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(Am Sterbebett seiner Frau
Antoinette
macht sich Monsieur
Johann Buddenbrook sen.
die folgenden Gedanken:)
Droben saß Johann Buddenbrook am Krankenbette und
blickte, die matte Hand seiner alten Nette in der seinen, mit erhobenen
Brauen und ein wenig hängender Unterlippe stumm vor sich hin. [...]
Der Alte mochte sich erinnern, wie er vor 46 Jahren zum ersten Male am
Sterbebette einer Gattin gesessen hatte und er mochte der wilden
Verzweiflung, die damals in ihm aufbegehrt war, die nachdenkliche Wehmut
vergleichen, mit der er, nun selbst so alt, in das veränderte,
ausdruckslose und entsetzlich gleichgültige Gesicht der alten Frau
blickte, die ihm niemals ein großes Glück, niemals einen großen Schmerz
bereitet, die aber viele lange Jahre mit klugem Anstand bei ihm
ausgehalten und nun ebenfalls langsam davonging.
Er dachte nicht viel, er sah nur unverwandt und mit einem leisten
Kopfschütteln auf sein Leben und das Leben im Allgemeinen zurück, das
ihm plötzlich so fern und wunderlich erschien, dieses überflüssig
geräuschvolle Getümmel, in dessen Mitte er gestanden, das sich
unmerklich von ihm zurückgezogen hatte und nun vor seinem verwundert
aufhorchenden Ohr in der Ferne erhallte... Manchmal sagte er mit halber
Stimme vor sich hin:
»Kurios! Kurios!«
Und als dann Madame Buddenbrook ihren letzten, ganz kurzen und kampflosen
Seufzer getan hatte, [...] da weinte er nicht einmal, aber dies leise,
erstaunte Kopfschütteln blieb ihm, und dies beinahe lächelnde
»Kurios!« wurde sein Lieblingswort... Kein Zweifel, dass es auch mit
Johann Buddenbrook zu Ende ging.
(II, 4 - S.69f.)
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