... und ... Idealismus" (S.46/25) zu haben, zeigt er zudem, dass in seinem Weltbild "die protestantische Ethik die ökonomisch notwendigen Praktiken des Kapitalismus dem frommen Kaufmann oder Unternehmer als Christenpflichten subjektiv annehmbar und verbindlich macht, sie moralisch legitimiert - und ihn damit zugleich für die kapitalistische Praxis motiviert" (Vogt 1995, S.41), keinen Platz hat. Der Leitsatz protestantischer Ethik »Dominus providebit«, der über dem Buddenbrookschen Portal prangt, hat für ihn jedenfalls kaum Bedeutung und so bleibt er "blind gegen die produktive Funktion der frommen Geschäftsgesinnung." (ebd.) Am Ende verwundert es daher auch nicht, dass seine Reflexion über das eigene Leben anlässlich des Todes seiner Ehefrau Antoinette Buddenbrook, geb. Duchamps (? - 1842), geradezu "ideologiefrei" daherkommt und ihn "mit einem leisten Kopfschütteln auf sein Leben und das Leben im Allgemeinen, das ihm plötzlich so fern und wunderlich erschien" (S.70/39), zurücksehen sehen lässt und ihm das ganze Welttheater und der Welten Lauf bloß noch "kurios" vorkommen. (• Johann Buddenbrooks Gedanken über Leben und Tod analysieren)

Über die religiöse Toleranz hinaus, die er aber aus einer spöttischen Haltung heraus und damit auch mit einer gewissen Herablassung denen gegenüber, die sich wie sein protestantischer Sohn als religiös verstehen, praktiziert, zeigt er eben bestenfalls eine Art "praktische(r) und angewandte(r) Toleranz" (Koopmann 1995, S.53), die aber in seinem sonstigen sozialen Handeln nicht zur Maßgabe für eine allgemeine Duldung anders Denkender wird. So charakterisiert ihn auch der Erzähler als eine Person, die "in gesellschaftlicher Beziehung" im Vergleich mit seinem Sohn, dazu neigt "strenge Grenzen zu ziehen und Fremden ablehnend zu begegnen" (S.12/4). Dies bekommt die "Preußin" (S.13/4) im familiären Umfeld Ida Jungmann zu spüren, die von seinem Sohn und dessen Frau als Erzieherin ihrer Kinder engagiert worden ist. Sie teilt mit ihren "aristokratischen Grundsätzen" (S.12/4) zwar seine Vorstellungen gesellschaftlicher Konventionen durchaus, wird aber von ihm mit ihrer "fremdartige(n) Aussprache" (S.13/4) nicht wirklich akzeptiert.

Im Jahr 1835, mit dem die erzählte Zeit des Romans einsetzt, lebt der ältere Johann Buddenbrook mit seiner zweiten Frau Antoinette Buddenbrook, geb. Duchamps (? - 1842) schon seit 1799 zusammen. Sie stammt aus einer  "einer reichen und hoch angesehenen Hamburger Familie" (S.55/30) und ist Mutter ihrer beiden Kinder, Johann Buddenbrook (geb. ca. 1800) und der Tochter Olly ("Die in Frankfurt"), die in der Romanhandlung aber nur rudimentär Erwähnung findet ("Die in Frankfurt"). Die Eheschließung der beiden ist nicht das Ergebnis einer romantischen Liebe, sondern erfolgt aus gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Überlegungen (vgl. S.54/29). So wundert es auch nicht, dass die Vernunftehe der beiden von ihm im Rückblick emotionslos nüchtern betrachtet wird, wenn er über die Frau, mit der 43 Jahre verheiratet gewesen ist, urteilt, sie habe "ihm niemals ein großes Glück, niemals einen großen Schmerz" (S.70/39) bereitet. Und auch ihr Sohn, der Konsul, betont später anerkennend, dass seine Eltern ihr Leben lang "respektvoll und aufmerksam [...] nebeneinander" (S.55/30) gelebt hätten.

Bei seiner ersten Heirat im Jahr 1795 war • Johann Buddenbrook, sen. mit seiner ersten Frau Josephine könnte hingegen bei der Wahl der Tochter eines Bremer Kaufmanns (S.54/29) auch Liebe im Spiel gewesen sein, jedenfalls lässt eine von ihm geschriebene und der "Familien-Mappe" (S.57/31) hinzugefügte Notiz, diesen Schluss zu, in der er das Jahr mit Josefine, die als die glücklichste Zeit seines Lebens bezeichnet (»L'année la plus heureuse de ma vie«), wobei die Wahl der französischen Sprache die emotionale Beziehung stilistisch noch in gewisser Weise überhöht. Einerlei, ob schon bei der Partnerwahl oder erst im Laufe des einzigen Ehejahres, das die Eheleute bis zum frühen Tod Josefines miteinander verbringen konnten erst gewachsen, der Konsul glaubt jedenfalls daran, dass sein Vater seine erste Frau "in rührender Weise" (S.54/29) geliebt habe. Josefine verstirbt schon 1796 an den Folgen der Geburt des gemeinsamen Sohnes Gotthold Buddenbrook (1796 - 1856).

Die Prinzipien nach denen • Johann Buddenbrook, sen. seine Ehepartnerinnen wählt, sind ungeachtet der Emotionen, die bei seiner ersten Frau im Spiel sind, von den sozialstrategischen Überlegungen bestimmt, die solche Heiraten im gehobenen Bürgertum kennzeichnen. Sie haben viel mit der Vermögensverteilung in der Gesellschaft zu tun, denn die zum Teil über Generationen angehäuften Vermögen wurden immer wieder vererbt und erheiratet. Dabei ist die Partnerwahl - im Übrigen nicht nur in den früheren Jahrhunderten, sondern bis heute "ein ganz zentrales Element der Reproduktion von Strukturen sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Macht über den Wechsel der Generationen. Besonders in den Oberschichten bietet die Heirat innerhalb der eigenen sozialen Gruppe die Möglichkeit zur Akkumulierung von Vermögen und damit zur weiteren Absicherung der wirtschaftlichen und sozialen Position der Familie auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene." (Gestrich 2003, S.483) Auch der ältere Johann Buddenbrook handelt in beiden Fällen so, heiratet selbstverständlich "innerhalb der eigenen sozialen Gruppe" und schafft sich auf diese Weise "die Möglichkeit zur Akkumulierung von Vermögen und damit zur weiteren Absicherung der wirtschaftlichen und sozialen Position der Familie" (Gestrich 2003, S.483) und deren weiterem sozialen Aufstieg. Anders gesagt: "Eine Partie zu machen gehört zum Geschäft." (Herd 1988, S.220)

Auch wenn die Eheschließung bei den Buddenbrooks offenbar nicht dem autoritären Modell der arrangierten Ehe folgte, sondern die freie Partnerwahl zuließ, war der Entscheidungsspielraum der Heiratskandidaten, wie sich besonders drastisch am Schicksal Gotthold Buddenbrooks (1796 - 1856)  zeigt, doch in der Praxis sozial sehr eingeschränkt. Seine "Liebeheirat mit Laden" führte ebenso zur "Verbannung aus der Familie 'im engeren Sinne'" wie "Christians vermeintliche Liebesheirat mit Aline Puvogel [...] Tony und Erika ordnen sich der Familientradition unter und bleiben deshalb, auch wenn ihre Ehen scheitern Mitglieder der engeren Familie und werden vom Machtzentrum in Lübeck nicht entfernt." (ebd.) Abgesehen von der ersten Ehe • Johann Buddenbrooks, sen. gibt es jedenfalls "nur eine glückliche, auf Liebe basierende Ehe" (ebd., S.227) bei den Buddenbrooks und das ist die Ehe Gottholds, deren soziale Folgen aber auch noch deren drei Töchter tragen müssen, die ohne Mitgift unverheiratet bleiben.

Das liberale Modell der Partnerwahl, dem man zu folgen hatte, verzichtete zwar in der Regel im Vorfeld auf gezielte Eingriffe, auch wenn wie am Beispiel Tonys verdeutlicht wird, dass die Eltern die Pflicht hatten, eine gute Partie für ihre Tochter auszusuchen. (ebd., S.221). Die Partnerwahl war eben kein idealistisch besetztes Terrain, auf dem strukturelle Elemente wie Standes-, Schicht- oder Klassenzugehörigkeit, kulturelles Kapital wie Bildung oder Umgangsformen keine Bedeutung besessen hätten. (vgl. Gestrich 2003, S.498) Die klaren Erwartungshaltungen auf seiten der jeweiligen Herkunftsfamilien bestimmten weiterhin die Partnerwahl, auch wenn sich sie sich nicht mehr in der gleichen Art und Weise einmischten, wie dies bei den arrangierten Ehen der Fall war. Auch bei der Eheschließung seines Sohnes Johann aus zweiter Ehe hat der Vater zwar die Fäden gezogen, in dem er diesen "auf die Tochter des reichen Kröger, die der Firma eine stattliche Mitgift zuführte aufmerksam gemacht" (S.54/29) hat. Sein Sohn, der seinen eigenen Angaben zufolge "von Herzen einverstanden gewesen" (ebd.) war, folgte in den zehn Ehejahren, die er und seine Frau Bethsy, die Konsulin Elisabeth Buddenbrook, geb. Kröger (ca. 1803 - 1871),  bei Beginn des Romans hinter sich haben, in gewisser Weise dem vom Vater vorgelebten Modell als verehrter "Gattin" und "als die ihm von Gott vertraute Gefährtin" (ebd.). Allerdings überhöht er die Ehe aufgrund seiner religiösen Überzeugungen, ganz im Sinne des »Dominus providebit« , in sakraler Weise und ideologisiert seine patriarchalischen Vorstellungen über das Verhältnis der Geschlechter mit der Betonung der Gebärfunktion der Frau als "hohe Pflicht des Weibes" (S.55/30).

In jedem Fall bestimmte beide Ehen unter dem Dach des Hauses in der Mengestraße, trotz der vor allem in der Literatur seit dem 18. Jahrhundert thematisierten romantischen Liebe, das Konzept der "vernünftigen Liebe" mit einer Partnerwahl, die "gerade im Bürgertum nicht zu einer Durchbrechung der Schichtspezifik der Ehen" führte, sondern "die soziale Endogamie" (Gestrich 2003, S.502) zementierte.

Wer gegen diese sozialen Erwartungshaltungen großbürgerlicher Familien verstieß, musste mit erheblichen Sanktionen rechnen. Das lässt Johann Buddenbrook, sen. seinen Sohn aus erster Ehe, • Gotthold Buddenbrook (1796 - 1856) spüren. Ihm lastet er mit einer Reihe "wunderlicher  Bemerkungen" (S.55/29), wie sein Sohn beim Studium der "Familien-Mappe" auffällt, den Tod der Mutter als "Mord" (S.55/30) an und scheint ihn von Anfang an "als den ruchlosen Zerstörer seines Glücks" "ehrlich und bitterlich" (S.55/30) gehasst  zu haben. Dass dieser "skrupellose Eindringling" dazu noch "kräftig und sorglos" heranwächst, verstärkt und nährt das Trauma, das der Vater durch den Tod seiner ersten Frau im Kindbett erleidet. Diese Erfahrung ist die psychische Energie, die ihn zu der gegenüber Gotthold immer wieder gezeigten Unerbittlichkeit - davon zeugen wohl auch die vom Konsul in der "Familien-Mappe" gesichteten zahlreichen "traurigen Dokumente die bösen Briefe Gottholds an seinen Vater" (S.57/31) - verleitet und die ihn wegen dessen Mesalliance veranlasst, dessen unfolgsames Verhalten mit erheblichen finanziellen Einbußen zu sanktionieren und bis zu seinem Tode keine Versöhnung mit dem Sohn zu suchen. Vorausgegangen war die vom Vater streng verbotene Hochzeit Gottholds mit "Mamsell Stüwing", die die sozialstrategischen Überlegungen bei der Partnerwahl, wie sie im Hause Buddenbrook angestellt werden, ignoriert. Einem derart missratenen Sohn das Geschäft der Fa. Buddenbrook irgendwann einmal zu überlassen oder ihn an ihren finanziellen Erträgen teilhaben zu lassen, ist für den Vater ein Ding der Unmöglichkeit. Als Gotthold gegen den erklärten Willen des Vaters Desmoiselle Stüwing, die Tochter des Inhabers einer Leinenhandlung ehelicht, heiratet er in den Augen des Vaters aus reiner Verliebtheit eben nur einen einfachen "Laden" (S.47/25). Gönnerisch verzichtet er zwar darauf, ihn deshalb vollständig zu enterben, gewährt ihm 100.000 Couranttalern als Mitgift zu der von ihm streng verbotenen Hochzeit mit "Mamsell Stüwing" und der Aussicht auf die gleiche Summe im Erbfall. Weitere Ansprüche, vor allem einen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg, den die Firma danach hat, wehrt er auch gegen die Bedenken seines Sohnes und Teilhabers Johann  hingegen rigoros ab. Seine Entscheidung in diesem Fall entspricht dem Denken aller nachfolgenden Oberhäupter der Familie Buddenbrook: "Die Interessen der Familie, die  immer schwerer in die Waage fallen als die Wünsche des einzelnen, sind vorwiegend perkuniäre Interessen. Wenn persönliche oder menschliche Argumente mit den finanziellen Interessen der Familie im Streit liegen, so wird der Streit regelmäßig zugunsten der Firma entschieden." (Herd 1988, S.214) Aber: selbst wenn "die Familie auch eine Versorgungsinstitut für alle Familienmitglieder ist, wie die vielbeachteten 'Geschäftsbilanzen' immer wieder wieder beweisen" (ebd.), ließe die Autorität und Macht, die dem Familienoberhaupt bei den Buddenbrooks zukommt, auch ein anderes Verhalten zu als das gegenüber seinem Sohn Gotthold gezeigte, denn dieses ist eben nicht allein, das zeigt auch seine Ungleichbehandlung mit der Tochter Johann Buddenbrooks, sen. ("Die in Frankfurt") aus zweiter Ehe, von finanziellen Interessen geprägt, sondern von seinem nicht verarbeiteten Verlust seiner ersten Frau Josefine, die er Gotthold ein Leben lang anlastet. Auf das ihm von den Interpreten immer wieder zugeschriebene aufklärerische Denken, seine Toleranz oder "Unbefangenheit und Unbekümmertheit" (Blödorn/Zilles 2018, S.84) fällt daher von Anfang an ein großer Schatten.

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Genealogischer Überblick (Stammbaum) der Lübecker Familie Buddenbrooks

Die literarische Charakteristik einer Figur mit der Tabellenmethode systematisch erarbeiten

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 14.05.2024

 
 

 
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